Aus der Finanzkrise ist über die Währungskrise längst eine weltweite Bedrohung des Finanzsystems geworden. Die akuten Brandherde der globalen Finanzstruktur scheinen zwar immer wieder unter Kontrolle, doch unter der Oberfläche brodelt es weiter. Genau hier setzt mit Raghuram Rajan einer der profiliertesten Ökonomen unserer Zeit an und zeigt auf, warum die fundamentalen volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Nationen nach wie vor die Weltwirtschaft bedrohen. Aber welche Folgen haben diese Unterschiede der Wirtschaftsregionen, welche Rolle spielt eine überproportionale Exportorientierung wie die Deutschlands, Japans oder Chinas? Und wie lassen sich die Akteure eines vollkommen aus dem Ruder geratenen Finanzsystems wieder in geordnete Bahnen lenken? Sicher ist: Die Weltwirtschaft wird so schnell nicht zur Ruhe kommen. Wie also lässt sich die Zukunft gestalten? Welche schmerzhaften und womöglich unpopulären Reformen sind notwendig? Und in welche Richtung müssen die ersten Schritte auf einem langen Weg in Richtung Gesundung der Finanzmärkte führen? Die Antworten legt Rajan schlüssig dar und zeigt damit, dass er zu den wichtigsten Stimmen einer neuen Ökonomie gehört.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2012Warum die Märkte bebten
Raghuram Rajans fesselndes Buch zur Finanzkrise
Raghuram G. Rajan, der als international anerkannter Ökonom an der Universität in Chicago Finanzen lehrt, hat vor zwei Jahren ein Buch mit dem Titel "Fault Lines" veröffentlicht, das sich mit den tieferliegenden Ursachen von Finanzkrisen beschäftigt. Es wird in Fachkreisen bereits lebhaft diskutiert. Gleichwohl kommt die deutsche Fassung jetzt keineswegs zu spät. Da Rajans "Verwerfungen" nichts an Aktualität und Brisanz verloren haben, kann ihre Lektüre jedem empfohlen werden, der mehr darüber erfahren möchte, warum die Märkte bebten. Schade nur, dass im deutschen Stichwortverzeichnis so viele Ungenauigkeiten stecken.
Rajan verdeutlicht seine Kernaussagen mit einer Metapher aus der Geologie: Die Verwerfungslinien im Finanzsystem, die sich wie ein roter Faden durch die zehn Kapitel seines Buches ziehen, seien mit den Rissen in der Erdoberfläche vergleichbar, die durch aufeinanderstoßende tektonische Platten entstehen. Die erste Kategorie dieser Verwerfungslinien ergebe sich durch das Aufeinandertreffen von Politik und Finanzmärkten. Sie würden sich zum Beispiel dann bilden, wenn das Geld, das von einer spendablen Regierung oder einer kurzsichtigen Zentralbank lockergemacht werde, auf das Profitstreben der Finanzindustrie treffe. In diesem Zusammenhang führt Rajan den politischen Druck auf einen erleichterten Zugang zu Krediten in den Vereinigten Staaten nicht zuletzt auf die wachsenden Einkommensunterschiede wegen ungleicher Bildungschancen zurück. Im Ergebnis habe sich die massive Ausweitung der Hypothekenkredite mit geringer Bonität dann als extrem teure und risikoträchtige Maßnahme zur Einkommensumverteilung erwiesen.
Zusätzlich zur ungleichen Einkommensverteilung arbeitet der frühere Chef-Volkswirt des Internationalen Währungsfonds die mangelnde soziale Sicherung für die Arbeitslosen als weiteres systemisches Risiko für die Finanzstabilität heraus. Da sich der amerikanische Arbeitsmarkt im Aufschwung nur langsam erhole, führe das unzureichende Netz der sozialen Sicherung zu einem ungeheuren Druck auf die Regierung und die Geldpolitik, die Konjunktur zu stimulieren. So habe die amerikanische Notenbank die Zinsen in der Erholung von der Rezession zu Beginn des letzten Jahrzehnts zu lange zu niedrig gehalten. Vor allem aber habe sie den Überschwang an den Finanzmärkten mit ihrer asymmetrischen Geldpolitik zugelassen und erst dann beherzt eingegriffen, als die Blase platzte. Die Folge sei eine "Orgie an Finanzexzessen" gewesen.
Rajan macht die Fed und die Regierung aber keineswegs allein für die Finanzkrise verantwortlich. Ebenso klar prangert er das Versagen des Privatsektors an. Sein Plädoyer für umfassende Reformen des amerikanischen Finanzsystems passt zu dieser Linie.
Während die erste Kategorie von Rajans Verwerfungslinien relativ leicht zugänglich ist, stellt sich die gedankliche Annäherung an die beiden anderen Kategorien doch als recht diffizil heraus. Das gilt bereits für den Komplex der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und die Wachstumsmuster, die sich in den einzelnen Ländern dahinter verbergen. Aber es gilt besonders für den "Zusammenprall" von zwei ganz unterschiedlichen Finanzsystemen, den Rajan thematisiert. Verwerfungen entstünden vor allem dann, "wenn die transparenten, unabhängigen Finanzsysteme wie in Amerika oder Großbritannien weniger transparente Finanzsysteme in einem Großteil der übrigen Welt finanzieren oder von diesen finanziert werden". So gesehen stellt das "flüchtige Auslandskapital" die entscheidende Nahtstelle zwischen den beiden Systemen dar, wobei es wohl treffender gewesen wäre, den Begriff "arm 's-length financial systems" mit finanzmarktbasierten statt mit "unabhängigen" Systemen zu übersetzen. Ihr Gegenstück bilden die bankbasierten Finanzsysteme.
Zu welchen Verwerfungen es führen kann, wenn die Kapitalströme vom finanzmarkt- zum bankbasierten System fließen, beschreibt Rajan am Beispiel der Mexiko-Krise von 1994 und der Ostasien-Krise von 1998. Von dort aus blickt er wieder auf die Vereinigten Staaten, indem er zu Recht festhält, dass Teile des Hypothekenmarkts Schwächen widerspiegelten, die man eher in Entwicklungs- als in Industrieländern vermutet hätte. Dies zeigt zugleich, dass an der Vorstellung einer klaren Zweiteilung der Finanzsysteme einige Abstriche vorzunehmen sind. Ob die in vielen Ländern geplanten Reformen zu einer größeren Angleichung oder zu einer noch größeren Heterogenität der Finanzsysteme führen werden, bleibt eine offene Forschungsfrage, deren Bedeutung vor dem Hintergrund des fesselnden Buches Rajans nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
HERMANN REMSPERGER.
Raghuram Rajan: Verwerfungen.
Finanzbuch Verlag. München 2012. 383 Seiten. 24,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Raghuram Rajans fesselndes Buch zur Finanzkrise
Raghuram G. Rajan, der als international anerkannter Ökonom an der Universität in Chicago Finanzen lehrt, hat vor zwei Jahren ein Buch mit dem Titel "Fault Lines" veröffentlicht, das sich mit den tieferliegenden Ursachen von Finanzkrisen beschäftigt. Es wird in Fachkreisen bereits lebhaft diskutiert. Gleichwohl kommt die deutsche Fassung jetzt keineswegs zu spät. Da Rajans "Verwerfungen" nichts an Aktualität und Brisanz verloren haben, kann ihre Lektüre jedem empfohlen werden, der mehr darüber erfahren möchte, warum die Märkte bebten. Schade nur, dass im deutschen Stichwortverzeichnis so viele Ungenauigkeiten stecken.
Rajan verdeutlicht seine Kernaussagen mit einer Metapher aus der Geologie: Die Verwerfungslinien im Finanzsystem, die sich wie ein roter Faden durch die zehn Kapitel seines Buches ziehen, seien mit den Rissen in der Erdoberfläche vergleichbar, die durch aufeinanderstoßende tektonische Platten entstehen. Die erste Kategorie dieser Verwerfungslinien ergebe sich durch das Aufeinandertreffen von Politik und Finanzmärkten. Sie würden sich zum Beispiel dann bilden, wenn das Geld, das von einer spendablen Regierung oder einer kurzsichtigen Zentralbank lockergemacht werde, auf das Profitstreben der Finanzindustrie treffe. In diesem Zusammenhang führt Rajan den politischen Druck auf einen erleichterten Zugang zu Krediten in den Vereinigten Staaten nicht zuletzt auf die wachsenden Einkommensunterschiede wegen ungleicher Bildungschancen zurück. Im Ergebnis habe sich die massive Ausweitung der Hypothekenkredite mit geringer Bonität dann als extrem teure und risikoträchtige Maßnahme zur Einkommensumverteilung erwiesen.
Zusätzlich zur ungleichen Einkommensverteilung arbeitet der frühere Chef-Volkswirt des Internationalen Währungsfonds die mangelnde soziale Sicherung für die Arbeitslosen als weiteres systemisches Risiko für die Finanzstabilität heraus. Da sich der amerikanische Arbeitsmarkt im Aufschwung nur langsam erhole, führe das unzureichende Netz der sozialen Sicherung zu einem ungeheuren Druck auf die Regierung und die Geldpolitik, die Konjunktur zu stimulieren. So habe die amerikanische Notenbank die Zinsen in der Erholung von der Rezession zu Beginn des letzten Jahrzehnts zu lange zu niedrig gehalten. Vor allem aber habe sie den Überschwang an den Finanzmärkten mit ihrer asymmetrischen Geldpolitik zugelassen und erst dann beherzt eingegriffen, als die Blase platzte. Die Folge sei eine "Orgie an Finanzexzessen" gewesen.
Rajan macht die Fed und die Regierung aber keineswegs allein für die Finanzkrise verantwortlich. Ebenso klar prangert er das Versagen des Privatsektors an. Sein Plädoyer für umfassende Reformen des amerikanischen Finanzsystems passt zu dieser Linie.
Während die erste Kategorie von Rajans Verwerfungslinien relativ leicht zugänglich ist, stellt sich die gedankliche Annäherung an die beiden anderen Kategorien doch als recht diffizil heraus. Das gilt bereits für den Komplex der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte und die Wachstumsmuster, die sich in den einzelnen Ländern dahinter verbergen. Aber es gilt besonders für den "Zusammenprall" von zwei ganz unterschiedlichen Finanzsystemen, den Rajan thematisiert. Verwerfungen entstünden vor allem dann, "wenn die transparenten, unabhängigen Finanzsysteme wie in Amerika oder Großbritannien weniger transparente Finanzsysteme in einem Großteil der übrigen Welt finanzieren oder von diesen finanziert werden". So gesehen stellt das "flüchtige Auslandskapital" die entscheidende Nahtstelle zwischen den beiden Systemen dar, wobei es wohl treffender gewesen wäre, den Begriff "arm 's-length financial systems" mit finanzmarktbasierten statt mit "unabhängigen" Systemen zu übersetzen. Ihr Gegenstück bilden die bankbasierten Finanzsysteme.
Zu welchen Verwerfungen es führen kann, wenn die Kapitalströme vom finanzmarkt- zum bankbasierten System fließen, beschreibt Rajan am Beispiel der Mexiko-Krise von 1994 und der Ostasien-Krise von 1998. Von dort aus blickt er wieder auf die Vereinigten Staaten, indem er zu Recht festhält, dass Teile des Hypothekenmarkts Schwächen widerspiegelten, die man eher in Entwicklungs- als in Industrieländern vermutet hätte. Dies zeigt zugleich, dass an der Vorstellung einer klaren Zweiteilung der Finanzsysteme einige Abstriche vorzunehmen sind. Ob die in vielen Ländern geplanten Reformen zu einer größeren Angleichung oder zu einer noch größeren Heterogenität der Finanzsysteme führen werden, bleibt eine offene Forschungsfrage, deren Bedeutung vor dem Hintergrund des fesselnden Buches Rajans nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
HERMANN REMSPERGER.
Raghuram Rajan: Verwerfungen.
Finanzbuch Verlag. München 2012. 383 Seiten. 24,99 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Standardwerk zur Finanzkrise." Handelsblatt "Endlich auf Deutsch: Der Ökonom Raghuram Rajan liefert eine brilliante Ursachenanalayse der Verwerfungen durch die Finanzkrise." Handelsblatt