Die Krönung von Haile Selassie zog 1930 ein schillerndes Publikum nach Addis Abeba. Mitten unter ihnen: ›Times‹-Sonderkorrespondent Evelyn Waugh. Es ist ein Anlass wie geschaffen für die satirische Feder des Engländers. Er mokiert sich über europäische Diplomaten und liefert das Porträt einer vergnügungssüchtigen Gesellschaft, die weit weg von zu Hause, in Abessinien, ihre pompösen Feste feiert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2019NEUE TASCHENBÜCHER
Pomp und tödliche Langeweile –
Evelyn Waugh in Addis Abeba
Scoops waren nicht ganz einfach für Journalisten in den Pre-Mail-Zeiten, aktuelle Berichte zu Tagesereignissen, sensationell und möglichst vor allen andern. Am besten, man schrieb das schon mal, bevor die Events stattfanden, von denen sie handelten, und kabelte es gleich an die Zeitung. Evelyn Waugh machte das nicht. Der eher lustlose Oxfordianer, Romanautor („Brideshead Revisited“, fürs TV erfolgreich verfilmt), Reiseschriftsteller, war – nicht gerade gentlemanlike – unbeherrscht und gern zu Bosheit und Provokation bereit. Im Oktober 1930 wurde er nach Addis Abeba geschickt, um von der Krönung Haile Selassies zu berichten, für die Times und den Daily Express. Es gab allerhand Hektik und Pomp, den Eklektizismus der grenzenlosen Macht, die Karosse von Wilhelm II. und ein weißes Habsburgergespann, Getrommel und eine Fliegerstaffel. Waughs Bericht kam wohl hoffnungslos zu spät, aber zurück in England machte er sich daran, alles aufzuschreiben in diesem Buch, das im Original „Remote People“ heißt. Darin erzählt er auch von einem Ausflug zum Kloster Debre Libanos und von einer rauen Klettertour, die mit Fetzen, Schweiß und Blut endete. (Bei einem zweiten Auftrag in Addis Abeba 1935 für die Daily Mail, das erzählt Rainer Wieland in seinem schönen Nachwort, erfuhr er zwar rechtzeitig, wann der italienische Duce den Krieg gegen Äthiopien starten wollte, aber aus Angst vor der Konkurrenz übermittelte er den Scoop auf Lateinisch – der dienshabende Redakteur hielt’s für einen blöden Scherz …)
Mitten in der gemächlichen Erzählung der Denkwürdigen legt Evelyn Waugh den Antrieb seines Schreibens offen: einen tiefen „Horror der Langeweile“. Und er bringt Beispiele, in denen diese Langweile sich manifestiert, am schrecklichsten in den Selbstmörderbriefen von Männern mittleren Alters: „Wie satt ich das alles habe! Ich kann nicht mehr. Ich höre auf. Gestern ist die Uhr kaputtgegangen, und dem Milchmann schulden wir vier Shilling. Sag Ruby, der Schlüssel zum Kohlenkeller liegt oben unter dem Hut …“ FRITZ GÖTTLER
Evelyn Waugh. Expeditionen eines englischen Gentleman. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Diogenes, Zürich 2019. 331 Seiten, 14 Euro.
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Pomp und tödliche Langeweile –
Evelyn Waugh in Addis Abeba
Scoops waren nicht ganz einfach für Journalisten in den Pre-Mail-Zeiten, aktuelle Berichte zu Tagesereignissen, sensationell und möglichst vor allen andern. Am besten, man schrieb das schon mal, bevor die Events stattfanden, von denen sie handelten, und kabelte es gleich an die Zeitung. Evelyn Waugh machte das nicht. Der eher lustlose Oxfordianer, Romanautor („Brideshead Revisited“, fürs TV erfolgreich verfilmt), Reiseschriftsteller, war – nicht gerade gentlemanlike – unbeherrscht und gern zu Bosheit und Provokation bereit. Im Oktober 1930 wurde er nach Addis Abeba geschickt, um von der Krönung Haile Selassies zu berichten, für die Times und den Daily Express. Es gab allerhand Hektik und Pomp, den Eklektizismus der grenzenlosen Macht, die Karosse von Wilhelm II. und ein weißes Habsburgergespann, Getrommel und eine Fliegerstaffel. Waughs Bericht kam wohl hoffnungslos zu spät, aber zurück in England machte er sich daran, alles aufzuschreiben in diesem Buch, das im Original „Remote People“ heißt. Darin erzählt er auch von einem Ausflug zum Kloster Debre Libanos und von einer rauen Klettertour, die mit Fetzen, Schweiß und Blut endete. (Bei einem zweiten Auftrag in Addis Abeba 1935 für die Daily Mail, das erzählt Rainer Wieland in seinem schönen Nachwort, erfuhr er zwar rechtzeitig, wann der italienische Duce den Krieg gegen Äthiopien starten wollte, aber aus Angst vor der Konkurrenz übermittelte er den Scoop auf Lateinisch – der dienshabende Redakteur hielt’s für einen blöden Scherz …)
Mitten in der gemächlichen Erzählung der Denkwürdigen legt Evelyn Waugh den Antrieb seines Schreibens offen: einen tiefen „Horror der Langeweile“. Und er bringt Beispiele, in denen diese Langweile sich manifestiert, am schrecklichsten in den Selbstmörderbriefen von Männern mittleren Alters: „Wie satt ich das alles habe! Ich kann nicht mehr. Ich höre auf. Gestern ist die Uhr kaputtgegangen, und dem Milchmann schulden wir vier Shilling. Sag Ruby, der Schlüssel zum Kohlenkeller liegt oben unter dem Hut …“ FRITZ GÖTTLER
Evelyn Waugh. Expeditionen eines englischen Gentleman. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Diogenes, Zürich 2019. 331 Seiten, 14 Euro.
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»Einer der großen Meister der englischen Prosa... Es ist nie zu spät, Evelyn Waugh zu lesen oder wiederzulesen.« Time Magazine Time Magazine