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Perlentaucher-Notiz zur FAS-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wie Meike Stoverock weibliche Unterdrückung erklärt
Der Titel weckt große Erwartungen: "Female Choice - Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation". Meike Stoverock versucht in ihrem ersten Sachbuch, die Leerstellen in aktuellen Genderdebatten mit biologischen Argumenten zu füllen. Wie sind sexistische Gesellschaftsstrukturen entstanden, wie kommen wir dagegen an, wo stoßen wir an biologische Grenzen?
Laut Klappentext beteiligt sich Stoverock seit der #Aufschrei-Aktion 2013 an Geschlechterdebatten. Auf Twitter stellt sie sich als "sexpositive Feministin, Biologin und Religionskritikerin" vor. Als Autorin argumentiert sie hip und flapsig, verwendet Vokabeln wie "supilustig", ironische Spitzen wie "Inzest, Schminzest" und stellt Fragen wie "Haben Sie wieder Naziideologien im Kopf?".
Auf fast vierhundert Seiten widmet sich die Evolutionsbiologin in universalgeschichtlicher Manier der Geschichte der weiblichen Unterdrückung. Betrachtet wird diese aus der "female choice"-Perspektive, ein Fachbegriff, der die Fortpflanzungsstrategie der meisten Lebewesen beschreibt. Nach dieser Theorie konkurrieren Männchen miteinander um die Weibchen, welche anspruchsvoll auswählen: "Nur einer kann die wertvollen Eizellen befruchten, nur einer kann Germany's Next Topmodel werden."
Dieses Prinzip, dem wir uns laut Stoverock durch zunehmende Freiheiten von Frauen wieder annähern, bedeutet automatisch, dass einige Männer leer ausgehen und heutzutage als Incels enden könnten: einsame bis depressive Gestalten einer Online-Subkultur, die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen und unfreiwillig zölibatär bleiben. Für diese bietet Stoverock originelle Lösungen an, darunter die gesellschaftliche Öffnung für Homosexualität oder Sexpuppen auf Rezept. Ein seltsamer Vorschlag für junge Männer, die nicht nur erste sexuelle Erfahrungen vermissen, sondern offensichtlich auf der Suche nach Wertschätzung und Intimität sind, mit misogynen Frauenbildern aufwachsen und sich im Netz unkontrolliert zu drastischem Selbsthass anstacheln.
Meike Stoverock erklärt die Ursprünge der weiblichen Unterdrückung mit dem Beginn der Sesshaftigkeit. Knapp zusammengefasst: Durch die Entstehung von Landwirtschaft und Privatbesitz vor rund zehntausend Jahren verschwinden die Frauen im Heim, wo sie Hausarbeiten erledigen und Kinder betreuen. Männer erfinden die Ehe, um die männliche Konkurrenz einzuhegen und sich ihren Zugang zu Sex zu sichern. Monotheistische Religionen helfen ihnen dabei, die Frau als untergeordneten Sündenbock darzustellen, der beherrscht werden muss. Der Feminismus bricht diese Strukturen auf, was den Mann sexuell frustriert zurücklässt. Das Problem: Frauen wählen ihre Partner anders aus. Auf Online-Datingportalen sind sie wählerischer als Männer. Jeder dritte deutsche Bauer findet keine Frau. Die Lösung? Weniger Romantik und mehr Sex für alle.
Dass "female choice"-Muster bis heute in unserer DNA gespeichert sein sollen, ist noch nicht deshalb bewiesen, weil die von Stoverock gesammelten Indikatoren dafür sprechen. Die Autorin übersieht zum Beispiel, dass Sex nicht das einzige Element ist, das in der Evolution Fortpflanzung garantiert. Der weibliche Körper steht nicht selbstverständlich symbolisch für den Sexualakt, wie Stoverock es aus Funden prähistorischer Kunst ableitet, sondern kann auch die Bedeutung für das Überleben einer Gruppe repräsentieren: Eine nomadische Frau, die ihr Kind neun Monate tragen und dann mindestens ein Jahr säugen muss, spielt auch deshalb eine wichtigere Rolle für die Fortpflanzung als der Mann, weil ihr Leben höchst gefährdet ist.
Heikel wird es auch dort, wo es um sexualisierte Gewalt geht, die Stoverock bewusst noch sexuelle Gewalt nennt. Es handle sich zunächst um eine triebgesteuerte Handlung: "Ginge es ausschließlich um Macht, wie der Feminismus seit Jahrzehnten behauptet, dann könnten ebenso oft Kinder oder Greisinnen betroffen sein." Nicht nur ist diese Kausalverbindung fragwürdig, die Autorin verkennt auch, dass das Adjektiv "sexualisiert" gewählt wird, weil sich der Angriff für die betroffene Person nicht wie Sex anfühlt.
Differenzierte Definitionen von Sex gehen heutzutage davon aus, dass Sex kein Konsumgut ist, sondern eine einvernehmliche Handlung, die zwischen Menschen jeglichen Geschlechts stattfinden kann. Dass Frauen häufiger als Kinder oder ältere Frauen attackiert werden, hat etwas mit gesellschaftlichen Normen und Sanktionen zu tun: Gewalt gegen Frauen wird seltener geahndet, stattdessen sogar oft normalisiert und romantisiert. Wie Stoverock richtig schreibt, gehen die meisten Übergriffe von Angehörigen oder Partnern der Betroffenen aus. Im familiären Umfeld ist die Gewalt besonders unsichtbar. Feministische Autorinnen wie Rita Segato haben darüber hinaus eindrucksvoll gezeigt, wie sexualisierte Gewalt auf struktureller Ebene mit kolonialer Kriegsführung und der Kontrolle und Ausbeutung von Territorien zusammenhängt.
Die Bemühung um eine differenzierte Sichtweise stößt in diesem Buch besonders dann an vorhersehbare Grenzen, wenn es um Religion geht. Mangelnde theologische und kulturgeschichtliche Kenntnisse beweist die Autorin etwa, wenn sie eine moderne Interpretation der Bibelgeschichte von Sodom und Gomorrha anbietet. Demnach ginge es in der Geschichte Lots nicht etwa um missbrauchtes Gastrecht, sondern um Frauenfeindlichkeit oder als Sünde dargestellte Homosexualität. Letztere ist als Konzept jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden.
Die Bibel ist hier nur ein frühes Dokument für weibliche Unterdrückung, das ein armer "Familienvater, der nie eine Schule von innen gesehen hat und beim ehelichen Geschlechtsverkehr nie wirklich das Gefühl hat, von seiner Frau gewollt zu werden", wörtlich auslegen musste. Dass ungebildete Menschen der damaligen Zeit keinen Zugang zu den Texten hatten, wird übersehen, die herangezogene Bibelübersetzung nicht genannt. In fachfremden Themenbereichen arbeitet Stoverock durchgehend unwissenschaftlich und beschränkt sich auf simplifizierende Polemik. Interdisziplinarität sieht anders aus, radikaler Feminismus auch.
Meike Stoverock schließt ihr Manifest mit einem Zitat des Philosophen Arthur Schopenhauer, der dem weiblichen Geschlecht jegliche Fähigkeit zur Beschäftigung mit den geistigen Dingen des Lebens abgesprochen hat: "Der Mensch kann zwar tun, was er will. Er kann aber nicht wollen, was er will." Was sie ihm damit sagen will, ist dem Menschen ein Rätsel.
HELENA RASPE
Meike Stoverock, "Female Choice - Vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation". Verlag Klett-Cotta, 352 Seiten, 22 Euro.
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