Selbstverschuldete Inkompetenz falscher Freunde
Nicht jeder, der sich mit der Aufklärungsepoche beschäftigt, ist zu solchen interpretatorischen Differenzierungen in der Lage bzw. bereit. Ein neueres Beispiel hierfür ist das ärgerliche Buch von Andreas Pecar, Damien Tricoire, Falsche Freunde. War
die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?, Frankfurt am Main 2015. Die Autoren sind…mehrSelbstverschuldete Inkompetenz falscher Freunde
Nicht jeder, der sich mit der Aufklärungsepoche beschäftigt, ist zu solchen interpretatorischen Differenzierungen in der Lage bzw. bereit. Ein neueres Beispiel hierfür ist das ärgerliche Buch von Andreas Pecar, Damien Tricoire, Falsche Freunde. War die Aufklärung wirklich die Geburtsstunde der Moderne?, Frankfurt am Main 2015. Die Autoren sind jedoch so ehrlich, die Schranke ihrer eigenen Deutung den Leserinnen und Lesern gleich mitzuteilen: sie plädieren dafür, „die Fremdheit der Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts“ anzuerkennen (12, 35) und wollen „Zweifel an der Vertrautheit der heuigen Zeit mit dem Phänomen und der Epoche der Aufklärung“ (13) säen. Nun beruht das Fremdheitsempfinden im Wesentlichen auf der mangelnden Bekanntschaft und Kenntnis der Sache, um die es geht. Reise ich in ein entferntes Land, so kann es sein, dass mir anfangs vieles an den Sitten und Gebräuchen seiner Bewohner ,befremdlich vorkommt. Aber je länger ich in einem solchen Land verbleibe und je mehr ich mich darum bemühe, seine Kultur kennenzulernen, desto mehr wird mir dieses Land vertraut - insofern ist ,Fremdheit zwar der Ausgangspunkt einer Betrachtung, aber kein dauerhafter Zustand. Wem die Aufklärung auch nach längerer Zeit der Befassung mit ihr ,fremd geblieben ist, dem ist offenkundig der Zugang zur Aufklärungsepoche versagt geblieben. Die Schuld daran, dass die Autoren die „Fremdheit“ nicht überwinden konnten, liegt nicht bei der Aufklärung, sondern verdankt sich der Unangemessenheit ihrer Vorgehensweise, die statt einer systematischen Betrachtung der Aufklärung eigentlich nur ein Sündenregister ihrer Vertreter erstellen wollten, die nach ihrer Ansicht keine Sachprobleme lösen wollten, sondern in erster Linie an „polemische[r] Selbstinszenierung auf der Grundlage eines Geschichtsnarrativs“ (32, 141) interessiert waren. Weil der Streit über Inkonsequenzen der Emanzipationsprinzipien von den Vertretern der Aufklärung selbst geführt wurde, brauchte die Welt auch nicht auf das Erscheinen des Buches dieser beiden ,wahren Feinde der Aufklärung zu warten. Übrigens erklären die Autoren wider Willen, wie sie selbst die „Fremdheit“ mit der Aufklärungsepoche produzieren. Im Hinblick auf Raynals und Diderots Geschichte beider Indien heißt es: Wenn man „den modernen Antikolonialismus [über den man aber bei Pecar und Tricoire nichts erfährt] zum Maßstab nimmt, muss man zumindest zur Einsicht gelangen, […] es handele sich um ein patriotisches und kolonialistisches Werk“. So einfach funktioniert Widerlegung: Man geht von den eigenen Vorurteilen aus, konstatiert „Fremdheit“ und Widersprüchlichkeit und kann den Text beiseite legen. Es handelt sich um eine unreflektierte Methode, „die in einer vollkommen unhistorischen Abgleichung bestimmter Positionen der Aufklärung […] aktuellen, zumeist postmodernen Überzeugungen besteht“, so Gideon Stiening in seiner konzisen Übersicht über die Strategien der Aufklärungsgegner, vgl. Gideon Stiening, Selbstermächtigung falscher Freunde? Zu den Formen historiographischer Aufklärungskritik und deren Folgen, in: Daniela G. Camhy (Hg.), Enlightenment today. Sapere aude! - Have Courage to Use Your Own Understanding, Baden-Baden 2020, 25–42. Stiening kritisiert u. a. die „zum Teil ermüdenden Taschenspielertricks der beiden Autoren, die bestimmte - an sich nur den Zeitkonventionen zu verdankende - Vorurteile einzelner Autoren zur Substanz der Aufklärungsdebatten erklären“ (38).
Das Buch ist leider nur ein dumpfer, von Vorurteilen geprägter Angriff auf die Aufklärungsphilosophie und kann deshalb nicht empfohlen werden