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Wo das Dunkel wächst, sind große Worte nicht nötig: Hans Joachim Schädlich erzählt in "Felix und Felka" mit ergreifender Präzision vom Leben der beiden Maler Nussbaum bis zum gewaltsamen Ende.
Anfangs ist da nur ein Nasenbluten, das Resultat einer Prügelei unter deutschen Malern, Stipendiaten der Villa Massimo in Rom: Der eine, ein gewisser Graf von Merveldt, wähnt sich als Opfer eines Ideendiebstahls und schlägt den vermeintlich Schuldigen, den Maler Felix Nussbaum, so hart, dass der zu bluten beginnt. Der Arzt sagt dazu: "Es ist nichts Ernstes. Sie können unbesorgt sein", aber weil die Szene im Mai 1933 spielt und das Opfer der Attacke ein Jude ist, hallt der Satz, gelesen in einem 2018 erschienenen Roman, natürlich nach. Es ist ernst, wissen wir, es wird sogar immer ernster werden, und die Spannung zwischen unserem Wissen und dem Ahnen der Figuren ist eines der Elemente, die Hans Joachim Schädlichs Buch "Felix und Felka" prägen.
Eine Gattungsbezeichnung trägt es nicht, wohl weil die Erwartungen an ein "Roman" getauftes Werk andere wären. Dieses beginnt wie das Skript zu einem Film, das zunächst die Atmosphäre umreißt ("Ein warmer Mai-Nachmittag"), den Schauplatz vorstellt ("Der Park ringsum in dunklem Grün"), die Protagonisten, natürlich im Präsens ("Auf dem Platz vor der Villa, im Pinienschatten, stehen Felix und Felka"), und dann sofort den Dialog der beiden abbildet.
Zu Beginn ergibt all das eine spürbare, geradezu ausgestellte Kargheit, die über den Verlauf des Textes hin immer weiter zunimmt und schließlich in die äußerste Reduktion mündet, in eine Abfolge von Listen: "Memento", heißt das letzte Kapitel, und da steht dann nur noch eine Reihe von Namen mit den Lebensdaten. Es sind die Protagonisten des Buchs, die uns zuvor in allen ihren Lebensumständen begegnet waren, in Not und Freude, liebend, fürsorglich und mitunter auch einander verletzend, mit dem Wunsch, Kunst zu schaffen und den damit verbundenen Hoffnungen und Enttäuschungen, vor allem aber voller Lebensdrang, der sich noch unter elenden Bedingungen beweist. Nun steht hinter den Namen von Felix Nussbaum und seiner Frau Felka, hinter denen der Eltern, des Bruders und der Schwägerin, der Nichte und schließlich des Cousins als Todesjahr 1944, als Sterbeort "Auschwitz" oder "Stutthof". Nur hinter den Namen von Felka Nussbaums Eltern, den Ostjuden, denen in der saturierten Nussbaum-Familie eine gewisse Reserviertheit galt, steht "verschollen", ohne Jahreszahl, und das ist mindestens so beklemmend wie das Schicksal der anderen.
Erzählt wird bis dahin die Geschichte einer Flucht, die das Maler-Ehepaar Felix und Felka Nussbaum durch Italien und Frankreich führt, nach Brüssel und Ostende, bis die untergetauchten Juden schließlich durch Verrat entdeckt und nach Auschwitz verschleppt werden. Die Flucht setzt ein, als sie beide entscheiden, die Villa Massimo vorzeitig zu verlassen, und zuerst könnte man sich durchaus vormachen, eine Urlaubsreise an die französische Mittelmeerküste zu unternehmen: Noch ist genügend Geld da, noch sind da alte Bekanntschaften, an die man anknüpfen kann, und noch gibt es Abnehmer für die Bilder, die vor allem Felix Nussbaum malt.
Dann wird all das weniger, und Schädlich bildet diesen Prozess inhaltlich wie stilistisch äußerst gelungen ab. Der 1935 geborene, vielfach ausgezeichnete Autor erweist sich als ein Meister der kleinen Form, seine Sätze sind knapp, meist bilden sie dennoch jeweils einen Absatz, und weil das nicht auf möglichst naturalistische Beschreibung abzielt, nicht auf eine die Distanz zwischen jener Zeit und unserer überbrückende Darstellung, die uns die Protagonisten über recherchierte historische Details oder große Gesten menschlich näher brächte, ist der Leser umso stärker gefordert, etwa wenn die Brandstiftung in Nussbaums Berliner Atelier knapp erzählt wird, eine Katastrophe, deren Auswirkung auf die Psyche des Malers man kaum ermessen kann. Zugleich aber erwächst dadurch in der Phantasie des Rezipienten, ausgelöst gerade durch geschickt angebrachte Leerstellen, ein Gespür für den wachsenden Schatten, der über diesen Existenzen liegt.
Der speist sich aus den Realitäten der Flucht, dem Geldmangel, der bald einsetzt, der Notwendigkeit, unterzutauchen, schließlich der Deportation von Felix Nussbaum in ein südfranzösisches Lager - auf dem Weg in eine neue Deportation kann er glücklich fliehen, und die Erfahrung dieses ersten Lagerlebens bringt er dann in ein Bild ein, das zu den erschütterndsten seines Werks gehört.
Daneben ist aber noch das Gewebe aus Angst, Bedauern über verpasste Fluchtchancen, Hoffnungen auf neue Gelegenheiten, die sich etwa aus den allmählich entwickelten Kontakten zu Emigranten in Amerika speisen, mühsam bewahrter Stolz in bedrückenden Umständen und Sorge um die Nächsten: ein Gewebe, das in den Protagonisten entsteht und das Schädlich mit wenigen Strichen skizziert.
Umso auffälliger sind dann die Einschübe in die fortlaufende Erzählung, etwa durch Rückblicke auf die Kindheit vor allem von Felix Nussbaum - Felka bleibt hier eher blass - oder durch einmontierte authentische Briefe des Malers. Dass sich das auffällig mit dem Fluchtbericht reibt, ist Programm, dass hinter dem abstrahierenden Drehbuchstil kurz die Zeugnisse eines höchst realen Lebenslaufs sichtbar werden, ist sicherlich gewollt, und beide Ebenen beleuchten einander auf geglückte Weise.
Zusammen findet das in einer weiteren Liste, die der das tödliche Schicksal resümierenden um einige Buchseiten vorausgeht: Sie ist das Ergebnis eines Fiebertraums des Malers, der kurz vor seinem Tod eine umfassende Ausstellung seiner tatsächlichen Werke imaginiert, die dann wiederum nacheinander genannt werden - der Reichtum eines allzu kurzen Malerlebens, der dem erwarteten Tod die Stirn bietet, hilflos, respektgebietend und unendlich traurig.
TILMAN SPRECKELSEN
Hans Joachim Schädlich: "Felix und Felka".
Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 205 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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