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Gepflegtes Nichtstun braucht Selbstdisziplin und kulturhistorische Winke: Manfred Koch erzählt die Geschichte der Faulheit, welche auch eine des Arbeitsethos ist
Ein Geist sei ihnen kaum zuzusprechen; es stehe zu erwarten, dass sie nie mehr als ein einziges Junges zur Welt bringen würden, da das eine den Müttern schon zu viel zu sein scheine. "Brehms Tierleben", das erstmals zwischen 1864 und 1869 erschienen ist, geht mitunter hart ins Gericht mit seinen Kreaturen; und wenn der Feldhamster als stumpf-hortender Widerling unangenehm in Erscheinung tritt, so trifft das "geistlose" Faultier der volle Furor seines entrüsteten Beobachters. Nach Manfred Koch, von dem jetzt ein lindgrünes schlankes Bändchen mit dem schlichten und charmant-paradoxen Titel "Faulheit - eine schwierige Disziplin" erschienen ist, erklärt sich diese Beschimpfungstirade gegenüber dem untätigen Getier aus dem Arbeitsethos des neunzehnten Jahrhunderts.
Bis zu dieser Verinnerlichung christlich geprägter Arbeitsmoral und der mit ihr einhergehenden Abwertung dessen, was man als Faulheit zu bezeichnen gewohnt ist, war es jedoch ein langer Weg. Wie daraus wiederum unsere heutige medial vielbeschworene, dadurch aber nicht weniger beunruhigende Besprechungsgesellschaft der digitalen Dauerverfügbarkeit, der Meetings und arbeitsplatzintegrierten Entspannungsräume entstanden ist und welche Rolle "Faulheit" in ihr spielt, erfährt man von Koch nicht. Dafür manövriert er seine aufschlussreiche Kulturgeschichte auch elegant um Floskeln der drohenden Beschleunigung, des "immer schneller" und des "immer mehr" herum.
Koch steigt mitreißend mit Alexander dem Großen als einem der berühmtesten aller "aktivistischen Zeitgenossen" und seinem Gegenspieler, dem tonnenschläfrigen Diogenes, ein. Dieser dämmerte vor sich hin - sein performatives Verzichtsphilosophieren jedoch, das macht Koch sehr anschaulich, erfordert ein recht hohes Maß an lebensorganisatorischer Selbstdisziplin. Es folgt eine interessante Bibelexegese, die uns die Widersprüchlichkeiten der verschiedenen Genesisgeschichten näherbringt: Hat Gott den Menschen nun geschaffen, dass er die Erde bebaue und beherrsche, oder ist das Arbeitenmüssen eine Last, die wir uns mit dem Apfelverzehr eingehandelt haben?
Die Arbeit als im besten Falle gelassen hinzunehmende Bürde, die sich die Menschheit eingehandelt hat, zieht sich motivisch durch Mythen und Religion: Sei es, dass wir vom Goldenen ins Eiserne Zeitalter abgestiegen sind (Hesiod), sei es, dass Pandora ihre verdammte Büchse öffnete - das sich Abrackernmüssen auf dem Felde kann nicht naturgegeben sein. Dass häufig Frauen die Übelbringerinnen der Unmuße sind, erwähnt Koch, aber ohne es zu analysieren.
Auch fehlt eine etymologische Herleitung des Wortes "Faulheit". Das Wort "ful" findet sich schon im Althochdeutschen und kommt von einem Stamm, der "verfault" bedeutet hat. Dass es so mit der Wurzel "fu" verwandt ist, die als Substantiv in vielen germanischen Sprachen das weibliche Geschlechtsorgan (man denke etwa an "Hundsfott") bezeichnet hat, ist erwähnenswert. Zumal es somit auch zur Bezeichnung für Übelriechendes und Eitriges geworden und der Ausspruch, jemand sei "stinkfaul", eigentlich ein Pleonasmus ist.
Nennt man heute jemanden faul, so meint man, er sei arbeitsunwillig, träge, vermeide jeden unnötigen Aufwand. Die acedia aber, eine der sieben Todsünden im Mittelalter, war nicht die Verweigerung irdischer Anstrengung, sondern "die Trägheit der Seele, die sich nicht zu Gott erheben will." Die positive Umbesetzung der Arbeit und die bisweilen totale Identifikation mit ihr entstand erst mit dem aufkommenden Kapitalismus - und aus ihr der Diskurs, innerhalb dessen Menschen, die von der Vorstellung des durch Tüchtigkeit erfüllten Lebens abwichen, als "faul" im heutigen Sinne empfunden werden. Die Saat des Arbeitsethos, die Vorstellung, Arbeit sei als Strafe klaglos hinzunehmen, ist zwar eine christliche - fruchtbar wird sie erst in der frühen Neuzeit.
Eine Kulturgeschichte der Faulheit ist zwangsläufig eine des Arbeitsethos. Dadurch fällt der Inhalt des Buches ein wenig ab gegen das wohlig-sündige Mußeflair, das sein Titel verspricht. Sehr nett und lehrreich ist es jedoch, von Koch durch die Utopien der Arbeitslosigkeit geführt zu werden, vom Garten Eden durch die Buchweizenbreie der Schlaraffenland-Erzählungen, von Vergils mäßig arbeitenden, musischen Arkadiern über Rousseaus Zivilisationskritik bis hin zu modernen Yoga-Eskapismen.
Koch erzählt die Geschichte des begrenzt schönen Lasters der Faulheit locker, plaudernd und mit großer Souveränität. Der grüne Umschlag und das kleine Format des Büchleins geben einem das Gefühl, in einem Spruchbändchen zu blättern. "Faulheit - eine schwierige Disziplin" empfiehlt sich als Ferienlektüre, die verkrustetes Wissen auffrischt und vielleicht auch hier und da unbekanntere Wendungen und Widersprüchlichkeiten der Kulturgeschichte zutage fördert.
HANNAH LÜHMANN
Manfred Koch: "Faulheit". Eine schwierige Disziplin.
Hrsg. von Anne Hamilton. Zu Klampen Verlag, Springe 2012. 155 S., geb., 19,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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