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Auf Einladung der Rhoxus Foundation verschlägt es den Erzähler Joshua nach Miami. Dort findet er sich in einem smarten Apartment wieder: Geld und Astronautennahrung werden von einer Drohne geliefert, die Temperatur automatisch reguliert, der Kühlschrank ist sein einziger Gesprächspartner. Das Computerspiel »Cloud Control« bietet die einzige Abwechslung, es speist sich in Echtzeit aus den Daten der Gamer. Bei einem NBA-Spiel trifft Joshua die Meeresbiologin Claire, und die beiden reisen nach wenigen Wochen nach Nassau, wo Claire ihm eröffnet, dass sie schwanger ist, jedoch offenlässt, ob das…mehr

Produktbeschreibung
Auf Einladung der Rhoxus Foundation verschlägt es den Erzähler Joshua nach Miami. Dort findet er sich in einem smarten Apartment wieder: Geld und Astronautennahrung werden von einer Drohne geliefert, die Temperatur automatisch reguliert, der Kühlschrank ist sein einziger Gesprächspartner. Das Computerspiel »Cloud Control« bietet die einzige Abwechslung, es speist sich in Echtzeit aus den Daten der Gamer. Bei einem NBA-Spiel trifft Joshua die Meeresbiologin Claire, und die beiden reisen nach wenigen Wochen nach Nassau, wo Claire ihm eröffnet, dass sie schwanger ist, jedoch offenlässt, ob das Kind von ihm ist. Flexen in Miami ist eine Liebesgeschichte, die auf vielfachen Ebenen danach fragt, woher wir wissen können, dass wir da sind, und wie wir einander begegnen können: als Menschen oder Avatare, im Leben genauso wie in der Cloud. In seinem lang erwarteten Roman erzählt Joshua Groß von den diversen Einkerbungen, Traps, Glitches und Unsicherheiten in der Realität, die wir unsere Gegenwart nennen.
Autorenporträt
Joshua Groß, 1989 in Grünsberg geboren, studierte Politikwissenschaft, Ökonomie und Ethik der Textkulturen. 2018 war er zu den Tagen der deutschsprachigen Literatur nach Klagenfurt eingeladen und 2019 erhielt er den Anna Seghers-Preis. Er ist einer der Herausgeber der Anthologie Mindstate Malibu.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2020

Ich glaube, ich habe alles verstanden
Joshua Groß führt mit "Flexen in Miami" in eine Gegenwart der schmelzenden Energiebalken

Es rumort mal wieder in der jungen Gegenwartsliteratur. Literarische Manifeste rund um den Berliner Korbinian Verlag fordern eine neue Sinnlichkeit im Ästhetischen, Anthologien mit unbekannten Autoren prophezeien einen kommenden Paradigmenwechsel der Literatur. In diesen Trend fiel der 2019 erschienene Sammelband "Mindstate Malibu", eine internetverliebte, spielerische Fortführung der Debatte um Popliteratur einerseits und die new sincerity anderseits. Was lange unverbunden war, wollten die hier vertretenen Literaten zusammendenken: die rauschhaften Zustände der Popliteratur, eingebettet in Semantiken der Warenwelt, der Unterhaltungsindustrie und des immer schneller werdenden Internets, und gleichzeitig den nüchtern sezierenden Stil der neuen Ernsthaftigkeit mit den selbstreflexiven Erzählern und ihren diffizilen sozialen Hintergründen. Der 1989 geborene Joshua Groß gehörte zu den Herausgebern von "Mindstate Malibu". Jetzt hat er mit "Flexen in Miami" einen Roman vorgelegt, der mit den Forderungen ernst macht und Motive des Pops so lässig mit der radikalen Subjektivität der Autofiktion zusammenführt, dass man dieser Form von Literatur gern einen eigenen Namen gönnen möchte.

Joshua, Erzähler der Geschichte, ist mit einem Künstlerstipendium nach Miami gekommen. Eingeladen wurde er von einer ominösen Stiftung, die nur in Form einer ihn mit Lebensmitteln und Geld versorgenden Drohne Gestalt annimmt. Von dem Roman, den er schreiben soll, ist bald keine Rede mehr. Stattdessen sitzt er, kammerspielgleich, tagein, tagaus in seinem Zimmer und verstrickt sich in stundenlange Chatforen-Diskussionen über Themen, von denen er nichts versteht. Joshuas Gemütszustände wechseln von absoluter Langeweile zu akutem, durch Klicks und Likes in seinen sozialen Netzwerken quantifizierbarem Gegenwartsstress. Seine Ausschweifungen im Netz unterlegt er mit atmosphärischen Klängen und übersteuertem Sprechgesang, namentlich mit Cloud Rap, einer relativ neuen Spielart des Hip-Hop mit digital- und konsumverliebten Texten. Einmal heißt es, die Beats seines Lieblingsrappers Jellyfish P erinnerten an ein "Gefühl von Adrenalin und unaufhaltbarer Erosion", was zufällig auch eine treffende Beschreibung von Joshuas Lebensgefühl ist.

Für zusätzliche emotionale Erosion sorgt "Cloud Control", ein die Realität simulierendes Computerspiel, das Joshua in seinen Bann zieht. In dieser Parallelrealität werden die Spieler von feindlichen "Spam"-Figuren bedroht. Beunruhigend ist, dass das Computerspiel diese Spams in Echtzeit nach realem Vorbild generiert: Wer in Joshuas sozialen Netzwerken aktiv wird, auf seinem Twitter- oder Facebook-Account, taucht kurz darauf in Cloud Control als Gegner auf und muss umgebracht werden.

Gutes ist wavy, Schlechtes ist Knicklicht

Dann kommt es aber doch noch zu einem Handlungsstrang außerhalb der Wohnung. Bei einem Basketballspiel lernt Joshua die Meeresbiologin Claire kennen. Nach einer etwas rätselhaften Romanze verschwindet sie, nicht ohne vorher bekanntzugeben, dass sie schwanger ist und das Kind auch von dem Rapper Jellyfish P sein könnte. Der zweite Teil des Romans hat nichts mehr mit einem Kammerspiel, dafür aber einiges mit einem psychogenen Roadtrip zu tun. Die beiden möglichen Väter tun sich zusammen und fahren in einem Tesla kreuz und quer durch Florida. Ihr Ziel ist es, fluoreszierende Glassplitter zu finden, die die Existenz eines Paralleluniversums belegen könnten.

Joshua Groß hatte einen Ausschnitt dieses Romans beim Ingeborg-Bachmann-Preis vorgetragen (F.A.Z. vom 9. Juli 2018). Im Juryurteil hieß es, der Text sei gegenwärtig und reich an Kontext. Das ist richtig, aber nicht alles. Über der Geschichte liegt ein dichtes Netz von Metaphern der virtuellen Sphäre. Die Figurenkonzeption nimmt Anleihen bei der Subkultur des Cloud Raps. Joshua, für den Gutes "wavy" ist und der, wenn er flucht, "Knicklicht" sagt, könnte selbst dem Musikvideo eines Yung Hurn oder einer Haiyti entstiegen sein. So entsteht ein Charakterbild voll Pose und Pathos, digital versiert, aber manchmal verloren angesichts der Überzahl an virtuellen Resonanzerfahrungen. Schön zugespitzt findet sich das in diesem Bild: Joshua, der über die Ziellosigkeit seines endlosen Sehnsuchtszustands Tränen vergießt, "in der Hand mein Phone, vor mir der Laptop, überall schmelzende Energiebalken, draußen helllichter Tag".

Ein Topos, der bis in die Tiefe des Textes reicht, ist die Cloud, die virtuelle Wolke der Datenspeicherung, mit der jeder Internetnutzer zu tun hat, deren Funktionsweise aber kaum einer versteht. Sie steht für eine neue Generation des dauerhaft verfügbaren Internets.

Miami als Kulisse und Kristallisationspunkt

Auf die Cloud kann immer und von überall zugegriffen werden, wie geschützt dabei aber die Daten der einzelnen Nutzer sind, ist eine offene Frage. Genauso wie die danach, welche Subjekte die absolute Gegenwärtigkeit, das dauerhafte Erreichbarsein hervorbringen. "Flexen in Miami" betrachtet die schon immer mit Smartphone und sozialen Netzwerken ausgestattete Generation fernab von kulturpessimistischen Ressentiments. Verbirgt sich hinter dem digitalen Überschuss von Zeichen und Sinn oder hinter dem Wahn nach geglätteten Oberflächen eine eigene Form der Gegenwartserfahrung?"Ich glaube, ich habe alles verstanden", sagt immer mal wieder einer im Roman. Dahinter stehen Sprecher, die trotz ihrer allzeit blinkenden Bildschirme keinem Zwang zur Gegenwart verfallen, weder gleichgültig noch zeitlos sind, sondern sich auf eine distinkte Weise abgeklärt durch die Gegenwart bewegen.

Da ist beispielsweise die durch das Internet ermöglichte Auflösung fixer Lokalisierungen. Weil er nur sein Handy mit der Zeitzone synchronisieren muss und bei Google Maps den kürzesten Weg zum Strand erfahren kann, ist Joshua überall genauso wenig zu Hause wie daheim. "Ich war in Miami nie Tourist gewesen, nicht mal an den ersten Tagen, sofort hatte ich da gelebt, genauso belanglos und alltäglich wie überall sonst auch." Warum also Miami? Die südlichste Stadt der westlichen Hemisphäre, akut von Überschwemmung bedroht, scheint in der Gegenwartsliteratur eine wiederkehrende Kulisse für den Kristallisationspunkt des Globalen zu sein. Der Philosoph Armen Avanessian hat diesen Sog des absolut Gegenwärtigen vor einigen Jahren in seinem Reisejournal "Miamification" beschrieben. Eine Idee von Zukunft, sagt Joshua dann auch passend über sich selbst, habe er nie gehabt.

Die digitale Durchwirktheit des Daseins

Der neue Realitätsentwurf, der in Groß' Roman aufscheint, ist ein von Virtualität durchzogener. Es hat eine Weile gedauert, bis die Gegenwartsliteratur den Menschen in seiner digitalen Umwelt zum Thema gemacht hat. In dieser und der vergangenen Saison sind hierzulande neben "Flexen in Miami" mit Juan S. Guses "Miami Punk", Berit Glanz' "Pixeltänzer" und Leif Randts "Allegro Pastell" gleich eine ganze Reihe von Romanen erschienen, die diese digitale Durchwirktheit der Gegenwart beschreiben. Sie verbindet, dass ihnen die moderne Technologie nicht nur literarisches Thema, sondern Paradigma ist. Vor "schweren" Motiven wie Vaterschaft oder Eifersucht weichen diese Texte genauso wenig zurück wie vor dem spielerischen Verweissystem des Pops. Sie verdichten die sozialen Netzwerke mit ihren Livestreams und Chats und die Gamer-Subkultur zu einer schrillen, abgeklärten, manchmal scheppernden Sprache einer ganz eigenen Cloud-Literatur, "wavy", oberflächenpoliert und stilsicher.

MIRYAM SCHELLBACH

Joshua Groß: "Flexen in Miami". Roman.

Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2020. 199 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.03.2020

Der Empathie-Test
Gute Nachrichten für die deutsche Literatur:
Joshua Groß’ Debütroman „Flexen in Miami“ nervt gewaltig
VON FELIX STEPHAN
Bevor wir zu den Dingen kommen, die den Roman „Flexen in Miami“ des Nürnberger Autors Joshua Groß zu so einem nervenaufreibenden Kunstwerk machen, kurz erst einmal zur Handlung, denn die ist es sicher nicht: Ein junger deutscher Schriftsteller hat von einer gewissen „Rhoxus Foundation“ ein lukratives Aufenthaltsstipendium in Miami bekommen, dort allerdings umgehend jegliche Geistesaktivitäten eingestellt und liegt nun den größten Teil des Tages kiffend und masturbierend im Bett. Jeden Tag stellt eine Drohne ein Paket mit Essen und Geld auf seinem Balkon ab, um seine grundlegenden Körperfunktionen aufrechtzuerhalten, eine automatisierte Grundversorgung. Auf unerklärliche Weise kommt es trotzdem zu einer Affäre mit der französischen Meeresbiologin Claire, die kurz darauf schwanger ist, allerdings nicht weiß, von wem. Infrage kommen der nahezu leblose Literaturstipendiat aus Deutschland und dessen Lieblingsrapper Jellyfish P, mit dem er sich in der Folge anfreundet.
Eine wichtige Rolle spielt außerdem eine virtuelle Welt namens „Cloud Control“, in der sich die Avatare Tausender Spieler herumtreiben, ohne besondere Aufgaben erfüllen zu müssen. Das Besondere an dieser unberührten Welt ist, dass niemand weiß, von wem sie programmiert wurde. Sie wurde eher wie ein fremder Kontinent entdeckt und besiedelt und schon bald tauchen digitale Ureinwohner auf. Dass er in dieser Geschichte auf der falschen Seite steht, macht den Stipendiaten „traurig und wütend und ich war kurz davor, meinen Account zu löschen, unendlich angewidert von Cloud Control und mir selbst. Ich war schließlich schon in real life eine bleicher Neuankömmling mit westlicher Ausbeutermentalität“. In emotionalen Ausnahmesituationen wie dieser leistet dem Erzähler ein sprechender Kühlschrank Beistand, der mit ihm via Chatnachrichten in Kontakt steht, ihm organisatorisch den Rücken freihält und sich während Beziehungs- und Identitätskrisen als guter Freund erweist.
Der Stipendiat aus Deutschland ist also umgeben von selbständig handelnden Maschinen, die ihn füttern, unterhalten und bei der Erkundung seines Selbst assistieren. Ihre Rolle ist zweideutig: Einerseits sind sie ihm zu Diensten, in der Prozesslogik von Niklas Luhmann aber haben sie natürlich längst die Kontrolle übernommen. Streng besehen ist der Erzähler für nichts mehr zuständig außer dem authentischen Erleben. Dieser Aufwand ist nicht zu unterschätzen. In einer Stadt wie Miami, die sich in erster Linie aus eingeölten, austrainierten Körpern und genussoptimierten Planbezirken zusammensetzt, ist authentisches Erleben affektiver Hochleistungssport. Als der Ich-Erzähler zum Beispiel ein Playoff-Spiel der Miami Heat besucht, sitzt auf einmal ein Doppelgänger des ehemaligen Basketball-Superstars Shaquille O’Neal neben ihm, der sich bald als der echte Shaquille O’Neal herausstellt, der mittlerweile als TV-Experte arbeitet und in dieser Funktion an den deutschen, bleichen Ich-Erzähler die latent existenzielle Interviewfrage richtet: „Was machst du hier?“
In Momenten wie diesen kommt die Realität mit den Kindheitsträumen des Erzählers auf eine Weise zur Deckung, die eine Panikattacke vollauf legitimieren würde. Bei der gleichen Veranstaltung lernt er seine Affäre Claire kennen, als nämlich in der Halbzeitpause die „Kiss Cam“ auf die beiden gerichtet ist und sie auf der gigantischen Stadionleinwand erscheinen, womit die Aufforderung verbunden ist, einen telegenen Kuss abzuliefern. Den erkenntnistheoretisch bewegten deutschen Stipendiaten, der von sich behauptet, er könne sich „nicht verzeihen, fake zu sein“, setzen diese Dinge einigermaßen unter Druck. Wie ein Verdurstender greift er nach jedem Authentizitätserlebnis, das sich ihm bietet, und die billigste Variante liegt eben immer noch im Rausch, denn „wenn man so drauf ist, dann ist alles, was eigentlich unecht ist, plötzlich echt“.
Die einzigen Entitäten, die sich in diesem Roman als mental belastbar erweisen und zu strategischen, zielgerichteten Handlungen in der Lage sind, statt passiv zu driften, sind Maschinen. Die Drohnen füttern und überwachen den Erzähler, der Kühlschrank-Chip stabilisiert ihn emotional, die Einwohner der Cloud Control proben den Aufstand. Dass ihm sein eigenes Leben wie eine Simulation vorkommt, ist vor diesem Hintergrund nicht weiter verwunderlich. Der Erzähler wirkt, als sei er eine Figur in der erfolgreichen Alltagssimulation „Die Sims“, die tastend zu Bewusstsein kommt. In Philip K. Dicks KI-Klassiker „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ erkennen die Androidenjäger den Unterschied zwischen Maschinen und Menschen an ihrer Empathiefähigkeit. In Joshua Groß’ Roman würde der Erzähler diesen Test eher nicht bestehen. Der einzige Akteur in „Flexen in Miami“, der über die Fähigkeit verfügt, sich in andere hineinzuversetzen, ist nicht etwa der dauerdösende, in teilnahmsloser Selbstbeobachtung erstarrte Ich-Erzähler, sondern der mit dem Internet der Dinge verbundene Kühlschrank.
Auch die auffällig mangelhafte Sprache des Erzählers nährt den Verdacht, dass er kein Mensch ist, zumindest noch nicht lange. Es wimmelt vor schiefen Bildern und Metaphern, dauernd „schlurchen“ die Leute durch die Gegend, Handys werden konsequent als „Phone“ bezeichnet. Der Text klingt ziemlich genau so, wie sich eine künstliche Intelligenz die Prosa eines jungen deutschen Literaturstipendiaten vorstellen würde. Ist die Angst des Erzählers, in einer Simulation zu leben, am Ende etwa begründet? Im letzten Teil des Buches scheint sich die Simulation einmal fast zu verraten, als der Himmel stundenlang lila ist, um das dramatische Finale in adäquat Gaspar-Noé-haftes Licht zu tauchen und der Erzähler angesichts dieser aufdringlichen Dämmerung selbst an den Himmel aus Cloud Control denken muss.
Ob sich die analoge und die digitale Welt an dieser Stelle nur im Bewusstsein des Erzählers überlagern oder ob er am Ende nicht doch tatsächlich in einer Simulation lebt, ob er überhaupt ein Mensch ist oder vielleicht tatsächlich ein Android, werden eines Tages die Experten in den Fanforen klären müssen. Hinweise für jede dieser Auslegungen finden sich reichlich. Die panische Sehnsucht des Erzählers nach echtem Erleben jedenfalls legt nahe, dass er sich seiner eigenen Echtheit nie wirklich sicher ist, und man sollte die Möglichkeit erwägen, dass diese Ungewissheit womöglich nicht metaphorisch gemeint ist. Und dass die Antwort am Ende auch lauten könnte, dass die Grenze zwischen analog und digital schon heute nicht mehr sinnvoll zu ziehen ist.
Joshua Groß: Flexen im Miami. Roman. Matthes & Seitz, Berlin 2020, 199 Seiten, 14,99 Euro
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Maschinen füttern und
unterhalten den Erzähler, helfen
bei der Erkundung des Selbst
Ist der Erzähler ein Mensch
oder ein Android? Und lässt sich
die Grenze noch ziehen?
Dramatisches Finale in Gaspar-Noé-haftem Licht: In dem Roman „Flexen in Miami“ von Joshua Groß, geboren 1989, begleiten den Erzähler ständige Zweifel an der Echtheit der Welt.
Foto: Julie tupas / unsplash
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Nachdem Miryam Schellbach in der FAZ vorschlug, dieser Art von Literatur einen eigenen Namen zu geben, bietet Rezensent Lars Weisbrod nun die Begriffe "Speedboat-Literatur" oder "Glitch-Literatur" ("Glitch" nennt man kleine Fehler in Computerspielen, verrät der Kritiker) an. Die Sprache in Joshua Groß' Roman "Flexen in Miami" sei nämlich ebenso klar, so stringent und glitzernd, wie die Kielwasser-Linie des Speedboates, indem Groß' Alter Ego einmal sitzt. Dieses alter Ego befindet sich in Miami, wo er das Geld seines Stipendiums für Drogen und Sportwetten ausgibt, mit interessanten Frauen schläft und Rapper oder Sportstars trifft, so Weisbrod. Doch ohne genau sagen zu können, was, hat man doch immer das Gefühl: Irgendetwas stimmt hier nicht, irgendwo versteckt sich ein Glitch. Es lohnt, sich lesend auf die Suche zu machen, so der zufriedene Rezensent.

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