Die populärwissenschaftliche Darstellung zeigt erstmals die Auswirkungen der Verdrängungs- und Enteignungspolitik der sowjetischen Besatzungsmacht und des SED-Regimes für die Familienunternehmenslandschaft in Ostdeutschland bis heute auf. Die staatsdirigistischen Eingriffe führten zum einen zur Abwanderung von Betrieben in den Westen. Zum anderen zeigten sich nun erst recht Resilienz, Einfallsreichtum und Beharrlichkeit der verbleibenden Familienunternehmer*innen. Nach der friedlichen Revolution machten sich viele Unternehmer*innen aus Ost und West auf, die Familientraditionen wiederzubeleben. Auf den harten Strukturbruch in den 1990er Jahren folgte eine partielle Reindustrialisierung. Heute sind 92 Prozent der ostdeutschen Betriebe Familienunternehmen. Der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch arbeitet in dem reich bebilderten, von der Stiftung Familienunternehmen herausgegebenen Buch zahlreiche individuelle Geschichten durch unterschiedlichste Branchen auf: Viele davon sind Erfolgsgeschichten trotz widrigster Umstände.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tillmann Neuscheler hat Rainer Karlschs Sachbuch mit großem Interesse gelesen. Darin schildert der Wirtschaftshistoriker die wechselhafte Geschichte ostdeutscher Familienunternehmen zur Zeit der DDR. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Neuscheler zufolge die meisten derjenigen Unternehmen, die nicht in den Westen abgewandert waren, verstaatlicht; andere - wie die Modefirma Bormann und das Comic-Unternehmen Johannes Hegenbarth - konnten weiter wirtschaften, unterlagen dabei aber strengen Vorgaben. Nach dem Mauerfall, so resümiert Neuscheler, war trotz teils erfolgreicher Anträge auf Rückübertragung der Neuanfang für viele Unternehmen schwierig. Karlschs an Beispielen reiches Sachbuch kann der Rezensent, der besonders die eindrucksvolle Darstellung lobt, zur Lektüre empfehlen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2024Im Gefühl, etwas Verbotenes zu tun
Über Familienunternehmen in Ostdeutschland
Es waren nicht viele, doch es gab sie. Etliche Familienunternehmen auf dem Boden der DDR wurden nach dem Krieg demontiert oder enteignet, die übrig gebliebenen wurden drangsaliert und gegenüber Staatsbetrieben benachteiligt. Viele wanderten unmittelbar nach dem Krieg in den Westen ab, dazu gehören so namhafte Marken wie Teekanne, Odol und Wella. Dennoch gab es bis 1972 auch in der DDR einen kleinen Rest an mittelständischen Familienunternehmen, bis der damals frisch an die Macht gekommene Erich Honecker schließlich zum finalen Schlag ausholte - "zur Beseitigung der Kapitalisten", wie er sagte - und auch die letzten Mittelständler noch verstaatlicht wurden. Bis zu jenem Datum im Februar 1972, als das SED-Politbüro die Umwandlung der verbliebenen Unternehmen in "Volkseigene Betriebe" beschloss, hatten mittelständische Privatunternehmen mit staatlicher Beteiligung noch weitermachen können. Der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch beschreibt in seinem lesenswerten Buch "Familienunternehmen in Ostdeutschland" den Niedergang und Neuanfang des ostdeutschen Mittelstandes von 1945 bis heute anhand zahlreicher Beispiele.
Im Buch wird deren Schicksal eindrucksvoll geschildert. Ein besonderer DDR-Betrieb war das Modeunternehmen Heinz Bormann. Das Unternehmen aus Magdeburg avancierte zu einer international geschätzten Modefirma. Bormann produzierte Kleidung auch für große westdeutsche Versand- und Warenhäuser wie Quelle, Otto und Neckermann. "Heinz Bormann gehörte mit einem Jahreseinkommen von 80.000 Mark zu den Spitzenverdienern in der DDR", schreibt Karlsch. Er habe sich damit einen großbürgerlichen Lebensstil leisten können, mit Antiquitäten, Westautos und Chauffeur. Den Offizieren der DDR-Staatssicherheit war er zwar suspekt, in einem Stasi-Bericht wurde er als "hemmungsloser Charakter" beschrieben; doch ihn schützte lange seine Prominenz und die Tatsache, dass sein Unternehmen Devisen ins Land brachte. Doch der Enteignung 1972 konnte auch Bormann nicht entkommen. Lesenswert sind auch die Geschichten des Berliner Comic-Unternehmens Johannes Hegenbarth, (dessen "Mosaik"-Comics in der DDR Kultstatus errangen) und des Sportwagenherstellers Heinz Melkus (dessen Coupé Melkus RS 1000 der einzige straßenzugelassene Sportwagen der DDR blieb).
Das Schicksal der meisten Betriebe war weniger glanzvoll. Die Vorgaben für Unternehmen in der DDR waren strikt. "Wer auch nur einigermaßen vernünftig wirtschaften wollte, war auf die Übertretung staatlicher Anordnungen angewiesen", schreibt Karlsch. Das öffnete Tür und Tor für Willkür, weil die Funktionäre solche Vergehen entweder großzügig tolerieren oder aber hart bestrafen konnten. Karlsch zitiert den Besitzer eines kleinen Maschinenbaubetriebes: "Man hatte immer das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, wenn man Unternehmer war."
Nach dem Mauerfall 1989 begann ein schwieriger Neustart. Manche Erben der 1972 enteigneten Betriebe stellten einen Antrag auf Rückübertragung, aber nur wenige Reprivatisierungen verliefen reibungslos. Bis heute sind die Umbrüche spürbar. Karlsch schildert aber auch die Erfolgsgeschichten, etwa die des Oranienburger Spezialfolienherstellers Orafol oder des Dresdner Anlagenbauers Von Ardenne. TILLMANN NEUSCHELER
Rainer Karlsch: Familienunternehmen in Ostdeutschland. Niedergang und Neuanfang von 1945 bis heute; (hrsg. von der Stiftung Familienunternehmen), Mitteldeutscher Verlag, Halle 2023, 368 Seiten, 34 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Über Familienunternehmen in Ostdeutschland
Es waren nicht viele, doch es gab sie. Etliche Familienunternehmen auf dem Boden der DDR wurden nach dem Krieg demontiert oder enteignet, die übrig gebliebenen wurden drangsaliert und gegenüber Staatsbetrieben benachteiligt. Viele wanderten unmittelbar nach dem Krieg in den Westen ab, dazu gehören so namhafte Marken wie Teekanne, Odol und Wella. Dennoch gab es bis 1972 auch in der DDR einen kleinen Rest an mittelständischen Familienunternehmen, bis der damals frisch an die Macht gekommene Erich Honecker schließlich zum finalen Schlag ausholte - "zur Beseitigung der Kapitalisten", wie er sagte - und auch die letzten Mittelständler noch verstaatlicht wurden. Bis zu jenem Datum im Februar 1972, als das SED-Politbüro die Umwandlung der verbliebenen Unternehmen in "Volkseigene Betriebe" beschloss, hatten mittelständische Privatunternehmen mit staatlicher Beteiligung noch weitermachen können. Der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch beschreibt in seinem lesenswerten Buch "Familienunternehmen in Ostdeutschland" den Niedergang und Neuanfang des ostdeutschen Mittelstandes von 1945 bis heute anhand zahlreicher Beispiele.
Im Buch wird deren Schicksal eindrucksvoll geschildert. Ein besonderer DDR-Betrieb war das Modeunternehmen Heinz Bormann. Das Unternehmen aus Magdeburg avancierte zu einer international geschätzten Modefirma. Bormann produzierte Kleidung auch für große westdeutsche Versand- und Warenhäuser wie Quelle, Otto und Neckermann. "Heinz Bormann gehörte mit einem Jahreseinkommen von 80.000 Mark zu den Spitzenverdienern in der DDR", schreibt Karlsch. Er habe sich damit einen großbürgerlichen Lebensstil leisten können, mit Antiquitäten, Westautos und Chauffeur. Den Offizieren der DDR-Staatssicherheit war er zwar suspekt, in einem Stasi-Bericht wurde er als "hemmungsloser Charakter" beschrieben; doch ihn schützte lange seine Prominenz und die Tatsache, dass sein Unternehmen Devisen ins Land brachte. Doch der Enteignung 1972 konnte auch Bormann nicht entkommen. Lesenswert sind auch die Geschichten des Berliner Comic-Unternehmens Johannes Hegenbarth, (dessen "Mosaik"-Comics in der DDR Kultstatus errangen) und des Sportwagenherstellers Heinz Melkus (dessen Coupé Melkus RS 1000 der einzige straßenzugelassene Sportwagen der DDR blieb).
Das Schicksal der meisten Betriebe war weniger glanzvoll. Die Vorgaben für Unternehmen in der DDR waren strikt. "Wer auch nur einigermaßen vernünftig wirtschaften wollte, war auf die Übertretung staatlicher Anordnungen angewiesen", schreibt Karlsch. Das öffnete Tür und Tor für Willkür, weil die Funktionäre solche Vergehen entweder großzügig tolerieren oder aber hart bestrafen konnten. Karlsch zitiert den Besitzer eines kleinen Maschinenbaubetriebes: "Man hatte immer das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, wenn man Unternehmer war."
Nach dem Mauerfall 1989 begann ein schwieriger Neustart. Manche Erben der 1972 enteigneten Betriebe stellten einen Antrag auf Rückübertragung, aber nur wenige Reprivatisierungen verliefen reibungslos. Bis heute sind die Umbrüche spürbar. Karlsch schildert aber auch die Erfolgsgeschichten, etwa die des Oranienburger Spezialfolienherstellers Orafol oder des Dresdner Anlagenbauers Von Ardenne. TILLMANN NEUSCHELER
Rainer Karlsch: Familienunternehmen in Ostdeutschland. Niedergang und Neuanfang von 1945 bis heute; (hrsg. von der Stiftung Familienunternehmen), Mitteldeutscher Verlag, Halle 2023, 368 Seiten, 34 Euro.
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