Im Fußball steht die Welt für (mindestens) 90 Minuten auf dem Kopf. Teils merkwürdige Regeln und ganz große Gefühle kennzeichnen dieses weltweit populärste aller Spiele. Für die einen wird durch bloßes Zuschauen ein simpler Sport zur Religion, für die anderen ist er aufgrund seiner verhassten Massentauglichkeit ein Beleg des Kulturverfalls von der Kreisklasse bis zur Champions League. Doch spätestens, wenn die Hand Gottes ins Spiel kommt und Archimedes den entscheidenden Anstoß gibt, wird klar, dass es um weit mehr geht. Michael Lutz verbindet durch geschickte Doppelpässe die Geistigkeit der Philosophie mit der Körperlichkeit des Fußballsports. Mit erhellenden Verweisen auf Psychoanalyse, Soziologie und Kulturwissenschaft ergründet der Autor die großen philosophischen Fragen des Fußballs auf unterhaltsame und zugängliche Weise. Es wird offengelegt, warum der Ball rund ist, warum der Schiedsrichter niemals irrt, warum Fußballstars die Heiligen des 21. Jahrhunderts sind oder was die WM in Katar eigentlich über unsere Gesellschaft aussagt. Dieses Buch belegt: Fußball ist mehr als die schönste Nebensache der Welt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2024Ohne Spielwitz
Vielleicht sollte man prinzipiell skeptisch gegenüber einem Buch sein, das einen schlechten Kalauer in den Titel nimmt: Michael Lutz' "Fanomenologie des Fußballs" jongliert nur mit der Phonetik der Worte, mit einer irgend gearteten Idee von Phänomenologie als philosophischem Konzept hat es nichts am Hut. Obwohl der Verfasser laut Klappentext einen Bachelor in Philosophie in Bonn absolviert hat. Aber der Bonner SC kickt derzeit auch nur in der fünften deutschen Liga.
Lutz' Ausführungen möchten das Philosophische im Spiel ergründen. Schon in der zweiten Fußnote wird Wittgenstein zitiert, und auch später spart der Autor bei seinen Referenzen nicht mit Philosophieprominenz. Das Muster ist dabei relativ konstant: Die philosophische Erkenntnis wird mit etwas Mühe in die Welt der Stadien übertragen; diese Distanzpässe kommen gerade eben noch an. Dann zieht der Autor relativ konventionelle Schlüsse, die man auch einer Fangruppe beim Verlassen des Stadions abgelauscht haben könnte.
Traktiert werden auf diese Weise die Beziehung des Fußballs zu Krieg, Körpern, Religion, Kriminalität, Geschlechterrollen, Publikum, Ethik und so fort. Dem Aufwand, den Lutz bei seinen philosophischen Belegen treibt, steht ein erstaunliches empirisches Defizit gegenüber. Er argumentiert mit Alltagstheorien, wo eigentlich solide Belege für seine Behauptungen angemessen wären. So aber bleiben die Standardsituationen ohne erzählerisches Überraschungsmoment und irritieren allenfalls durch die Wiederholung des Superlativs "äußerst" (er kommt tatsächlich äußerst häufig vor). Seine Schlüsse bestehen oft in fragwürdigen Zuspitzungen, etwa dass der Marktwert von Spielern "völlig fiktiv" sei. Immerhin erfreut Lutz den Leser durch gut gewählte Zitate aus Publikationen in seinem Feld, die mit sprachlicher Eleganz und intellektuellem Scharfsinn diesen Sport schon analysiert haben. Merke: Auch beim Fußball ist das nächste Buch immer das schwerste. MILOS VEC
Michael Lutz: "Fanomenologie des Fußballs". Aspekte eines philosophischen Spiels.
Büchner Verlag, Marburg 2024.
280 S., br., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vielleicht sollte man prinzipiell skeptisch gegenüber einem Buch sein, das einen schlechten Kalauer in den Titel nimmt: Michael Lutz' "Fanomenologie des Fußballs" jongliert nur mit der Phonetik der Worte, mit einer irgend gearteten Idee von Phänomenologie als philosophischem Konzept hat es nichts am Hut. Obwohl der Verfasser laut Klappentext einen Bachelor in Philosophie in Bonn absolviert hat. Aber der Bonner SC kickt derzeit auch nur in der fünften deutschen Liga.
Lutz' Ausführungen möchten das Philosophische im Spiel ergründen. Schon in der zweiten Fußnote wird Wittgenstein zitiert, und auch später spart der Autor bei seinen Referenzen nicht mit Philosophieprominenz. Das Muster ist dabei relativ konstant: Die philosophische Erkenntnis wird mit etwas Mühe in die Welt der Stadien übertragen; diese Distanzpässe kommen gerade eben noch an. Dann zieht der Autor relativ konventionelle Schlüsse, die man auch einer Fangruppe beim Verlassen des Stadions abgelauscht haben könnte.
Traktiert werden auf diese Weise die Beziehung des Fußballs zu Krieg, Körpern, Religion, Kriminalität, Geschlechterrollen, Publikum, Ethik und so fort. Dem Aufwand, den Lutz bei seinen philosophischen Belegen treibt, steht ein erstaunliches empirisches Defizit gegenüber. Er argumentiert mit Alltagstheorien, wo eigentlich solide Belege für seine Behauptungen angemessen wären. So aber bleiben die Standardsituationen ohne erzählerisches Überraschungsmoment und irritieren allenfalls durch die Wiederholung des Superlativs "äußerst" (er kommt tatsächlich äußerst häufig vor). Seine Schlüsse bestehen oft in fragwürdigen Zuspitzungen, etwa dass der Marktwert von Spielern "völlig fiktiv" sei. Immerhin erfreut Lutz den Leser durch gut gewählte Zitate aus Publikationen in seinem Feld, die mit sprachlicher Eleganz und intellektuellem Scharfsinn diesen Sport schon analysiert haben. Merke: Auch beim Fußball ist das nächste Buch immer das schwerste. MILOS VEC
Michael Lutz: "Fanomenologie des Fußballs". Aspekte eines philosophischen Spiels.
Büchner Verlag, Marburg 2024.
280 S., br., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main