Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in BG, B, A, EW, DK, CZ, D, CY, H, GR, F, FIN, E, LT, I, IRL, NL, M, L, LR, S, R, P, PL, SK, SLO ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Der junge Rekrut als Kindskopf und Kriegsprotz: Ernst Jüngers Feldpostbriefe an die Familie aus dem Ersten Weltkrieg
„Liebe Eltern, das Paket mit Tabak und Schmalz habe ich mit Dank erhalten.“ Ernst Jüngers Feldpostbriefe an die Familie sind Ausdruck eines großen „Legionärshungers“. Einen Heißhunger auf Wurst und Schokolade meldete er in die Heimat; auch Bonbons wären „sehr gut gegen Langeweile auf Posten“. Aber der Hunger richtete sich ebenso auf den Kampf, aufs Erlebnis, aufs Abenteuer. Der Krieg war ein großes Spektakel, und unersättlich stürzte er sich ins Getümmel. Gleich der erste Brief an die Eltern, in dem schon allerhand „zerballert“ wird, sollte keine Zweifel daran aufkommen lassen. Anfang Januar 1915 ist Ernst Jünger knapp zwanzig Jahre alt. Der Ton der Briefe zeigt aber – viel deutlicher noch als das Kriegstagebuch und die im Nachhinein vielfach überarbeiteten „Stahlgewitter“ –, was für ein Kindskopf er noch war. Was für ein Renommiergehabe, was für ein Todesgeprotze: „Als die ersten Gewehr- und Granatkugeln kamen, haben wir fast alle gelacht. Auch das Schreien der Getroffenen, das Blut und das Hirn des Postens am Schlossportal konnte ich ruhig und lange ansehen.“
Jüngers Interesse gilt von Anfang dem Tod und dem Sterben. Da ist der Krieg ein gutes Forschungsfeld. Doch er spricht zunächst noch pubertär-großspurig, wenn er immer wieder betonen muss, dass ihn all die Leichen und Leichenteile, die aus der Erde ragen, überhaupt nicht schocken können. „Neulich fand ich in der Latrine eine Knochenhand, ich hatte schon die geschmackvolle Idee, mir einen Finger als Cigarrenspitze drechseln zu lassen.“ Derartige Frivolitäten hätte Jünger sich später nicht mehr erlaubt. Gegen Kriegsende finden sich andere Sätze, so, wenn er im Februar 1918 an den Bruder Friedrich Georg schreibt: „Übrigens gehört es zu meinen Maximen, dass uns die Freiheit immer gewogen bleibt, solange wir mit dem Tode als Dritten im Bunde einverstanden sind. Daher fühle ich mich zwischen den Linien auch wohl.“ Da ist schon der typische Jüngersche Tonfall zu erkennen – auch wenn er noch auf der Suche ist nach der erhabenen Gelassenheit, die er in späteren Jahren angesichts von Schmerz und Schrecken kultivierte. Zur bleibenden Lehre des Krieges gehörte für Jünger jedoch, den Tod nicht als Gegner zu sehen, sondern ihn mit Neugier zu begrüßen. Im Juli 1918 schreibt er: „Es ist mein altes Leiden, dass mir jeder Punkt, an dem ich gerade nicht weile, verlockend erscheint. Vielleicht wird der Tod der Ort dieser Orte sein?“
Umgekehrt ist aus dieser Haltung aber auch die Lust am Töten zu erklären, die er nicht verleugnen kann und will. Er zielt auf die Köpfe, als wären es Tonscheiben. Doch dauert es zweieinviertel Jahre, bis er einen seiner Treffer zweifelsfrei feststellen kann, als er durch den Feldstecher sieht, wie ein von ihm getroffener Engländer auf den Rücken fällt und nicht mehr aufsteht. „Es ist zwar eigentlich wenig schön, ich freue mich aber doch“, schreibt er dazu. Das alles scheint für ihn auch ein Spiel gewesen zu sein, und er ist das große Kind, das staunend und unberührbar in die Schlachten zieht.
Nach den von Helmut Kiesel besorgten Kriegstagebüchern und der historisch-kritischen Ausgabe der „Stahlgewitter“ sind die von Heimo Schwilk, dem zweiten Jünger-Biografen, herausgegebenen Feldpostbriefe die dritte Lieferung zu Jünger im Ersten Weltkrieg. Viel Neues kann dieser Band nicht mehr zutage fördern; dafür sind die Briefe an die Eltern zu wenig ergiebig. Vieles durfte aus propagandistischen Gründen gar nicht geschrieben werden und wäre der Zensur unterworfen worden, anderes blieb ungesagt, um die Eltern nicht zu beunruhigen. Da schreibt einer, der immer alles im Griff hat. Die wenigen erhaltenen Briefe der Eltern sind eher sachlicher Natur, oder es geht, wie in einem Brief der Großmutter, um die Sorge: „Hast du die gestrickten Handschuhe von Weihnachten bekommen?“ Auch die mangelnde Hygiene ist immer wieder Thema, kein Wunder, wenn es normal ist, monatelang nicht aus der Uniform zu kommen. Da werden die Läuse einzeln mit den Fingern zerdrückt.
Den größten Gewinn bietet der Briefwechsel mit dem drei Jahre jüngeren Bruder Friedrich Georg. Er war von 1916 an ebenfalls Soldat und wurde, in Langemarck schwer verwundet, von Ernst auf wundersame Weise gerettet. Dieses Ereignis hat die Brüder ein Leben lang verbunden. Das Gespräch zwischen ihnen verlief unter Gleichen; ihm musste Ernst nicht so viel vormachen. Schade deshalb, dass gerade diese Briefe in der vorliegenden Ausgabe nicht vollständig sind.
Heimo Schwilk weist in seinem Vorwort auf die problematische Quellenlage hin. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Friedrich Georg Jünger den Briefwechsel der Brüder publizieren und ließ zu diesem Zweck eine Abschrift herstellen. Vielleicht ist diese Ausgabe deshalb nie erschienen – so die Vermutung von Heimo Schwilk –, weil Ernst Jünger den in den Feldpostbriefen deutlich werdenden Karriere-Ehrgeiz und die noch allzu unliterarische Bekenntnishaftigkeit unangenehm fand. Auch er plante nach 1945 eine zweibändige Auswahl aus seiner Korrespondenz; ein Band sollte allein dem Briefwechsel mit dem Bruder vorbehalten sein, auch er ließ eine Abschrift herstellen. Die Originale aber gingen in diesem Hin und Her verloren, jedenfalls sind sie bisher im Jünger-Nachlass, der im Marbacher Literaturarchiv liegt, nicht aufzufinden.
Die beiden vorhandenen Abschriften aber unterscheiden sich in Details und lassen erkennen, dass in ihnen manches weggelassen und geglättet worden ist. Diese Differenzen werden in der vorliegenden Ausgabe nicht deutlich, und das ist schade. Schwilk weist zwar darauf hin, dass die Briefe an den Bruder mit einer gewissen Vorsicht zu genießen sind, verzichtet aber darauf, die Stellen zu zeigen, die in der einen Abschrift noch vorhanden, in der anderen aber schon eliminiert sind. Verloren gegangen sind dabei die im Archiv durchaus greifbaren Angebereien, die es auch im Jahr 1918 noch gab, so in einem Brief vom 6. März 1918 (der gänzlich fehlt) und der mit dem Wunsch endet: „Wir werden in Bälde wieder das Vergnügen haben, den Feind anzuspringen. (. . .) Waidmannsheil!“ Oder, so am 8.6.1917: „Kurz und gut, Zähne zusammengebissen und ran an den Feind. Ein lumpiges Leben haben wir nur. Mehr als totgehen kann man nicht.“
Am 3. September 1918 liegt Ernst Jünger mit einem Lungenschuss im Lazarett; der Krieg ist für ihn beendet. Der abgedruckte Brief an Friedrich Georg endet mit dem Satz: „Bereitet ein Fest für mich vor, aber bedenkt, dass ich fürs Erste mit dem Lebensatem noch sparen muss.“ Tatsächlich geht es aber in der zweiten vorhanden Abschrift noch so weiter: „Du kannst mir inzwischen schon eine passende Braut nebst Zimmer aussuchen, d.h. mit einem Lungenschuss muss ich mit Sachen, die eine gewisse Atemanstrengung erfordern, vorsichtig sein.“ Solche machohaften Sätze hätte man im Buch dann doch gerne vorgefunden. Ebenfalls verloren gegangen ist die dringende Bitte Jüngers um eine bestimmte Salbe, die Friedrich Georg aber nicht auftreiben kann. Das könnte ein Hinweis auf Angst vor Geschlechtskrankheiten sein, wie sie sich die Soldaten in Frontbordellen zugezogen haben.
Abzulesen ist den Briefen dann aber doch eine allmählich abklingende Kriegsbegeisterung – auch wenn Jünger keine grundsätzlichen Zweifel erkennen lässt. Immerhin gab es Momente von Heimweh und Fremdheit – auch das ließ er den Bruder wissen. Nach einem Heimaturlaub sitzt er auf einem Bahnhof in der Etappe und kommt sich ziemlich verloren vor. Er sieht das Kommen und Gehen der durchreisenden Soldaten und schreibt: „Das sind Mühlen, in denen das Menschliche zerschroten wird.“ An der Front aber war keine Zeit für derartige Sentimentalitäten. „Da denkt man an mancherlei, besonders an die Zukunft.“ Wohl deshalb, weil die meisten, die dort im Graben hockten, keine Zukunft mehr hatten. Jünger aber, todesnah und todessehnsüchtig, war immer sicher, dass er überleben würde. Sehr seltsam. Als könnte der Tod einem, „der mit der Freiheit im Bunde ist“, tatsächlich nichts anhaben.
JÖRG MAGENAU
Ernst Jünger: Feldpostbriefe an die Familie 1915-1918. Herausgegeben von Heimo Schwilk. Klett-Cotta, Stuttgart 2014, 133 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Hier schreibt einer,
der immer alles im Griff hat,
unberührbar und cool
„Das sind Mühlen, in
denen das Menschliche
zerschroten wird.“
Gewehrkugel? Lachhaft! Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg.
Foto: DLA-Marbach
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de