Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns Nachtstücke1 werden 1816 und 1817 von der Realschulbuchhandlung in Berlin veröffentlicht. Hatte die zeitgenössische Literaturkritik Hoffmanns Fantasiestücke in Callot's Manier noch durchaus positiv aufgenommen, ist die Reaktion auf die Nachtstücke sehr viel verhaltener. So weist der einflussreiche schottische Schriftsteller Sir Walter Scott den Sandmann, der den Erzählband eröffnet, als im Opiumrausch entstandenes Machwerk zurück, das gegen jeden guten Geschmack verstoße, und Johann Wolfgang Goethe verurteilt die Nachtstücke als "krankhafte [...] Werke" eines "leidenden Mannes". Auch die literaturwissenschaftliche Forschung hat die Bedeutung der Nachtstücke spät erkannt, doch die meisten der acht Geschichten waren und sind Gegenstand zahlreicher Arbeiten. Die selten beachtete Erzählung Ignaz Denner bildet in diesem Kontext eine große Ausnahme. So verurteilt beispielsweise der Hoffmann-Biograph Eckart Klessmann dieses zweite Nachtstück als "eine der schwächsten Geschichten Hoffmanns". Wie kommt eine solche Einschätzung zustande? Renate Böschenstein sieht einen Grund in der "Textoberfläche, deren [...] transparente Struktur vom Kampf [...] des Göttlichen und des Teuflischen [...] beherrscht ist." Diese scheinbare Eindeutigkeit der Erzählung lässt sie womöglich als nicht-interpretationsbedürftig erscheinen. Diese Arbeit soll nun der Frage nachgehen, ob sich Hoffmanns Geschichte vom frommen Revierjäger Andres und dem Räuberhauptmann und Kindermörder Ignaz Denner als Studie über die Zwiegespaltenheit des Menschen interpretieren lässt. Demnach ließe sich die These formulieren, dass Denner und Andres eine Einheit darstellen, in der sowohl die gute, als auch die schlechte Seite der menschlichen Seele repräsentiert sind. Um diese These zu unterstützen werde ich in einem ersten Schritt Textstellen analysieren, um das Verhältnis zwischen Ignaz Denner und Andres zu beleuchten. Besondere Aufmerksamkeit gilt hier der Konstruktion der auf mehreren Ebenen wirkenden engen gegenseitigen Bindung, die beide Figuren im Laufe der Handlung in immer größere Abhängigkeit treibt. Das zweite Kapitel soll die Erkenntnisse des Arztes und Philosophen Gotthilf Heinrich Schubert, dessen Werk Hoffmann gut kannte und unter anderem in den Elixieren des Teufels literarisch verarbeitete,8 in den Interpretationsvorgang einbeziehen. Abschließend werde ich auf den Geltungsradius einer solchen Interpretation eingehen.
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