DAS KLIMA UND DER UNTERGANG DES RÖMISCHEN REICHES FATUM ist das erste Buch, in dem konsequent die katastrophale Rolle untersucht und beschrieben wird, die Klimawandel und Seuchen beim Zusammenbruch des römischen Weltreichs spielten. Gestützt auf neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus dem Bereich der Klimawissenschaft und der Genetik erzählt Kyle Harper die Geschichte eines Infernos, in dem wir wie in einem fernen Spiegel beängstigend vertraute Züge unserer eigenen Welt wiedererkennen. Das Schicksal des Imperium Romanum wurde nicht von Kaisern, Legionären und Barbaren entschieden. Mindestens ebenso bedeutend waren Vulkanausbrüche, Sonnenzyklen, die Instabilität des Klimas und menschenmordende Viren und Bakterien. Kyle Harper führt seine Leserinnen und Leser vom Höhepunkt des 2. Jahrhunderts n. Chr., als das römische Weltreich eine schier unüberwindliche Macht zu sein schien, in die Niederungen des 7. Jahrhunderts, als das Imperium ausgemergelt war, politisch fragmentiert und materiell ausgelaugt. Er beschreibt, wie die Römer lange tapfer standzuhalten suchten, als Umweltveränderungen das ganze Reich niederdrückten - bis schließlich die Folgen der «kleinen Eiszeit» und das wiederholte Auftreten der Pest die Widerstandskraft der einstigen Weltmacht aufgezehrt hatten. FATUM bietet eine intellektuell ebenso scharfe Analyse wie menschlich anrührende Darstellung der Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt. Es ist die Geschichte einer der größten Zivilisationen, die unsere Welt je gesehen hat, in der Zeit ihrer schwersten Herausforderung. Sie muss schließlich vor der zermalmenden Kraft der Naturgewalten in Gestalt von Klimawandel und Seuchen kapitulieren. Das Beispiel Roms erscheint wie eine Mahnung aus großer zeitlicher Distanz, dass Klimawandel und die Evolution von Krankheitserregern die Welt geformt haben, in der wir leben. Wer die Schrift an der Wand zu lesen versteht, weiß, dass das, was hier profund und überraschend beschrieben wird, sich wiederholen kann.
- Klimawandel, Pest und Pocken - Roms Untergang, neu erzählt
- Die wahren Gründe für den Untergang des Imperium Romanum
- Ein Meilenstein innovativer altertumswissenschaftlicher Forschung
- Wer glaubt, mit einer Schwankung von 2 °Celsius käme man gut zurecht, wird eines Besseren belehrt
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.03.2020Der Preis der Verdichtung
Roms Untergang: Kyle Harper bettet die Krisen der Spätantike, den Klimawandel und drei große Pandemien in ein großes Panorama ein.
Allgemeinhistoriker pflegen im Verhältnis zu den Naturwissenschaften meist Distanz. Doch gab es auch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert immer wieder Versuche, zumal in der Vogelschau auf die historische Entwicklung der Menschheit, Stufen oder quasinaturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu identifizieren, um jenseits der individualisierenden historischen Hermeneutik auch im großen Maßstab zwingende Deutungen zu entwickeln - am besten noch solche mit Prognosekraft. Diese nomologischen Bemühungen führten allerdings letztlich in eine Sackgasse.
Doch auch die viel jüngere, von mehreren "turns" gespeiste kulturalistische Bewegung erweist sich allmählich als steril: Historische Katastrophen und Abbrüche sind nicht lediglich sprachliche Kennzeichnungen oder Konstruktionen, und inhuman verfährt, wer existentielle Erfahrungen von vergangenen Akteuren zu bloßen Diskursen banalisiert. "Facts on the ground", so die Praktiken des Wirtschaftens oder Kriegführens, spielen wieder eine größere Rolle. Hinzu kommt: Wir haben heute aus den Archiven der Natur einfach viel mehr Daten als noch vor zwei, drei Jahrzehnten, um auch für ferne Vergangenheiten zu ergründen, wie viele Menschen wann wo gelebt haben, wie sie sich ernährt haben und woran sie in welchem Alter gestorben sind. Dieser empirische Fortschritt mag in manchen Fällen problematische Folgen zeitigen, wenn etwa über DNA-Untersuchungen an großen Mengen menschlicher Überreste auf einmal wieder ein essentialistischer Volksbegriff buchstäblich dem Grab entsteigt. Doch sollen deswegen Erkenntnismöglichkeiten gleich ganz ausgeschlossen werden? Oder nur deshalb, weil die Daten im Detail strittig sind und nicht exakt zu bestimmen ist, welchen Einfluss genau Klimaveränderungen und Seuchen auf den überaus komplexen Großprozess hatten, den wir seit Gibbon den "Untergang des Römischen Reiches" nennen? Man muss beileibe kein Greta-Jünger sein, um die Umwelt als einen veränderlichen, unter den Bedingungen einer vormodernen Knappheitsökonomie zugleich einflussreichen Faktor von Geschichte zu sehen. Und Streit um Fakten und Gewichtungen gehört in jede Wissenschaft.
Der Althistoriker Kyle Harper jedenfalls bettet in seiner vieldiskutierten Rekonstruktion der Krisen und Transformationen, die in der langen Spätantike in Europa und im Vorderen Orient abliefen, den Klimawandel sowie die drei großen Pandemien des zweiten, dritten und sechsten Jahrhunderts in ein breites Panorama ein. Fern von einem gern beargwöhnten szientifischen Determinismus, sieht er das Ende des Imperium Romanum keinesfalls als einen kontinuierlichen, zwangsweise zum Ruin führenden Niedergang, sondern als "eine lange, verschlungene und durch vielerlei Umstände bedingte Geschichte, bei der ein resilienter politischer Verband zunächst standhielt und sich neu organisierte, bis er, zuerst im Westen, dann auch im Osten, zerfiel". Im Rückblick zeige sich ein "extrem durch Zufälle bedingtes Wechselspiel von Natur, Demographie, Wirtschaft und Politik", wobei nicht zuletzt die Glaubenssysteme, die wiederholt erschüttert und neu formiert wurden, eine Rolle spielten. Wenn Harper vorsichtig, mit Hilfe multikausaler Klimamodelle argumentiert oder die Evolution von Seuchenerregern in Nagetierpopulationen nachzeichnet, wird das Buch streckenweise zu einer anspruchsvollen Lektüre, freilich balanciert durch - bisweilen allzu griffige - Metaphern und Merksätze wie "Bakterien sind noch weitaus tödlicher als Barbaren".
In den vier Centennien bis 150 nach Christus hatte das - zunächst mit brutaler Gewalt geschmiedete - Imperium von kluger Politik und sicheren Handelswegen profitiert, doch die Blüte der Landwirtschaft und der Städte wäre ohne besonders günstige klimatische Bedingungen nicht möglich gewesen. Das sogenannte "Roman Climate Optimum" ist in der Forschung als Faktum unstrittig. Zwar herrschten im Mittelmeerraum schon damals zahlreiche, oft auf kleinem Raum sehr unterschiedliche Mikroklimata, doch insgesamt begünstigte mehr Wärme bei höherer Feuchtigkeit die landwirtschaftliche Produktion, und die durch eine steigende Geburtenrate - bei anhaltend hoher Sterblichkeit - verursachte Bevölkerungszunahme setzte die ansonsten für die Vormoderne typischen krisenhaften Kontraktionen aus. Doch mit dem geschenkten Glück bauten die Menschen eine Umwelt, die auch besonders anfällig war: Über die Verbindungswege der protoglobalen Ökonomie sowie in den dichtbevölkerten Städten konnten aus Mittelasien und dem Raum des Indischen Ozeans eingeschleppte Erreger nunmehr Pandemien auslösen, von deren verheerender Wirkung sowohl die literarischen Zeugnisse der Zeitgenossen wie neuerdings untersuchte Massengräber zeugen.
Wie lange die günstigen Klimabedingungen andauerten, ist unter Experten umstritten. Harper nimmt für 150 bis 450 nach Christus eine wechselvolle Übergangsperiode mit kürzeren und regionalen Ausschlägen an. Historisch ist diese Phase die interessanteste, weil die Akteure in ihrem Verlauf die miteinander verflochtenen Rückschläge durch Seuchen, Krieg und wirtschaftlich-demographischen Rückgang noch auffangen konnten und dabei eine hohe Kreativität entfalteten, wie sich am Ende des dritten Jahrhunderts unter den Kaisern Diokletian und Konstantin zeigen sollte. Doch die Ressourcen waren knapper geworden, und die Großregionen des Reiches hielten politisch nicht mehr so fest zusammen, als sich - vielleicht wegen einer massiven Klimaveränderung in der Eurasischen Steppe - die als "Hunnen" bezeichneten Verbände in Bewegung setzten und weiträumige Migrationen auslösten.
Welche Rolle in der Folge Kontingenz und politisches Vermögen spielten, zeigte sich im langen fünften Jahrhundert, als die römische Zentralgewalt im Westen erlosch, während sich das Ostreich um Konstantinopel behaupten und zeitweise sogar Teile des Westens zurückerobern konnte. Danach sind indes fast nur noch Leiden und Beten zu verzeichnen. Nachdem bereits um 450 die "Spätantike Kleine Eiszeit" eingesetzt hatte, machten gewaltige Vulkanausbrüche die Jahre von 536 bis 545 zur kältesten Dekade der letzten zweitausend Jahre, und danach raffte die sogenannte Justinianische Pest etwa die Hälfte der Bevölkerung dahin - um dann noch für etwa zweihundert Jahre endemisch zu bleiben. Doch ebenso ausführlich kommen die großen lokalen und regionalen Unterschiede in Art und Umfang der Katastrophen zur Sprache.
Der Überzeugungskraft von Erklärungen für zeitlich entfernte historische Vorgänge schadet es gewiss nicht, wenn dafür auch diejenigen Instrumente eingesetzt werden, von denen wir angesichts der ökologischen Probleme unserer Tage Aufschluss erwarten. Kyle Harper erzählt Roms Schwanken zwischen Fragilität und Resilienz mit wissenschaftlicher Kühle, zugleich jedoch als implizit heroischen Hymnus auf den schaffenden, ausgesetzten und leidenden Menschen. Hinter das hier vorgeführte Niveau wird die weitere Diskussion nicht mehr zurückfallen dürfen.
UWE WALTER.
Kyle Harper: "Fatum". Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches.
Aus dem Englischen von Anna und Wolf Heinrich Leube. C. H. Beck Verlag, München 2020. 567 S., Abb., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Roms Untergang: Kyle Harper bettet die Krisen der Spätantike, den Klimawandel und drei große Pandemien in ein großes Panorama ein.
Allgemeinhistoriker pflegen im Verhältnis zu den Naturwissenschaften meist Distanz. Doch gab es auch bis weit ins zwanzigste Jahrhundert immer wieder Versuche, zumal in der Vogelschau auf die historische Entwicklung der Menschheit, Stufen oder quasinaturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu identifizieren, um jenseits der individualisierenden historischen Hermeneutik auch im großen Maßstab zwingende Deutungen zu entwickeln - am besten noch solche mit Prognosekraft. Diese nomologischen Bemühungen führten allerdings letztlich in eine Sackgasse.
Doch auch die viel jüngere, von mehreren "turns" gespeiste kulturalistische Bewegung erweist sich allmählich als steril: Historische Katastrophen und Abbrüche sind nicht lediglich sprachliche Kennzeichnungen oder Konstruktionen, und inhuman verfährt, wer existentielle Erfahrungen von vergangenen Akteuren zu bloßen Diskursen banalisiert. "Facts on the ground", so die Praktiken des Wirtschaftens oder Kriegführens, spielen wieder eine größere Rolle. Hinzu kommt: Wir haben heute aus den Archiven der Natur einfach viel mehr Daten als noch vor zwei, drei Jahrzehnten, um auch für ferne Vergangenheiten zu ergründen, wie viele Menschen wann wo gelebt haben, wie sie sich ernährt haben und woran sie in welchem Alter gestorben sind. Dieser empirische Fortschritt mag in manchen Fällen problematische Folgen zeitigen, wenn etwa über DNA-Untersuchungen an großen Mengen menschlicher Überreste auf einmal wieder ein essentialistischer Volksbegriff buchstäblich dem Grab entsteigt. Doch sollen deswegen Erkenntnismöglichkeiten gleich ganz ausgeschlossen werden? Oder nur deshalb, weil die Daten im Detail strittig sind und nicht exakt zu bestimmen ist, welchen Einfluss genau Klimaveränderungen und Seuchen auf den überaus komplexen Großprozess hatten, den wir seit Gibbon den "Untergang des Römischen Reiches" nennen? Man muss beileibe kein Greta-Jünger sein, um die Umwelt als einen veränderlichen, unter den Bedingungen einer vormodernen Knappheitsökonomie zugleich einflussreichen Faktor von Geschichte zu sehen. Und Streit um Fakten und Gewichtungen gehört in jede Wissenschaft.
Der Althistoriker Kyle Harper jedenfalls bettet in seiner vieldiskutierten Rekonstruktion der Krisen und Transformationen, die in der langen Spätantike in Europa und im Vorderen Orient abliefen, den Klimawandel sowie die drei großen Pandemien des zweiten, dritten und sechsten Jahrhunderts in ein breites Panorama ein. Fern von einem gern beargwöhnten szientifischen Determinismus, sieht er das Ende des Imperium Romanum keinesfalls als einen kontinuierlichen, zwangsweise zum Ruin führenden Niedergang, sondern als "eine lange, verschlungene und durch vielerlei Umstände bedingte Geschichte, bei der ein resilienter politischer Verband zunächst standhielt und sich neu organisierte, bis er, zuerst im Westen, dann auch im Osten, zerfiel". Im Rückblick zeige sich ein "extrem durch Zufälle bedingtes Wechselspiel von Natur, Demographie, Wirtschaft und Politik", wobei nicht zuletzt die Glaubenssysteme, die wiederholt erschüttert und neu formiert wurden, eine Rolle spielten. Wenn Harper vorsichtig, mit Hilfe multikausaler Klimamodelle argumentiert oder die Evolution von Seuchenerregern in Nagetierpopulationen nachzeichnet, wird das Buch streckenweise zu einer anspruchsvollen Lektüre, freilich balanciert durch - bisweilen allzu griffige - Metaphern und Merksätze wie "Bakterien sind noch weitaus tödlicher als Barbaren".
In den vier Centennien bis 150 nach Christus hatte das - zunächst mit brutaler Gewalt geschmiedete - Imperium von kluger Politik und sicheren Handelswegen profitiert, doch die Blüte der Landwirtschaft und der Städte wäre ohne besonders günstige klimatische Bedingungen nicht möglich gewesen. Das sogenannte "Roman Climate Optimum" ist in der Forschung als Faktum unstrittig. Zwar herrschten im Mittelmeerraum schon damals zahlreiche, oft auf kleinem Raum sehr unterschiedliche Mikroklimata, doch insgesamt begünstigte mehr Wärme bei höherer Feuchtigkeit die landwirtschaftliche Produktion, und die durch eine steigende Geburtenrate - bei anhaltend hoher Sterblichkeit - verursachte Bevölkerungszunahme setzte die ansonsten für die Vormoderne typischen krisenhaften Kontraktionen aus. Doch mit dem geschenkten Glück bauten die Menschen eine Umwelt, die auch besonders anfällig war: Über die Verbindungswege der protoglobalen Ökonomie sowie in den dichtbevölkerten Städten konnten aus Mittelasien und dem Raum des Indischen Ozeans eingeschleppte Erreger nunmehr Pandemien auslösen, von deren verheerender Wirkung sowohl die literarischen Zeugnisse der Zeitgenossen wie neuerdings untersuchte Massengräber zeugen.
Wie lange die günstigen Klimabedingungen andauerten, ist unter Experten umstritten. Harper nimmt für 150 bis 450 nach Christus eine wechselvolle Übergangsperiode mit kürzeren und regionalen Ausschlägen an. Historisch ist diese Phase die interessanteste, weil die Akteure in ihrem Verlauf die miteinander verflochtenen Rückschläge durch Seuchen, Krieg und wirtschaftlich-demographischen Rückgang noch auffangen konnten und dabei eine hohe Kreativität entfalteten, wie sich am Ende des dritten Jahrhunderts unter den Kaisern Diokletian und Konstantin zeigen sollte. Doch die Ressourcen waren knapper geworden, und die Großregionen des Reiches hielten politisch nicht mehr so fest zusammen, als sich - vielleicht wegen einer massiven Klimaveränderung in der Eurasischen Steppe - die als "Hunnen" bezeichneten Verbände in Bewegung setzten und weiträumige Migrationen auslösten.
Welche Rolle in der Folge Kontingenz und politisches Vermögen spielten, zeigte sich im langen fünften Jahrhundert, als die römische Zentralgewalt im Westen erlosch, während sich das Ostreich um Konstantinopel behaupten und zeitweise sogar Teile des Westens zurückerobern konnte. Danach sind indes fast nur noch Leiden und Beten zu verzeichnen. Nachdem bereits um 450 die "Spätantike Kleine Eiszeit" eingesetzt hatte, machten gewaltige Vulkanausbrüche die Jahre von 536 bis 545 zur kältesten Dekade der letzten zweitausend Jahre, und danach raffte die sogenannte Justinianische Pest etwa die Hälfte der Bevölkerung dahin - um dann noch für etwa zweihundert Jahre endemisch zu bleiben. Doch ebenso ausführlich kommen die großen lokalen und regionalen Unterschiede in Art und Umfang der Katastrophen zur Sprache.
Der Überzeugungskraft von Erklärungen für zeitlich entfernte historische Vorgänge schadet es gewiss nicht, wenn dafür auch diejenigen Instrumente eingesetzt werden, von denen wir angesichts der ökologischen Probleme unserer Tage Aufschluss erwarten. Kyle Harper erzählt Roms Schwanken zwischen Fragilität und Resilienz mit wissenschaftlicher Kühle, zugleich jedoch als implizit heroischen Hymnus auf den schaffenden, ausgesetzten und leidenden Menschen. Hinter das hier vorgeführte Niveau wird die weitere Diskussion nicht mehr zurückfallen dürfen.
UWE WALTER.
Kyle Harper: "Fatum". Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches.
Aus dem Englischen von Anna und Wolf Heinrich Leube. C. H. Beck Verlag, München 2020. 567 S., Abb., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.03.2020Klimaflüchtlinge zu Pferde
Instabile Grenzen, Klimawandel und drei Pandemien:
Kyle Harpers beunruhigend aktuelles Bild vom Untergang Roms
VON GUSTAV SEIBT
Seuchenzüge, Naturkatastrophen, Wanderungsbewegungen, eine globale Abkühlung: Das neueste Bild vom spätrömischen Reich, das uns aus Amerika erreicht, wirkt so passgenau auf Probleme und Ängste der unmittelbaren Gegenwart geschneidert, dass jeder wissenschaftliche Instinkt rebelliert. „Fatum“ heißt das Buch des Historikers Kyle Harper in deutscher Fassung: „Schicksal“, als sei es ein Roman von Robert Harris.
Doch Harpers Buch ist ernste Wissenschaft, wenn auch farbig geschrieben. Der amerikanische Untertitel spricht von „Klima“ und „Krankheiten“ und vom Ende eines Imperiums. Die deutsche Version hat nur das Klima übrig gelassen, was zeigt, dass das Lektorat vor der Corona-Epidemie abgeschlossen war. Doch „The Fate of Rome“ erschien im Original nicht nur vor Corona, sondern auch vor Greta, nämlich schon 2017.
Im Kern ist das Buch eine umweltgeschichtliche Erörterung zur Geschichte des Römischen Reichs. Das ist einerseits neu, andererseits näherliegender als vielleicht gedacht. Der beste deutsche Kenner dieser Epoche, der Völkerwanderungshistoriker Mischa Meier, hat Harpers Buch auf der Internetseite „Sehepunkte“ eine einlässliche, respektvolle Besprechung gewidmet; längst gibt es Fachaufsätze in rauen Mengen dazu.
Dass die frühen Imperien und Hochkulturen immer auch Produkte großflächig koordinierter Naturbeherrschung waren, ist keine Neuigkeit. Die ersten „Staaten“ der Menschheit entstanden aus den Möglichkeiten und Zwängen von Fluss- und Bewässerungsregulierungen mit ihren jahreszeitlichen Rhythmen.
Imperiale Macht konstituierte sich in ausgedehnten Umweltregimen, die feinmaschige und weitgespannte Organisation erforderten. Für China, Ägypten und das Zweistromland ist dies dem historischen Wissen seit längerer Zeit geläufig. Diese Reiche wurden der Natur abgerungen, sie nutzten und verwandelten ökologische Bedingungen. Sie waren großstädtisch und agrarisch zugleich, dabei erwirtschafteten sie Überschüsse, die arbeitsteilige Zivilisationen mit wachsenden Bevölkerungen und globalem Fernhandel ermöglichten.
Für Rom, das jüngste und ausgedehnteste der antiken Großreiche, dessen Dauer mehr als ein halbes Jahrtausend überspannt, haben solche Überlegungen allerdings bisher so gut wie keine Rolle gespielt. Rom war ein militärisch errichtetes, mit Bündnisverträgen und Bürgerrechten stabilisiertes, rechtlich erst spät vereinheitlichtes Aggregat, gesteuert von einer schmalen aristokratischen Verwaltungselite, zusammengehalten durch einen großen, aber nicht überdimensionierten Militärapparat, dessen Schlagkraft nicht zuletzt auf einem hocheffizienten Straßennetz beruhte, das rascheste Truppenverlegungen erlaubte. Am kontinentalen Rand sicherte eine befestigte Grenze das Reich.
Eine juristisch rational geordnete Militärmonarchie, wehrhaft an den Rändern, traumhaft friedlich im Inneren, gelagert um ein beruhigtes Binnenmeer, gestützt auf zwei Weltsprachen – Latein und Griechisch –, die überall verstanden wurden, geschmückt mit einem Reichsstil, dessen Säulenordnungen zwischen Palmyra in Mesopotamien bis Bath in Britannien galten. Darüber ein meist blauer Himmel, mit warmen Sommern und regenreichen milden Wintern. Eine grüne Welt also, jedenfalls dort, wo der Flottenbau noch keinen Kahlschlag erzeugt hatte.
Dieses Bild trifft zu, sagt nun Kyle Harper. Aber es zeigt nur einen, wenn auch langen vorübergehenden Zustand, nämlich die dreieinhalb Jahrhunderte von 200 vor Christus bis 150 nach Christus. Diese Epoche fiel mit dem Aufstieg und dem Höhepunkt des Römischen Reichs zusammen. Umweltgeschichtlich bezeichnet Harper sie als „das römische Klimaoptimum“. Es hebt sich ab von den darauf folgenden drei Jahrhunderten der Spätantike, die von Seuchenzügen, klimatischer Instabilität, dramatischer Abkühlung, von Bevölkerungsrückgang und Migrationen gekennzeichnet waren.
Roms Ursprung in einer klimatisch milden Zwischenepoche dürfte ein Grund gewesen sein, warum seine Ökologie bisher so geringe Aufmerksamkeit fanden. Die Spätantike bietet das Kontrastbild, das die Frage überhaupt erst plausibel macht. Das Römische Klimaoptimum war eine Hintergrundbedingung, die wegen ihrer Stabilität nicht auffiel.
Diese Bedingungen änderten sich sichtbar in drei Seuchenzügen, die auf die Mitte des zweiten, des dritten und des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts fielen. Nur beim letzten, der sogenannten Justinianischen Pest, die sich ab 541 im Mittelmeerraum verbreitete und danach zwei Jahrhunderte endemisch blieb, zeigt sich ein klares und verheerendes Krankheitsbild: Es handelte sich um die Beulenpest, die innerhalb weniger Tage zum Tode führte. Die überlieferten Berichte mit Leichenbergen und Totenschiffen gleichen denen aus Boccaccios „Decamerone“.
Der Infekt verbreitete sich, getragen von den Zwischenwirten Flöhen, Ratten und Menschen vor allem zu Wasser, über die Hafenstädte. Die Pest war Begleiterin des mittelmeerischen Getreidehandels, ihre Expansion nutzte auch das immer noch intakte Straßennetz des Reichs. Und das ist eine der wichtigsten Pointen von Harpers Darstellung: Es war das Imperium selbst, das zum Biotop überregionaler Seuchenverbreitung werden konnte – abgeschottete Teilräume kannte es nicht mehr, auch da nicht, wo seine politische Herrschaft gar nicht mehr existierte wie im Westen.
Infolge dieser Erkrankung sank die Bevölkerung im sechsten Jahrhundert womöglich um die Hälfte. Damit aber wurde die Aufrechterhaltung jener Strukturen unmöglich, die der Krankheit zuvor genutzt hatten. Der bisher stabile oströmische Reichsteil geriet auch administrativ und militärisch ins Taumeln, sodass er ein Jahrhundert später leichte Beute für die islamische Eroberung wurde.
Aber es war nicht nur die Pest. Kurz vor 540 verursachten offenbar mehrere riesige Vulkanausbrüche eine nachhaltige Verfinsterung der Atmosphäre, die sich überall auf dem Globus nachweisen lässt.
Es folgten „Jahre ohne Sommer“, wie Europa 1816 eines nach dem Ausbruch des Tambora erlebte, mit Regen, verlangsamtem Baumwachstum, Ernteausfällen und Hungersnöten, die die Bevölkerungen gegen Infekte schwächten. Dazu, und unabhängig davon, begann die „spätantike Eiszeit“, eine durch verminderte Sonneneinstrahlung verursachte Abkühlung des Weltklimas, die das Römische Klimaoptimum endgültig beendete. Klima, Seuchen, demografischer Zusammenbruch, invasorischer Druck auf die Grenzen: Harper bringt ein beeindruckendes, sich wechselweise verstärkendes Faktorenbündel in den Blick.
Die Darstellung der Krise des sechsten Jahrhunderts ist der stärkste Teil von Harpers Buch. Hier kann er sich auf besten Evidenzen berufen, von präzise schildernder Chronistik über genetische Knochenuntersuchungen bis zu Eiskernbohrungen und Dendrochronologie. Man kann inzwischen den Pesterreger isolieren und Temperaturschwankungen nachweisen. Die Analyse des historischen Ursachengeflechts ist gestützt auf die Kombination quellenkritischer und naturwissenschaftlicher Methoden. Was die Zeitgenossen als kosmische Verfinsterung wahrnahmen, war eine menschlich nicht steuerbare Veränderung von natürlichen Bedingungen. Fatum also doch.
Die beiden vorangehenden Krisen – die Antoninische Pest im zweiten Jahrhundert und die Cyprianische Pest im dritten – zeigen weniger klare Bilder. Nicht einmal die Krankheiten sind zweifelsfrei identifizierbar, es kann sich um Influenza und Pocken, vielleicht sogar Ebola gehandelt haben. Auch dabei spielte die zivilisatorische Umgebung, vor allem die hygienischen Bedingungen in den Städten, eine große Rolle. Wer die antike Zivilisation in klassizistischem Geist für „gesund“ hält, kann sich bei Harper ein ernüchterndes Gegenbild besorgen, von haarsträubender Unsauberkeit, sinnloser Medizin und einer erbärmlichen Lebenserwartung überwiegend kleinwüchsiger, schwach ernährter Bevölkerungen.
Von der Seuche des zweiten Jahrhunderts konnte das Reich sich noch einmal erholen. Doch die des dritten Jahrhunderts trug zu einem militärischen Umbau bei, der dazu führte, dass über mehrere Generationen die meisten Kaiser aus dem besonders bedrohten Donauraum auf dem Balkan rekrutiert wurden. Neue Armut zog in den Mittelmeerraum, ablesbar an verschlechterten Münzen.
Die kühnste, jedoch am schwersten zu belegende Vermutung Harpers gilt dem Anstoß der Völkerwanderung durch die Hunnen im vierten Jahrhundert. Sie trieben bekanntlich die Goten vor sich her, die dann ins Römische Reich eindrangen. Ausgelöst worden sei der Hunnensturm durch eine weltklimatisch bedingte Dürre in Zentralasien, vermutet Harper in komplexen klimahistorischen Argumentationen. Die Hunnen nennt er „Klimaflüchtlinge zu Pferde“.
Das Buch verbirgt seine Thesen zuweilen in einem Übermaß von farbigen Details, emphatischen Superlativen, unter reportagehaftem, szenischem Erzählen. Doch Harper unterscheidet an jeder Stelle Fakten von Hypothesen, seine Analyse von Faktoren und Wechselwirkungen bleibt durchsichtig auch da, wo er nur Vermutungen bieten kann.
Die naturwissenschaftliche Seite dieser Forschungen dürfte in den nächsten Jahren neue Datennahrung bekommen und damit verfeinert werden. Für den gebildeten Leser stellt Harper nicht nur aufregenden Lesestoff zur Verfügung, sondern vor allem Modelle über den Zusammenhang von Natur und Zivilisation in früher, vorindustrieller Zeit.
Blauer Himmel, milde Winter:
Lange war das Klima
ideal im Römischen Reich
Kurz vor 540 verursachten
Vulkanausbrüche eine
Verdunkelung der Atmosphäre
Das Buch verbirgt seine Thesen
zuweilen in einem
Übermaß von farbigen Details
Drei Seuchen brauchte es, um das Römische Reich so weit zu destabilisieren, dass es sich im Osten der islamischen Eroberung
nicht mehr erwehren konnte: Auschnitt aus Thomas Coutures Gemälde „Die Dekadenz der Römer“, 1847. Foto: SuperStock / Fine Art Images
Kyle Harper: Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches. Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube. C.H. Beck Verlag, München 2020. 567 Seiten 32,00 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Instabile Grenzen, Klimawandel und drei Pandemien:
Kyle Harpers beunruhigend aktuelles Bild vom Untergang Roms
VON GUSTAV SEIBT
Seuchenzüge, Naturkatastrophen, Wanderungsbewegungen, eine globale Abkühlung: Das neueste Bild vom spätrömischen Reich, das uns aus Amerika erreicht, wirkt so passgenau auf Probleme und Ängste der unmittelbaren Gegenwart geschneidert, dass jeder wissenschaftliche Instinkt rebelliert. „Fatum“ heißt das Buch des Historikers Kyle Harper in deutscher Fassung: „Schicksal“, als sei es ein Roman von Robert Harris.
Doch Harpers Buch ist ernste Wissenschaft, wenn auch farbig geschrieben. Der amerikanische Untertitel spricht von „Klima“ und „Krankheiten“ und vom Ende eines Imperiums. Die deutsche Version hat nur das Klima übrig gelassen, was zeigt, dass das Lektorat vor der Corona-Epidemie abgeschlossen war. Doch „The Fate of Rome“ erschien im Original nicht nur vor Corona, sondern auch vor Greta, nämlich schon 2017.
Im Kern ist das Buch eine umweltgeschichtliche Erörterung zur Geschichte des Römischen Reichs. Das ist einerseits neu, andererseits näherliegender als vielleicht gedacht. Der beste deutsche Kenner dieser Epoche, der Völkerwanderungshistoriker Mischa Meier, hat Harpers Buch auf der Internetseite „Sehepunkte“ eine einlässliche, respektvolle Besprechung gewidmet; längst gibt es Fachaufsätze in rauen Mengen dazu.
Dass die frühen Imperien und Hochkulturen immer auch Produkte großflächig koordinierter Naturbeherrschung waren, ist keine Neuigkeit. Die ersten „Staaten“ der Menschheit entstanden aus den Möglichkeiten und Zwängen von Fluss- und Bewässerungsregulierungen mit ihren jahreszeitlichen Rhythmen.
Imperiale Macht konstituierte sich in ausgedehnten Umweltregimen, die feinmaschige und weitgespannte Organisation erforderten. Für China, Ägypten und das Zweistromland ist dies dem historischen Wissen seit längerer Zeit geläufig. Diese Reiche wurden der Natur abgerungen, sie nutzten und verwandelten ökologische Bedingungen. Sie waren großstädtisch und agrarisch zugleich, dabei erwirtschafteten sie Überschüsse, die arbeitsteilige Zivilisationen mit wachsenden Bevölkerungen und globalem Fernhandel ermöglichten.
Für Rom, das jüngste und ausgedehnteste der antiken Großreiche, dessen Dauer mehr als ein halbes Jahrtausend überspannt, haben solche Überlegungen allerdings bisher so gut wie keine Rolle gespielt. Rom war ein militärisch errichtetes, mit Bündnisverträgen und Bürgerrechten stabilisiertes, rechtlich erst spät vereinheitlichtes Aggregat, gesteuert von einer schmalen aristokratischen Verwaltungselite, zusammengehalten durch einen großen, aber nicht überdimensionierten Militärapparat, dessen Schlagkraft nicht zuletzt auf einem hocheffizienten Straßennetz beruhte, das rascheste Truppenverlegungen erlaubte. Am kontinentalen Rand sicherte eine befestigte Grenze das Reich.
Eine juristisch rational geordnete Militärmonarchie, wehrhaft an den Rändern, traumhaft friedlich im Inneren, gelagert um ein beruhigtes Binnenmeer, gestützt auf zwei Weltsprachen – Latein und Griechisch –, die überall verstanden wurden, geschmückt mit einem Reichsstil, dessen Säulenordnungen zwischen Palmyra in Mesopotamien bis Bath in Britannien galten. Darüber ein meist blauer Himmel, mit warmen Sommern und regenreichen milden Wintern. Eine grüne Welt also, jedenfalls dort, wo der Flottenbau noch keinen Kahlschlag erzeugt hatte.
Dieses Bild trifft zu, sagt nun Kyle Harper. Aber es zeigt nur einen, wenn auch langen vorübergehenden Zustand, nämlich die dreieinhalb Jahrhunderte von 200 vor Christus bis 150 nach Christus. Diese Epoche fiel mit dem Aufstieg und dem Höhepunkt des Römischen Reichs zusammen. Umweltgeschichtlich bezeichnet Harper sie als „das römische Klimaoptimum“. Es hebt sich ab von den darauf folgenden drei Jahrhunderten der Spätantike, die von Seuchenzügen, klimatischer Instabilität, dramatischer Abkühlung, von Bevölkerungsrückgang und Migrationen gekennzeichnet waren.
Roms Ursprung in einer klimatisch milden Zwischenepoche dürfte ein Grund gewesen sein, warum seine Ökologie bisher so geringe Aufmerksamkeit fanden. Die Spätantike bietet das Kontrastbild, das die Frage überhaupt erst plausibel macht. Das Römische Klimaoptimum war eine Hintergrundbedingung, die wegen ihrer Stabilität nicht auffiel.
Diese Bedingungen änderten sich sichtbar in drei Seuchenzügen, die auf die Mitte des zweiten, des dritten und des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts fielen. Nur beim letzten, der sogenannten Justinianischen Pest, die sich ab 541 im Mittelmeerraum verbreitete und danach zwei Jahrhunderte endemisch blieb, zeigt sich ein klares und verheerendes Krankheitsbild: Es handelte sich um die Beulenpest, die innerhalb weniger Tage zum Tode führte. Die überlieferten Berichte mit Leichenbergen und Totenschiffen gleichen denen aus Boccaccios „Decamerone“.
Der Infekt verbreitete sich, getragen von den Zwischenwirten Flöhen, Ratten und Menschen vor allem zu Wasser, über die Hafenstädte. Die Pest war Begleiterin des mittelmeerischen Getreidehandels, ihre Expansion nutzte auch das immer noch intakte Straßennetz des Reichs. Und das ist eine der wichtigsten Pointen von Harpers Darstellung: Es war das Imperium selbst, das zum Biotop überregionaler Seuchenverbreitung werden konnte – abgeschottete Teilräume kannte es nicht mehr, auch da nicht, wo seine politische Herrschaft gar nicht mehr existierte wie im Westen.
Infolge dieser Erkrankung sank die Bevölkerung im sechsten Jahrhundert womöglich um die Hälfte. Damit aber wurde die Aufrechterhaltung jener Strukturen unmöglich, die der Krankheit zuvor genutzt hatten. Der bisher stabile oströmische Reichsteil geriet auch administrativ und militärisch ins Taumeln, sodass er ein Jahrhundert später leichte Beute für die islamische Eroberung wurde.
Aber es war nicht nur die Pest. Kurz vor 540 verursachten offenbar mehrere riesige Vulkanausbrüche eine nachhaltige Verfinsterung der Atmosphäre, die sich überall auf dem Globus nachweisen lässt.
Es folgten „Jahre ohne Sommer“, wie Europa 1816 eines nach dem Ausbruch des Tambora erlebte, mit Regen, verlangsamtem Baumwachstum, Ernteausfällen und Hungersnöten, die die Bevölkerungen gegen Infekte schwächten. Dazu, und unabhängig davon, begann die „spätantike Eiszeit“, eine durch verminderte Sonneneinstrahlung verursachte Abkühlung des Weltklimas, die das Römische Klimaoptimum endgültig beendete. Klima, Seuchen, demografischer Zusammenbruch, invasorischer Druck auf die Grenzen: Harper bringt ein beeindruckendes, sich wechselweise verstärkendes Faktorenbündel in den Blick.
Die Darstellung der Krise des sechsten Jahrhunderts ist der stärkste Teil von Harpers Buch. Hier kann er sich auf besten Evidenzen berufen, von präzise schildernder Chronistik über genetische Knochenuntersuchungen bis zu Eiskernbohrungen und Dendrochronologie. Man kann inzwischen den Pesterreger isolieren und Temperaturschwankungen nachweisen. Die Analyse des historischen Ursachengeflechts ist gestützt auf die Kombination quellenkritischer und naturwissenschaftlicher Methoden. Was die Zeitgenossen als kosmische Verfinsterung wahrnahmen, war eine menschlich nicht steuerbare Veränderung von natürlichen Bedingungen. Fatum also doch.
Die beiden vorangehenden Krisen – die Antoninische Pest im zweiten Jahrhundert und die Cyprianische Pest im dritten – zeigen weniger klare Bilder. Nicht einmal die Krankheiten sind zweifelsfrei identifizierbar, es kann sich um Influenza und Pocken, vielleicht sogar Ebola gehandelt haben. Auch dabei spielte die zivilisatorische Umgebung, vor allem die hygienischen Bedingungen in den Städten, eine große Rolle. Wer die antike Zivilisation in klassizistischem Geist für „gesund“ hält, kann sich bei Harper ein ernüchterndes Gegenbild besorgen, von haarsträubender Unsauberkeit, sinnloser Medizin und einer erbärmlichen Lebenserwartung überwiegend kleinwüchsiger, schwach ernährter Bevölkerungen.
Von der Seuche des zweiten Jahrhunderts konnte das Reich sich noch einmal erholen. Doch die des dritten Jahrhunderts trug zu einem militärischen Umbau bei, der dazu führte, dass über mehrere Generationen die meisten Kaiser aus dem besonders bedrohten Donauraum auf dem Balkan rekrutiert wurden. Neue Armut zog in den Mittelmeerraum, ablesbar an verschlechterten Münzen.
Die kühnste, jedoch am schwersten zu belegende Vermutung Harpers gilt dem Anstoß der Völkerwanderung durch die Hunnen im vierten Jahrhundert. Sie trieben bekanntlich die Goten vor sich her, die dann ins Römische Reich eindrangen. Ausgelöst worden sei der Hunnensturm durch eine weltklimatisch bedingte Dürre in Zentralasien, vermutet Harper in komplexen klimahistorischen Argumentationen. Die Hunnen nennt er „Klimaflüchtlinge zu Pferde“.
Das Buch verbirgt seine Thesen zuweilen in einem Übermaß von farbigen Details, emphatischen Superlativen, unter reportagehaftem, szenischem Erzählen. Doch Harper unterscheidet an jeder Stelle Fakten von Hypothesen, seine Analyse von Faktoren und Wechselwirkungen bleibt durchsichtig auch da, wo er nur Vermutungen bieten kann.
Die naturwissenschaftliche Seite dieser Forschungen dürfte in den nächsten Jahren neue Datennahrung bekommen und damit verfeinert werden. Für den gebildeten Leser stellt Harper nicht nur aufregenden Lesestoff zur Verfügung, sondern vor allem Modelle über den Zusammenhang von Natur und Zivilisation in früher, vorindustrieller Zeit.
Blauer Himmel, milde Winter:
Lange war das Klima
ideal im Römischen Reich
Kurz vor 540 verursachten
Vulkanausbrüche eine
Verdunkelung der Atmosphäre
Das Buch verbirgt seine Thesen
zuweilen in einem
Übermaß von farbigen Details
Drei Seuchen brauchte es, um das Römische Reich so weit zu destabilisieren, dass es sich im Osten der islamischen Eroberung
nicht mehr erwehren konnte: Auschnitt aus Thomas Coutures Gemälde „Die Dekadenz der Römer“, 1847. Foto: SuperStock / Fine Art Images
Kyle Harper: Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches. Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube. C.H. Beck Verlag, München 2020. 567 Seiten 32,00 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Rezensent Clemens Klünemann fühlt sich als Römer mit dem Buch von Kyle Harper. Harpers Ansatz, den Untergang Roms als selbstverursachte Folge von klimatologischen und infektiologischen Bedingungen zu beschreiben, leuchtet dem Rezensenten ein. Wie sich Seuchen und Epidemien infolge von Expansion, stärkerer Besiedelung und Migration stärker verbreiten konnten, vermittelt ihm der Autor "akribisch" und auf spannende, ja erschreckende Weise. Besonders stark scheint Klünemann der Text, wenn er ihm unsere Nähe zu Rom und zum Schicksal, aber auch zur zivilisatorischen Größe der Römer vor Augen führt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Ist das Römische Reich am Klimawandel zugrunde gegangen? Oder an einer ansteckenden Krankheit? Kyle Harper untersucht die Spätantike."
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Andreas Kilb
"'Fatum' ist das erste Buch, in dem konsequent die katastrophale Rolle untersucht und beschrieben wird, die Klimawandel und Seuchen beim Zusammenbruch des römischen Weltreichs spielten."
Der neue Tag
"Harper unterscheidet an jeder Stelle Fakten von Hypothesen, seine Analyse von Faktoren und Wechselwirkungen bleibt durchsichtig auch da, wo er nur Vermutungen bieten kann. (...)Für den gebildeten Leser stellt Harper nicht nur aufregenden Lesestoff zur Verfügung, sondern vor allem Modelle über den Zusammenhang von Natur und Zivilisation in früher, vorindustrieller Zeit."
Süddeutsche Zeitung, Gustav Seibt
"Ein Buch, so packend wie ein Thriller, nur krasser, denn es beschreibt unmittelbar die Realität."
ZEIT Wissen, Fritz Habekuß
"Ein wunderbares Buch."
Die Presse, Martin Kugler
"Unheimlich viele neue Details (...) wirklich packend."
WDR5, Matthias Hennies
"Ein spannend zu lesendes Breitwandgemälde des Untergangs. "
Nürnberger Zeitung, Reinhard Kalb
"Der US-amerikanische Historiker vertritt die umstrittene These, dass äußeren Einflüssen wie Klimaextremen und Seuchen entscheidende Bedeutung für die spätantiken Umwälzungen zukommt."
ZEIT Geschichte
"Geradezu unheimlich aktuell."
Die Presse, Anne-Catherine Simon
"Meisterhaft komponiertes, brillant erzähltes und eindrücklich illustriertes Werk."
Im Gegenlicht, Karl Adam
"Die Parallelen zu unserer Zeit sind frappant."
Tagesanzeiger, Martin Ebel
"Jetzt ist das inspirierende Buch des Althistorikers Kyle Harper auf dem deutschen Markt erhältlich. Und es sind ihm viele Leser zu wünschen."
Landeszeitung für die Lüneburger Zeitung, Joachim Zießler
"eine neue These (...) merkwürdig, wie aktuell die Geschichte ist."
3sat Kulturzeit, Lotar Schüler
"Zum Verhängnis wurden Rom neben klimatischen Veränderungen auch jene Errungenschaften, die seinen Erfolg ausmachten: Globale Verbindungen und Bevölkerungswachstum schufen die idealen Bedingungen für die ersten Pandemien der Welt. Die Parallelen zu heute sind augenfällig."
Der Standard, David Rennert
"Hinter das hier vorgeführte Niveau wird die weitere Diskussion nicht mehr zurückfallen dürfen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Uwe Walter
"Ein faszinierendes Buch."
Kölner Stadtanzeiger, Michael Hesse
"Eine weltweite Seuche leitete den Untergang des Römischen Reichs ein, sagt der Historiker Kyle Harper - und erzählt, was man daraus für die Gegenwart lernen kann."
Die ZEIT, Stefan Schmitt
"Stark an Harpers Buch sind seine globalen klimageschichtlichen Aussagen, die uns im Big-History-Stil in Erinnerung rufen, wie sehr die Menschheitsgeschichte Funktion der Naturgeschichte ist."
Tagesspiegel, Konstantin Sakkas
"Harper entwirft ein faszinierendes Bild, das Schattenseiten römischen Alltags, die bisher allzu häufig ausgeblendet wurden, ins Bewusstsein rückt."
Sehpunkte, Mischa Meier
"Inspirierendes Buch (...) (Harper) entwirft das große Panorama eines Niedergangs."
Landeszeitung für die Lüneburger Heide, Joachim Zießler
"Kyle Harper hat ein wichtiges Buch geschrieben, an dem niemand vorbeikommen wird, der sich mit dem Untergang des Römischen Reiches beschäftigt. Ohne die Aspekte Klima und Seuchen wird zukünftig keine Diskussion mehr geführt werden können."
sehepunkte, Holger Sonnabend
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Andreas Kilb
"'Fatum' ist das erste Buch, in dem konsequent die katastrophale Rolle untersucht und beschrieben wird, die Klimawandel und Seuchen beim Zusammenbruch des römischen Weltreichs spielten."
Der neue Tag
"Harper unterscheidet an jeder Stelle Fakten von Hypothesen, seine Analyse von Faktoren und Wechselwirkungen bleibt durchsichtig auch da, wo er nur Vermutungen bieten kann. (...)Für den gebildeten Leser stellt Harper nicht nur aufregenden Lesestoff zur Verfügung, sondern vor allem Modelle über den Zusammenhang von Natur und Zivilisation in früher, vorindustrieller Zeit."
Süddeutsche Zeitung, Gustav Seibt
"Ein Buch, so packend wie ein Thriller, nur krasser, denn es beschreibt unmittelbar die Realität."
ZEIT Wissen, Fritz Habekuß
"Ein wunderbares Buch."
Die Presse, Martin Kugler
"Unheimlich viele neue Details (...) wirklich packend."
WDR5, Matthias Hennies
"Ein spannend zu lesendes Breitwandgemälde des Untergangs. "
Nürnberger Zeitung, Reinhard Kalb
"Der US-amerikanische Historiker vertritt die umstrittene These, dass äußeren Einflüssen wie Klimaextremen und Seuchen entscheidende Bedeutung für die spätantiken Umwälzungen zukommt."
ZEIT Geschichte
"Geradezu unheimlich aktuell."
Die Presse, Anne-Catherine Simon
"Meisterhaft komponiertes, brillant erzähltes und eindrücklich illustriertes Werk."
Im Gegenlicht, Karl Adam
"Die Parallelen zu unserer Zeit sind frappant."
Tagesanzeiger, Martin Ebel
"Jetzt ist das inspirierende Buch des Althistorikers Kyle Harper auf dem deutschen Markt erhältlich. Und es sind ihm viele Leser zu wünschen."
Landeszeitung für die Lüneburger Zeitung, Joachim Zießler
"eine neue These (...) merkwürdig, wie aktuell die Geschichte ist."
3sat Kulturzeit, Lotar Schüler
"Zum Verhängnis wurden Rom neben klimatischen Veränderungen auch jene Errungenschaften, die seinen Erfolg ausmachten: Globale Verbindungen und Bevölkerungswachstum schufen die idealen Bedingungen für die ersten Pandemien der Welt. Die Parallelen zu heute sind augenfällig."
Der Standard, David Rennert
"Hinter das hier vorgeführte Niveau wird die weitere Diskussion nicht mehr zurückfallen dürfen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Uwe Walter
"Ein faszinierendes Buch."
Kölner Stadtanzeiger, Michael Hesse
"Eine weltweite Seuche leitete den Untergang des Römischen Reichs ein, sagt der Historiker Kyle Harper - und erzählt, was man daraus für die Gegenwart lernen kann."
Die ZEIT, Stefan Schmitt
"Stark an Harpers Buch sind seine globalen klimageschichtlichen Aussagen, die uns im Big-History-Stil in Erinnerung rufen, wie sehr die Menschheitsgeschichte Funktion der Naturgeschichte ist."
Tagesspiegel, Konstantin Sakkas
"Harper entwirft ein faszinierendes Bild, das Schattenseiten römischen Alltags, die bisher allzu häufig ausgeblendet wurden, ins Bewusstsein rückt."
Sehpunkte, Mischa Meier
"Inspirierendes Buch (...) (Harper) entwirft das große Panorama eines Niedergangs."
Landeszeitung für die Lüneburger Heide, Joachim Zießler
"Kyle Harper hat ein wichtiges Buch geschrieben, an dem niemand vorbeikommen wird, der sich mit dem Untergang des Römischen Reiches beschäftigt. Ohne die Aspekte Klima und Seuchen wird zukünftig keine Diskussion mehr geführt werden können."
sehepunkte, Holger Sonnabend