Lautstark schwingen sich selbsternannte Tribunen des Volkes, esoterische »Querdenker« und autoritäre Demagogen zu Verteidigern der demokratischen Ordnung auf, deren Werte sie eigentlich ablehnen. Um Gefolgschaft zu organisieren, schüren sie Ängste vor drohendem Chaos und spinnen Verschwörungstheorien über anonyme Mächte, die das Schicksal der Nation bestimmen. Vorschläge zur Lösung komplexer gesellschaftliche Probleme sind ihre Sache nicht. Vielmehr verlegen sie sich auf eine aggressive Rhetorik des Kampfes gegen »die Politiker«, »die Linken«, »die Flüchtlinge« und immer wieder: »die Juden«.
Was sich wie eine Kurzbeschreibung von Aspekten der politischen Kultur unserer Tage liest, ist Gegenstand eines Buches, das vor mehr als siebzig Jahren geschrieben wurde. In Falsche Propheten analysiert Leo Löwenthal Themen und Techniken politischer Demagogie. Er fragt, warum die immergleichen Phrasen und Phantasmen verfangen, legt dar, weshalb dem Agitator so schwer beizukommen ist, und warnt vor Unterschätzung. Denn nicht selten ist die Agitation »Generalprobe fürs Pogrom«. Falsche Propheten ist ein Klassiker der politischen Psychologie. Inwiefern es auch ein Buch für unsere Gegenwart ist, zeigt Carolin Emcke in ihrem Nachwort zu dieser Neuausgabe.
Was sich wie eine Kurzbeschreibung von Aspekten der politischen Kultur unserer Tage liest, ist Gegenstand eines Buches, das vor mehr als siebzig Jahren geschrieben wurde. In Falsche Propheten analysiert Leo Löwenthal Themen und Techniken politischer Demagogie. Er fragt, warum die immergleichen Phrasen und Phantasmen verfangen, legt dar, weshalb dem Agitator so schwer beizukommen ist, und warnt vor Unterschätzung. Denn nicht selten ist die Agitation »Generalprobe fürs Pogrom«. Falsche Propheten ist ein Klassiker der politischen Psychologie. Inwiefern es auch ein Buch für unsere Gegenwart ist, zeigt Carolin Emcke in ihrem Nachwort zu dieser Neuausgabe.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.03.2021Porträt eines Agitators
Axel Wostry spricht Leo Löwenthals Studie „Falsche Propheten“ von 1949 ein
Manche Romane enthalten nachgetragene Vorgeschichten, in denen auf die Hauptfigur erhellendes Licht aus einer lange zurückliegenden Episode ihrer Vergangenheit fällt. Unweigerlich wirkt Leo Löwenthals und Norbert Gutermans Buch „Prophets of Deceit. A Study of the Techniques of the American Agitator“ aus dem Jahr 1949 heute wie eine Vorgeschichte zu Donald Trump. Wir werden eine militante „America First“-Partei gründen, sagt darin der Agitator.
Auf Deutsch heißt das Buch „Falsche Propheten“ und verspricht im Untertitel „Studien zur faschistischen Agitation“. Im Original ist der amerikanische Agitator kein Importprodukt, kein Mussolini- oder Hitler-Imitator. Er ist durch und durch Amerikaner. Einen Namen hat er nicht, er ist ein Kollektivwesen, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Akteuren, die von den späten 1930er-Jahren bis in die unmittelbare Nachkriegszeit durch die Vereinigten Staaten zogen. Mit einem Agitator an der Macht rechnete die Studie nicht.
Leo Löwenthal und sein Mitarbeiter Norbert Guterman waren europäische Juden und Exilanten, beide 1900 geboren, Löwenthal in Frankfurt am Main, Gutermann in Warschau, beide Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung, das von Frankfurt nach New York verlegt worden war. Die Studien zu Vorurteilsstrukturen und zur „autoritären Persönlichkeit“ des Instituts arbeiteten auch mit Fragebögen. Löwenthal und Guterman werteten ausschließlich Flugschriften, Pamphlete, Zeitschriften, Reden aus.
Medientechnisch lebt ihr Agitator ganz in seiner Zeit, ahnt noch nichts vom Dauerstakkato schriftlicher Mündlichkeit, das die öffentliche Rede in großen Sälen unterfüttert. Aber er teilt mit seinem Nachfolger eine grundlegende Eigenschaft. Er lässt sich leicht pathologisieren, zum dämonischen Spuk machen, der irgendwann vergeht. Gegen die Dämonisierung haben Löwenthal und Guterman angeschrieben. Kühl definieren sie den Agitator als „Anwalt gesellschaftlicher Veränderung“, der von dieser Veränderung profitiert, sie verstärkt. Gesellschaftliche Veränderungen lassen sich nicht abwählen, darum ist das Buch jetzt, wo die Illusion entstehen könnte, nach dem Regierungsantritt John Bidens werde die amerikanische Demokratie sich von der Erschütterung durch seinen Vorgänger rasch erholen, besonders aktuell. Es lebt von der radikalen Konzentration auf das Bündnis des Agitators mit seinem Publikum.
Alle Maßstäbe diskursiver Rationalität prallen an ihm ab, sein überbordender Narzissmus erweist sich als funktional, sein Irrlichtern zwischen „tragischem Monolog und Clownspantomime“ als erfolgreiche Bindungstechnik statt als Charakterlosigkeit.
Sein wichtigstes politisches Kapital ist, dass er erfolgreich die Fiktion aufbaut, nicht zu den Massen zu sprechen, sondern aus ihrer Mitte heraus. „Der Agitator geht seine Zuhörer nicht von außen her an; vielmehr gibt er sich wie jemand aus ihrer Mitte, der ihre innersten Gedanken formuliert. Er rührt das auf und drückt das in Worten aus, was in ihnen schlummert.“
In zwei Versionen sind die „Falschen Propheten“ kürzlich neu aufgelegt worden, als Buch bei Suhrkamp und als Hörbuch bei cc-live, hier wie dort mit einem Nachwort von Carolin Emcke.
Das Hörbuch verteilt den Text auf zwei Stimmen. Axel Wostry spricht die analytischen Passagen, Ron Williams, der als Journalist und AFN-Sprecher nach Deutschland gekommen ist, die eingestreuten Zitate, manche auf Deutsch mit starkem amerikanischem Akzent, manche nach dem Original auf Amerikanisch. Er spricht, als stünde er leibhaftig vor einem leibhaftigen Publikum.
Das wirkt etwas seltsam, zum einen, weil man dieser O-Ton-Camouflage schon von ferne die Studioproduktion anhört, zum anderen, weil Löwenthal und Gutermans gerade nicht die Liveauftritte der Agitatoren analysieren, sondern ihre Texte. Intensiver als die „O-Töne“ wirkt die Klarheit und gleichbleibende Intensität, mit der Axel Wostry den auch literarisch anspruchsvollen Haupttext zu Gehör bringt.
Löwenthal und Guterman wären schlechte Repräsentanten des Instituts für Sozialforschung, brächten sie als Grund für die „gesellschaftliche Malaise“, die Ressentiments, die Verwandlung der Erniedrigung in etwas, auf das man stolz sein kann, nicht die Konzentration des Kapitals, die Entstehung großer Konzerne, die Modernisierungsschocks zumal der Mittelschichten in Anschlag. Das wichtigste Instrument ihrer Analyse verdanken sie aber nicht Marx, sondern Freud.
Den Agitator begreifen sie als fantastische Figur, die es auf die Wirklichkeitspartikel hin transparent zu machen gilt, die in ihr stecken, seine Texte lesen sie nach dem Vorbild der Traumdeutung, die im manifesten Trauminhalt die latente Bedeutung aufspürt. Es hatte seine guten Gründe, dass sie sich dabei auf den Antisemitismus ihrer Protagonisten konzentrierten, auf die Deutung sowohl des Finanzkapitals wie des Kommunismus als Machenschaften der Juden. Die Migranten sind bei ihnen jüdische Emigranten aus Europa, nicht Südamerikaner. Die innergesellschaftlichen Feinderklärungen gegen Schwarze kommen nicht vor.
LOTHAR MÜLLER
Leo Löwenthal:
Falsche Propheten.
Studien zur faschistischen
Agitation. Gesprochen von
Axel Wostry und Ron Williams. Mit einem Nachwort von
Carolin Emcke. cc live,
München 2021. 5 CDs,
395 Minuten, 24,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Axel Wostry spricht Leo Löwenthals Studie „Falsche Propheten“ von 1949 ein
Manche Romane enthalten nachgetragene Vorgeschichten, in denen auf die Hauptfigur erhellendes Licht aus einer lange zurückliegenden Episode ihrer Vergangenheit fällt. Unweigerlich wirkt Leo Löwenthals und Norbert Gutermans Buch „Prophets of Deceit. A Study of the Techniques of the American Agitator“ aus dem Jahr 1949 heute wie eine Vorgeschichte zu Donald Trump. Wir werden eine militante „America First“-Partei gründen, sagt darin der Agitator.
Auf Deutsch heißt das Buch „Falsche Propheten“ und verspricht im Untertitel „Studien zur faschistischen Agitation“. Im Original ist der amerikanische Agitator kein Importprodukt, kein Mussolini- oder Hitler-Imitator. Er ist durch und durch Amerikaner. Einen Namen hat er nicht, er ist ein Kollektivwesen, zusammengesetzt aus einer Vielzahl von Akteuren, die von den späten 1930er-Jahren bis in die unmittelbare Nachkriegszeit durch die Vereinigten Staaten zogen. Mit einem Agitator an der Macht rechnete die Studie nicht.
Leo Löwenthal und sein Mitarbeiter Norbert Guterman waren europäische Juden und Exilanten, beide 1900 geboren, Löwenthal in Frankfurt am Main, Gutermann in Warschau, beide Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung, das von Frankfurt nach New York verlegt worden war. Die Studien zu Vorurteilsstrukturen und zur „autoritären Persönlichkeit“ des Instituts arbeiteten auch mit Fragebögen. Löwenthal und Guterman werteten ausschließlich Flugschriften, Pamphlete, Zeitschriften, Reden aus.
Medientechnisch lebt ihr Agitator ganz in seiner Zeit, ahnt noch nichts vom Dauerstakkato schriftlicher Mündlichkeit, das die öffentliche Rede in großen Sälen unterfüttert. Aber er teilt mit seinem Nachfolger eine grundlegende Eigenschaft. Er lässt sich leicht pathologisieren, zum dämonischen Spuk machen, der irgendwann vergeht. Gegen die Dämonisierung haben Löwenthal und Guterman angeschrieben. Kühl definieren sie den Agitator als „Anwalt gesellschaftlicher Veränderung“, der von dieser Veränderung profitiert, sie verstärkt. Gesellschaftliche Veränderungen lassen sich nicht abwählen, darum ist das Buch jetzt, wo die Illusion entstehen könnte, nach dem Regierungsantritt John Bidens werde die amerikanische Demokratie sich von der Erschütterung durch seinen Vorgänger rasch erholen, besonders aktuell. Es lebt von der radikalen Konzentration auf das Bündnis des Agitators mit seinem Publikum.
Alle Maßstäbe diskursiver Rationalität prallen an ihm ab, sein überbordender Narzissmus erweist sich als funktional, sein Irrlichtern zwischen „tragischem Monolog und Clownspantomime“ als erfolgreiche Bindungstechnik statt als Charakterlosigkeit.
Sein wichtigstes politisches Kapital ist, dass er erfolgreich die Fiktion aufbaut, nicht zu den Massen zu sprechen, sondern aus ihrer Mitte heraus. „Der Agitator geht seine Zuhörer nicht von außen her an; vielmehr gibt er sich wie jemand aus ihrer Mitte, der ihre innersten Gedanken formuliert. Er rührt das auf und drückt das in Worten aus, was in ihnen schlummert.“
In zwei Versionen sind die „Falschen Propheten“ kürzlich neu aufgelegt worden, als Buch bei Suhrkamp und als Hörbuch bei cc-live, hier wie dort mit einem Nachwort von Carolin Emcke.
Das Hörbuch verteilt den Text auf zwei Stimmen. Axel Wostry spricht die analytischen Passagen, Ron Williams, der als Journalist und AFN-Sprecher nach Deutschland gekommen ist, die eingestreuten Zitate, manche auf Deutsch mit starkem amerikanischem Akzent, manche nach dem Original auf Amerikanisch. Er spricht, als stünde er leibhaftig vor einem leibhaftigen Publikum.
Das wirkt etwas seltsam, zum einen, weil man dieser O-Ton-Camouflage schon von ferne die Studioproduktion anhört, zum anderen, weil Löwenthal und Gutermans gerade nicht die Liveauftritte der Agitatoren analysieren, sondern ihre Texte. Intensiver als die „O-Töne“ wirkt die Klarheit und gleichbleibende Intensität, mit der Axel Wostry den auch literarisch anspruchsvollen Haupttext zu Gehör bringt.
Löwenthal und Guterman wären schlechte Repräsentanten des Instituts für Sozialforschung, brächten sie als Grund für die „gesellschaftliche Malaise“, die Ressentiments, die Verwandlung der Erniedrigung in etwas, auf das man stolz sein kann, nicht die Konzentration des Kapitals, die Entstehung großer Konzerne, die Modernisierungsschocks zumal der Mittelschichten in Anschlag. Das wichtigste Instrument ihrer Analyse verdanken sie aber nicht Marx, sondern Freud.
Den Agitator begreifen sie als fantastische Figur, die es auf die Wirklichkeitspartikel hin transparent zu machen gilt, die in ihr stecken, seine Texte lesen sie nach dem Vorbild der Traumdeutung, die im manifesten Trauminhalt die latente Bedeutung aufspürt. Es hatte seine guten Gründe, dass sie sich dabei auf den Antisemitismus ihrer Protagonisten konzentrierten, auf die Deutung sowohl des Finanzkapitals wie des Kommunismus als Machenschaften der Juden. Die Migranten sind bei ihnen jüdische Emigranten aus Europa, nicht Südamerikaner. Die innergesellschaftlichen Feinderklärungen gegen Schwarze kommen nicht vor.
LOTHAR MÜLLER
Leo Löwenthal:
Falsche Propheten.
Studien zur faschistischen
Agitation. Gesprochen von
Axel Wostry und Ron Williams. Mit einem Nachwort von
Carolin Emcke. cc live,
München 2021. 5 CDs,
395 Minuten, 24,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jürgen Pelzer versteht besser wie die USA gerade ticken. Denn rund um die Midterms hat der Literaturwissenschaftler Leo Löwenthals berühmte Agitationsstudie "Falsche Propheten" aus seinem Bücherstapel gezogen. In der schon im vergangenen Jahr neu aufgelegten Studie aus dem Jahr 1949 folgt Pelzer dem Mitbegründer der Kritischen Theorie, der analysierte, was Agitatoren erfolgreich macht. Die Faktoren, die Löwenthal nennt, lesen sich nicht nur für Pelzer wie Trumps politische Biografie. Was den Rezensenten besonders beunruhigt, ist die vor mehr als 70 Jahren getroffene Feststellung Löwenthals: dass schon damals die modernen Massenmedien falschen Propheten größtmögliche Einflussnahme sicherten, um mit Emotionen Ängste zu schüren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2021Aggressive Intoleranz
Wieder aufgelegt: Leo Löwenthals Studie über faschistische Agitatoren
Vor zwei Jahren waren es Theodor W. Adornos "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus", jetzt Leo Löwenthals "Falsche Propheten": Klassiker der "Frankfurter Schule" empfehlen sich als Botschaften zur Stunde. Leo Löwenthal gehörte zum Kern des in die Vereinigten Staaten emigrierten Instituts für Sozialforschung, das sich seit den dreißiger Jahren systematisch mit den faschistischen und kommunistischen Herrschaftsformen der Epoche beschäftigte. Ein besonderes Phänomen war dabei in Nordamerika selbst zu beobachten, die faschistische und, wie man heute sagen würde, populistische Agitation gegen die Demokratie in der Mitte eines demokratischen Staats. Gerade erst war die deutsche Republik daran zerbrochen. Die Fragen lagen auf der Hand: Wie funktioniert solche Propaganda? Weshalb spielen Rassismus und Antisemitismus in ihr eine herausragende Rolle? Was sind die gesellschaftlichen Faktoren, die sie überhaupt fruchtbar machen?
Löwenthals 1949 erschienene Darstellung ist bestechend, weil sie nicht einfach nur warnt vor dem Phänomen der Demagogie, sondern die Themen, Reizworte und Argumentationsweisen der Agitation detaillierten Analysen unterzieht; sie betreibt Feldforschung durch Lektüre von Reden, Pamphleten, Flugblättern. Zwar ist sie dadurch stark an ihre Zeit gebunden und an die konkreten Zustände in der amerikanischen Gesellschaft, aber zugleich wird sichtbar, dass die Widerlegung von Demagogie sich einlassen muss auf die Bedingungen hier und jetzt. Der Gewinn, den man heute aus den "Falschen Propheten" ziehen kann, hängt vor allem an der überzeugenden Methode, mit Sprachanalyse den Mechanismus und die Grundstrukturen totalitärer Ideologien durchsichtig zu machen. Die produktive Anwendung auf Verhältnisse des 21. Jahrhunderts liegt deshalb beim Leser.
Bringt man diese Übertragungsleistung nicht auf, bleibt die Aktualisierung solcher Texte schnell stecken bei dem Muster "Der Schoß ist fruchtbar noch". Das Nachwort von Carolin Emcke, routiniert warnend, tappt direkt in die Falle, die es selbst benennt. Natürlich lesen sich ganze Passagen bei Löwenthal wie die Beschreibung von Trump, Le Pen und ihren Kollegen. Doch man instrumentalisiert und entschärft Löwenthal, identifiziert man in seinen falschen Propheten heute ausschließlich die üblichen und üblen Verdächtigen, "ob es sich um Pegida, die AfD oder um die Verschwörungsdogmatiker auf den sogenannten Hygiene-Demos handelt". Wer Antisemitismus allein bei Neonazis sucht, ignoriert willentlich eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die leider ganz anders aussieht. Mit einem variierten Satz von Löwenthals Freund und Kollegen Max Horkheimer: Wer vom BDS nicht sprechen will, soll vom Antisemitismus schweigen.
Die heutige Gemengelage gleicht also sicher nicht der von Löwenthal, doch gerade um das zu analysieren, sind seine Instrumente hilfreich. Die "aggressive Intoleranz", die er benennt, charakterisiert heute eben nicht einfach nur reanimierten Rechtsradikalismus alter Prägung, sie gilt inzwischen für all die Spielarten identitärer Gruppenideologie mit ihrer dogmatischen Überzeugung, "daß alle sozialen Probleme auf dem Konflikt zwischen der Eigengruppe und den Fremdgruppen beruhen". Ob es halbfaschistische Querdenkereien sind oder die als "antirassistisch" etikettierte Wiedereinführung von Abstammungsfragen zur Gesellschaftssortierung: Es handelt sich um die Verwandlung rationaler Argumentation in eine Art "psychologische Geheimsprache", die nicht mehr einen Andersdenkenden überzeugen will, sondern nur noch die geschlossene Gruppenidentität ritualisiert. Und genau hier ist das demokratische Prinzip miteinander konkurrierender Überzeugungen in Frage gestellt.
Hier liegt Löwenthals entscheidende Konsequenz: "Das weitverbreitete Malaise-Empfinden der letzten Jahrzehnte reflektiert sich in zunehmendem Zweifel an den universalen Werten, die bislang die westliche Gesellschaft zusammengehalten haben." Gerade in Zeiten von Kulturrelativismen, nationalistischer und postkolonialer Kritik an diesen universalen Werten zeigt Löwenthal unmissverständlich, dass es eine demokratisch legitimierte Alternative zu diesem wie auch immer anfälligen und kritisierbaren Gesellschaftsmodell bis zur Stunde nicht gibt. Sein Buch ist eine überzeugende Verteidigung der Demokratie und ihrer Institutionen.
WOLFGANG MATZ.
Leo Löwenthal: "Falsche Propheten". Studien zur faschistischen Agitation.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 253 S., br., 15,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wieder aufgelegt: Leo Löwenthals Studie über faschistische Agitatoren
Vor zwei Jahren waren es Theodor W. Adornos "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus", jetzt Leo Löwenthals "Falsche Propheten": Klassiker der "Frankfurter Schule" empfehlen sich als Botschaften zur Stunde. Leo Löwenthal gehörte zum Kern des in die Vereinigten Staaten emigrierten Instituts für Sozialforschung, das sich seit den dreißiger Jahren systematisch mit den faschistischen und kommunistischen Herrschaftsformen der Epoche beschäftigte. Ein besonderes Phänomen war dabei in Nordamerika selbst zu beobachten, die faschistische und, wie man heute sagen würde, populistische Agitation gegen die Demokratie in der Mitte eines demokratischen Staats. Gerade erst war die deutsche Republik daran zerbrochen. Die Fragen lagen auf der Hand: Wie funktioniert solche Propaganda? Weshalb spielen Rassismus und Antisemitismus in ihr eine herausragende Rolle? Was sind die gesellschaftlichen Faktoren, die sie überhaupt fruchtbar machen?
Löwenthals 1949 erschienene Darstellung ist bestechend, weil sie nicht einfach nur warnt vor dem Phänomen der Demagogie, sondern die Themen, Reizworte und Argumentationsweisen der Agitation detaillierten Analysen unterzieht; sie betreibt Feldforschung durch Lektüre von Reden, Pamphleten, Flugblättern. Zwar ist sie dadurch stark an ihre Zeit gebunden und an die konkreten Zustände in der amerikanischen Gesellschaft, aber zugleich wird sichtbar, dass die Widerlegung von Demagogie sich einlassen muss auf die Bedingungen hier und jetzt. Der Gewinn, den man heute aus den "Falschen Propheten" ziehen kann, hängt vor allem an der überzeugenden Methode, mit Sprachanalyse den Mechanismus und die Grundstrukturen totalitärer Ideologien durchsichtig zu machen. Die produktive Anwendung auf Verhältnisse des 21. Jahrhunderts liegt deshalb beim Leser.
Bringt man diese Übertragungsleistung nicht auf, bleibt die Aktualisierung solcher Texte schnell stecken bei dem Muster "Der Schoß ist fruchtbar noch". Das Nachwort von Carolin Emcke, routiniert warnend, tappt direkt in die Falle, die es selbst benennt. Natürlich lesen sich ganze Passagen bei Löwenthal wie die Beschreibung von Trump, Le Pen und ihren Kollegen. Doch man instrumentalisiert und entschärft Löwenthal, identifiziert man in seinen falschen Propheten heute ausschließlich die üblichen und üblen Verdächtigen, "ob es sich um Pegida, die AfD oder um die Verschwörungsdogmatiker auf den sogenannten Hygiene-Demos handelt". Wer Antisemitismus allein bei Neonazis sucht, ignoriert willentlich eine gesellschaftliche Wirklichkeit, die leider ganz anders aussieht. Mit einem variierten Satz von Löwenthals Freund und Kollegen Max Horkheimer: Wer vom BDS nicht sprechen will, soll vom Antisemitismus schweigen.
Die heutige Gemengelage gleicht also sicher nicht der von Löwenthal, doch gerade um das zu analysieren, sind seine Instrumente hilfreich. Die "aggressive Intoleranz", die er benennt, charakterisiert heute eben nicht einfach nur reanimierten Rechtsradikalismus alter Prägung, sie gilt inzwischen für all die Spielarten identitärer Gruppenideologie mit ihrer dogmatischen Überzeugung, "daß alle sozialen Probleme auf dem Konflikt zwischen der Eigengruppe und den Fremdgruppen beruhen". Ob es halbfaschistische Querdenkereien sind oder die als "antirassistisch" etikettierte Wiedereinführung von Abstammungsfragen zur Gesellschaftssortierung: Es handelt sich um die Verwandlung rationaler Argumentation in eine Art "psychologische Geheimsprache", die nicht mehr einen Andersdenkenden überzeugen will, sondern nur noch die geschlossene Gruppenidentität ritualisiert. Und genau hier ist das demokratische Prinzip miteinander konkurrierender Überzeugungen in Frage gestellt.
Hier liegt Löwenthals entscheidende Konsequenz: "Das weitverbreitete Malaise-Empfinden der letzten Jahrzehnte reflektiert sich in zunehmendem Zweifel an den universalen Werten, die bislang die westliche Gesellschaft zusammengehalten haben." Gerade in Zeiten von Kulturrelativismen, nationalistischer und postkolonialer Kritik an diesen universalen Werten zeigt Löwenthal unmissverständlich, dass es eine demokratisch legitimierte Alternative zu diesem wie auch immer anfälligen und kritisierbaren Gesellschaftsmodell bis zur Stunde nicht gibt. Sein Buch ist eine überzeugende Verteidigung der Demokratie und ihrer Institutionen.
WOLFGANG MATZ.
Leo Löwenthal: "Falsche Propheten". Studien zur faschistischen Agitation.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 253 S., br., 15,- [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Erschreckend aktuell ... Löwenthal hat früh erkannt, was für schwerwiegende Gefahren für eine sich als demokratisch verstehende Gesellschaft entstehen ...« Jürgen Pelzer Süddeutsche Zeitung 20221115