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Rote Elefanten auf deutschen Fahnen: Der britische Historiker Andrew Roberts taucht den Zweiten Weltkrieg ins Zwielicht strategischer Spekulationen.
Von Andreas Kilb
Gesamtdarstellungen des Zweiten Weltkriegs sind nicht die Stärke der deutschen Geschichtswissenschaft. Zwar gibt es seit 2008 das vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt herausgegebene zwölfbändige Riesenwerk "Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg", aber wer nach kompakteren Erzählformen sucht, ist immer noch auf angelsächsische oder französische Autoren angewiesen. Vor dreißig Jahren waren das Raymond Cartier und Basil Liddell Hart, heute sind es John Keegan und Antony Beevor. Die Herausforderung an die Autoren ist dabei immer noch dieselbe: den Krieg in allen Aspekten zu schildern, ohne sich in Kleinigkeiten zu verlieren; die politischen Verhältnisse der kriegführenden Mächte in den Blick zu nehmen, ohne darüber den Gang der Ereignisse zu vernachlässigen.
Der britische Historiker Andrew Roberts hat sich dieser Aufgabe mit Verve gestellt. Nach einer kurzen Einleitung skizziert er auf 750 Textseiten die dramatischen Entwicklungen vom Überfall der Wehrmacht auf Polen bis zur Kapitulation Japans im August 1945. Dabei entgeht ihm kaum ein wichtiges Detail, auch wenn man sich fragt, ob der U-Boot-Krieg im Atlantik, das "Inselspringen" der Amerikaner im Pazifik, die Konferenzen von Teheran und Jalta oder die sowjetische Schlussoffensive auf Berlin nicht doch breiteren Raum verdient gehabt hätten. Aber es sind nicht solche Nebensachen, die den Erkenntnisgewinn dieses Buches trüben - und es ist auch nicht das mit vierzig Seiten sehr kurz geratene Kapitel über die Judenvernichtung, in dem Roberts die Frage, ob die alliierten Luftstreitkräfte Auschwitz hätten bombardieren sollen, zwar in aller Ausführlichkeit diskutiert (und verneint), aber das bürokratische System, das die Ermordung von sechs Millionen Menschen organisierte, nur sehr oberflächlich umreißt.
Nein, das, was der Darstellung von Roberts fast von Anfang an eine unangenehme Schlagseite gibt, ist ihre Haltung zu ihrem Gegenstand. Roberts betrachtet den Zweiten Weltkrieg nicht als im Einzelnen kontingentes, aber aufgrund der Kräfteverhältnisse insgesamt unvermeidlich ablaufendes Gewaltgeschehen, sondern als militärisches Planspiel, das auch ganz anders hätte ausgehen können. Das beginnt bei der Manöverschelte für den Befehl, der die deutschen Panzer vor Dünkirchen stoppte, während die Royal Navy das britische Expeditionskorps evakuierte, und setzt sich fort in der Betrachtung der strategischen Alternativen, die Hitlers Armeen bei Kriegsbeginn im Mittelmeerraum hatten. "Mit einem Bruchteil der beim Unternehmen ,Barbarossa' eingesetzten Soldaten", so Roberts, hätte die Wehrmacht Gibraltar, den Nahen Osten und die Golfregion erobern, den Suezkanal blockieren und Großbritannien von der Ölversorgung abschneiden können. Aber: "Hitler entschied sich stattdessen im Juli 1940 für den Angriff auf die Sowjetunion im darauffolgenden Frühjahr."
Es ist weniger die kontrafaktische Erörterung von Handlungsmöglichkeiten als die Ausblendung aller ideologischen und geographischen Gegebenheiten, die solche Gedankengänge ebenso überflüssig wie unhistorisch macht. Hitler schickte im Juli 1940 keine Armee nach Nordafrika, weil die Italiener dort noch auf dem Vormarsch waren, und er wollte die Golfregion nicht erobern, weil der "Lebensraum im Osten", auf den seine gesamte Kriegsplanung zielte, nicht dort, sondern östlich der Weichsel lag. Aber der armchair general Roberts schaut eben von ganz weit oben auf das Gewimmel am Boden, und aus dieser himmelhohen Perspektive liegen die geschichtlichen Optionen klar zutage. "Hätten die Nazis bereits zu Kriegsbeginn über so viele einsatzfähige U-Boote verfügt wie im März 1945 - also über 463 Einheiten anstelle von nur 43 -, hätten sie den Krieg vielleicht gewonnen." Und hätte Hitler den Krieg um ein paar Jahre verschoben, "und wären die Fabriken für die Panzer- und Flugzeugproduktion besser geschützt und so im Reichsgebiet verstreut gewesen, dass ihre Zerstörung für die Alliierten schwieriger gewesen wäre", dann hätte sein Reich eine noch bessere Chance gehabt.
Der Gipfel dieser Sandkastengedankenspiele ist erreicht, wenn Roberts am Ende des Kapitels über die Judenvernichtung die Figur eines vom Antisemitismus geheilten "Führers" auf sein welthistorisches Schachbrett stellt: Dieser "hätte 1939 möglicherweise Millionen der klügsten und bestausgebildeten Europäer für die deutschen Kriegsanstrengungen einspannen können, darunter auch mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Atomphysiker". In England und Amerika, wo das Buch vor zehn Jahren erschienen ist, hat man an solchen Sätzen keinen Anstoß genommen. Hierzulande liest man sie mit Schaudern.
Roberts' Strategieseminar läuft auf eine schlichte Tautologie hinaus: Hitler habe den Krieg aus demselben Grund verloren, aus dem er ihn begann - "er war ein Nazi". Was das aber hieß, worin die nationalsozialistische Ideologie bestand und welche Rolle der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion in ihr spielte, ist Roberts keine tiefere Überlegung wert. Lieber lässt er sich seitenlang über Pétains Altersschwäche, Montgomerys Arroganz und Schukows Lust an Hinrichtungen aus oder bramarbasiert über das "steinerne Herz" der Roten Armee, das sich beim Anblick der zerstörten und ausgemordeten russischen Städte auf dem Vormarsch nach Westen noch "weiter verhärtete".
Man kann es auch anders ausdrücken: "Feuersturm" ist ein Buch, das der Anekdote den Vorrang vor der Analyse gibt und lieber aus Soldatentagebüchern und Generalsmemoiren als aus wirtschafts- und technikgeschichtlichen Studien zitiert. Das beschleunigt die Lektüre, zeigt aber auch die Grenzen einer rein ereignisorientierten Historiographie. Ein freihändig formulierter Satz wie jener über den stalinschen Terror, den es "wahrscheinlich eben doch" gebraucht habe, "um die Sowjetunion im Krieg zu halten", ersetzt eben kein Expertenwissen zum Stalinismus. Immerhin erfährt man bei Roberts nicht nur, was Goebbels während der Alliierten Invasion in Süditalien las - "So grün war mein Tal" -, sondern auch, dass das Militärmuseum in Stalingrad Originalzeichnungen des deutschen Generals Paulus von 1942 aufbewahrt. Sie zeigen rote Elefanten, die auf einer deutschen Fahne herumtrampeln. So machte sich jeder sein eigenes Bild.
Andrew Roberts: "Feuersturm". Eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
Aus dem Englischen von Werner Roller. Verlag C. H. Beck, München 2019. 896 S., Abb., geb., 39,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Welt.de, Berthold Seewald
"Präzise und auf der Höhe angelsächsischer Kunst der Geschichtserzählung."
Süddeutsche Zeitung, Joachim Käppner
"Glänzend erzählte Geschichte."
Timothy Snyder, The New York Times Book Review
"Mit seiner hervorragend geschriebenen, umfassenden Neuerzählung des größten Konflikts der Geschichte, liefert Roberts ein Meisterstück."
Ian Kershaw, The Guardian Books of the Year
"(...) die beste einbändige historische Darstellung des Zweiten Weltkriegs (...)"
Michael M. Uhlmann, Claremont Review of Books
"(...) meisterhafte Beherrschung von Stoff, Stil und, ja, Statistik (...)"
Aram Bakshian, The American Spectator
"(...) die erste durchweg lesbare Geschichte des Zweiten Weltkriegs; ein literarischer und historischer Blitzkrieg (...)."
John R. Coyne, The Washington Times
"Roberts hat einen luziden Erzählstrom geschaffen, der dieses Buch flüssig wie einen Roman macht."
Wiley Hilburn, Shreveport Times
"(...) ein meisterhafter Erzähler (...)"
Publishers Weekly
"Eine schwungvolle und elegante Synthese umfangreicher Forschungsergebnisse (...)"
Kirkus Reviews
"Eine ebenso fundierte wie gut erzählte Einführung, die auch dem Kenner etwas zu bieten hat."
Library Journal Advanced Reviews
"Roberts ist ein großartiger Erzähler (...) es könnte sogar sein Meisterwerk sein."
Dan Jones, The Times History Books of the Year
"Er beweist einen eleganten Schreibstil, zähe Recherche und einen hellwachen Verstand."
The Economist
"(...) beschert furioses Lesevergnügen (...)."
Keith Lowe, The Daily Telegraph
"Ein Meisterwerk, ein unglaublich lesenswertes Kunststück historischer Verdichtung, in angenehmem Tempo erzählt."
Ina Pindar, The Guardian
"Eine überaus gelungene Gesamtdarstellung des Zweiten Weltkrieges."
Amerindian Research