Die Anzeichen verdichten sich, doch niemand rechnet wirklich damit: Der Große Indische Aufstand, der auch Sepoy-Krieg genannt wird, bricht 1857 aus. Harry Flashman ist politischer Agent, eine Rolle, die ihm eigentlich gut gefällt, da sie ungefährlich erscheint und man keine Ergebnisse vorweisen muss. Aber wie üblich hat er sich verrechnet und er gerät in die Brennpunkte des Aufstandes. Er lernt die wunderschöne Rani Lakschmibai kennen und lieben, er ist beim Massaker von Kanpur dabei und trifft seinen Freund Ilderim, den Paschtunen. Spannend, abwechslungsreich und voller historischer Details, politisch gewohnt unkorrekt und mit viel Humor.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2021Ein Blick in die afghanische Kristallkugel
George MacDonald Fraser schilderte schon vor 52 Jahren in seinem Abenteuerroman das militärische Debakel
Es ist gut zehn Jahre her, da gab der damalige Kommandeur der Nato-Streitkräfte in Europa (Saceur) eine Literaturempfehlung ab. Der amerikanische Admiral James Stavridis riet dazu, einen Abenteuerroman zu lesen, um zu verstehen, was gerade in Afghanistan vor sich ging: "Flashman" aus der Feder des Schotten George MacDonald Fraser.
Es war eine ungewöhnliche Lektüreempfehlung für einen Offizier. Der Held der Geschichte ist ein wahrer Hallodri, Lügner und Feigling. Aber die wilden Erlebnisse der Romanfigur Harry Flashman sind eingebettet in die vom Autor ziemlich gut recherchierte Geschichte vom katastrophal gescheiterten Rückzug der britischen Interventionsarmee unter dem britischen Generalmajor Elphinstone aus Kabul im Winter 1841/42. Es ist jene Geschichte, die der deutsche Dichter Theodor Fontane in die Zeilen "Das Trauerspiel von Afghanistan" gegossen hat: "Wir waren dreizehntausend Mann / Von Kabul unser Zug begann / Soldaten, Führer, Weib und Kind / Erstarrt, erschlagen, verraten sind." Nur ein Mann konnte sich der Legende nach bis zum nächsten Außenposten der britischen Indien-Armee durchschlagen. Bei Fraser ist es außerdem Flashman, der sich dann in einem belagerten Fort vor Dschalalabad feige verkriecht, dadurch überlebt und irrtümlich für einen Kriegshelden gehalten wird.
Der Roman-Antiheld beginnt seine Karriere als das, was die Angelsachsen einen "Bully" nennen, ein hinterhältiger Kerl, der schwächere Mitschüler piesackt. Er fliegt von der Privatschule Rugby wegen Trunkenheit und Disziplinlosigkeit (hier knüpft der Autor an einen erbaulichen Bildungsroman des 19. Jahrhunderts an, in dem der Antagonist Flashman heißt). Zur Vertuschung seiner Skandale wird er in die Armee gesteckt. Dort gerät er, obwohl er eigentlich einen Druckposten gesucht hat, in die Kolonialstreitkräfte nach Indien, und zwar in den schlimmsten Schlamassel. Man macht ihn zum Adjutanten des Generals, der die Armee in Kabul befehligt, Lord Elphinstone. Flashman nennt seinen Vorgesetzten durchaus despektierlich "Elphy Bey".
Flashman ist vor allem seinen eigenen fleischlichen Gelüsten interessiert, aber auch daran, seine Haut zu retten, egal, was der Ehrenkodex von ihm verlangt. Diese beiden Interessen geraten im Buch öfter miteinander in Konflikt, hindern den Protagonisten aber nicht an einem klaren Blick auf die politischen und militärischen Fehler. Das dürfte es gewesen sein, was die Aufmerksamkeit des literarisch interessierten Saceur vor einem Jahrzehnt an dem 1969 erschienenen Schelmenstück von Fraser so gebannt hat. Heute wirkt der damalige Lesetipp von Admiral Stavridis wie ein Blick in die Kristallkugel.
Die Briten wetteiferten Ende der 1830er Jahren im "Great Game" mit Russland um Einfluss in Afghanistan. Sie führten einen, wie man heute sagen würde, Regime Change herbei, marschierten mit drei Divisionen ein und besetzten Schlüsselpositionen in Kandahar und Kabul. Durch Zahlungen wurden örtliche Stammesführer bei der Stange gehalten. Als alles so weit geordnet erschien, entbrannte in London die innenpolitische Debatte über zu hohe Kosten. Truppen und Subsidien wurden reduziert. Daraufhin war es mit der Ruhe vorbei. Soldaten wurden in Hinterhalte gelockt, Außenposten angegriffen, schließlich die beiden wichtigsten politischen Repräsentanten der Krone in Kabul umgebracht.
Generalmajor William Elphinstone, ältlich und kränklich, militärisch überfordert und politisch naiv (die sarkastischen Beobachtungen "Flashmans" sind historisch durchaus gedeckt), handelte mit Mohammed Akbar einen Abzug aus. Der afghanische Anführer sicherte freies Geleit und den Schutz der Marschkolonne durch eine Eskorte zu. Dafür wurde ihm die Artillerie zurückgelassen. Es sollte sich bald zeigen, was ausgehandelte Zusicherungen wert sind, wenn die andere Seite sämtliche eigenen Optionen aus der Hand gegeben hat und sich als reife Frucht gleichsam auf den Präsentierteller legt.
Der Tross, der im Januar 1842 bei Schneetreiben das Fort bei Kabul verließ, umfasste mehr als 15 000 Personen, davon allenfalls ein Viertel bewaffnete Kräfte. Die übrigen waren Zivilisten: Familienmitglieder, Ortskräfte, Bedienstete. Noch vor Erreichen des Kabul-Flusses wurden die Ersten von Heckenschützen getötet. Von freiem Geleit keine Rede mehr. Stattdessen umschwirrten Freischärler den Zug, schlugen an Schwachstellen zu und machten Beute. Kälte, Hunger und Erschöpfung taten das Ihre, vor allem bei den Zivilisten minderen Ranges. Mehrmals versuchte Elphinstone es wieder mit Verhandlungen, stellte Geiseln, zuletzt sogar sich selbst, aber das änderte nichts am Schicksal seiner Leute. Er sollte im April 1842 in Gefangenschaft an der Ruhr sterben.
Bei Erreichen des Khyber-Passes nach einer Woche war die "Armee" bereits auf wenige tausend zusammengeschmolzen, dann wurde der mürbe gemachte Rest niedergemacht. Das Bild der letzten zwei Dutzend auf einem Hügel bei Gandamak zusammengedrängten Offiziere, "The last Stand" von William Barnes Wollen, ist ikonisch. Nach der Intervention 2001 gab es offensichtlich einen Versuch, das Bild umzudeuten. Ein erobertes Widerstandsnest am Flughafen von Kandahar wurde späteren Besuchern gerne als "TalibanŽs last Stand" gezeigt. So hieß diese Stelle knapp 20 Jahre, inzwischen aber wohl nicht mehr.
STEPHAN LÖWENSTEIN
George MacDonald Fraser "Flashman". Herbert Jenkins, London 1969. Deutsch zuletzt: "Flashman in Afghanistan". Kuebler Verlag, Lampertheim 2011. 384 S., 14,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
George MacDonald Fraser schilderte schon vor 52 Jahren in seinem Abenteuerroman das militärische Debakel
Es ist gut zehn Jahre her, da gab der damalige Kommandeur der Nato-Streitkräfte in Europa (Saceur) eine Literaturempfehlung ab. Der amerikanische Admiral James Stavridis riet dazu, einen Abenteuerroman zu lesen, um zu verstehen, was gerade in Afghanistan vor sich ging: "Flashman" aus der Feder des Schotten George MacDonald Fraser.
Es war eine ungewöhnliche Lektüreempfehlung für einen Offizier. Der Held der Geschichte ist ein wahrer Hallodri, Lügner und Feigling. Aber die wilden Erlebnisse der Romanfigur Harry Flashman sind eingebettet in die vom Autor ziemlich gut recherchierte Geschichte vom katastrophal gescheiterten Rückzug der britischen Interventionsarmee unter dem britischen Generalmajor Elphinstone aus Kabul im Winter 1841/42. Es ist jene Geschichte, die der deutsche Dichter Theodor Fontane in die Zeilen "Das Trauerspiel von Afghanistan" gegossen hat: "Wir waren dreizehntausend Mann / Von Kabul unser Zug begann / Soldaten, Führer, Weib und Kind / Erstarrt, erschlagen, verraten sind." Nur ein Mann konnte sich der Legende nach bis zum nächsten Außenposten der britischen Indien-Armee durchschlagen. Bei Fraser ist es außerdem Flashman, der sich dann in einem belagerten Fort vor Dschalalabad feige verkriecht, dadurch überlebt und irrtümlich für einen Kriegshelden gehalten wird.
Der Roman-Antiheld beginnt seine Karriere als das, was die Angelsachsen einen "Bully" nennen, ein hinterhältiger Kerl, der schwächere Mitschüler piesackt. Er fliegt von der Privatschule Rugby wegen Trunkenheit und Disziplinlosigkeit (hier knüpft der Autor an einen erbaulichen Bildungsroman des 19. Jahrhunderts an, in dem der Antagonist Flashman heißt). Zur Vertuschung seiner Skandale wird er in die Armee gesteckt. Dort gerät er, obwohl er eigentlich einen Druckposten gesucht hat, in die Kolonialstreitkräfte nach Indien, und zwar in den schlimmsten Schlamassel. Man macht ihn zum Adjutanten des Generals, der die Armee in Kabul befehligt, Lord Elphinstone. Flashman nennt seinen Vorgesetzten durchaus despektierlich "Elphy Bey".
Flashman ist vor allem seinen eigenen fleischlichen Gelüsten interessiert, aber auch daran, seine Haut zu retten, egal, was der Ehrenkodex von ihm verlangt. Diese beiden Interessen geraten im Buch öfter miteinander in Konflikt, hindern den Protagonisten aber nicht an einem klaren Blick auf die politischen und militärischen Fehler. Das dürfte es gewesen sein, was die Aufmerksamkeit des literarisch interessierten Saceur vor einem Jahrzehnt an dem 1969 erschienenen Schelmenstück von Fraser so gebannt hat. Heute wirkt der damalige Lesetipp von Admiral Stavridis wie ein Blick in die Kristallkugel.
Die Briten wetteiferten Ende der 1830er Jahren im "Great Game" mit Russland um Einfluss in Afghanistan. Sie führten einen, wie man heute sagen würde, Regime Change herbei, marschierten mit drei Divisionen ein und besetzten Schlüsselpositionen in Kandahar und Kabul. Durch Zahlungen wurden örtliche Stammesführer bei der Stange gehalten. Als alles so weit geordnet erschien, entbrannte in London die innenpolitische Debatte über zu hohe Kosten. Truppen und Subsidien wurden reduziert. Daraufhin war es mit der Ruhe vorbei. Soldaten wurden in Hinterhalte gelockt, Außenposten angegriffen, schließlich die beiden wichtigsten politischen Repräsentanten der Krone in Kabul umgebracht.
Generalmajor William Elphinstone, ältlich und kränklich, militärisch überfordert und politisch naiv (die sarkastischen Beobachtungen "Flashmans" sind historisch durchaus gedeckt), handelte mit Mohammed Akbar einen Abzug aus. Der afghanische Anführer sicherte freies Geleit und den Schutz der Marschkolonne durch eine Eskorte zu. Dafür wurde ihm die Artillerie zurückgelassen. Es sollte sich bald zeigen, was ausgehandelte Zusicherungen wert sind, wenn die andere Seite sämtliche eigenen Optionen aus der Hand gegeben hat und sich als reife Frucht gleichsam auf den Präsentierteller legt.
Der Tross, der im Januar 1842 bei Schneetreiben das Fort bei Kabul verließ, umfasste mehr als 15 000 Personen, davon allenfalls ein Viertel bewaffnete Kräfte. Die übrigen waren Zivilisten: Familienmitglieder, Ortskräfte, Bedienstete. Noch vor Erreichen des Kabul-Flusses wurden die Ersten von Heckenschützen getötet. Von freiem Geleit keine Rede mehr. Stattdessen umschwirrten Freischärler den Zug, schlugen an Schwachstellen zu und machten Beute. Kälte, Hunger und Erschöpfung taten das Ihre, vor allem bei den Zivilisten minderen Ranges. Mehrmals versuchte Elphinstone es wieder mit Verhandlungen, stellte Geiseln, zuletzt sogar sich selbst, aber das änderte nichts am Schicksal seiner Leute. Er sollte im April 1842 in Gefangenschaft an der Ruhr sterben.
Bei Erreichen des Khyber-Passes nach einer Woche war die "Armee" bereits auf wenige tausend zusammengeschmolzen, dann wurde der mürbe gemachte Rest niedergemacht. Das Bild der letzten zwei Dutzend auf einem Hügel bei Gandamak zusammengedrängten Offiziere, "The last Stand" von William Barnes Wollen, ist ikonisch. Nach der Intervention 2001 gab es offensichtlich einen Versuch, das Bild umzudeuten. Ein erobertes Widerstandsnest am Flughafen von Kandahar wurde späteren Besuchern gerne als "TalibanŽs last Stand" gezeigt. So hieß diese Stelle knapp 20 Jahre, inzwischen aber wohl nicht mehr.
STEPHAN LÖWENSTEIN
George MacDonald Fraser "Flashman". Herbert Jenkins, London 1969. Deutsch zuletzt: "Flashman in Afghanistan". Kuebler Verlag, Lampertheim 2011. 384 S., 14,80 Euro.
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Sein Humor ist so schwarz wie getrocknetes Blut. Mit großer Liebe zum Detail malt er jedes Versagen der Weltmacht aus. Und misst dieses Versagen nicht am Vaterland, sondern an der Arroganz seiner herrschenden Klasse. In England wurden seine Bücher zu Bestsellern. Magnus Zawodsky