"Dass ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält." Faust Der Tragödie erster Teil - Faust, Mephisto, Gretchen: Alle Welt kennt Faust, der mit Mephisto einen teuflischen Pakt schließt. Eine Tragödie - so spannend wie ein Thriller. Viele Zitate sind Teil unserer Umgangssprache geworden. Die Graphic Novel FAUST erschließt Goethes zentrales und exemplarisches Meisterwerk mit meisterlich gezeichneten Szenen wie aus einem kühnen Historienfilm sowie sprachlich modernisiert auch heutigen Generationen. Sinnfällig visualisiert, wirbelt der Leser durch verschiedene Sphären, Milieus und Zeiten imHimmel wie auf Erden, trifft auf Menschen, Lehren, Götter, Geister, Hexen und Magie. Jan Krauß hat Goethes Lyrik adäquat in Prosa transferiert. So, dass auch Wagner, Fausts Famulus, schwärmen kann: Es ist ein so großes Vergnügen, sich in den Geist der Zeiten zu versetzen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.01.2022Regisseure des Bösen
Wie kürzt man Goethe? Und malt sein Werk? Alexander Pavlenko und Jan Krauß haben es ausprobiert. Jetzt gibt es "Faust I" als Graphic Novel.
Von Florian Balke
Es ist der 16. August 1772, und auf dem Römerberg in Frankfurt hat eine fahrende Theatertruppe haltgemacht. Vorne buntes Gedränge, hinten die Fassade des Römers, zwischen Brettern und Tuchvorhang Direktor und Dichter im Gespräch über Kunst zwischen Ideal und Wirklichkeit. Goethes "Vorspiel auf dem Theater" und den Beginn des "Faust" an diesem Ort anzusiedeln geht auf Alexander Pavlenko zurück. Der in der Sowjetunion geborene Zeichner lebt in Limburg, aber er hat 15 Jahre lang am Main gearbeitet und für die Stadt viel übrig: "Es ist eine Liebeserklärung an Frankfurt." In einem seiner nächsten Projekte, Illustrationen zu E. T. A. Hoffmanns Erzählung "Meister Floh", will er den kleinen Liebesgruß etwas weiter ausformen, indem er das Frankfurt des 19. Jahrhunderts zeigt.
In "Faust", seiner Graphic Novel nach Goethes erstem Tragödienteil, taucht die Heimatstadt des Dichters hingegen nur am Anfang auf. Die frühe Neuzeit, die der 1963 in Rjasan zur Welt gekommene und mit knapp dreißig in die Bundesrepublik übergesiedelte Künstler für den Band entworfen hat, ist in einer nicht näher zu bestimmenden Stadt voller mittelalterlicher Gebäude angesiedelt. Wenn Pavlenko sich Bezüge auf die Außenwelt erlaubt, geht es nicht um Bestandteile der Wirklichkeit, sondern um die Art ihrer Gestaltung. Der Leser trifft, dem Genre des gezeichneten Romans angemessen, auf Gemälde der Renaissance wie Albrecht Altdorfers "Alexanderschlacht", deren hohen Himmel und zwergenhafte Berglandschaft man in einer ganzseitigen Abbildung wiedererkennt, auf der Mephisto nach seiner Wette mit dem Herrn zur Erde fliegt, um sich Faust zu nähern.
Als "Ausrufezeichen" habe er die großformatigen Bilder verwendet, sagt Pavlenko. Nur gelegentlich unterbrechen sie den Fluss der Seiten, auf denen sonst meist drei querformatige Bilder übereinanderstehen oder bis zu sechs Quadrate den Rhythmus bestimmen. Über das Tempo könne man sich gar nicht genug Gedanken machen, sagt Pavlenko, der sich seine Zeichnungen zunächst schwarz-weiß gedacht hatte. Aber diese Version sei zu "nervös" ausgefallen. Durch zwei Farben bekam die Geschichte ein anderes Tempo, aber auch im Zusammenklang von warmem Blau und kaltem Gelb lief sie ihm noch immer zu schnell. Jetzt hat das Gelb die Farben "alten Papiers" - perfekt: "Nun verweilt man auf jeder Seite ein bisschen länger." Allzu lange ist aber auch nicht gut: "Nur nicht zu viele Details."
Ohne den Frankfurter Autor Jan Krauß wäre es zu all diesen Entscheidungen nicht gekommen. Er besuchte 2007 im Goethehaus am Großen Hirschgraben die Ausstellung "Goethes Faust - Verwandlungen eines Hexenmeisters", verliebte sich in die Illustrationen von Charles Delacroix und dachte: "Fehlen eigentlich nur noch die Sprechblasen." Zu Hause machte er sich an die Arbeit und schrieb das Drama in ein Skript um, für ihn das zweite, das erste hatte sich dem Prometheus-Mythos gewidmet.
Wie kürzt man Goethe? "Schwere Frage." Er habe es rein intuitiv gemacht. "Es geht ums Einfühlen." Darum, sich in den Text hineinzuversetzen und zu wissen, dass der Comic alles anders machen müsse. Krauß setzt vorsichtig an: "Ich habe versucht, alles Wichtige . . ." Und unterbricht sich: "Aber was ist unwichtig am Faust?" Nur sehr wenig, auch wenn bei Aufführungen seit jeher gekürzt wird. "Wichtig war, dass es einen Fluss ergibt." Und der Weg für das visuelle Erzählen bereitet wird.
Einen Verlag fand Krauß für sein bald fertiges Skript erst Jahre später, zumal ihm 2010 bei Carlsen auch noch der zuvor in der F.A.Z. abgedruckte "Faust" von Flix dazwischengekommen war, der weitere Verlage abwinken ließ. Krauß blieb trotzdem der Meinung: "Es gibt Platz für den mittelalterlichen, tragischen Faust." Und fragte ein paar Jahre später hier und da abermals nach.
Ende 2019 brachte ihn die Edition Faust mit Pavlenko zusammen, der für den 2014 gegründeten Frankfurter Verlag schon Illustrationen zu Hofmanns Märchen "Der goldene Topf" und Oscar Wildes Erzählung "Lord Arthur Savile's Crime" angefertigt hatte. Seine erste Graphic Novel, "Herzl", verfasst zusammen mit dem französischen Szenaristen Camille de Toledo und dem Gründer des Zionismus gewidmet, war 2018 bei Denoël Graphic im Original erschienen, seit 2020 gibt es sie bei Insel auch auf Deutsch. Der Isaac-Babel-Band "Le fantôme d'Odessa", der im Mai 2021 herauskam, hat im deutschen Sprachraum noch keinen Verlag. Sofort publizierbar wäre auch eine fertig gezeichnete Version von Gustav Meyrinks Roman "Der Golem". Das wäre "ein Traum", sagt Pavlenko. Die 168 Seiten von "Faust" immerhin sind zum Preis von 24 Euro im Dezember herausgekommen.
Und zeigen die Szenen, in denen Faust und Mephisto ihr Männerdrama durch Gott oder das Alter gehemmter, plötzlich aber wieder frisch entfachter Kraft aufführen, in größerer Breite als die Szenen, in denen es um Faust und Gretchen oder um Gretchen allein geht. Mag sein, dass das damit zusammenhängt, was Krauß am Drama schon immer besonders interessiert hat. Der 1975 in Mannheim geborene Autor gehört zu denen, die den "Faust" in der Oberstufe lesen mussten und trotzdem schätzen lernten. Er mochte ihn so gerne, dass Klassenkameraden ihm ein T-Shirt anfertigten, auf dem stand: "Jan loves Faust but Faust loves Gretchen." Ihn faszinierte das Verhältnis zwischen Faust und seinem Versucher vor allem aus zwei Gründen: "Dass der Teufel auftaucht und lauter schlaue Dinge sagt." Damit hatte er nicht gerechnet. So hat Goethes genauer Blick darauf, wie der Mensch und das Böse auf der Suche nach dem Guten, der Liebe und der Kreativität zusammengehören, es in großer Fülle in die Graphic Novel geschafft.
Aber auch Gretchen kommt nicht zu kurz. Drei Bilder genügen Pavlenko, um auf dem Blocksberg einzufügen, was Fausts Geliebter widerfahren ist, seit er sich davongemacht hat: ein Blick auf das Gesicht ihres Kindes in ihrer Armbeuge, ein Blick auf die junge Mutter am Rande des Gewässers, in das sie das Kind soeben geworfen hat, zuletzt ein Blick aus der Vogelperspektive auf die junge Frau, die gefangen abgeführt wird.
Hier wird gerafft, dort breiter ausgefaltet. Die szenischen Hits sind drin, die Wort-Hits fehlen. Vom Kern des Pudels ist nicht mehr die Rede. Als der im Hund verborgene Mephisto sich Faust erstmals offenbart, sagt dieser prosaisch: "Das also verbirgt sich im Pudel." Aber das geht in Ordnung, denn die Graphic Novel als Gattung spricht durch Bilder, nicht durch Worte. Und schon gar nicht spricht dieser Band mit den übermächtigen Worten des Originals, das er nicht wiederholen will, sondern dem er eine Bearbeitung in einem weiteren Medium zur Seite stellt.
"Wenn wir die Geschichte noch mal erzählen, dann sollte die Moderne ebenfalls enthalten sein", fügt Pavlenko hinzu. Und ohne was kommt eine heutige visuelle Brechung Goethes nicht aus? Ohne das Wissen über das bewegte Bild des Films. Was zu Goethes Zeiten nur auf dem Theater möglich war, prägt zeitgenössische Leser im Alltag, vom Kino über das Fernsehen bis zum Streamingdienst-Abo und zum Smartphonevideo. Großaufnahmen, Details, Totalen - all das verwendet Pavlenko in seinen abwechslungsreichen Bildsequenzen. Und ähnlich wie bei Goethes Versen, die fast völlig in Prosa aufgelöst und nur hier und da am Zusammenklang zweier Wörter zu erkennen sind, geht es um Rhythmus.
Pavlenkos erster Faust war der von Christopher Marlowe. Nach der elisabethanischen Tragödie las er das sogenannte "Volksbuch", die 1587 in Frankfurt erschienene "Historia von D. Johann Fausten", auf die Marlowe und Goethe zurückgriffen, als nächste Bearbeitung des Stoffes stieß er auf Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm "Faust - Eine deutsche Volkssage", für ihn ein Meisterwerk, auch wenn er findet, der von ihm bewunderte Regisseur habe das Hochintellektuelle des Dramas aggressiv in Richtung Kitsch gedreht. Erst dann las er das Drama Goethes, zunächst in der russischen Übersetzung von Boris Pasternak, die ihm gar nicht gefiel. Dieser Mist sollte von Goethe sein? "Das war so blöd." Pasternak, den er als Dichter sehr liebe, habe sich in der deutschen Sprache, Literatur und Kultur exzellent ausgekannt, aber trotzdem nicht verstanden, was er da mache. Das Tragische und Frische von Goethes Präsentation des Stoffes, die Distanz und Ironie in der Darstellung des Übernatürlichen, Phantastischen und Magischen - alles nivelliert. Und Gretchen sei bei Pasternak eine "blöde Kuh", nicht das offene, naive Mädchen mit strahlenden Augen, das er selbst bei Goethe gefunden hat. Im Original las Pavlenko das Drama als Letztes. Und war erleichtert: "Gott sei Dank, es war einer der Höhepunkte der Weltliteratur."
Dem er einen eigenen Akzent gegeben hat. Ganz zum Schluss, nach dem Zusammentreffen mit Gretchen im Kerker, lässt er Mephisto und Faust eine Wendeltreppe hinabeilen. "In die Tiefe", sagt Pavlenko, dorthin, wo Mephisto Faust führt, "in verschiedene Räume und Epochen." Und damit in die Welt des zweiten Tragödienteils. Dass er kommen könnte, mag den Verlag beunruhigen, Krauß aber sagt: "Faust II ist schon adaptiert."
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Wie kürzt man Goethe? Und malt sein Werk? Alexander Pavlenko und Jan Krauß haben es ausprobiert. Jetzt gibt es "Faust I" als Graphic Novel.
Von Florian Balke
Es ist der 16. August 1772, und auf dem Römerberg in Frankfurt hat eine fahrende Theatertruppe haltgemacht. Vorne buntes Gedränge, hinten die Fassade des Römers, zwischen Brettern und Tuchvorhang Direktor und Dichter im Gespräch über Kunst zwischen Ideal und Wirklichkeit. Goethes "Vorspiel auf dem Theater" und den Beginn des "Faust" an diesem Ort anzusiedeln geht auf Alexander Pavlenko zurück. Der in der Sowjetunion geborene Zeichner lebt in Limburg, aber er hat 15 Jahre lang am Main gearbeitet und für die Stadt viel übrig: "Es ist eine Liebeserklärung an Frankfurt." In einem seiner nächsten Projekte, Illustrationen zu E. T. A. Hoffmanns Erzählung "Meister Floh", will er den kleinen Liebesgruß etwas weiter ausformen, indem er das Frankfurt des 19. Jahrhunderts zeigt.
In "Faust", seiner Graphic Novel nach Goethes erstem Tragödienteil, taucht die Heimatstadt des Dichters hingegen nur am Anfang auf. Die frühe Neuzeit, die der 1963 in Rjasan zur Welt gekommene und mit knapp dreißig in die Bundesrepublik übergesiedelte Künstler für den Band entworfen hat, ist in einer nicht näher zu bestimmenden Stadt voller mittelalterlicher Gebäude angesiedelt. Wenn Pavlenko sich Bezüge auf die Außenwelt erlaubt, geht es nicht um Bestandteile der Wirklichkeit, sondern um die Art ihrer Gestaltung. Der Leser trifft, dem Genre des gezeichneten Romans angemessen, auf Gemälde der Renaissance wie Albrecht Altdorfers "Alexanderschlacht", deren hohen Himmel und zwergenhafte Berglandschaft man in einer ganzseitigen Abbildung wiedererkennt, auf der Mephisto nach seiner Wette mit dem Herrn zur Erde fliegt, um sich Faust zu nähern.
Als "Ausrufezeichen" habe er die großformatigen Bilder verwendet, sagt Pavlenko. Nur gelegentlich unterbrechen sie den Fluss der Seiten, auf denen sonst meist drei querformatige Bilder übereinanderstehen oder bis zu sechs Quadrate den Rhythmus bestimmen. Über das Tempo könne man sich gar nicht genug Gedanken machen, sagt Pavlenko, der sich seine Zeichnungen zunächst schwarz-weiß gedacht hatte. Aber diese Version sei zu "nervös" ausgefallen. Durch zwei Farben bekam die Geschichte ein anderes Tempo, aber auch im Zusammenklang von warmem Blau und kaltem Gelb lief sie ihm noch immer zu schnell. Jetzt hat das Gelb die Farben "alten Papiers" - perfekt: "Nun verweilt man auf jeder Seite ein bisschen länger." Allzu lange ist aber auch nicht gut: "Nur nicht zu viele Details."
Ohne den Frankfurter Autor Jan Krauß wäre es zu all diesen Entscheidungen nicht gekommen. Er besuchte 2007 im Goethehaus am Großen Hirschgraben die Ausstellung "Goethes Faust - Verwandlungen eines Hexenmeisters", verliebte sich in die Illustrationen von Charles Delacroix und dachte: "Fehlen eigentlich nur noch die Sprechblasen." Zu Hause machte er sich an die Arbeit und schrieb das Drama in ein Skript um, für ihn das zweite, das erste hatte sich dem Prometheus-Mythos gewidmet.
Wie kürzt man Goethe? "Schwere Frage." Er habe es rein intuitiv gemacht. "Es geht ums Einfühlen." Darum, sich in den Text hineinzuversetzen und zu wissen, dass der Comic alles anders machen müsse. Krauß setzt vorsichtig an: "Ich habe versucht, alles Wichtige . . ." Und unterbricht sich: "Aber was ist unwichtig am Faust?" Nur sehr wenig, auch wenn bei Aufführungen seit jeher gekürzt wird. "Wichtig war, dass es einen Fluss ergibt." Und der Weg für das visuelle Erzählen bereitet wird.
Einen Verlag fand Krauß für sein bald fertiges Skript erst Jahre später, zumal ihm 2010 bei Carlsen auch noch der zuvor in der F.A.Z. abgedruckte "Faust" von Flix dazwischengekommen war, der weitere Verlage abwinken ließ. Krauß blieb trotzdem der Meinung: "Es gibt Platz für den mittelalterlichen, tragischen Faust." Und fragte ein paar Jahre später hier und da abermals nach.
Ende 2019 brachte ihn die Edition Faust mit Pavlenko zusammen, der für den 2014 gegründeten Frankfurter Verlag schon Illustrationen zu Hofmanns Märchen "Der goldene Topf" und Oscar Wildes Erzählung "Lord Arthur Savile's Crime" angefertigt hatte. Seine erste Graphic Novel, "Herzl", verfasst zusammen mit dem französischen Szenaristen Camille de Toledo und dem Gründer des Zionismus gewidmet, war 2018 bei Denoël Graphic im Original erschienen, seit 2020 gibt es sie bei Insel auch auf Deutsch. Der Isaac-Babel-Band "Le fantôme d'Odessa", der im Mai 2021 herauskam, hat im deutschen Sprachraum noch keinen Verlag. Sofort publizierbar wäre auch eine fertig gezeichnete Version von Gustav Meyrinks Roman "Der Golem". Das wäre "ein Traum", sagt Pavlenko. Die 168 Seiten von "Faust" immerhin sind zum Preis von 24 Euro im Dezember herausgekommen.
Und zeigen die Szenen, in denen Faust und Mephisto ihr Männerdrama durch Gott oder das Alter gehemmter, plötzlich aber wieder frisch entfachter Kraft aufführen, in größerer Breite als die Szenen, in denen es um Faust und Gretchen oder um Gretchen allein geht. Mag sein, dass das damit zusammenhängt, was Krauß am Drama schon immer besonders interessiert hat. Der 1975 in Mannheim geborene Autor gehört zu denen, die den "Faust" in der Oberstufe lesen mussten und trotzdem schätzen lernten. Er mochte ihn so gerne, dass Klassenkameraden ihm ein T-Shirt anfertigten, auf dem stand: "Jan loves Faust but Faust loves Gretchen." Ihn faszinierte das Verhältnis zwischen Faust und seinem Versucher vor allem aus zwei Gründen: "Dass der Teufel auftaucht und lauter schlaue Dinge sagt." Damit hatte er nicht gerechnet. So hat Goethes genauer Blick darauf, wie der Mensch und das Böse auf der Suche nach dem Guten, der Liebe und der Kreativität zusammengehören, es in großer Fülle in die Graphic Novel geschafft.
Aber auch Gretchen kommt nicht zu kurz. Drei Bilder genügen Pavlenko, um auf dem Blocksberg einzufügen, was Fausts Geliebter widerfahren ist, seit er sich davongemacht hat: ein Blick auf das Gesicht ihres Kindes in ihrer Armbeuge, ein Blick auf die junge Mutter am Rande des Gewässers, in das sie das Kind soeben geworfen hat, zuletzt ein Blick aus der Vogelperspektive auf die junge Frau, die gefangen abgeführt wird.
Hier wird gerafft, dort breiter ausgefaltet. Die szenischen Hits sind drin, die Wort-Hits fehlen. Vom Kern des Pudels ist nicht mehr die Rede. Als der im Hund verborgene Mephisto sich Faust erstmals offenbart, sagt dieser prosaisch: "Das also verbirgt sich im Pudel." Aber das geht in Ordnung, denn die Graphic Novel als Gattung spricht durch Bilder, nicht durch Worte. Und schon gar nicht spricht dieser Band mit den übermächtigen Worten des Originals, das er nicht wiederholen will, sondern dem er eine Bearbeitung in einem weiteren Medium zur Seite stellt.
"Wenn wir die Geschichte noch mal erzählen, dann sollte die Moderne ebenfalls enthalten sein", fügt Pavlenko hinzu. Und ohne was kommt eine heutige visuelle Brechung Goethes nicht aus? Ohne das Wissen über das bewegte Bild des Films. Was zu Goethes Zeiten nur auf dem Theater möglich war, prägt zeitgenössische Leser im Alltag, vom Kino über das Fernsehen bis zum Streamingdienst-Abo und zum Smartphonevideo. Großaufnahmen, Details, Totalen - all das verwendet Pavlenko in seinen abwechslungsreichen Bildsequenzen. Und ähnlich wie bei Goethes Versen, die fast völlig in Prosa aufgelöst und nur hier und da am Zusammenklang zweier Wörter zu erkennen sind, geht es um Rhythmus.
Pavlenkos erster Faust war der von Christopher Marlowe. Nach der elisabethanischen Tragödie las er das sogenannte "Volksbuch", die 1587 in Frankfurt erschienene "Historia von D. Johann Fausten", auf die Marlowe und Goethe zurückgriffen, als nächste Bearbeitung des Stoffes stieß er auf Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilm "Faust - Eine deutsche Volkssage", für ihn ein Meisterwerk, auch wenn er findet, der von ihm bewunderte Regisseur habe das Hochintellektuelle des Dramas aggressiv in Richtung Kitsch gedreht. Erst dann las er das Drama Goethes, zunächst in der russischen Übersetzung von Boris Pasternak, die ihm gar nicht gefiel. Dieser Mist sollte von Goethe sein? "Das war so blöd." Pasternak, den er als Dichter sehr liebe, habe sich in der deutschen Sprache, Literatur und Kultur exzellent ausgekannt, aber trotzdem nicht verstanden, was er da mache. Das Tragische und Frische von Goethes Präsentation des Stoffes, die Distanz und Ironie in der Darstellung des Übernatürlichen, Phantastischen und Magischen - alles nivelliert. Und Gretchen sei bei Pasternak eine "blöde Kuh", nicht das offene, naive Mädchen mit strahlenden Augen, das er selbst bei Goethe gefunden hat. Im Original las Pavlenko das Drama als Letztes. Und war erleichtert: "Gott sei Dank, es war einer der Höhepunkte der Weltliteratur."
Dem er einen eigenen Akzent gegeben hat. Ganz zum Schluss, nach dem Zusammentreffen mit Gretchen im Kerker, lässt er Mephisto und Faust eine Wendeltreppe hinabeilen. "In die Tiefe", sagt Pavlenko, dorthin, wo Mephisto Faust führt, "in verschiedene Räume und Epochen." Und damit in die Welt des zweiten Tragödienteils. Dass er kommen könnte, mag den Verlag beunruhigen, Krauß aber sagt: "Faust II ist schon adaptiert."
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