Zehn Jahre nach seiner Gründung im Jahr 2004 ist Facebook das größte soziale Netwerk der Welt und einer der mächtigsten Global Player des Internet. Der Reiz dieses Netzwerks liegt auf der Hand: die geballte Kommunikation mit vielen, die Lust der Selbstdarstellung, die Zeugenschaft im Leben der anderen, die reichlichen, pflegeleichten Bekanntschaften, das Wiedersehen alter Freunde etc.. Auch die Negativseite ist hinlänglich bekannt: die Kapitalisierung des Privaten, Überwachung, Selbstdarstellungszwang, Zeitverschwendung. Es gibt etablierte Neologismen und umfangreiche Studien zu Facebook. Zugleich gibt es viele Klischees und Leerstellen in der Reflexion, was Facebook ist und wie es die Gesellschaft verändert. Das vorliegende Buch untersucht das Phänomen Facebook aus geschichtsphilosophischer, kulturwissenschaftlicher und gedächtnistheoretischer Perspektive. Es vertritt vier Thesen: Hinter dem Narzissmus rastloser Facebook-Nutzer steckt die Angst vor sich selbst; man will das Eigene beim andern loswerden, um nicht selbst damit umgehen zu müssen. Der expandierte Small Talk auf Facebook rettet das Projekt der Post-Moderne vor der Rückkehr der Legitimationserzählungen. Facebook stattet jeden Nutzer mit einer dokumentarischen, mehr oder weniger automatisierten Autobiographie aus, deren primäre Autoren und Leser die Algorithmen am back end des Interface sind. Die Hyper-Attention und Zerstreuung auf Facebook und im Internet insgesamt führt perspektivisch zum Ende des kollektiven Gedächtnisses und scheint so den Boden zu bereiten für Kommunikation jenseits der Kultur.
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buecher-magazin.deIm Gegensatz zum titelgebenden Phänomen, das dieser kulturphilosophische Essay beleuchtet, ist er nicht einfach zu konsumieren. Simanowski ist Professor für Digital Media Studies und Digital Humanities in Hongkong, allein 65 Seiten Fußnoten geben eine Vorahnung auf die Komplexität dieses Textes. Aber es lohnt sich, ihn zu lesen, denn er kündet von einer fundamentalen Zeitenwende. Dies ist kein Buch über Facebook, sondern darüber, wie die automatisierten Mechanismen von Social-Media-Tools unser soziales Verhalten und das kollektive Gedächtnis so grundlegend verändern wie zuletzt Gutenbergs Buchdruck. Simanowski geht der Frage auf den Grund, ob Firmen wie Facebook nur der Ausdruck eines kulturellen Wandels sind oder dessen eigentlicher Motor. Zu diesem Wandel werden drei große Thesenstränge vernetzt, die von fremden Freunden, mit denen wir unsere automatisierte Autobiografie teilen, bis zum Gedankenexperiment einer digitalen Nation führen. Dass Facebook Gegenwart vernichtet, indem es sie permanent festhält, kann jeder spüren, der stundenlang in den Versatzstücken der Leben anderer zappt. Dass durch datenbankgesteuertes Erzählen die Reflexion auf der Strecke bleibt, könnte einer der großen Fehler im System sein. Wer Simanowski liest, ist davon vorerst nicht bedroht.
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
© BÜCHERmagazin, Tina Schraml (ts)
»Roberto Simanowski hat mit "Facebook-Gesellschaft" einen interessanten und provozierenden Essay geschrieben.« - Dr. Juliane Jarke, Soziologische Revue Juliane Jarke Soziologische Revue 20180101