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Das Abhören von Telefongesprächen gehört zur Geschichte der Telefonkommunikation. Auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hat trotz eines unterentwickelten Telefonnetzes in der DDR eifrig Telefonate abgehört, mitgeschnitten und die daraus gewonnenen Informationen für die geheimpolizeiliche und geheimdienstliche Tätigkeit verwendet. Dafür unterhielt die Staatssicherheit eigene Abteilungen, die im Auftrag anderer MfS-Diensteinheiten gezielt Telefongespräche in der DDR, in der Bundesrepublik und auch im grenzüberschreitenden Telefonverkehr überwachten.Einer historischen Beschäftigung mit…mehr

Produktbeschreibung
Das Abhören von Telefongesprächen gehört zur Geschichte der Telefonkommunikation. Auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hat trotz eines unterentwickelten Telefonnetzes in der DDR eifrig Telefonate abgehört, mitgeschnitten und die daraus gewonnenen Informationen für die geheimpolizeiliche und geheimdienstliche Tätigkeit verwendet. Dafür unterhielt die Staatssicherheit eigene Abteilungen, die im Auftrag anderer MfS-Diensteinheiten gezielt Telefongespräche in der DDR, in der Bundesrepublik und auch im grenzüberschreitenden Telefonverkehr überwachten.Einer historischen Beschäftigung mit den Ergebnissen dieser Abhörpraxis sind aus datenschutzrechtlichen Gründen sehr enge Grenzen gesetzt. In diesem Buch werden erstmals Quellen veröffentlicht, die auf Telefonüberwachungsmaßnahmen zurückgehen. Neben der wissenschaftlichen Edition von rund 150 Quellen werden der zeithistorische Kontext beleuchtet, der Quellenwert diskutiert und in einem Essay aus Zeitzeugensicht die Abhörpraxis und die Folgen dargestellt. Außerdem wird die technische Arbeitsweise der Stasi-Abhörspezialisten beleuchtet. Das Buch stellt somit eine bislang wenig bekannte Quellengruppe vor, entwirft neue Blickwinkel auf die Geschichte von SED-Diktatur, MfS und Opposition und enthält vielfältige Forschungsanregungen.
Autorenporträt
Arno Polzin ist Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung des BStU.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Der von Ilko-Sascha Kowalczuk und Arno Polzin herausgegebene Band erinnert Isabel Fannrich-Lautenschläger daran, dass der 9. November nicht von allen Oppositionellen gewollt wurde und dass er das Ergebnis vieler Jahre war. Die Dokumentation des grenzüberschreitenden Telefonverkehrs der Opposition in den 1980er Jahren und seine Überwachung durch das MfS mit ihren 150 abgelauschten Gesprächen als O-Ton oder Stasi-Text beamt die Rezensentin ins oppositionelle Ost-Milieu anno 1980. Den Hintergrund dazu liefern ihr die Herausgebertexte sowie eine informative "Verlinkung" zwischen Abhör-Protokoll und Fußnote.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2014

Das wahre Gesicht der DDR
Telefon- und Wohnungsüberwachung von Oppositionellen während der 1980er Jahre

Die DDR sei "in der Konsequenz ein Unrechtsstaat" gewesen; diese Formulierung in der Präambel zu einem möglichen rot-rot-grünen Koalitionsvertrag in Thüringen sorgte für Aufregung im Lager der Linken. "Neues Deutschland", die Kommunistische Plattform, die thüringische Landtagsabgeordnete Ina Leukefeld, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Gesine Lötsch, und nicht zuletzt der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi widersprachen heftig: "Wir sind uns einig, diese Bezeichnung nicht zu verwenden." Rabulistisch legte Gysi nach, die DDR sei "zwar kein Unrechtsstaat gewesen, aber auch kein Rechtsstaat".

Ein ganz anderes Bild vermittelt der Band "Fasse Dich kurz". Diejenigen, die sich über das wahre Gesicht der DDR informieren wollen, seien auf den dicken Wälzer nachdrücklich hingewiesen, der aus einem Forschungsprojekt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) hervorgegangen ist. Es handelt sich um eine erste Analyse der konspirativen Telefon- und Wohnungsüberwachung von DDR-Oppositionellen aus Ost-Berlin in den 1980er Jahren. Dafür wurden Tausende von Abhörprotokollen und zusammenfassenden Berichten des BStU gesichtet und ausgewertet, aus denen mit Zustimmung der Betroffenen 151 Dokumente für diese Edition ausgewählt wurden. Bislang waren diese Quellen nur im Ausnahmefall einsehbar. In den Dokumenten wird nicht nur das politische Denken und mutige Handeln von maßgeblichen Opponenten gegen das Regime wie Bärbel Bohley, Rainer Eppelmann, Werner Fischer, Jürgen Fuchs, Ralf Hirsch, Freya Klier, Roland Jahn, Stephan Krawczyk, Ulrike und Gerd Poppe, Lutz Rathenow und Wolfgang Templin und anderen deutlich, sondern auch, wie die SED mit Andersdenkenden umging.

Einleitend beschreiben fünf Autoren auf 270 Seiten die systematische und grenzüberschreitende Überwachung von privaten wie dienstlichen Telefonen der Bürgerrechtler und ihrer Rolle in der DDR. Ilko-Sascha Kowalczuk stellt klar, dass diese gezielte Überwachung im historischen Kontext keineswegs vergleichbar und geeignet sei für eine gegenwärtige notwendig kritische Auseinandersetzung mit den Maßnahmen von Geheimdiensten in demokratischen Verfassungsstaaten. Kenntnisreich führt er in das komplexe System des SED-Sozialismus ein, schildert die Überwachungspraxis des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), das zur besseren Kontrolle und Disziplinierung des Netzwerks der "feindlich-negativen Elemente" bevorzugt Telefonanschlüsse genehmigte, beschreibt Entwicklung und Verfolgung der Opposition, vor allem in Ost-Berlin, die Rolle der "Kirche im Sozialismus" und kommt zu dem Schluss, dass die Stasi zwar eine zentrale Stütze des Systems war, sie allein aber die Diktatur ohne andere Stützen nicht so lange hätte mittragen können.

Das jahrelange Abhören in Kombination mit Haus- und Wohnungsüberwachungen und dem anonymen Heer der Inoffiziellen Mitarbeiter (IM), der wichtigsten Waffe des MfS, habe nur auf Anordnung durch die SED funktionieren können und sei in enger Rücksprache mit SED-Chef Erich Honecker und dem für das MfS zuständigen Politbüromitglied Egon Krenz als eine wichtige Quelle für Maßnahmen gegen politisch Unzuverlässige angesehen worden. Es könne also keine Rede davon sein, dass das MfS ein "abgeschirmter Staat im Staate" gewesen sei, wie etwa Krenz, der letzte Staatsratsvorsitzende, behauptet hat. Dieses Verfahren bedeutete nicht nur eine permanente Verletzung von Menschenrechten, sondern auch einen permanenten Bruch von Artikel 31 der DDR-Verfassung.

Arno Polzin und Andreas Schmidt befassen sich mit der grenzüberschreitenden Telefonüberwachung. Für das Überwachungssystem in der DDR unterhielt das MfS eine eigene Abteilung, die 1989 gleichzeitig 4000 Telefonanschlüsse abhören konnte, allein in Ost-Berlin 1400; in der Bundesrepublik waren 100 000 Fernmeldeanschlüsse unter der Zielkontrolle des MfS. Diese Quellenabschöpfung und die damit verbundenen Desinformationsmaßnahmen bedeuteten auch eine Verletzung der Vollzugsordnung "Funk" der Internationalen Fernmeldeunion, der die DDR als Vollmitglied beigetreten war, worauf Angela Schmole hinweist, die sich mit den Abhörmaßnahmen der Abteilung 26 und ihrer technischen Ausstattung vornehmlich im Ortsnetz von Ost-Berlin befasst.

Schließlich berichtet Wolfgang Templin, Anfang der 1970er Jahre selbst IM, von seinem Weg zur politischen Opposition und stellt die wichtige Rolle der "Initiative Frieden und Menschenrechte" heraus, zu deren Mitgründern er 1985/86 zählte. Er verschweigt nicht, dass unter den Opponenten immer wieder interne Spannungen wegen der Antragsteller auf Ausreise in die Bundesrepublik aufbrachen. Derartige Gruppenkonflikte wurden durch die perfide Strategie des MfS mittels seiner eingeschleusten IM geschürt, Eifersüchteleien entfacht und verstärkt, Verdachtsmomente und Indizien gegen Mitglieder konstruiert und präsentiert, die die Zusammenarbeit einzelner mit der Stasi suggerieren sollten. Die menschenverachtende Zersetzungstätigkeit des MfS mit Verhaftungen, Psychoterror, illegalen Wohnungsdurchsuchungen, Drohanrufen, anonymen Briefen und anderem mehr zerstörte viele Existenzen. Aus diesen Erfahrungen kritisiert er auch den Film "Das Leben der Anderen", der diese Maßnahmen des MfS um der dramaturgischen Effekte willen verharmlose.

Die Autoren sind sich bewusst, dass viele Gründe zur Erosion des Systems und schließlich zum Fall der Mauer beigetragen haben wie die Perestrojka, die tiefe wirtschaftliche, soziale und ökologische Krise, die Massenflucht in den Westen und nicht zuletzt die West-Erfahrung, die die Arbeit der Oppositionellen gestützt und beflügelt habe.

Parallel dazu kann man die hervorragend kommentierten Dokumente nachlesen. Die Tonbandmitschnitte wurden mit allen dialektalen Eigenheiten wortgetreu abgeschrieben, was teilweise geradezu komisch wirkt. Dass sich die Oppositionsbewegung von der Observierung durch die Stasi wenig beeindrucken ließ, beruhte nicht nur darauf, dass sie sich der ständigen Kontrolle bewusst war, die sie umgehen oder gar austricksen konnte, sondern auch darauf, dass sie durch Kontakte und Telefoninterviews mit den ins "westliche Ausland" Abgeschobenen und mit westlichen Medien Öffentlichkeit herstellen und so auf einen gewissen Schutz hoffen konnte, da die SED bei zu scharfen Maßnahmen um ihr internationales Renommee fürchtete. Freimütig spricht etwa Wolfgang Templin mit Roland Jahn über die Präsenz der Stasi in seinem Hausflur, was ihn daran hindere, im Keller Kohlen zu holen; dies übernahm dann ein Nachbar.

Ein umfassendes Glossar, das Begriffe, Ereignisse und Organisationen erläutert, die in der Geschichte der Opposition und des MfS eine Rolle spielen, Kurzbiographien von Personen, die als direkt abgehörte oder als handelnde Personen mehrfach vorkommen, sowie ein Personenregister beschließen diese eindrucksvolle Dokumentation, die allerdings nur ein Spektrum aus der Vielfalt weiterer Unterdrückungsmechanismen des Unrechtsstaats DDR aufdeckt.

GÜNTER BUCHSTAB

Ilko Kowalczuk/Arno Polzin (Herausgeber): Fasse Dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014. 1059 S., 69,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.01.2015

Es gab zu
wenige Telefone
Die Stasi-Abhörer waren nicht so
effizient wie ihre Pendants in Westdeutschland
VON JOSEF FOSCHEPOTH
Die NSA-Affäre hat es wieder einmal gezeigt. Geheimdienste gieren nach immer neuen Überwachungstechnologien. Anders glauben sie die Sicherheit eines Staates nicht gewährleisten zu können. Dazu brauchen sie Geld, sehr viel Geld. Das war in der DDR nicht anders.
  Ein Land von der Einwohnerzahl Nordrhein-Westfalens musste viel investieren, um die eigene Bevölkerung und dazu noch den „Klassenfeind“ in der Bundesrepublik zu überwachen. Die Verschriftlichung und Auswertung der abgehörten Gespräche war aufwendig. Vieles, was im Westen längst automatisiert erfolgte, musste in der DDR durch erhöhten Personaleinsatz erledigt werden. Keine Frage, auch auf dem Gebiet der Kommunikations- und Überwachungstechnologie hat die DDR den Wettlauf mit dem Westen verloren.
  Telefonieren in der DDR kam einer Zeitreise in die Vergangenheit gleich. Seit dem Ende der 60er-Jahre hatte sich am technischen Zustand kaum etwas geändert. Drei Viertel der Vermittlungstechnik war im Jahr des Mauerfalls älter als 30 Jahre. Ein Fünftel davon stammte aus der Zeit der Weimarer Republik. 1988 hatten etwa 50 Prozent der Haushalte in Ostberlin einen Telefonanschluss. Im Rest der Republik waren es gerade einmal 13,6 Prozent.
  1989 hatte die Zahl der Anträge auf einen Telefonanschluss mehr als eine Million erreicht. In der langen Einleitung zu dem voluminösen Band „Fasse Dich kurz!“ werden die Verhältnisse beschrieben: „häufig überlastete Netze, schlechte Akustik mit typischem Knistern, Pfeifen, Knacken, Unterbrechungen, nicht selten Totalausfall der Netze oder auch stundenlanges Warten auf handvermittelte Auslandsgespräche nach West-Berlin oder in die Bundesrepublik“. Mit einem Wort: Telefonieren in der DDR „war immer katastrophal“.
  Der katastrophale Zustand der DDR-Wirtschaft spiegelte sich auch im katastrophalen Zustand der telefonischen Infrastruktur wider. Wo es keine Telefonanschlüsse gab, konnten auch keine Telefongespräche überwacht werden. Die Telefonüberwachung der Stasi betraf bis zum Ende der DDR „nur einen Teil der Gesellschaft und auch nur einen Bruchteil der vorhandenen Telefonleitungen“. Letzteres lag auch daran, dass die Stasi sich auf das Abhören westdeutscher Telefonanschlüsse konzentrierte. In der Ostberliner Abhörzentrale waren 3000 Mitarbeiter mit dem Abhören von Telefonaten in der Bundesrepublik, nur ein Drittel davon mit der Binnenüberwachung der DDR beschäftigt.
  Darüber hinaus gab es, wie der ausführlichen Einleitung zu entnehmen ist, sogar rechtliche Gründe, die der Stasi das Abhören erschwerten. Laut Strafrechtsänderungsgesetz von 1979 waren im „Unrechtsstaat“ DDR Erkenntnisse aus einem „operativen Vorgang“ nur dann für die Einleitung eines Strafverfahrens verwertbar, wenn die Überwachung vorher richterlich angeordnet worden war. Bemerkenswert ist auch die vorgeschriebene 30-tägige Begrenzung von Telefonüberwachungsmaßnahmen. Von der Stasi gefürchtet war das, wie wir heute sagen würden, „Whistleblowing“ von Postbeamten, die „Aufschaltungen“ durch Mitarbeiter der Stasi immer wieder bekannt machten.
  Eine jahrelange Telefonüberwachung, von Einzelnen wie Robert Havemann, Wolfgang Harich oder Wolf Biermann abgesehen, hat es in der DDR nicht gegeben. Abhörmaßnahmen zu operativen Zwecken, etwa zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Mitglieder der Bürgerrechtsbewegung, blieben „überwiegend erfolglos“.
  Ein wichtiger Grund für die Erfolglosigkeit der Telefonüberwachung war die allgemeine Kenntnis von der Allgegenwart der Stasi: Die Bürger bedienten sich kreativer Methoden, machten beim Telefonieren irreführende Angaben, benutzten fremde oder öffentliche Telefone oder wichen auf andere Kommunikationswege aus. Allgemeine, flächendeckende Überwachungen oder Fangschaltungen wie in der Bundesre-publik gab es in der DDR nicht: Abhörmaßnahmen waren Teil einer generellen Überwachung einer bestimmten Person und daher stets „vorgangsgebunden“.
  Große Erfolge hat die Stasi mit ihren operativen Telefonüberwachungen denn auch nicht erzielt. Ilko-Sascha Kowalczuk, der Verfasser der Einleitung, kommt für die 80er-Jahre zu dem bemerkenswerten Schluss, dass eine dauerhafte Telefonüberwachung „bei Oppositionellen und kirchlichen Amtsträgern zu einer Ausnahmeerscheinung in der generellen MfS-Arbeit zählte“. Eine solche Ausnahmeerscheinung stelle die in dem Buch dokumentierte Telefonüberwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit dar.
  Nicht die allgemeine Geschichte der Post- und Fernmeldeüberwachung in der DDR ist Gegenstand dieses Buches, sondern die Auswertung und Dokumentation eines umfangreichen Aktenbestandes zu Einzelüberwachungen von prominenten Bürgerrechtlern Ende der Achtzigerjahre. Warum? Weil, so der Autor, die vorgelegte Sammlung von Stasi-Dokumenten zur Telefonüberwachung eine Quelle sei, die „aufgrund einer besonderen Authentizität einen großen Wert“ besitze.
  Was mit Authentizität gemeint ist und woran sie gemessen wird, bleibt offen. Ob sie überhaupt ein Auswahlkriterium, gar eine historische Kategorie zur Analyse und Beschreibung geheimdienstlicher Aktivitäten sein kann, wird nicht problematisiert. Letztlich ist es der Bekanntheitsgrad der DDR-Oppositionellen, der den Ausschlag für die Aufnahme auch banaler Telefonmitschriften gegeben haben dürfte. Wie stark die Aktivisten von damals die Auswahl der Dokumente mitbestimmt haben, machen die Herausgeber am Beispiel des Journalisten Roland Jahn sehr schön deutlich.
  2006 hatte Jahn, er war 1983 aus der DDR ausgebürgert worden, zusammen mit Wolfgang Templin das Projekt angeregt. Im März 2011 wurde er neuer Beauftragter der Stasi-Unterlagen-Behörde. Jahn spielte nach seiner Ausbürgerung eine wichtige Rolle für die DDR-Opposition. Bei der Zusammenstellung der Dokumente bekam er plötzlich eine Hauptrolle, was die Herausgeber nach dem Amtsantritt des neuen Chefs nach eigenem Bekunden in eine prekäre Lage brachte. Um nicht den Eindruck einer „Jahn-Hagiographie“ entstehen zu lassen, schnürten sie das bereits fertige „Editionspaket“ noch einmal auf und änderten die Zusammenstellung.
  Am Ende ist ein opulentes Werk entstanden, das bei einer klaren Fragestellung, systematischen Darstellungsweise und historisch-kritischen Analyse deutlich dünnerund lesefreundlicher ausgefallen wäre. Auch an einer präzisen Begrifflichkeit hapert es gelegentlich. Was ist etwa unter einer „Demokratisierung der Telefonwelt“ zu verstehen? Was ist „eine scheinjuristische Fassade“? Ähnliches gilt für die Wörter „systemlogisch“ und „herrschaftslogisch“. Bildreicher wird es, wenn es heißt, die Diktatur habe es „über viele Jahre verstanden, die Gesellschaft still zu legen.“ Oder: „ein Teil der oppositionellen Köpfe war außer Landes verfrachtet worden“.
  Ziemlich verunglückt ist auch der lange Titel des Buches. „Fasse Dich kurz!“: dieser Slogan hing von der Weimarer Zeit bis 1989 als ernst gemeinte Aufforderung in öffentlichen Telefonzellen der DDR. Mit dem „grenzüberschreitenden Telefonverkehr der Opposition“ sind anscheinend vor allem „die fernmündlichen Kontakte des ehemaligen DDR-Bürgers Roland Jahn“ aus der Bundesrepublik mit der Opposition in der DDR gemeint. Das dritte Element des Titels, „Ministerium für Staatssicherheit“, spricht für sich. Allein die Verbindung dieser drei Bausteine zu einem Titel macht deutlich, dass es dem Buch an einer klaren Fragestellung fehlt. Dies gilt auch für den Quellenteil. Wie kann man eine derartige Fülle von Dokumenten lediglich in chronologischer Reihenfolge, ohne jede systematische Gliederung und editorische Regesten nacheinander abdrucken?
  Die historische Erforschung der Telefonüberwachung in der DDR ist mit dem neuen Band der Gauck-Birthler-Jahn-Behörde keineswegs abgeschlossen. Im Detail enthält er jedoch für jeden, der sich ihm mit einer eigenen Fragestellung nähert, eine Reihe neuer Hinweise und Erkenntnisse. Notwendig ist jetzt eine Öffnung des Blicks auf eine vergleichende Betrachtung der teils ähnlichen, teils unterschiedlichen Überwachungsaktivitäten östlicher und westlicher Geheimdienste auf dem Gebiet des Post- und Fernmeldeverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland.
Ilko-Sascha Kowalczuk, Arno Polzin (Hrsg.): Fasse Dich kurz! Der grenzüberschreitende Telefonverkehr der Opposition in den 1980er Jahren und das Ministerium für Staatssicherheit. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten Bd. 41. Vandenhoeck & Ruprecht, 2014. 1059 S., 69,99 Euro.
Der Historiker Josef Foschepoth lehrt an der Universität Freiburg. 2012 erschien seine Studie „Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik“.
Dauerhafte Telefonüberwachung
von Oppositionellen
blieb selten
Der vorliegenden Edition
mangelt es an
historisch-kritischer Analyse
Diese Karikatur von 1971 untertitelte der Zeichner, Peter Neugebauer, mit den Worten: „Wenn Sie mich fragen – ich halte ein gut verstecktes Mikrofon für geeigneter, Chef!“ Die Stasi verließ sich denn auch lieber auf die üblichen geheimdienstlichen Methoden der Personenüberwachung.
Zeichnung: Neugebauer. Inv.-Nr. K 03202, Satiricum im Sommerpalais Greiz
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