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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Mit der Nordirin Jan Carson tritt eine neue Erzählgeneration an: "Firestarter" ist ein bildstarker, ironischer Belfast-Roman.
Populär ist Fußball überall. In dieser Stadt aber mögen die Leute, wie wir lesen, "Fußball ganz besonders, weil es ein Spiel mit zwei Parteien ist und dabei getreten wird". In dieser Stadt, so lesen wir weiter, "gibt es Dutzende von Männern, die nicht wissen, wohin mit ihrer Wut". Diese Stadt "hockt am Rande des Kontinents wie ein Parkplatz neben dem europäischen Festland", doch kaum jemand will hier noch parken. "Diese Stadt ist wie ein Begriff, der früher ein Schimpfwort war und danach strebt, eine positive Bedeutung zu erhalten."
Die Rede ist von Belfast, seit Jahrhunderten ein Vorposten englischer Macht auf der irischen Insel, seit Jahrzehnten Kampfplatz der gewalttätigen Auseinandersetzungen eines Bürgerkriegs, den man auf Englisch nur "the Troubles" nennt, und seit dem Brexit eine Metropole vor der EU-Außengrenze. Einst wurde die Titanic hier gebaut, seither fühlt sich die Stadt im Abseits und im Niedergang. Das fordert große Literatur heraus. Vor fünf Jahren entwarf die Nordirin Anna Burns mit "Milkman" ein grandios beklemmendes Belfast-Porträt der Siebzigerjahre, namenlos und surreal. Jetzt tritt mit Jan Carson, Jahrgang 1980, eine jüngere Erzählgeneration auf den Plan.
Ihr Roman spielt im Sommer 2014, als das Karfreitagsabkommen zwischen den verfeindeten Parteien in Nordirland eigentlich die Zeit der Gewalt längst beendet haben sollte. Doch deren Spuren wirken weiter, teils in traumatischen Erinnerungen vieler Stadtbewohner, teils in der durch Maschendraht und Mauern streng segmentierten Stadttopographie, vor allem aber in den aggressionsgeladenen Ritualen, mit denen protestantische Traditionsvereine bis heute einen militärischen Sieg ihres Helden im Jahr 1690 durch Marschparaden und Straßenfeuer feiern. Alljährlich eskaliert die Lage daher Mitte Juli, im Jahr 2014 durch das Endspiel der Fußball-WM in Brasilien zusätzlich angeheizt (denn auch deren Ausgang wird parteiisch zugerechnet: "Die falsche Mannschaft hat gewonnen, was bedeutet, dass in bestimmten Teilen der Stadt die richtige Mannschaft gewonnen hat."). In starker, bildmächtiger Sprache beschwört der Roman diesen Ausnahmezustand herauf: "Belfast wird durch die Sonne und die Dutzende Julifeuer zum Glutofen. Die größten Feuer können nicht unter Kontrolle gehalten werden, stürzen ein und strömen die Straßen hinunter wie flüssige Lava", heißt es in Stefanie Schäfers registerreicher Übersetzung, zuweilen mit biblischem Orgelpunkt: "Es gleicht dem Ausblick auf die Apokalypse: Vermummte Kinder essen Eis, während die ganze Stadt hinter ihnen so rot erglüht wie die Hölle."
Im Zentrum des Romans jedoch steht gar nicht der politische Konflikt, sondern die Verzweiflung zweier Väter, von der nackten Angst getrieben, dass ihre Kinder zu Agenten tödlicher Gewalthandlungen werden oder schon geworden sind und deshalb unschädlich gemacht werden müssen. Beide lieben ihre Kinder, beide aber fürchten, dass sie die Gefahren, die von ihnen ausgehen, eigenhändig bannen müssen, um noch schrecklicheres Unheil abzuwenden. Beide entschließen sich daher zu drastischen Aktionen, die in den Schlusskapiteln mit eiskalter Präzision erzählt werden. Doch ob die wohlmeinenden Väter zu Recht handeln oder nicht, bleibt offen.
Carson erzählt ihre Geschichte episodisch und kaleidoskopisch, in vielfach wechselnden Stimmen und Perspektiven, zuweilen distanziert ironisch, zuweilen als persönlicher Erlebnisbericht, streckenweise auch als intensive und intime Selbstaussprache wie bei einer Beichte. Daraus entsteht kein kontinuierlicher Erzählstrom, sondern ein Patchwork-Text, der seine Nähte zeigt und seine Risse ausstellt und auf diese Weise für uns sinnfällig werden lässt, dass es von dieser fraktionierten Stadt bislang keinerlei bruchlose, gemeinsame große Erzählung gibt und geben kann.
Ohnehin hat die Autorin an realistischem Erzählen nur begrenzt Interesse. Sie durchschießt vielmehr ihr Textgewebe mit mythisch-magischen Erzählfäden und reiht phantastische Figuren - Sirenen, Vampirinnen, einen Jungen mit Räderfüßen, ein Mädchen mit Flügeln und dergleichen mehr - wie selbstverständlich in ihre Galerie der Stadtbewohner ein. Insbesondere Kinder sind es, die mit solcherlei wunderlichen Merkmalen gezeichnet sind und damit die Routinen einer Alltagswelt, die in ihren Frontlinien erstarrt, herausfordern. "Kinder, die nicht normal sind" oder "Unglückskinder" werden sie genannt, vermutlich weil sie ihren Eltern einiges an Zusatzaufwand abverlangen. Doch erzählerisch sind sie ein Glück, denn als Widerhaken der Erzähltextur bewahren sie den Stadtroman vor einem gleitenden Übergang in die Sozialreportage. In Indien, so heißt es, soll es noch viel mehr von ihnen geben. Mit diesen Kindern erweist die Autorin daher Salman Rushdie Reverenz, der mit seinen epochalen "Mitternachtskindern" vor vier Jahrzehnten schon das Trauma einer gewaltgezeichneten Gesellschaft in solche magischen Figuren gebannt hat.
"Firestarter", im Original 2018 erschienen und mit dem Literaturpreis der Europäischen Union ausgezeichnet, ist Jan Carsons zweiter Roman und ihr deutschsprachiges Debüt; ihr erster Roman und eine Sammlung ihrer Short Storys warten noch auf ihre Übersetzung. Doch schon jetzt zeigt sich eindrucksvoll, warum es Autorinnen wie ihr zu danken ist, dass der Name Belfast längst nicht mehr zum Schimpfwort taugt. TOBIAS DÖRING
Jan Carson: "Firestarter". Roman.
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer. Liebeskind Verlag, München 2023. 360 S., geb., 24,- Euro.
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