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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Was brachte Moses Neues? Der Ägyptologe Jan Assmann hat noch einmal ein großes Buch über
die Erfindung des Monotheismus geschrieben Von Christoph Markschies
Jan Assmann hat wieder über Mose und den Monotheismus geschrieben, ein ebenso dickes wie gelehrtes Buch. Aber er hat glücklicherweise anders über Mose geschrieben als in seiner Monografie „Moses der Ägypter“ (1998). Schon im Vorwort der neuen Publikation dankt Assmann seinen Kritikern und betont, viel gelernt und seine Position revidiert zu haben. Das führt sofort zu der Frage, inwiefern sich das Bild des emeritierten Heidelberger Ägyptologen von Mose und der Entstehung des Monotheismus geändert hat.
Jan Assmann hat diesmal einen Kommentar zu einem biblischen Buch geschrieben, zum zweiten Buch Mose, nach seinem griechischen Namen: Exodus, das Buch vom Auszug der Israeliten aus Ägypten. Wie in jedem gelehrten Bibelkommentar steht vor der Einzelkommentierung der Verse eine umfangreiche Einführung, die über die Gliederung und das Thema des kommentierten Buches Auskunft gibt, dazu kommen Abschnitte zu den historischen Einleitungsfragen. Assmann folgt hier mehr oder weniger bestimmten Teilkonsensen in der Fachwissenschaft vom Alten Testament, die im Augenblick recht disparate Bilder von der Frühgeschichte Israels und ihrer Verschriftlichung zeichnet – anders kann man sich, auch wenn man vom Fach ist, in dieser Situation nicht helfen. Nur die, die mit der sehr komplexen Debattenlage näher vertraut sind, werden sich wundern, dass Assmann gleichzeitig eine vielfache, höchst komplexe literarische Schichtung des Buches Exodus annimmt und doch praktisch den ganzen theologischen Kern der Erzählung für priesterschriftlich hält, also mehr oder weniger einer einzigen „Kompositions- und Redaktionsstufe“ zuweist. Verwunderlich auch, dass für Gott bei Assmann konsequent das hebräische Tetragramm JHWH geschrieben wird, dessen Aussprache im Judentum streng vermieden wird (stattdessen wird das Ersatzwort „Adonaj“, Herr, gelesen). Assmann hält (wie die meisten Bibelwissenschaftler) den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten nicht für ein historisches Datum, sondern für eine symbolische Erzählung über die Wende vom Polytheismus, den er Kosmotheismus nennt, zum Monotheismus. Allerdings räumt er ein, dass sich verdichtete Spuren historischer Ereignisse in dieser Erzählung finden.
Nach dieser Einführung folgt eine ausführliche Kommentierung, die jeweils mit einer deutschen Übersetzung des hebräischen Textes beginnt. Wie inzwischen in Kommentaren ebenfalls üblich, wird auch die Rezeptions- und Transformationsgeschichte der biblischen Texte bis in die Gegenwart hinein verfolgt und mit Abbildungen reich illustriert. So findet sich zu der Geschichte von der Berufung des Mose und der Behandlung des goldenen Kalbes beispielsweise ein Exkurs zu Schönbergs Oper „Moses und Aron“. Ausführlich behandelt werden die Leiden der Israeliten, die Namensoffenbarung des Gottes, die Zeichen und Wunder beim Auszug als Machtoffenbarung Gottes, die Berufung des Volkes, Vertrag und Gesetz im Bund, der Widerstand des Volkes und schließlich die Kultstiftung als eine Institution permanenter Gottesnähe – kurz: Assmann hat einen ausführlichen, gelehrten Kommentar eines Ägyptologen zum Buch Exodus geschrieben. Gleichzeitig handelt es sich aber auch um Bibelerklärung eines evangelischen Christenmenschen, der mit seinem eigenen Glauben ringt: Man könnte pointiert formulieren: Luther wollte, dass jeder Laie die Bibel lesen kann. Im Vorfeld des fünfhundertjährigen Reformationsjubiläums schreiben nun auch die gebildeten evangelischen Laien – und nicht mehr nur die Theologen – Bibelkommentare.
Über sein Ringen mit dem biblischen Monotheismus gibt Assmann immer wieder Auskunft. Bereits in den einleitenden Paragrafen steht explizit geschrieben, an welchem zentralen Punkt er im Blick auf sein erstes Buch über Mose seine Ansichten revidiert hat. Ursprünglich hatte er die Unterscheidung zwischen wahr und falsch als mosaische Unterscheidung bezeichnet und aus der Ansicht, erst die Bibel unterscheide zwischen dem einen wahren Gott und den vielen falschen Göttern, mancherlei Konsequenzen gezogen (beispielsweise behauptet, dem Monotheismus sei deswegen ein Gewaltpotenzial inhärent). Im neuen Buch hält er dagegen nun explizit fest, dass in „keiner der drei theologischen Dimensionen, die in der Geschichte vom Auszug aus Ägypten eine Rolle spielen, der befreiungs-, bundes- und kulttheologischen, . . . es um die Unterscheidung zwischen wahr und falsch“ gehe. „Die dominierende Unterscheidung, die mit dem, wofür der Name Mose steht, in den religiösen Raum kommt, ist die zwischen Treue und Verrat“. Es ist also der als Treueverhältnis beschriebene Glaube, der nun das Spezifikum der mosaischen Unterscheidung bilden soll, nicht mehr die reflektierte Frage nach Wahrheit und deren Gegenteil.
Gleich geblieben ist aber ungeachtet aller Unterschiede Assmanns Versuch, im jüdischen Monotheismus etwas Neues – und zwar etwas revolutionär Neues zu finden. Der Begriff „revolutionär“ findet sich überhaupt recht häufig im neuen Buch: Die literarische Komposition, zu der das biblische Buch Exodus gehört und die auch die Schöpfungs- und Erzväter-Erzählungen umfasst, ist eine „in der damaligen Welt beispiellose Großtat“. „Zum ersten Mal in der Geschichte“ wird mit dem Buch Exodus ein von Priestern verfasster heiliger Text Gemeinbesitz des Volkes und daher entstehen der Wortgottesdienst mit seinen Lesungen und die Exegese dieser Heiligen Schriften. Revolutionär neu ist auch die in diesem Buch ausgedrückte Vorstellung von einem freiwilligen Bund zwischen Gott und Mensch, in der der eine Gott als Gesetzgeber fungiert. Religion wird dadurch mit Verheißung aufgeladen: Wer diesem Bund treu bleibt, sich also wie ein Partner in einer Liebesbeziehung verhält, den erwartet als Belohnung Heil. Damit entsteht ein vollkommen neuer, revolutionär neuer Begriff derer, die dem Gott treu anhängen: das Volk. Dieser biblischen Vorstellung attestiert Assmann eine „demokratische Stoßkraft“, weil er das auch in Israel bezeugte altorientalische Königtum im Grunde überflüssig macht. Ähnlich hatte schon der amerikanische Religionswissenschaftler Robert Bellah in seinem nachgelassenen Werk „Religion in Human Revolution“ über eine welthistorisch neue Konzeption von „Volk“ bei Mose gesprochen.
Wer seine akademische Prägung nicht in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts empfangen hat und zudem als Theologe auch immer etwas vorsichtiger damit sein sollte, der eigenen religiösen Tradition gleich revolutionäre Neuheit zu bescheinigen, fragt sich, ob die Unterschiede zu anderen vorderorientalischen und griechisch-römischen Kulten wirklich so radikal sind oder ob auch hier das Modell allmählicher Entwicklung und gradueller Unterschiede die historische Wirklichkeit besser trifft. Besonders gilt das natürlich, wenn das Buch Exodus in so komplizierten literarischen Prozessen gewachsen sein sollte, wie die Fachwissenschaft behauptet. Selbstverständlich präsentiert Assmann in seinem Buch für jene These revolutionärer Neuheit der Konzepte von Befreiung, Bund (samt einem Bundesvolk) und Kult Argumente, die freilich weniger aus dem detaillierten religionsgeschichtlichen Vergleich mit anderen Religionen gewonnen werden als vielmehr aus der Wirkungsgeschichte: Mit Machiavelli, Spinoza, Hobbes und Grotius nehmen alle Protagonisten neuzeitlichen Staatsdenkens auf die biblische Erzählung vom Exodus und auf Mose Bezug. Allerdings beziehen sich auch die unterschiedlichsten Befreiungsbewegungen der Gegenwart und unmittelbaren Vergangenheit auf diese Zusammenhänge; insbesondere solche zeitgenössischen Dimensionen der Wirkungsgeschichte fehlen in dem hier etwas zu bildungsbürgerlich geratenen Buch.
Selbstverständlich geht es auch in der jüngsten Monografie Assmanns wieder um den Zusammenhang von Monotheismus und Gewalt, freilich nun nicht mehr aus der Perspektive, dass Wahrheit quasi automatisch gegenüber dem Falschen intolerant und daher gewaltbereit sein soll, sondern aus der neuen Perspektive der Treue: „Innerhalb des Bundes gilt, dass Sünde bestraft werden muss. . . . Zur Treue gehört im Ernstfall . . . das fanatische, mörderische Eifern für Gott“. Die Einwände, die an dieser Stelle zu erheben wären, sind im Grunde dieselben wie auch schon vorher: Folgt aus Bekenntnis zu einer Wahrheit und Liebe zu einer Person denn automatisch Intoleranz und Gewalt? Sind das nicht nur mögliche Konsequenzen, die man mit bestimmten Maßnahmen und Überlegungen vermeiden kann? Bei Bertolt Brecht heißt es so schön: „und das liebste mag’s uns scheinen,/ so wie anderen Völkern ihr’s“. Das bezieht sich in der „Kinderhymne“ bekanntlich auf das eigene Heimatland und ist gegen alte und neue Nationalismen gerichtet, aber man könnte wohl auch abweichend von Brechts Text das eigene Glauben als Subjekt in das Zitat einsetzen. Und dann hätte man auf eine geistige Linie Bezug genommen, die von biblischen Texten nicht auf Gewalt, sondern auf eine Haltung der Toleranz führt, die gleichwohl von der Wahrheit des eigenen Glaubens überzeugt ist und an der Treue zum Grund der Wahrheit festhält.
Vermutlich führt schon das Insistieren darauf, dass der jüdische Glaube eine „Revolution der Alten Welt“ darstellte, dazu, dass sich Assmann diese Religion nicht anders als gewalttätig vorstellen kann. Bekanntlich lösen nur deutsche Revolutionäre laut Lenin friedlich eine Bahnsteigkarte, bevor sie den Bahnhof stürmen, und auch diese Charakterisierung ist im zwanzigsten Jahrhundert nur teilweise bestätigt worden. Wenn man dagegen anerkennt, dass der jüdisch-christliche Glauben vielleicht seiner altorientalischen wie griechisch-römischen Umwelt auch in zentralen Punkten unbeschadet aller einzigartigen Besonderheiten doch mehr verdankt, als es nach Lektüre dieses ebenso anregenden wie gelehrten Buches zu sein scheint, dann wird man vielleicht auch aufmerksamer für seine gewaltbegrenzenden und konflikteinhegenden Potenziale. Mit emotionalem Hintergrund in Treue fest zu glauben ist kein Spezifikum der jüdisch-christlichen Religionsgeschichte in der Alten Welt, auch wenn eine christlich dominierte Religionsgeschichte das „griechisch-römische Heidentum“ gern als bloße „Loyalitätsreligion“ charakterisiert und von der eigenen Tradition abgehoben hat.
In einer Zeit religiös motivierter Revolutionen so auf die gemeinsame Geschichte und ihre Wechselwirkungen zu achten, könnte angesichts gegenwärtiger Konflikte nicht nur im Nahen Osten ein Beitrag zu unabdingbarer Differenzierung sein – und vielleicht die Idee für ein drittes, die Thesen von der mosaischen Unterscheidung nochmals etwas modifizierendes Buch von Jan Assmann. Die dafür notwendige religionsgeschichtliche Bildung besitzt er nämlich allemal.
Christoph Markschies lehrt Historische Theologie an der Berliner Humboldt-Universität.
Zum ersten Mal in der Geschichte
wird ein heiliger Text
Gemeinbesitz des Volkes
Vielleicht verdankt der jüdisch-
christliche Glaube seiner Umwelt
doch mehr, als hier zugestanden
So stellte sich Ridley Scott das biblische Geschehen in seinem Film „Exodus: Gods and Kings“ (2014) vor.
Foto: 20th Century Fox
Jan Assmann: Exodus. Die Revolution der Alten Welt. Verlag C.H. Beck, München 2015.
493 Seiten, 19,95 Euro.
E-Book 24,99 Euro.
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Als im Januar 2011 in Kairos Innenstadt die Barrikaden brannten und Kugeln flogen, wurde der verhasste Präsident Mubarak auf den Plakaten einiger Revolutionäre als "Pharao des Exodus" beschimpft. Die herabwürdigende Gleichsetzung mit dem Herrscher, der einst die Israeliten in Ägypten geknechtet haben soll und deshalb zur Strafe von Gott im Roten Meer ertränkt wurde, zeugte von der anhaltenden Wirkkraft der Exodus-Erzählung, die über Kulturgrenzen hinweg ein Identifikationsreservoir für die Erniedrigten und Exilierten bietet. Mit dieser "grandiosesten und folgenreichsten Geschichte, die sich Menschen jemals erzählt haben", beschäftigt sich der Ägyptologe Jan Assmann in seinem neuen Buch. Ihn interessieren dabei weniger die historischen oder bibelexegetischen Hintergründe des Textes als sein identitätsstiftender Gehalt. Die göttliche Befreiung aus weltlicher Herrschaft, der Treuebund des Volks mit seinem Gott, Zweifel und Verrat an der Offenbarung und Sehnsucht nach dem eigenen Land bilden die Kernmotive des monotheistischen Gründungsmythos. Es ist eine Geschichte voller Hoffnung und Trug, und Assmann beschreibt sie in ihrer ganzen Cecil-B.-DeMille-haften Dramatik.
Er erzählt von dem revolutionären Moment des unmittelbaren Vertragsschlusses zwischen Gott und Volk. Im Verzicht auf Zwischeninstanzen wie König oder Kirche liegt Assmann zufolge eine herrschaftskritische Stoßkraft. Dass Gott hier nicht nur als Richter, sondern als Gesetzgeber auftritt, zeigt zugleich, wie die Gottesoffenbarung in den säkularen Rechtskontext übergreift, es kommt zu einer "Theologisierung des Rechts". Wer die Gebote befolgt, dient zuerst Gott - und damit auch der weltlichen Ordnung. Doch der Bund ist nicht frei von Spannungen. Immer wieder murrt das Volk in der Wüste, gibt sich weder mit Wasser noch mit Wachteln zufrieden und droht seinem Anführer Mose mit Umkehr. Als dieser einmal beim Zwiegespräch mit Gott zu lange fortbleibt, fällt es zurück in die heidnische Kultverehrung, umtanzt ein goldenes Kalb. Zur Strafe fordert Gott als Treuebeweis den Mord an den eigenen Söhnen und Brüdern.
Die Verbindung von Monotheismus und Gewalt findet hier einen grausamen Höhepunkt. Gott tritt im "Exodus" nicht als liebender Vater, sondern als eifersüchtiger Ehemann auf, der seine "Braut" Israel gnadenlos bestraft, wenn sie ihn mit anderen Göttern betrügt. "Monotheismus der Treue" nennt Assmann daher die besondere Form der frühjüdischen Religion. Auf enthusiastische Weise verfolgt der Fährtensucher des kulturellen Gedächtnisses die Resonanzen des Wundertextes "Exodus" bis zu den Adaptionen von Schönberg, Händel und Schiller und beschämt damit alle, die ernsthaft über eine Verbannung des Alten Testaments aufs apokryphische Abstellgleis nachdenken.
Simon Strauß
Jan Assmann: "Exodus. Die Revolution der Alten Welt". C. H. Beck, 493 S., 29,95 Euro
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Kathrin Meier-Rust, Neue Zürcher Zeitung, 28. Juni 2015
"Ein wahrlich gelehrtes Buch."
Friedrich Wilhelm Graf, Frankfurter Rundschau, 05. Juni 2015
"Eines der wichtigsten Sachbücher des Frühjahrs."
Stefan Nölke, MDR Figaro, 16. April 2015
Bernhard Lang, Neue Zürcher Zeitung
"Auf enthusiastische Weise verfolgt der Fährtensucher des kulturellen Gedächtnisses die Resonanzen des Wundertextes 'Exodus' bis zu den Adaptionen von Schönberg, Händel und Schiller."
Simon Strauß, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
"Jan Assmanns neues Buch ist ein Blockbuster - wunderbar geschrieben, umfassend, gelehrt und unendlich innovativ."
Jonathan Sheehan zur amerikanischen Ausgabe