Wann ist ein Ausländer ein „echter“ Ausländer? Und wann darf ein „Migrant“ sich als solchen bezeichnen? Die Essayistin und Autorin von Theaterstücken Maxi Obexer schickt in ihrem als Roman eingeordneten Text eine Italienerin auf eine Reise aus der ehemaligen Südtiroler Heimat in die neue Heimat
Berlin, wo sie ihren deutschen Pass in Empfang wird nehmen dürfen. Auf dem Weg zwischen Vergangenheit…mehrWann ist ein Ausländer ein „echter“ Ausländer? Und wann darf ein „Migrant“ sich als solchen bezeichnen? Die Essayistin und Autorin von Theaterstücken Maxi Obexer schickt in ihrem als Roman eingeordneten Text eine Italienerin auf eine Reise aus der ehemaligen Südtiroler Heimat in die neue Heimat Berlin, wo sie ihren deutschen Pass in Empfang wird nehmen dürfen. Auf dem Weg zwischen Vergangenheit und Zukunft sinniert sie über ihre Erfahrungen als Italienerin, Südtirolerin, Ausländerin, Migrantin, Europäerin und auch Deutsche nach, die widersprüchlich, widersinnig, bisweilen grenzwertig nationalistisch und manchmal einfach absurd sind. In „Europas längster Sommer“ werden die durch die EU abgeschafften Grenzen plötzlich wieder präsent, doch sie sind neu gezogen worden und verlaufen anders als früher. Vieles, was eindeutig und klar zu sein scheint, muss nochmals hinterfragt werden.
Der kurze Roman, der auf mich eher wie ein langer Essay denn wie eine fiktionale Geschichte wirkt, reißt viele aktuelle Fragen auf und nimmt in der Vielzahl der seit zwei Jahren recht populären Flucht- und Migrationsromane eine ganz neue Perspektive ein, die bislang zu Unrecht vernachlässigt wurde. Als Südtirolerin hat die Autorin die Erfahrung gemacht, dass sie zwar einen italienischen Pass hat, aber nicht als Italienerin wahrgenommen wird. Für die Italiener ist sie Deutsche. Doch richtige Deutsche ist sie auch nicht, trotz aller Bemühungen um Hochdeutsch bleibt ihre Sprache immer ein wenig anders. Besonders eklatant wird das Thema der europäischen Minderheiten im Kunst- und Literaturbetrieb, wo sie zwischen den großen Nationen untergehen und vernachlässigt werden.
Als EU-Ausländerin in Deutschland befindet sie sich in einer besonders abstrusen Situation: die Freizügigkeit zwischen den Staaten erlaubt die unproblematische Migration, gleichzeitig erhält sie aber kein Wahlrecht in dem Land, in dem sie lebt und arbeitet. Sie darf anders sein, soll sich aber integrieren, wie kann dieser Widerspruch aufgelöst werden? Auch im wiedervereinten Berlin, wo die Grenze zwischen Ossi und Wessi messerscharf verläuft, gehört sie weder zu den einen noch zu den anderen.
Sie als freiwillige Migrantin hat sich dieses Los selbst ausgesucht, doch was ist mit der zweiten und dritten Generation der Italiener und Türken, die auf den Papier Deutsche sind, jedoch aufgrund ihres Namens und/oder Aussehens nie als solche anerkannt werden?
„Der Hintergrund ist ewig vordergründig, er verfolgt sie wie ein vorauseilender Schatten. Für sie alle ist der Migrationshintergrund unüberwindbare Realität, eine Ohnmacht, ein Schmerz, ein ungehörter Schrei.”
Kann man überhaupt „Deutsche“ werden? Oder „Italienerin“? Oder „Französin“? Europa wächst zusammen, vermischt sich und trennt zugleich doch immer noch. Das wohl absurdeste Beispiel hierzu lieferte das Vereinigte Königreich:
„Als im Sommer 2016 in Großbritannien über den Verbleib oder den Austritt aus der Europäischen Union abgestimmt wurde, haben EU-Ausländer nicht mitgewählt. Über eine Entscheidung, die sie zuerst betrifft, hatten sie selbst kein Stimmrecht.”
Maxi Obexer stellt die richtigen und wichtigen Fragen. 2015 hat eine Wende im Verständnis von Europa markiert, man hat Menschen hereingelassen, zugelassen, dass sich die EU im Inneren verändert. Doch dazu erfordert es noch vieles von den Bewohnern dieser politischen Einheit, die viel eher die Unterschiede wahrnehmen als das, was sie eint.
Ein wichtiger Beitrag für die Diskussion um nationale Leitkulturen und europäische Werte.