Jana Otto, Leibniz Universität Hannover.
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Ein Rückblick auf den deutsch-deutschen Systemwettbewerb um Fachkräfte aus dem postkolonialen Afrika
Als Christian Lindner Anfang des Jahres bei seinem Besuch in Ghana um junge Fachkräfte warb, hatte er sich wohl eine andere Reaktion seines Publikums erhofft. In der Technologie, in der IT, ja selbst im öffentlichen Dienst könne man in Deutschland arbeiten, zählte der Finanzminister im Hörsaal einer Universität in der Hauptstadt Accra auf. Dann wollte er wissen, wer von den anwesenden Studenten sich vorstellen könnte, dafür nach Deutschland zu kommen - und wurde bitter enttäuscht. Ein paar Hände gingen nach oben, der größte Teil der Zuhörer aber blieb regungslos sitzen. "Nur so wenige?", fragte Lindner sichtlich überrascht. Und dann gleich noch mal: "Wirklich nur so wenige?"
Der Videoausschnitt, der von einer ZDF-Journalistin auf Twitter geteilt wurde, wurde im Netz von Hunderten kommentiert. "Wir müssen mal wegkommen von dieser eingebildeten Attraktivität Deutschlands für den Rest der Welt. Das ist ein Phänomen der Vergangenheit", hieß es dort etwa. Andere suchten nach Gründen für die geringe Begeisterung der Studenten - und nach Möglichkeiten, Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland interessanter zu machen.
Fest steht jedenfalls: Das Werben um junge Ghanaerinnen und Ghanaer ist kein neues Phänomen. Und es war offenbar schon mal erfolgreicher. Im Bereich der Arbeitsmigration gehört das Land zu den langjährigsten Partnern Deutschlands auf dem afrikanischen Kontinent. Bereits in den 1960er-Jahren entstanden sogenannte entwicklungspolitische Praktikumsprogramme, in deren Rahmen zunächst ghanaische Maschinenschlosserlehrlinge oder Gewerbelehrer, später auch Arbeitskräfte aus anderen Bereichen, etwa Hebammen, Hotelfachschüler oder Ingenieure, in Deutschland ausgebildet wurden - sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR.
Eben diese Programme nimmt Jana Otte in ihrem Buch "Fachkräfte für die Entwicklung. Fortbildungskooperationen zwischen Ghana und den beiden deutschen Staaten, 1956-1976" näher in den Blick. Die Autorin beschreibt sie als eines der ersten Entwicklungsprojekte der DDR und der BRD, verfolgten doch beide Staaten das Ziel, den wirtschaftlichen Aufschwung im gerade unabhängig gewordenen Ghana voranzutreiben. Grundlage dafür bildete laut Otto der "globale Konsens" darüber, dass Fachwissen und technische Expertise zu wirtschaftlicher Entwicklung führten. Diese Annahme, so die Autorin, "fand sich in kapitalistischen Modernisierungstheorien ebenso wieder wie in marxistisch-leninistischen Konzepten oder in Ansätzen des 'Afrikanischen Sozialismus'". Im Zuge der fortschreitenden Dekolonisierung im 20. Jahrhundert wurden entwicklungspolitische Ausbildungsprogramme so zu einer wichtigen Form des Austauschs zwischen globalem Norden und globalem Süden.
Von Beginn an, so beschreibt es die Autorin, wurden die Praktikumsprogramme mit Ländern wie Ghana aber auch als "Instrumente der nationalen Prestigegewinnung" eingesetzt. Denn natürlich ging es den beiden deutschen Staaten inmitten der Systemkonfrontation auch darum, durch diese Kooperationen eigene politische Interessen voranzutreiben. Sowohl die DDR als auch die BRD versuchten, im Wettbewerb miteinander um die Gunst postkolonialer Staaten zu werben, die durch ihre Unabhängigkeit plötzlich zu eigenständigen politischen Akteuren geworden waren. Einerseits ging es dabei um rein ökonomische Interessen: Durch eine stärkere Bindung erhofften sich die beiden deutschen Staaten, ihre Exporte zu fördern. Ghana wiederum versprach sich durch die Kooperation wirtschaftlichen Aufschwung. Der erste Präsident des Landes, Kwame Nkrumah, hatte sich zum Ziel gesetzt, Ghana zum Industriestandort zu machen.
Vor allem in der DDR kam allerdings der Versuch hinzu, die Teilnehmer gezielt politisch zu beeinflussen und sie durch "politische Arbeit" von der sozialistischen Ideologie zu überzeugen. Zu diesem Zweck wurden etwa mehrere Organisationen gegründet, die die Aktivitäten der jungen Ghanaerinnen und Ghanaer überwachen und sie "in die richtige Richtung" lenken sollten. Nach dem Testfall Ghana, das nach der Vereinigten Arabischen Republik das erste Land war, das sowohl mit der Bundesrepublik als auch mit der DDR kooperierte, wurden ähnliche Programme auch auf andere Staaten in Afrika ausgeweitet. Im Verlauf der 1960er-Jahre wurde der Kontinent so zum "Austragungsort der innerdeutschen Systemkonkurrenz".
Die ideologische Ausrichtung spielte aber auch für Ghana selbst eine Rolle. Nkrumah, der sich selbst als marxistischen Sozialisten bezeichnete, versuchte die Kooperationen auch politisch für sich zu nutzen. So war die Erwartung, dass die Teilnehmer der Praktikumsprogramme sich in der DDR "nicht nur fachliche Kenntnisse aneignen, sondern auch ideologisch auf das neue sozialistisch inspirierte Gesellschaftsmodell vorbereitet" würden.
Wie stark die Fortbildungskooperationen letztlich von ideologischen Fragen und dem Ost-West-Konflikt geprägt wurden, wird besonders eindrücklich, wenn Otte auf konkrete Fallbeispiele zurückgreift - was leider nicht allzu häufig vorkommt. Interessant ist etwa die Geschichte des ghanaischen Praktikanten Eddy Ampah, der nach dem Regimewechsel in Accra 1966 aus der DDR zurück in sein Heimatland geschickt werden sollte. Zwar war Ampah ein Anhänger des gestürzten ghanaischen Präsidenten Nkrumah und damit ein "konformer" Sozialist - die DDR entschied sich aber dafür, das "zur Verfügung stehende sehr geringe Kontingent an Studienplätzen den kämpfenden Befreiungsbewegungen im Süden Afrikas und in den portugiesischen Kolonien zur Verfügung" zu stellen. Kaum gab es einen abermaligen Putsch in Ghana, durch den sich das Land den sozialistischen Staaten wieder annäherte, kam Walter Ulbricht die Bitte des Praktikanten dann aber doch nach: Er durfte bleiben. FRANCA WITTENBRINK
Jana Otto: Fachkräfte für die Entwicklung. Fortbildungskooperationen
zwischen Ghana und den beiden deutschen Staaten 1956-1976.
De Gruyter Oldenbourg Verlag, Berlin 2022. 414 S., 69,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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"Die Einbeziehung Ghanas und der ghanaischen Fachkräfte mit ihrem Eigen-Sinn ist ein wichtiger Beitrag zur Untersuchung der Verflechtungsgeschichte von Ost-West- und Süd-Beziehungen, die auch die Durchlässigkeit des Eisernen Vorhangs in beide Richtungen für ghanaische Fachkräfte in den Blick nimmt." - Anja Schade, in: Connections und H-Soz-Kult, 26.02.2024