Sie kämpften gegen Wikinger, vergifteten ihre Feinde und waren Spioninnen – die vergessenen Frauen des europäischen Mittelalters kümmerten sich beileibe nicht nur um Haus und Hof. Dennoch ist es genau dieses Bild einer patriarchalen Gesellschaft, die Frauen unterdrückte, das unsere Vorstellung vom Mittelalter prägt. Es waren Männer, die diese Geschichte schrieben und die Frauen des Mittelalters aus unserem kollektiven Gedächtnis verbannten. Janina Ramirez gibt den Frauen ihren Platz in der Geschichtsschreibung zurück: Sie erzählt von der mächtigen Königin Jadwiga von Polen, der wilden Kriegerin Æthelflæd und der außergewöhnlichen Heilerin Hildegard von Bingen und eröffnet uns so ein buntes Kaleidoskop an verschiedensten weiblichen Lebensrealitäten, die die ganze Vielfalt dieses »dunklen Zeitalters« abbilden.
»Wunderbar frei und herrlich originell lässt uns ›Femina‹ auf aufregende und provokative Weise in die Nebel der Geschichte blicken.« Peter Frankopan.
»Leidenschaftlich, provokativ, brillant – dieses Buch ist ein Feuerwerk, das irgendwie zwischen zwei Buchdeckeln gefangen ist.« Lucy Worsley.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Statt großer Männer: Janina Ramirez tritt mit dem Anspruch an, Frauen des Mittelalters endlich zu ihrem gebührenden Auftritt zu verhelfen.
Das Buch von Janina Ramirez verspricht im Untertitel nicht weniger als "Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen". In der Einleitung formuliert die Autorin, die bereits einige historische Sachbücher vorgelegt, auch Dokumentationen für das britische Radio und Fernsehen produziert hat, in stolzem Wissen um die Größe der Aufgabe ihr Ziel: Sie will jetzt "den Scheinwerfer wieder auf mittelalterliche Frauen" richten. Denn jetzt erlaubten es neueste Forschungsmethoden, jene vielen Frauen des Mittelalters wieder sichtbar zu machen, die von der Geschichtsschreibung mit ihrem notorischen Interesse an großen Männern jahrhundertelang aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt worden seien. Eine "Entdeckungsreise zu den verloren gegangenen, übersehenen oder aus der Geschichte entfernten Frauen" soll das Buch bieten, in einem großen geographischen Rahmen und "bewusst interdisziplinär".
Diese Entdeckungsreise führt dann durch neun Jahrhunderte: von einem reichen Frauengrab in Loftus in North Yorkshire aus dem siebten Jahrhundert zu zwei frühmittelalterlichen Königinnen von Mercia mit Namen Cynethryth und Æthelflæd und zur sogenannten "Kriegerin von Birka" im Schweden des zehnten Jahrhunderts. Weiter geht es zu jenen anonym gebliebenen Frauen, die im elften Jahrhundert den berühmten "Teppich von Bayeux" gestickt haben. Hildegard von Bingen steht für das zwölfte, Katharerinnen in Südfrankreich für das dreizehnte, Jadwiga von Polen für das vierzehnte Jahrhundert. Den Reigen beendet die englische Mystikerin Margery Kempe, die 1438 starb.
In jedem Kapitel führt Ramirez zunächst knapp, aber anschaulich in die Lebenswelt ihrer Heldinnen ein. Und sie weiß zu erzählen, was historisches Forschen konkret bedeutet: Grabbeigaben, naturwissenschaftliche Daten aus DNA- und Isotopen-Analysen, aber auch Texte, Bilder, Kunstwerke werden als historische Quellen vorgestellt. Wir schauen Archäologinnen beim Graben zu, beobachten Archäogenetiker bei der Analyse alter DNA, blicken einer Historikerin über die Schulter, während sie eine Pergamentrolle des vierzehnten Jahrhunderts öffnet.
All das ist gut konzipiert, informativ, einprägsam: Es ist vergnüglich, dieses Buch zu lesen. (Der Rezensent sollte an dieser Stelle allerdings erwähnen, dass er an einer Universität arbeitet und deshalb über Gender-Doppelpunkte hinwegzulesen gelernt hat. Nur die schöne Wortfolge "der:diejenige, der:die diese" hat ihn noch einen Wimpernschlag lang verwirrt.) Man erfährt erfreulich viel über die Protagonistinnen des Buches. Ramirez vermag ihnen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, und sie schildert die Welt dieser Frauen bunt und lebensprall. Zahlreiche Illustrationen helfen, sich die vergangene Kultur auch in ihrer Materialität vor Augen zu führen. Und was für eine schöne Idee, das Buch mit Emily Wilding Davison zu eröffnen! Davison, eine Suffragette, hatte Englische Literatur studiert und gerade in starken Frauen des Mittelalters die Vorbilder für ihren eigenen politischen Kampf für Frauenrechte gesucht.
Aber warum nur muss die Autorin ihr Buch, ihr Ziel, ihr ganzes Tun so großspurig anpreisen? So grundstürzend neu, wie Ramirez behauptet, ist ihr Werk beileibe nicht. Eigene Forschung bietet sie gar nicht; sie fasst zusammen, was über ihre Heldinnen aus der Literatur bekannt ist. Man wird auch nicht sagen können, dass es hier tatsächlich um Frauen ginge, die bisher aus der Geschichte verdrängt und hinausgeschrieben worden wären. Cynethryth und Æthelflæd mögen zwar nicht felsenfest im deutschen Allgemeinwissen über das Mittelalter verankert sein. Aber die eine war die Gemahlin König Offas von Mercia, die andere eine Tochter König Alfreds des Großen, die selbst von 911 bis 918 über Mercia herrschte. Wer möchte, kann über Æthelflæd gleich mehrere neuere Bücher erwerben. Und ob sich ausgerechnet Hildegard von Bingen eignet als Beispiel für eine Frau, die aus der Geschichte verdrängt worden ist? Wer sie googelt, der findet im Nu über drei Millionen Ergebnisse, Jadwiga wurde 1997 heiliggesprochen. Die "Kriegerin von Birka" ging 2017 weltweit durch die Medien. Der Teppich von Bayeux dürfte eines der am häufigsten abgebildeten Werke des Mittelalters sein.
Auch bleibt der Ansatz des Buches altbacken: Frauen als Teil der Geschichte sichtbar zu machen, das war das Ziel der frühen "Frauengeschichte", als sie sich vor gut einem halben Jahrhundert auf den Weg machte. Janina Ramirez argumentiert wieder und wieder, dass Frauen im Mittelalter dasselbe leisteten wie Männer - in Politik und Krieg, Diplomatie, Kunst und Gelehrsamkeit. Aber ist wissenschaftlich wirklich viel gewonnen, wenn man große Männer einfach durch große Frauen ersetzt? Die Geschlechtergeschichte stellt längst andere, interessantere, komplexere Fragen.
Merkwürdig eng bleibt auch der geographische Rahmen: "Femina" ist ein britisches Buch. Ramirez' Mittelalter besteht im Wesentlichen aus der angelsächsischen und normannischen Welt Britanniens samt ihren engen Verflechtungen mit Skandinavien und Frankreich. Zwar setzen Hildegard, Jadwiga und Häretikerinnen aus Südfrankreich Farbtupfer. Aber alles bleibt lateinisch, römisch-christlich, nordeuropäisch. Eine Muslima aus Ägypten, al-Andalus oder Sizilien darf hier ebenso wenig mitmischen wie eine Jüdin aus Damaskus, Konstantinopel oder Venedig.
Dieses Problem behebt auch das letzte schmale Kapitel nicht, das unter dem Titel "Ausnahmegestalten und Außenseiterinnen" daran erinnert, dass im London des vierzehnten Jahrhunderts auch einige Afrikanerinnen lebten, die wahrscheinlich als Sklavinnen dorthin verschleppt worden waren. Und es stellt den Fall der Eleanor Rykener vor, die damals in London - mal als Mann, mal als Frau - gegen Entgelt mit Frauen und Männern Sex hatte.
Dieses Kapitel ist zwar bemüht politisch korrekt, aber wissenschaftlich zum Scheitern verurteilt. Die offenkundig für das Buch zentralen Fragen nach der Identität und Konstruktion von Geschlechtern und nach dem geographischen Rahmen, den der Epochenbegriff "Mittelalter" implizieren soll, lassen sich nicht dadurch lösen, dass irgendwie "Diverses" in ein kurzes Schlusskapitel ausgelagert wird. Eine wahrhaft "neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen" bleibt deshalb erst noch zu schreiben. STEFFEN PATZOLD
Janina Ramirez:
"Femina". Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen.
Aus dem Englischen von Karin Schuler. Aufbau Verlag, Berlin 2023. 448 S., Abb., geb., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
als Caesar
Das Mittelalter soll nur düster gewesen sein?
Janina Ramirez erzählt von den einflussreichen
klugen Frauen einer unterschätzten Epoche
VON KIA VAHLAND
ie Wikingerin war hochgewachsen, mit langen, kräftigen Beinen. Wahrscheinlich hat sie ihre Gemeinschaft mit Waffengewalt verteidigt, womöglich als Anführerin. Jedenfalls bestattete man sie in höchsten Ehren im schwedischen Birka: aufrecht im Grab sitzend, mit Axt, Schilden, Speer, Schwert, Bogen und Köcher, zudem ausgestattet mit einem kompletten Pferdegespann und einem Satz Spielsteine aus Elchhorn. In dem zugehörigen Brettspiel ging es darum, zwei Heere gegeneinander antreten zu lassen; nur mit vorausschauender Planung ließ es sich gewinnen. Die Tote war offenkundig außer Reiterin und Schützin auch eine geachtete Militärstrategin im zwischen 750 und 950 nach Christi bewohnten Birka.
Es sind solche Frauen, welche die britische Kulturhistorikerin Janina Ramirez bewogen haben, einmal gründlich aufzuräumen mit den Mittelalter-Mythen, die sich seit dem 19. Jahrhundert festgesetzt haben im kollektiven Gedächtnis: eine Epoche weniger großer Männer soll das Mittelalter gewesen sein, und ansonsten brutal, dreckig, unvernünftig. Die Wikinger gerieten dabei zu einem besonderen Zerrbild, der moderne Mensch denkt an plündernde Nordmänner mit Hörnerhelmen. Diese Kopfbedeckung aber erfand erst der deutsche Bühnenbildner Carl Emil Doepler, als er 1876 Richard Wagners „Ring der Nibelungen“ auszustatten hatte – inmitten einer Zeit also, als die alten nordischen Kulturen umgedeutet wurden im Sinne eines so fantasievollen wie aggressiven Nationalismus.
Ramirez verteidigt die Wikinger nun gegen alle Projektionen einer angeblich urwüchsigen, groben Männlichkeit: Sie hätten erhandelte Gegenstände anderer Kulturen in ihren Alltag integriert, hätten sich mit Perlen geschmückt und sogar den Ohrenschmalz mit Löffelchen entfernt. Die Rangordnung der Geschlechter sei längst nicht so festgeschrieben gewesen wie in Südeuropa: Wikingerinnen konnten sich demnach scheiden lassen, wenn sie in der Ehe geschlagen wurden, sie durften auch Besitz anhäufen. Oder eben zur Waffe greifen, wenn Not an der Frau war.
Viele Geschichten, die Ramirez in ihrem Buch „Femina“ zusammengetragen hat, sind nicht neu – dass es sich bei dem Skelett aus Birka um eine Frau handelte, publizierten Forscher der Universität Stockholm schon 2017, nachdem sie die Knochen genetisch analysiert hatten. Ramirez bietet nun einem größeren Publikum einen Überblick darüber, wie differenziert die Mittelalterforschung inzwischen argumentiert. Naturwissenschaftliche Methoden leisten im Zusammenspiel mit schriftlichen und bildlichen Zeugnissen eine viel präzisere Aufklärung, als es früheren Generationen möglich gewesen war. Gut erzählt ist das Buch obendrein (und noch ein bisschen besser wäre es, hätte die Übersetzung auf – hier besonders unpassende – sprachliche Plattitüden wie „aus aller Herren Länder“ verzichtet).
Ramirez’ Kernthese lautet: Wir imaginieren die Frauen des Mittelalters als wehr- und gesichtslos, tatsächlich aber sagt das jedoch mehr über das Selbstverständnis der vergangenen zwei Jahrhunderte aus als über die lange Zeit zwischen Römischem Reich und Renaissance. Als im Zuge des Nationalismus der europäischen Großmächte im 19. Jahrhundert Geschichte zur Geschichte einiger weniger großer Männer wurde, seien einflussreiche Frauen der Vergangenheit systematisch marginalisiert worden.
Ein treffendes Beispiel ist Königin Æthelflæd, die bis zu ihrem Tod im Jahr 918 das angelsächsische Reich Mercia anführte; eine Rolle, in der die Adeligen Mercias sie offiziell bestätigt hatten. Die Tochter des heute besser bekannten Königs Alfred verteidigte ihr Land gegen die Wikinger und tat sich dabei sowohl als Heeresführerin als auch als Diplomatin hervor. „Glanzvoller als Caesar“ soll sie sich geschlagen haben, weiß noch im 12. Jahrhundert ein Dichter. Wie selbstverständlich machte sie ihre einzige Tochter Ælfwynn zur Nachfolgerin (die allerdings dann ins Kloster abgeschoben wurde).
Beiden Frauen wird es nicht als ungebührlich erschienen sein, ihrem Gemeinwesen vorzustehen. Erbfolge war in der Vormoderne alles; erst die bürgerliche Gesellschaft mit ihrem angeblichen Leistungsprinzip brandmarkte weibliche Macht außerhalb des Hauses als unnatürlich. Aus diesem Grund schwärmten, wie Ramirez darlegt, die britischen Suffragetten im frühen 20. Jahrhundert für Frauen des Mittelalters. Vorbilder schließlich braucht der Mensch, und das ist auch der Impuls von Ramirez’ Buch. Damit knüpft sie an die sozial- und kulturhistorisch angelegte Geschlechterforschung an, wie sie im angelsächsischen Raum seit den Siebziger- und Achtzigerjahren gelehrt wird. Für Ramirez’ Ansatz spricht dabei, dass sie sich vor gängigen Verallgemeinerungen hütet: Nur von Individuen lasse sich erzählen, betont sie, nicht aber von einer Frauengeschichte als Ganzes.
Schade ist dabei, dass sie sich mit wenigen Ausnahmen auf britische und nordeuropäische Fälle konzentriert, anstatt das Spektrum viel weiter aufzufächern. Die byzantinische Kaiserin Irene etwa, Regentin in Konstantinopel um 800, wird nur am Rande vorgestellt - obwohl sie, die sich Augusta, die Erhabene, nannte, doch role model für alle anderen mittelalterlichen Herrscherinnen gewesen sein dürfte. Die Idee, weibliche Herrschaft sei gütiger als männliche, hat Irene dabei gar nicht erst aufkommen lassen: Ihre Anhänger blendeten sogar ihren Sohn, um ihre Alleinherrschaft zu sichern.
Ramirez hält sich nicht lange mit Charakterzeugnissen auf, ihr geht es um Vielfalt, nicht um vermeintliche moralische Überlegenheit. Sie will Zweifel wecken an den rigiden Zuschreibungen der Neuzeit, die Männer und Frauen nur als unversöhnliche Gegensätze denken kann. Dafür nennt sie last but not least Eleanor Rykener, die im Dezember 1394 in London aufgegriffen wurde, als sie an einem Marktstand Sex mit einem Freier hatte. Eleanor hatte den Ermittlern einiges zu erzählen von zahlungsfreudigen Priestern, Honoratioren und auch von Nonnen, die sich ihrer Angebote erfreuten. Letzteren begegnete sie ausnahmsweise in Männerkleidern, was insofern nicht weiter auffiel, als dass Eleanor ein biologischer Mann war.
D
Konstantinopels Kaiserin
Irene griff ohne zu zögern
nach der Macht
Janina Ramirez: Femina. Eine neue Geschichte des Mittelalters aus Sicht der Frauen. Aufbau Verlag, Berlin 2023. 517 S., 28 Euro.
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