Beaumont, Texas, Golfküste, Mitte der Siebziger. Die junge Privatdetektei »Phelan Investigations« ist dringend auf Aufträge angewiesen, und seien sie noch so seltsam und schwierig. Für einen Klienten, der anonym bleiben will, sollen Delpha Wade und ihr Boss Tom Phelan seinen lange verschollenen Bruder finden. Ein einfacher Fall von Familienzusammenführung? Falsch. Je tiefer die beiden graben, desto undurchsichtiger und mysteriöser wird die Affäre. Nur eines ist klar: Einer der Brüder scheint ein ziemlich übler Killer zu sein. Aber welcher von beiden? Nur gut, dass zu Delphas besten Eigenschaften ihre Sensibilität zählt – und deswegen hört sie einem jungen Mädchen ganz genau zu. Denn dieses Mädchen kann den Menschen ganz tief ins Herz schauen, selbst ins schwärzeste.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2020Ein Motiv ist nicht erkennbar
Krimis in Kürze: Frank Göhre, Katherine Faw und Lisa Sandlin
Dass Frank Göhre seit zehn Jahren keinen Kriminalroman mehr veröffentlicht hat, heißt ja nicht, dass er aus der Übung wäre. Er hat, zusammen mit Alf Mayer, ein Buch über Ed McBain und eines über Elmore Leonard gemacht, wovon jeder gute Autor, der es etwas härter, schwärzer, schneller mag, nur profitieren kann. Man merkt das dem neuen Roman des inzwischen Sechsundsiebzigjährigen an. "Verdammte Liebe Amsterdam" (Culturbooks, 158 S., br., 15,- [Euro]) kommt sofort zur Sache.
Ein Hamburger Gastronom erfährt, dass sein Bruder, den er lange aus den Augen verloren hatte, auf einem Autobahnrastplatz zu Tode geprügelt wurde. Er fährt sofort hin. Ein Tatmotiv ist nicht erkennbar. Parallel dazu verschwindet eine fünfzehnjährige Polizistentochter. Was der Tod des Bruders damit zu tun hat, wie alle Spuren nach Amsterdam führen, das bringt Göhre auf eine knappe, lässige Weise zusammen. Er hat einen scharfen Blick für die verschiedenen Milieus, durch die sich die Handlung bewegt, und er braucht immer nur ein paar Sätze, um ein Reihenhaus oder eine Rotlichtbar so anschaulich werden zu lassen wie in einer guten Reportage. Und vor allem braucht er gerade mal 158 Seiten, um eine Geschichte zu erzählen, die alles hat, was man von einem Kriminalroman erwartet.
Ähnliches ließe sich von Katherine Faw sagen, auch wenn sie vierzig Jahre jünger ist als Göhre und ihr Debütroman "Young God" (Polar, 228 S., br., 12,- [Euro]) in einem amerikanischen White-Trash-Milieu spielt, wie man es verkommener und brutaler selten erlebt hat. Nikki ist nicht, wie man sich einen jungen Gott vorstellt. Nikki ist dreizehn Jahre alt, worauf man nie käme, wenn man es nicht läse. "Nikki denkt an so viele Dinge, dass sie sich nicht an sie erinnert, obwohl sie gerade noch daran gedacht hat." Ihre Mutter stürzt von einer Klippe, ihr Ziehvater ist Dealer, ihr leiblicher Vater Dealer und Zuhälter.
Nikki schreckt in ihrem Kampf um Anerkennung vor nichts zurück. Weil es in ihrer Welt keine Gnade gibt, kennt sie auch keine. Sie will härter sein als der Vater, sie will ihm gefallen, sie setzt ihren Körper ein. Dass Gewalt und Missbrauch von Drogen wie Minderjährigen der Alltag sind, muss man nicht hervorheben. Faw tut es auch nicht. In ihrer Prosa ist keine Pose, sie weidet sich nicht am Schrecklichen. "Young God" liest sich, als habe sie beim Schreiben immer mehr Sätze und Wörter weggemeißelt, damit die Wucht ihrer Prosa desto besser hervortreten kann. "Ich denke schon, dass die Geschichte die Krassheit von griechischen Mythen hat", hat sie in einem Interview gesagt. Das stimmt. Katherine Faw ist eine Entdeckung.
Das war auch Lisa Sandlin, als sie vor drei Jahren Delpha Wade in die Welt setzte, eine der originellsten Krimiheldinnen der letzten Jahre (F.A.Z. vom 2. Oktober 2017). "Family Business. Ein Fall für Delpha" (Suhrkamp, 356 S., br., 10,- [Euro]) ist ihr zweiter Auftritt, und sie enttäuscht nicht. Delpha hat vierzehn Jahre im Gefängnis gesessen. Sie hatte den Mann umgebracht, der sie vergewaltigt hatte. Als Sekretärin in einer Privatdetektei im texanischen Beaumont hat sie nun einen Mann mit einer abgebrochenen Flasche umgebracht, der sie im Büro bedrohte. Das könnte gefährlich sein, weil sie auf Bewährung draußen ist. Aber sie weiß sich zu helfen.
Der Roman schaut auf die Welt durch Delphas Augen. Sie ist eine Frau, die viel erlebt und viel gelernt hat, die im Knast nicht hart und stumpf geworden ist, sondern klug und unsentimental. Und weil sie so lange weg war, ist ihr Blick auf die frühen siebziger Jahre, auf die Watergate-Zeit, in der das Buch spielt, voller Neugier und Verwunderung. Was andere selbstverständlich finden, ist ihr fragwürdig. Das ist eine nützliche Eigenschaft für eine Ermittlerin; im Privatleben ist es komplizierter, die neuen Codes und Signale zwischen den Geschlechtern zu entschlüsseln.
Bei Lisa Sandlin wird dem Kriminalfall gegeben, was des Kriminalfalls ist - aber auch nicht mehr. Denn es ist viel spannender zu erleben, wie Delpha Wade sich selbst behauptet und lernt, an ihre Freiheit und ihre Fähigkeiten zu glauben.
PETER KÖRTE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Krimis in Kürze: Frank Göhre, Katherine Faw und Lisa Sandlin
Dass Frank Göhre seit zehn Jahren keinen Kriminalroman mehr veröffentlicht hat, heißt ja nicht, dass er aus der Übung wäre. Er hat, zusammen mit Alf Mayer, ein Buch über Ed McBain und eines über Elmore Leonard gemacht, wovon jeder gute Autor, der es etwas härter, schwärzer, schneller mag, nur profitieren kann. Man merkt das dem neuen Roman des inzwischen Sechsundsiebzigjährigen an. "Verdammte Liebe Amsterdam" (Culturbooks, 158 S., br., 15,- [Euro]) kommt sofort zur Sache.
Ein Hamburger Gastronom erfährt, dass sein Bruder, den er lange aus den Augen verloren hatte, auf einem Autobahnrastplatz zu Tode geprügelt wurde. Er fährt sofort hin. Ein Tatmotiv ist nicht erkennbar. Parallel dazu verschwindet eine fünfzehnjährige Polizistentochter. Was der Tod des Bruders damit zu tun hat, wie alle Spuren nach Amsterdam führen, das bringt Göhre auf eine knappe, lässige Weise zusammen. Er hat einen scharfen Blick für die verschiedenen Milieus, durch die sich die Handlung bewegt, und er braucht immer nur ein paar Sätze, um ein Reihenhaus oder eine Rotlichtbar so anschaulich werden zu lassen wie in einer guten Reportage. Und vor allem braucht er gerade mal 158 Seiten, um eine Geschichte zu erzählen, die alles hat, was man von einem Kriminalroman erwartet.
Ähnliches ließe sich von Katherine Faw sagen, auch wenn sie vierzig Jahre jünger ist als Göhre und ihr Debütroman "Young God" (Polar, 228 S., br., 12,- [Euro]) in einem amerikanischen White-Trash-Milieu spielt, wie man es verkommener und brutaler selten erlebt hat. Nikki ist nicht, wie man sich einen jungen Gott vorstellt. Nikki ist dreizehn Jahre alt, worauf man nie käme, wenn man es nicht läse. "Nikki denkt an so viele Dinge, dass sie sich nicht an sie erinnert, obwohl sie gerade noch daran gedacht hat." Ihre Mutter stürzt von einer Klippe, ihr Ziehvater ist Dealer, ihr leiblicher Vater Dealer und Zuhälter.
Nikki schreckt in ihrem Kampf um Anerkennung vor nichts zurück. Weil es in ihrer Welt keine Gnade gibt, kennt sie auch keine. Sie will härter sein als der Vater, sie will ihm gefallen, sie setzt ihren Körper ein. Dass Gewalt und Missbrauch von Drogen wie Minderjährigen der Alltag sind, muss man nicht hervorheben. Faw tut es auch nicht. In ihrer Prosa ist keine Pose, sie weidet sich nicht am Schrecklichen. "Young God" liest sich, als habe sie beim Schreiben immer mehr Sätze und Wörter weggemeißelt, damit die Wucht ihrer Prosa desto besser hervortreten kann. "Ich denke schon, dass die Geschichte die Krassheit von griechischen Mythen hat", hat sie in einem Interview gesagt. Das stimmt. Katherine Faw ist eine Entdeckung.
Das war auch Lisa Sandlin, als sie vor drei Jahren Delpha Wade in die Welt setzte, eine der originellsten Krimiheldinnen der letzten Jahre (F.A.Z. vom 2. Oktober 2017). "Family Business. Ein Fall für Delpha" (Suhrkamp, 356 S., br., 10,- [Euro]) ist ihr zweiter Auftritt, und sie enttäuscht nicht. Delpha hat vierzehn Jahre im Gefängnis gesessen. Sie hatte den Mann umgebracht, der sie vergewaltigt hatte. Als Sekretärin in einer Privatdetektei im texanischen Beaumont hat sie nun einen Mann mit einer abgebrochenen Flasche umgebracht, der sie im Büro bedrohte. Das könnte gefährlich sein, weil sie auf Bewährung draußen ist. Aber sie weiß sich zu helfen.
Der Roman schaut auf die Welt durch Delphas Augen. Sie ist eine Frau, die viel erlebt und viel gelernt hat, die im Knast nicht hart und stumpf geworden ist, sondern klug und unsentimental. Und weil sie so lange weg war, ist ihr Blick auf die frühen siebziger Jahre, auf die Watergate-Zeit, in der das Buch spielt, voller Neugier und Verwunderung. Was andere selbstverständlich finden, ist ihr fragwürdig. Das ist eine nützliche Eigenschaft für eine Ermittlerin; im Privatleben ist es komplizierter, die neuen Codes und Signale zwischen den Geschlechtern zu entschlüsseln.
Bei Lisa Sandlin wird dem Kriminalfall gegeben, was des Kriminalfalls ist - aber auch nicht mehr. Denn es ist viel spannender zu erleben, wie Delpha Wade sich selbst behauptet und lernt, an ihre Freiheit und ihre Fähigkeiten zu glauben.
PETER KÖRTE
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.04.2020NEUE TASCHENBÜCHER
Kleinstadt -
Amerika
Mich laust der Affe, meint der alte Mann zu Delpha Wade: Sie haben das Profil von Madeleine Carroll. Delpha kennt den blonden Star nicht, sie ist zu jung, und auch Tom Phelan nicht, ihr Boss. Er hat Delpha zur Mitarbeiterin des Detektivbüros gemacht, als die dringend einen Job suchte, eben entlassen aus dem Gefängnis Gatesville. Sie hatte einen Mann getötet, der sie vergewaltigte – davon hat Lisa Sandlin im ersten Buch, „Ein Job für Delpha“, erzählt. In Gatesville gab’s an den Filmabenden nur Doris Day und Elvis. Beaumont, Texas, die Siebzigerjahre, ein heißer Sommer, Nixon ist verstrickt in die Watergate-Affäre. Ein entspanntes Panorama des Kleinstadt-Amerika, eine Bibliothekarin, deren Minikleid nicht dem Arbeitsplatz gemäß ist, ein aufsässiges Mädchen, das einen mystischen zweiten Blick hat, ein Brüderpaar, über siebzig, das durch eine düstere Familiengeschichte verbunden ist. Der eine verbirgt sich, der andere lässt ihn suchen, durch die Agentur. Ich bin ein Cineast, sagt er, so kommt Madeleine Carroll ins Spiel, der Star aus Hitchcocks The 39 Steps. Am Ende verkriecht er sich ins Kino, zum High Plains Drifter von Clint Eastwood.
FRITZ GÖTTLER
Lisa Sandlin: Family Business. Ein Fall für Delphi. Aus dem Englischen von Andrea Stumph. Suhrkamp Berlin 2020. 357 Seiten,
10 Euro.
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Kleinstadt -
Amerika
Mich laust der Affe, meint der alte Mann zu Delpha Wade: Sie haben das Profil von Madeleine Carroll. Delpha kennt den blonden Star nicht, sie ist zu jung, und auch Tom Phelan nicht, ihr Boss. Er hat Delpha zur Mitarbeiterin des Detektivbüros gemacht, als die dringend einen Job suchte, eben entlassen aus dem Gefängnis Gatesville. Sie hatte einen Mann getötet, der sie vergewaltigte – davon hat Lisa Sandlin im ersten Buch, „Ein Job für Delpha“, erzählt. In Gatesville gab’s an den Filmabenden nur Doris Day und Elvis. Beaumont, Texas, die Siebzigerjahre, ein heißer Sommer, Nixon ist verstrickt in die Watergate-Affäre. Ein entspanntes Panorama des Kleinstadt-Amerika, eine Bibliothekarin, deren Minikleid nicht dem Arbeitsplatz gemäß ist, ein aufsässiges Mädchen, das einen mystischen zweiten Blick hat, ein Brüderpaar, über siebzig, das durch eine düstere Familiengeschichte verbunden ist. Der eine verbirgt sich, der andere lässt ihn suchen, durch die Agentur. Ich bin ein Cineast, sagt er, so kommt Madeleine Carroll ins Spiel, der Star aus Hitchcocks The 39 Steps. Am Ende verkriecht er sich ins Kino, zum High Plains Drifter von Clint Eastwood.
FRITZ GÖTTLER
Lisa Sandlin: Family Business. Ein Fall für Delphi. Aus dem Englischen von Andrea Stumph. Suhrkamp Berlin 2020. 357 Seiten,
10 Euro.
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»Eine der originellsten Krimiheldinnen der letzten Jahre.« Peter Körte Frankfurter Allgemeine Zeitung 20200406