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Max Flametti ist Direktor einer kleinen Varieté-Truppe, bestehend aus Damenimitator und Schlangenmensch, Jodlerterzett, Klavierspieler und Sängerin. Doch die Geschäfte laufen schlecht, und Flametti kann nur mit Mühe und Not das Überleben seines Betriebs sichern. Dafür geht er, wenn es sein muss, auch schon einmal angeln und verkauft seinen Fang an diverse Restaurants und Händler. Doch dann kommt Flametti die Idee zu einer Revue-Nummer, die er “Die Indianer” nennt. Er selbst gibt dabei den stolzen Häuptling der Delawaren, dessen Leben und Sterben im Mittelpunkt stehen. Die Nummer wird zu einem…mehr

Produktbeschreibung
Max Flametti ist Direktor einer kleinen Varieté-Truppe, bestehend aus Damenimitator und Schlangenmensch, Jodlerterzett, Klavierspieler und Sängerin. Doch die Geschäfte laufen schlecht, und Flametti kann nur mit Mühe und Not das Überleben seines Betriebs sichern. Dafür geht er, wenn es sein muss, auch schon einmal angeln und verkauft seinen Fang an diverse Restaurants und Händler. Doch dann kommt Flametti die Idee zu einer Revue-Nummer, die er “Die Indianer” nennt. Er selbst gibt dabei den stolzen Häuptling der Delawaren, dessen Leben und Sterben im Mittelpunkt stehen. Die Nummer wird zu einem Überraschungserfolg, Flametti sichert sich alle Rechte, und der einstmals drohende Ruin der Truppe scheint abgewandt. Aber das Blatt wendet sich abermals gegen Flametti, als er von zweien seiner Artistinnen wegen Missbrauchs verklagt wird. Eine Beschuldigung, deren Wahrheitsgehalt nicht gerade unwahrscheinlich ist… Der Autor Hugo Ball, bekannt für seine dadaistischen Events im “Cabaret Voltaire“, erzählt hier eine kleine, feine Geschichte, mit wenigen Protagonisten, und lässt die billigen Absteigen und das prekäre Künstlermilieu der Zeit erfahrbar werden. Die Figuren werden zu glaubwürdigen Existenzen, die er in jedem Moment ernst nimmt. Im Mittelpunkt stehen Flametti und seine Frau Jenny, das Varieté-Ensemble tritt vor allem als eine Art Störfaktor in Erscheinung. Die Künstlerinnen und Künstler stellen Ansprüche an den Direktor, sie beschweren sich über zu geringe Gagen, über minderwertiges Essen, über ungeheizte Unterkünfte und über Flamettis Übergrifflichkeiten. Der ist cholerisch, ohne Impulskontrolle und notorisch knapp bei Kasse. Es wird eine Geschichte erzählt, in der immer etwas los ist. Es gibt zwar allerlei Kuriositäten, aber von Dadaismus ist in diesem Roman, anders als in Balls “Tenderenda“, nicht viel zu spüren. “Flametti” ist einfach ein gut erzählter kleiner Roman.
Autorenporträt
Ball, HugoHugo Ball (1886-1927), Gründer des Zürcher «Cabaret Voltaire» und Erfinder des Dadaismus ist einer der merkwürdigsten und anregendsten Figuren der literarischen Moderne. Sein Werk sind von zahlreichen abrupten und scheinbar widersprüchlichen Wandlungen gekennzeichnet, die der vorliegende Band nachverfolgt und als Ausdruck einer konsequenten gedanklichen Weiterentwicklung zu deuten versucht. "Wie waren wir Dir dankbar für den heissen, rücksichtslosen Wahrheitsdrang deiner Zeitkritik!" schrieb einst sein Freund Hermann Hesse, während Friedrich Glauser festhielt: "Das war ein Mensch von einer Sauberkeit, wie sie wohl alle hundert Jahre nur einmal vorkommt. Ball war einer jener seltenen Menschen, denen Eitelkeit und Pose völlig fremd sind. Er stellte nichts vor, er war."
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hans-Christian Riechers ahnt, wie aus der Wirklichkeit, die Hugo Ball in seinem Roman schildert, später Dada wurde. Die Erzählung über das Leben der kleinen Künstler der Zürcher Weltkriegs-Bohème liest Riecher als Vorgeschichte der Bewegung, erkennt in einzelnen Figuren den Autor selbst und seine Lebensgefährtin Emmy Hennings wieder. Auch wenn Dada in Aktion im Buch nicht vorkommt, wie die "Neue Sachlichkeit" sich formiert, kann der Rezensent anhand der Sprache des Romans förmlich ablesen. Mal schreibt Ball expressionistisch wie Trakl, dann ganz nüchtern wie Fallada. Die schöne Gestaltung des Bandes, das informative Nachwort und ein bisher ungedrucktes Vorwort machen das Buch für Riecher zu einem Leseereignis.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2016

Herr Flamingo
lässt bitten
Hugo Balls Roman „Flametti oder
Vom Dandysmus der Armen“
„Ich bin Artist, Kapellmeister, Redakteur, alles mögliche zu gleicher Zeit“, schreibt Hugo Ball 1915 in einem Brief. Er tritt damals, mitten im Weltkrieg, mit einer Varietétruppe in der neutralen Schweiz auf, ist, wie man heute sagen würde, äußerst prekär beschäftigt und erträumt sich ein „eigenes Ensemble“. Ein Jahr später wird er als „Ober-Dada“ in die Geschichte eingehen, inspiriert von „grenzenloser Liebe zum Anderssein“, die er seinem Tagebuch anvertraut. Zeit zum Romanschreiben hat er nicht, und so bleibt ein Text, den er über die Varietétruppe schreibt, vorerst unvollendet. Er stellt ihn erst fertig, als er dem Dada-Hauptquartier, dem Cabaret Voltaire schon wieder den Rücken gekehrt hat.
  „Flametti oder Vom Dandysmus der Armen“ ist also kein Dada-Roman, sondern ein Schlüsselroman über die Vorgeschichte von Dada Zürich. Flametti etwa, der Titelheld, lässt leicht den Varietédirektor Ernst Michel, genannt Flamingo, erkennen, der stille Herr Meyer am Klavier den Verfasser Hugo Ball, die Sängerin und Tänzerin Laura seine Lebensgefährtin Emmy Hennings. Doch kein Tristan Tzara zeigt sich, kein Hans Arp. Dada kommt hier nur als Anspielung vor. So leitet den Auftritt des frivolen Indianervarietés ein musikalisches „Dadadadada umba, umba um!“ ein, eine Selbstparodie des Lautlyrikers Ball. An diesem Abend ist außerdem ein „Fräulein Dada“ zugegen, eine der Miserablen aus dem Milieu, denen kein Mitleid als das des Erzählers zuteil wird.
  Statt Dada in Aktion bietet der Roman jedoch etwas anderes, einen Vorgeschmack auf die „Neue Sachlichkeit“. Man kann dem Stilwandel in diesem Roman förmlich zusehen: „Blaugrauer Nebel blähte die Türme am Wasser“, ein expressionistischer Satz wie aus einem Trakl-Gedicht, steht da ganz am Anfang auf der gleichen Seite wie diese Passage: „Im Automatenrestaurant nebenan fegte, gähnte und scheuerte man. Ein Polizist auf der anderen Strassenseite, nahe beim übernächtig nach Salmiak duftenden Urinoir, sah ziemlich gelangweilt, die Frühluft schnuppernd, über das Kaigeländer hinweg.“ Es braucht nicht die Briefe, in denen Ball Dadaismus, Futurismus und Expressionismus alle zusammen der Kriegslüsternheit zeiht, denn hier lässt sich die innere Abstandnahme deutlich genug nachvollziehen. Hier kuriert jemand seinen Kater aus, will nüchtern, sachlich werden. So wirkt Flametti manchmal, als hätte der junge Hans Fallada – immerhin Balls Generation – einen Roman über die Zürcher Weltkriegs-Bohème geschrieben. Und der Roman endet mit einem ebenso bemüht lakonischen Schlusssatz wie Erich Kästners „Fabian“, nur dass der Held nicht stirbt, sondern pleitegeht.
  Der Roman fängt schon mit der knappen Kostenkalkulation des kleinen Impresarios an. „Bei der Kassierung bleibt die Toilette geschlossen“, muss Flametti dem Publikum später einschärfen, als das groß angekündigte Indianervarieté uraufgeführt wird, der Höhepunkt des Romans. Danach setzt der Verfall rasch ein, ein Engagement in Basel beschleunigt das Ende noch. Überhaupt die Basler, kein Publikum nach dem Wunsch der Artisten: „mit ringförmigen Fischaugen saßen sie da, tranken ihr Bier aus, zahlten und gingen.“ Immerhin, sie zahlen, aber danach bleiben sie fern.
  Schon der Untertitel „Vom Dandysmus der Armen“ weist auf Balls Lust hin, die Hinfälligkeit seiner wenig heldenhaften Helden auszugestalten: Für den Premierenabend herausgeputzt, laufen sie noch immer mit ihren kropfigen Hälsen und ausgeleierten Hüften, ihren falschen Gebissen und feldgrauen Kleidern umher. Rührend spielen sie dabei große Gesellschaft. Das arme Fräulein, dem ein fremder Herr Avancen macht, „lächelte kopfschüttelnd, als sei sie erstaunt, zu lächeln, konnte jedoch ihren Hals nicht recht drehen, weil ein Furunkel daransaß“.
  Der Nimbus-Verlag gibt den Roman nun im Dada-Jahr neu heraus, in schöner Buchgestaltung und mit einigen Beigaben. Das Nachwort des Verlagsgründers und Herausgebers Bernhard Echte ist ein kleiner Schatz der Ball-Kennerschaft. Außerdem ist dem Roman ein bisher ungedrucktes Vorwort beigegeben, in dem sich Ball um eine Ehrenrettung des Lumpenproletariats bemüht, jener von Marx in Verruf gebrachten Klasse, die für keine Revolution zu gebrauchen sei. „Aber diese ‚Lumpen‘ und heimatlosen Gesellen – sie haben doch Wesen, Gestalt und Form.“ Und er fragt: „Ist nicht das ganze menschliche Geschlecht ein – – Lumpenproletariat?“
  Es ist der empathische, sozial sensibilisierte Blick des früheren Nietzscheaners, der die kleinen Künstler des Romans erfasst: „Gefängnis, Skandal, Freudenhaus, Fahnenflucht waren kein Einwand. Artisten kommen aus einer anderen Welt.“ Im Windschatten des Weltkriegs, in dem sich die bürgerliche Gesellschaft selbst in Stücke reißt, tingelt schon ihre kleine Gegengesellschaft umher. Wie daraus Dada werden konnte, der große Purzelbaum über alle bürgerlichen Konventionen und Sinnerwartungen, lässt sich in diesem Roman schließlich doch erahnen.
HANS-CHRISTIAN RIECHERS
Hugo Ball: Flametti oder Vom Dandysmus der Armen. Roman. Mit dem ungedruckt gebliebenen Vorwort. Nimbus Verlag, Wädenswil 2016. 224 Seiten, 28 Euro.
„Mit ringförmigen Fischaugen“
sitzt das Publikum da,
trinkt sein Bier aus und geht
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