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Mirko Bonné schickt in seinem ersten Erzählungsband seine Figuren auf Reisen in extreme Gegenden, Situationen und Zustände. Eine Frau trennt sich im Urlaub und pilgert spontan zum Papst. Ein junger Werftarbeiter verliert durch einen Schmerzanfall jegliche Orientierung. Nach dem Tod ihres Mannes sucht eine Frau nach ihrem Bruder und findet sich auf einer Weihnachtsfeier wieder, auf der es nur Geschenke aus dem Wrack einer alten Fähre gibt. Familien- und Liebesbeziehungen sind für Mirko Bonné stets brüchig; Erwachsene wie Kinder bewegen sich in Parallelwelten und setzen alles daran, die…mehr

Produktbeschreibung
Mirko Bonné schickt in seinem ersten Erzählungsband seine Figuren auf Reisen in extreme Gegenden, Situationen und Zustände. Eine Frau trennt sich im Urlaub und pilgert spontan zum Papst. Ein junger Werftarbeiter verliert durch einen Schmerzanfall jegliche Orientierung. Nach dem Tod ihres Mannes sucht eine Frau nach ihrem Bruder und findet sich auf einer Weihnachtsfeier wieder, auf der es nur Geschenke aus dem Wrack einer alten Fähre gibt. Familien- und Liebesbeziehungen sind für Mirko Bonné stets brüchig; Erwachsene wie Kinder bewegen sich in Parallelwelten und setzen alles daran, die Wirklichkeit zu hinterfragen und mit ihrer Fantasie zu bereichern. Am äußersten Ende Südamerikas gelegen und zur Hälfte Chile, zur anderen Argentinien zugehörig, steht Feuerland bei Mirko Bonné für eine unheimliche Grenzregion, es ist zugleich Sehnsuchtsort und gefährliches Reich der Imagination. Von feiner Melancholie durchzogen, lassen diese Erzählungen unsere vermeintlich vertraute Welt mit neuen Augen sehen.
Autorenporträt
Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt als Schriftsteller und Übersetzer in Hamburg. Sein vielfältiges Œuvre umfasst neben viel beachteten Romanen Gedichtbände, Erzählungen und Übersetzungen, darunter zuletzt Grace Paley, Henry James und Joseph Conrad. Für sein Werk wurde er mit dem Prix Relay (2008), dem Marie-Luise-Kaschnitz-Preis (2010) sowie dem Rainer-Malkowski-Preis (2014) ausgezeichnet und mehrfach für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015

Das Funkeln des Eichelhähers
Mirko Bonné umkreist in seinem Erzählungsband „Feuerland“ magische Zwischenzustände
Das Wort „Feuerland“ weckt Assoziationen. Die entlegene, unzugängliche Zone im Süden Südamerikas dehnt sich Richtung Südpol aus: eine Region, die über natürliche Grenzen hinauszugehen scheint und fantastische Räume ahnen lässt. In allen elf Erzählungen, die Mirko Bonné in einem Band versammelt, taucht „Feuerland“ auf, oft nur in einem Halbsatz oder in einer versteckten Randbemerkung, aber dadurch wird die Stelle poetisch aufgeladen, stellt einen geheimen Zusammenhang her. Es ist jedes Mal ein konkreter Hinweis auf etwas Unbestimmtes.
  Nur in der ersten Erzählung ist die Vision von Feuerland klarer konturiert. Jan-Erik, der mit Anfang zwanzig auf einer Werft arbeitet, hat zwei Jahre gespart und will nun seinen Traum umsetzen: eine Motorradrundreise in Südchile. In der Beschreibung seines Elternhauses, in den kurzen Andeutungen seines Alltagslebens schimmert durch, dass diese Feuerland-Vision ein großer Versuch des Ausbruchs ist, ein Gegenentwurf – als Jan-Erik das Kinderzimmer betritt, aus dem er vor wenigen Jahren ausgezogen ist, fällt das Wörtchen „vernachlässigt“. Es meint nicht nur den Zustand des Zimmers, sondern es wirft auch ein diffuses Licht auf die Beziehung zu seinen Eltern.
  Dann aber gibt es eine kleine, irritierende Verschiebung, einen typischen Bonné-Moment, einen Schwenk ins Fantastische: Jan-Erik entdeckt einen Eichelhäher in seinem Zimmer. Er scheint durch das geöffnete Fenster gekommen zu sein, aber bald stellt Jan-Erik fest, dass sich seine Mutter den Vogel wie eine Art Haustier hält.
  Es liegt in der Luft, dass sie diesem Vogel mehr Gefühle entgegenbringt als ihrem Sohn. Undefinierbare, starke Schmerzen Jan-Eriks ziehen sich durch die ganze Geschichte, und am Tag vor seiner geplanten Abreise wird klar, dass sein körperlicher Zustand die Fahrt nicht zulässt – er hingegen will es nicht glauben, bricht schließlich zusammen, und in seinen Fantasien verschmilzt die konkrete Situation auf dem Zwischendeck mit Szenen aus dem erträumten Feuerland. Im Mund eines chilenischen Jungen, der sich von dort zu ihm herunterbeugt, sieht er anstelle eines Eckzahns einen Edelstein funkeln, und dieser tritt in eine unauslotbare Beziehung zum Eichelhäher, der es liebt, den Ohrstecker seiner Mutter zu stibitzen. Dieses Bild bleibt stehen, es hat ein poetisches Funkeln wie in einem Gedicht.
  In jedem dieser nüchternen, sachlich anmutenden Prosastücke steckt ein solches Gedicht. Das Feuerland-Leitmotiv funktioniert auf dieselbe Weise. Es steht für die Leerstelle, die es in den Beziehungskonstellationen all dieser Erzählungen gibt: Ehe- und Familienbindungen, Unausgesprochenes und Unerlöstes, etwas schwer Greifbares scheint zwischen den Figuren zu stehen. Grenzüberschreitungen sind das unausgesprochene Thema.
  Die Sehnsucht nach Liebe und Aufgehobensein verirrt sich schnell in Sackgassen, führt zu grotesken Verrenkungen. Wie in seinen Romanen fasziniert auch in diesen Erzählungen Mirko Bonnés Fähigkeit, Schwebezustände zu erzeugen, eine Trance wie bei langsamen Kamerafahrten, die in einem künstlichen Dämmerlicht stattfinden, in dem die Übergänge zum Traum nicht mehr genau zu orten sind. So wird der „Zustand“ der Schwester eines der Protagonisten nie konkret benannt, eine rätselhafte Krankheit, die zeitweilig zu Absencen führt. Dass sie gerne Pilze zu sich nimmt, „muffige Ritterlinge, leichte Halluzinogene“, stellt einen Zusammenhang her, der aber kein kausaler ist.
  Die Bonnéschen Schwebezustände können unheimlich, aber auch anziehend sein. Oft sind Gefühlsverbindungen gestört, doch innerhalb dieser Störungen entfaltet sich gelegentlich etwas Magisches. Und die Grenzüberschreitungen können dabei auch ganz konkret werden. Einmal geht es um ein sexuelles Verhältnis zwischen Onkel und Nichte, ein anderes Mal entzieht sich die Ich-Stimme einer eindeutigen geschlechtlichen Konnotation. Es wird bis zum Schluss offengehalten, ob hier eine Frau oder doch ein Mann spricht, über das merkwürdig widersprüchliche Hingezogensein zu einem „Angeber“, der beim Tauchen tödlich verunglückt ist.
  Das Traumverhangene der Bonnéschen Texte hat immer auch eine laszive, erotische Komponente. In „Transit“, der Geschichte, in der sich ein deutscher Austauschschüler zwischen jugendlichen Punks im England der Achtzigerjahre wiederfindet, ebenso wie in der längsten Erzählung „Eine Welle“. Inka ist hier mit ihrem Freund Lasse nach Portugal gefahren, vor allem aber mit seinem Iso Grifo, einem aufsehenerregenden Oldtimer, der Lasse vollkommen auszufüllen scheint. Sie fragt sich, ob sie ihn vielleicht immer weniger liebt, genießt sich aber zugleich in der ästhetischen Einheit mit dem Auto, dem sie Konkurrenz zu machen versucht.
  Mit einem Prickeln spürt Inka die Blicke der portugiesischen Jungen. Die südliche Sonne, das Meer, der Bikini und die nassen Haare – Inka sieht sich mit den Augen der männlichen Einheimischen, wittert aber auch die Gefahr, die hier lauern könnte, und etwas Lustvolles daran. Am nächsten Tag verwirren sich dann die Handlungs- und Assoziationsstränge, bis das Spiel mit Verlockung, Fantasie und Gefahr seinen Höhepunkt erreicht, als der junge Augusto sie mitnimmt ans Meer. Sie schwimmen zu einem Bretterponton, wo sie sich halb küssen lässt und halb verweigert. Die Narbe Augustos, das Floß im Meer, der Papstbesuch und der Iso Grifo ergeben ein Bedeutungsgefüge, das wie in der Lyrik vieles offenlässt und doch vieles sagt.
  In dieser Erzählung zeigt sich Mirko Bonné auf der Höhe seiner Kunst: ein stiller Autor, der jedoch zu den eigenständigsten seiner Generation gehört und konsequent an seinem System der Verweisungszusammenhänge arbeitet. Manchmal stecken in einer Erzählung bei ihm gleich mehrere Romane.
HELMUT BÖTTIGER
Mirko Bonné: Feuerland. Erzählungen. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2015. 232 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 15,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Elmar Krekeler ist zufrieden mit Mirko Bonnés Erzählband. Die Neigung des Autors zu Figuren, die verschwinden wollen, zu enzyklopädischer Breite und Tiefe, zu weit schwingenden Welten und einem eleganten wie doppelbödigen Erzählen findet er hier wieder. Bonnés echte und imaginierte Geschichten um Feuerland, diesen Sehnsuchtsort, diesen Transitraum für biografisch Bekümmerte, wie Krekeler meint, scheinen dem Rezensenten miteinander zu korrespondieren. Langweilig ist das nicht, wenn auch mitunter nah am Kitsch, schreibt er.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Geschichten kommen so daher und dann ist man von ihnen gefangen, von ihnen gebannt.«
Manuela Reichart, Deutschlandradio Kultur

»Dieses Erzählen ist elegant, geschmeidig, doppelbödig.«
Elmar Krekeler, Literarische Welt

»Wie in seinen Romanen fasziniert auch in diesen Erzählungen Mirko Bonnés Fähigkeit, Schwebezustände zu erzeugen (...). Manchmal stecken in einer Erzählung bei ihm gleich mehrere Romane.«
Helmut Böttiger, Süddeutsche Zeitung

»Mirko Bonné ist der schreibende Spezialist für das Verschwinden.«
Paul Heilig, Moka Magazin

»Mit jedem Satz trifft Bonné eine Feststellung, Metaphern leistet er sich selten: Und dann sind sie aufsehenerregend und grandios.«
Ingrid Mylo, Badische Zeitung