Wer auf der Suche nach einer überraschenden und besonderen Geschichte ist, liegt mit „Feenstaub“ von Cornelia Travnicek schon ganz richtig. Fantasievoll und gleichzeitig mit bedrückendem Ernst, erzählt sie die Geschichte von Petru, Cheta und Magare, die als Taschendiebe die Schatzkiste ihres
Krakadzil befüllen. Sie sind traurig und einsam. Sie vermissen Eltern, die sie entweder kaum kennen oder…mehrWer auf der Suche nach einer überraschenden und besonderen Geschichte ist, liegt mit „Feenstaub“ von Cornelia Travnicek schon ganz richtig. Fantasievoll und gleichzeitig mit bedrückendem Ernst, erzählt sie die Geschichte von Petru, Cheta und Magare, die als Taschendiebe die Schatzkiste ihres Krakadzil befüllen. Sie sind traurig und einsam. Sie vermissen Eltern, die sie entweder kaum kennen oder die sie nicht mehr haben wollen. Sie halten zusammen, aber nur weil sie müssen, nicht, weil sie Freunde sind. Sie leben isoliert und befolgen Befehle und Anweisungen. Freude bringt ihnen allein der „Feenstaub“, den sie zur Belohnung vom Krakadzil erhalten. Er macht alles ein wenig bunter und es fühlt sich an, als könne man fliegen.
Travnicek erzählt „Peter Pan“ nicht neu, sie nähert sich vielmehr wieder der Originalversion von James Matthew Barrie an. Darin ist Peter Pan böse, er hält die „Verlorenen Jungen“ bei sich auf einer Insel gefangen und wenn einige von ihnen zu alt werden, lichtet er die Reihen. Kurz gesagt, er tötet sie. Viele Details aus der Originalerzählung greift Travnicek auf, vor allem aber behält sie die düstere und bedrohliche Grundstimmung der ursprünglichen Erzählung bei, und webt daraus eine vollkommen neue Version von „Peter Pan“.
„Feenstaub“ als Titel ist angesichts der Atmosphäre und des Themas folglich absolut irreführend. Feenstaub klingt fröhlich, leicht und verwunschen. Der Roman ist genau das Gegenteil. Die Stimmung übertrug sich unmittelbar auf mich, auch wenn ich zu Beginn noch Schwierigkeiten hatte, der Geschichte folgen zu können. Das lag an der Erzählweise von Travnicek, sie reiht kurze, intensive Szenen aneinander und erlaubt nur kurze Einblicke in das Leben der Jungen. Vieles bleibt unklar: Wo leben die Jungen? Wer ist der Kradazil? Anfangs weiß man nicht einmal, ob man sich in der Realität befindet oder in einer Fantasie- oder Traumwelt. Trotz all dieser Ungewissheiten fühlte ich mich von der Geschichte eingenommen.
Am Ende wird einem als Leser vieles klarer und die komplette Tragweite der Geschichte, die tatsächlich viel mehr in der Realität und unserer heutigen Zeit verwurzelt ist, als man unter Umständen vermutet hat, wird einem bewusst. Allem voran ist „Feenstaub“ aller Wahrscheinlichkeit nach eine Droge, vielleicht Kokain, die ihnen nur gegeben wird, um sie ruhigzustellen und gefügig zu machen. Denn die Jungen sind nicht freiwillig beim Krakadzil, sie wurden verkauft oder verstoßen, weil ihre Familien nicht genug Geld haben, um für ihr Kind aufzukommen.
Aufschlussreich ist, so meine Vermutung, der Vorname Petru, der rumänischen Ursprungs ist. Es handelt sich bei Petru, Cheta und Magare also eventuell um Roma-oder Sinti-Kinder, die im Ausland unter schlechtesten Bedingungen und ohne Schulbildung leben. Sie sind Opfer eines Menschenhandels, dessen Anführer die Kinder zu kriminellen Aktivitäten zwingen. Und hier kommt „Peter Pan“ ins Spiel – denn nur solange die Kinder klein sind, können sie am erfolgreichsten betteln und stehlen. Sind sie erst erwachsen, fallen sie zu sehr auf, dann „lichten sich die Reihen“.
Je intensiver man sich mit „Feenstaub“ auseinandersetzt, desto faszinierender wird dieses Werk. Meiner Meinung nach hat Cornelia Travnicek mit diesem Roman etwas Großartiges geschaffen: Indem sie ein komplexes politisches und gesellschaftliches Thema auf eine neue Ebene gebracht hat, es aus der Sicht der Kinder erzählt, die weitestgehend gar nicht wissen, wie sie in diese Lage kamen und wie sie eigentlich versorgt sein sollten, trifft einen das Schicksal der Kinder noch viel tiefer. „Feenstaub“ ist enorm ausdrucksstark in dieser Hinsicht und rückblickend ist eben jene Ahnungslosigkeit, die einen beim Lesen anfangs begleitet, genau der richtige Weg, um nachempfinden zu können, was die Kinder fühlen und denken. Um die Lage von losgelöst im Niemandsland lebenden Kindern vollkommen verstehen zu können.