Vor zwanzig Jahren hatte der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour konstatiert: »Wir sind nie modern gewesen«, und sich an einer »symmetrischen Anthropologie« jenseits der Trennung von Natur und Kultur versucht. Nun legt er sein zweites Hauptwerk vor, das dieses faszinierende Projekt mit einer »Anthropologie der Modernen« fortschreibt und den verschiedenen Existenzweisen von Wissenschaft, Technologie, Recht, Religion, Wirtschaft und Politik in der modernen Welt nachspürt. Ein großes Panorama der Modi moderner Existenz. Latour setzt für dieses Projekt bei der globalen Verflechtung aller Lebensbereiche an, die heute nicht zuletzt am Problem des Klimawandels sichtbar wird. Zugleich zeigt sich aber an diesem Problem auch, dass es verschiedene Handlungssphären gibt, die jeweils eigene Existenzweisen besitzen: Politiker, die sich mit dem Klimaproblem befassen, sind eben keine Wissenschaftler, die Klimaforschung betreiben, und Unternehmer orientieren sich zunächst an den Maßgaben der Wirtschaftlichkeit; wissenschaftliche Ergebnisse werden daher nicht einfach in politische und ökonomische Handlungen übersetzt. Dennoch sind für Latour diese verschiedenen Existenzmodi nicht unabhängig voneinander, sondern durchdringen einander und kreieren gemeinsam Probleme, die es in der Folge auch gemeinsam zu lösen gilt. Es bedarf daher einer neuen Form der »Diplomatie«, die zwischen den einzelnen Existenzweisen vermittelt. Nicht weniger als die Zukunft unseres Planeten steht auf dem Spiel und nicht weniger als eine solche diplomatische Vermittlung versucht dieses grundlegende und wegweisende Buch zu leisten. Auf dass wir endlich modern werden!
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Auf die gute alte Tugend des riskanten Denkens stößt Klaus Birnstiel in Bruno Latours neuem Buch. Für den Rezensenten genau die richtige Art, die geltenden Gesellschaftsentwürfe und Wirtschaftsweisen einer Revision zu unterziehen, auch wenn das keine Kleinigkeit ist, wie Birnstiel ahnt. Umso mehr scheint ihm Latours theoretische Nonchalance und wissenschaftliche Euphorie angebracht, wenn es darum geht, ein neues politisches Modell zu entwickeln gegen die ökologische Krise. Die vom Autor unter dem Denkbild des Anthropozän und dem Schlüsselbegriff der Diplomatie vorgeschlagenen Maßnahmen scheinen dem Rezensenten trotz all ihrer theoretischen Zähigkeit, ihres endzeitlichen Pathos und der abzusehenden Schmerzhaftigkeit der Auseinandersetzung allemal bestechend und bedenkenswert.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Latours Buch enthält eine Fülle bemerkenswerter Einsichten und Gedanken, von Miniaturen und großen Erzählungen.« Klaus Birnstiel Süddeutsche Zeitung 20150205