Der meisterhafte neue Roman von Paulus Hochgatterer: Psychiater Horn und Kommissar Kovacs, das Duo aus den Bestellern "Die Süße des Lebens" und "Das Matratzenhaus" ermitteln.
Der Sommer hält Einzug in Furth am See. Während sich die Hotelterrassen füllen und die Schüler auf ihre Zeugnisse warten, nehmen besorgniserregende Ereignisse ihren Anfang. Auf immer grausamere Weise werden Gewalttaten gegen ältere Menschen verübt. Die Opfer scheint nur eins zu verbinden – das Bestreben zu schweigen. Schließlich verschwindet auch noch ein Kind. Der Psychiater Raffael Horn und Kommissar Ludwig Kovacs – das aus den Bestsellern "Die Süße des Lebens" und "Das Matratzenhaus" bekannte Ermittlerduo – beginnen die spärlichen Anhaltspunkte zu verknüpfen und in lang vergangene dunkle Geschichten einzutauchen. Der meisterhafte neue Roman von Paulus Hochgatterer – Spannung auf höchstem literarischen Niveau.
Der Sommer hält Einzug in Furth am See. Während sich die Hotelterrassen füllen und die Schüler auf ihre Zeugnisse warten, nehmen besorgniserregende Ereignisse ihren Anfang. Auf immer grausamere Weise werden Gewalttaten gegen ältere Menschen verübt. Die Opfer scheint nur eins zu verbinden – das Bestreben zu schweigen. Schließlich verschwindet auch noch ein Kind. Der Psychiater Raffael Horn und Kommissar Ludwig Kovacs – das aus den Bestsellern "Die Süße des Lebens" und "Das Matratzenhaus" bekannte Ermittlerduo – beginnen die spärlichen Anhaltspunkte zu verknüpfen und in lang vergangene dunkle Geschichten einzutauchen. Der meisterhafte neue Roman von Paulus Hochgatterer – Spannung auf höchstem literarischen Niveau.
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buecher-magazin.deWährend Touristen durch Furth am See strömen, ereignen sich beunruhigende Dinge: Ein Kind wird entführt. Ältere Menschen werden brutal angegriffen, behaupten aber, dass alles ein Unfall war. Außerdem taucht an der Fassade eines Hauses ein kunstvolles Graffiti auf, das ein rechter Politiker zum Anlass nimmt, gegen jugendliche Geflüchtete zu hetzen, die in der sogenannten „Burg“ untergebracht sind. Langsam entfaltet sich die Handlung aus verschiedenen Perspektiven, wie der einer Sozialarbeiterin, des Psychiaters Raffael Horn und des Kommissars Ludwig Kovacs, die beide aus Hochgatterers vorherigen Romanen bekannt sind. Nach und nach zeigen sich dank der Beobachtungen der einzelnen Figuren, ihrer Einsichten und Gedanken sowie eingeschalteten Rückblenden erschütternde Wahrheiten, die umso stärker wirken, als die Beschränkungen der jeweiligen Perspektiven strikt eingehalten werden. Zusammensetzen muss sie ein jeder selbst. Zugleich entsteht durch die subtilen Charakterstudien ein dichtes Stimmungsbild des vergangenen und gegenwärtigen Österreichs. Dabei erweist sich Hochgatterer als sehr genauer, einfühlsamer und kluger Beobachter menschlicher Verhaltensweisen und Beziehungsdynamiken – ohne deshalb auf eine klare Haltung zu verzichten.
Kluger, sehr literarischer Kriminalroman, der viel über die Menschen und die Gegenwart in Österreich erzählt.
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
Kluger, sehr literarischer Kriminalroman, der viel über die Menschen und die Gegenwart in Österreich erzählt.
© BÜCHERmagazin, Sonja Hartl (sh)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.10.2019Im Kerker
Kleines Dorf, großes Grauen: Paulus Hochgatterers
Österreichtableau „Fliege fort, fliege fort“
VON RUDOLF NEUMAIER
Sie stellt sogar einen Hometrainer in den gemütlichen Kerker, das entführte Mädchen soll sich fit halten. Es soll keinen Schaden leiden, im Gegenteil, niemand will ihm etwas. Außer das Gedicht, es soll ein Gedicht auswendig lernen. Mehr verlangt die Entführerin nicht von dem Kind. Das Gedicht soll es aufsagen, und zuhören soll es, wenn die Erzieherin die Geschichten aus dem Kinderheim erzählt, das sein Großvater geleitet hat. Der Sadist, der Kinderseelen und Kinderkörper verkauft hat.
Kerkerszenen haben ihr eigenes Grauen. Und dann soll dieses Kind auch noch die Verse aufsagen, die Gretchen als Kindsmörderin im „Faust“ singt – ebenfalls im Kerker, als sie auf den Henker wartet. Paulus Hochgatterer, der schreibende Kinderpsychiater aus Wien, geboren 1961 in Amstetten, beschwört das „tragische Grauen dieser in der Weltliteratur einzig dastehenden Szene“ herauf, wie es der französische Germanist Edmond Vermeil einmal genannt hat: „Meine Mutter, die Hur, die mich umgebracht hat! Mein Vater, der Schelm, der mich gessen hat.“ Das Gedicht endet mit der Metamorphose des toten Hurenkindes in ein Waldvögelein. „Fliege fort, fliege fort!“ Diesen Schlussvers von Gretchens Kerkerlied hat Hochgatterer dann auch zum Titel seines neuen Romans gemacht.
Wieder spielt er in Furth am See, wie seine Vorgänger „Das Matratzenhaus“ aus dem Jahr 2010 und „Die Süße des Lebens“ (2006). Eigentlich ist dieses Kaff, das von diesen früheren Romanen als 35 000-Einwohner-Ort bekannt ist, fast etwas zu klein für eine solche Geschichte, zu beschaulich für so viel Böses und zu provinziell für ein Figurentableau, wie Hochgatterer es durch diese heißen Sommertage schickt, in denen die Geschichte spielt. Manchmal bordet sie über vor originellen Personen, ihrem Charme, ihrer Schlagfertigkeit. Man muss Paulus Hochgatterer aber zugutehalten, dass er sich auf die Lakonie versteht. Und auf die Pointe.
Angesichts seiner fein gezeichneten Hauptfiguren Kovacs und Horn kann man ihm auch Stereotypen wie den rechtslastigen Immobilienhai, der in der Politik mitmischt und widerliche Geschäfte macht, durchgehen lassen. Der scheint längst eine feste Größe in der deutschsprachigen Kriminalliteratur geworden zu sein, man kennt ihn auch aus Vorabendkrimis. Kovacs hingegen ist ein etwas zerstreuter Polizist mit Hirn und Verstand, Horn ein etwas zerstreuter Psychiater mit noch mehr Hirn und einer drei Jahre älteren Ehefrau, einer Cellistin, im Grunde viel zu toll für Furth am See. Paulus Hochgatterer nimmt die Leser mit in das Privatleben dieser Protagonisten, das die Geschichte nur bedingt weiterbringt. Aber was wäre ein Krimi ohne romantische Note und ohne die Erotik, die zart wie eh und je anschwillt zwischen dem 56-jährigen Chefarzt Horn und seiner drei Jahre älteren Cellistin?
Bei den Kriminalien bleibt Horn im Vergleich zu Kovacs, dem Kommissar, ein wenig unbeschäftigt. Es sind schließlich auch nicht die spektakulärsten Fälle, die den Polizisten Ermittlungsarbeit bescheren. Ein politisches Graffiti. Eine Steinschleuder-Attacke auf einen rechtsradikalen Burschen von einem schwarz uniformierten Sicherheitsdienst. Dann wird eine alte Ordensschwester aus dem Seniorenheim im Krankenhaus eingeliefert, die sich übergeben musste – und aus dem Magen von Schwester Notburga kam etwas, das sie definitiv zum Abendessen serviert bekommen hatte. Die kriminaltechnische Untersuchung ergibt: Katzenfutter. Schwester Notburga wirkte früher in dem Kinderheim, das der Großvater des entführten Mädchens als Direktor leitete. Sie war sehr streng: Bei ihr musste aufgegessen werden, was auf den Teller kam. Und wer es erbrach, musste es noch mal essen. Das Erbrochene.
Bei allen kleineren Zwischenfällen, die – man ahnt’s – zusammenhängen, ist die Kindesentführung dann doch mit Abstand der Hauptfall. Priorität eins, möchte man meinen. Sonderkommandos, Profiler, das volle Programm. In der österreichischen Provinz hingegen nehmen es die Polizisten irrsinnig nonchalant. Umso beklemmender sind die Kerkerszenen, in denen Paulus Hochgatterer die Entführerin in der Ich-Person sprechen lässt. Die Geschichten, die sie der Geisel vom Großvater erzählt, bringen das Kind zum Einnässen. Es ist ein Aufarbeitungskrimi.
Neben der vielköpfigen Polizistentruppe und dem ebenso umfangreichen Personal auf Horns psychiatrischer Station ist der Jugendtreff von Furth am See Hauptschauplatz. Zahlen- und typenmäßig erfreut sich das Personal auch hier einer üppigen Ausstattung – so üppig, dass man mitunter den Überblick verlieren könnte. Als originellste Erscheinung bleibt der Benediktiner-Pater haften, der den Habit gern gegen Shorts tauscht. Er bringt das Kunststück fertig, beim Fronleichnams-Gottesdienst das Evangelium vorzutragen und dabei mit Stöpseln im Ohr Leonard Cohen zu hören, Bird on the Wire. Eine andere Version von „Fliege fort, fliege fort“.
Paulus Hochgatterer: Fliege fort, fliege fort. Deuticke Verlag, München 2019. 286 Seiten, 23 Euro.
Das Personal ist fast
unübersichtlich, die Sprache
aber pointiert
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kleines Dorf, großes Grauen: Paulus Hochgatterers
Österreichtableau „Fliege fort, fliege fort“
VON RUDOLF NEUMAIER
Sie stellt sogar einen Hometrainer in den gemütlichen Kerker, das entführte Mädchen soll sich fit halten. Es soll keinen Schaden leiden, im Gegenteil, niemand will ihm etwas. Außer das Gedicht, es soll ein Gedicht auswendig lernen. Mehr verlangt die Entführerin nicht von dem Kind. Das Gedicht soll es aufsagen, und zuhören soll es, wenn die Erzieherin die Geschichten aus dem Kinderheim erzählt, das sein Großvater geleitet hat. Der Sadist, der Kinderseelen und Kinderkörper verkauft hat.
Kerkerszenen haben ihr eigenes Grauen. Und dann soll dieses Kind auch noch die Verse aufsagen, die Gretchen als Kindsmörderin im „Faust“ singt – ebenfalls im Kerker, als sie auf den Henker wartet. Paulus Hochgatterer, der schreibende Kinderpsychiater aus Wien, geboren 1961 in Amstetten, beschwört das „tragische Grauen dieser in der Weltliteratur einzig dastehenden Szene“ herauf, wie es der französische Germanist Edmond Vermeil einmal genannt hat: „Meine Mutter, die Hur, die mich umgebracht hat! Mein Vater, der Schelm, der mich gessen hat.“ Das Gedicht endet mit der Metamorphose des toten Hurenkindes in ein Waldvögelein. „Fliege fort, fliege fort!“ Diesen Schlussvers von Gretchens Kerkerlied hat Hochgatterer dann auch zum Titel seines neuen Romans gemacht.
Wieder spielt er in Furth am See, wie seine Vorgänger „Das Matratzenhaus“ aus dem Jahr 2010 und „Die Süße des Lebens“ (2006). Eigentlich ist dieses Kaff, das von diesen früheren Romanen als 35 000-Einwohner-Ort bekannt ist, fast etwas zu klein für eine solche Geschichte, zu beschaulich für so viel Böses und zu provinziell für ein Figurentableau, wie Hochgatterer es durch diese heißen Sommertage schickt, in denen die Geschichte spielt. Manchmal bordet sie über vor originellen Personen, ihrem Charme, ihrer Schlagfertigkeit. Man muss Paulus Hochgatterer aber zugutehalten, dass er sich auf die Lakonie versteht. Und auf die Pointe.
Angesichts seiner fein gezeichneten Hauptfiguren Kovacs und Horn kann man ihm auch Stereotypen wie den rechtslastigen Immobilienhai, der in der Politik mitmischt und widerliche Geschäfte macht, durchgehen lassen. Der scheint längst eine feste Größe in der deutschsprachigen Kriminalliteratur geworden zu sein, man kennt ihn auch aus Vorabendkrimis. Kovacs hingegen ist ein etwas zerstreuter Polizist mit Hirn und Verstand, Horn ein etwas zerstreuter Psychiater mit noch mehr Hirn und einer drei Jahre älteren Ehefrau, einer Cellistin, im Grunde viel zu toll für Furth am See. Paulus Hochgatterer nimmt die Leser mit in das Privatleben dieser Protagonisten, das die Geschichte nur bedingt weiterbringt. Aber was wäre ein Krimi ohne romantische Note und ohne die Erotik, die zart wie eh und je anschwillt zwischen dem 56-jährigen Chefarzt Horn und seiner drei Jahre älteren Cellistin?
Bei den Kriminalien bleibt Horn im Vergleich zu Kovacs, dem Kommissar, ein wenig unbeschäftigt. Es sind schließlich auch nicht die spektakulärsten Fälle, die den Polizisten Ermittlungsarbeit bescheren. Ein politisches Graffiti. Eine Steinschleuder-Attacke auf einen rechtsradikalen Burschen von einem schwarz uniformierten Sicherheitsdienst. Dann wird eine alte Ordensschwester aus dem Seniorenheim im Krankenhaus eingeliefert, die sich übergeben musste – und aus dem Magen von Schwester Notburga kam etwas, das sie definitiv zum Abendessen serviert bekommen hatte. Die kriminaltechnische Untersuchung ergibt: Katzenfutter. Schwester Notburga wirkte früher in dem Kinderheim, das der Großvater des entführten Mädchens als Direktor leitete. Sie war sehr streng: Bei ihr musste aufgegessen werden, was auf den Teller kam. Und wer es erbrach, musste es noch mal essen. Das Erbrochene.
Bei allen kleineren Zwischenfällen, die – man ahnt’s – zusammenhängen, ist die Kindesentführung dann doch mit Abstand der Hauptfall. Priorität eins, möchte man meinen. Sonderkommandos, Profiler, das volle Programm. In der österreichischen Provinz hingegen nehmen es die Polizisten irrsinnig nonchalant. Umso beklemmender sind die Kerkerszenen, in denen Paulus Hochgatterer die Entführerin in der Ich-Person sprechen lässt. Die Geschichten, die sie der Geisel vom Großvater erzählt, bringen das Kind zum Einnässen. Es ist ein Aufarbeitungskrimi.
Neben der vielköpfigen Polizistentruppe und dem ebenso umfangreichen Personal auf Horns psychiatrischer Station ist der Jugendtreff von Furth am See Hauptschauplatz. Zahlen- und typenmäßig erfreut sich das Personal auch hier einer üppigen Ausstattung – so üppig, dass man mitunter den Überblick verlieren könnte. Als originellste Erscheinung bleibt der Benediktiner-Pater haften, der den Habit gern gegen Shorts tauscht. Er bringt das Kunststück fertig, beim Fronleichnams-Gottesdienst das Evangelium vorzutragen und dabei mit Stöpseln im Ohr Leonard Cohen zu hören, Bird on the Wire. Eine andere Version von „Fliege fort, fliege fort“.
Paulus Hochgatterer: Fliege fort, fliege fort. Deuticke Verlag, München 2019. 286 Seiten, 23 Euro.
Das Personal ist fast
unübersichtlich, die Sprache
aber pointiert
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2019In der Kleinstadthölle
Paulus Hochgatterer kann Krimino- und Psychologie
Es ist gerade ein bisschen viel, was alles auf die Kleinstadt Furth am See herniederprasselt. Die fiktive Idylle zwischen Badesteg und Wanderweg hat es mit einer veritablen Verbrechenswalze zu tun. Zunächst trifft es ältere Menschen: Ein Mann fällt angeblich von einer Leiter, sein Körper ist übersät von Hämatomen; eine Klosterschwester hat mit einem scharfen Löffel Risotto gegessen, das sich als Katzenfutter entpuppt; ein Säufer hat sich die Kopfschwarte aufgeschlitzt, angeblich an einem Ast. Auf das Haus eines rechtspopulistischen Politikers wird ein Graffito-Anschlag verübt, den Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes trifft bei der Fronleichnamsprozession eine Stahlkugel an der Schläfe. Am rätselhaftesten ist die Entführung der zehnjährigen Tochter eines aggressiven Mittelständlers - eine Lösegeldforderung unterbleibt.
Der österreichische Schriftsteller und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer mag es nicht, wenn man seine beiden Romane "Die Süße des Lebens" (2006) und "Das Matratzenhaus" (2010) als "Kriminalromane" rubriziert, als wäre das abqualifizierend. Die Sorge muss er nicht haben, denn der 1961 in Amstetten geborene Autor legt mit "Fliege fort, fliege fort", seinem dritten Furth-Roman, dank eines hohen sprachlichen Verdichtungsgrades einen untadeligen literarischen Kriminalroman vor.
Gleich zwei Ermittler wohnen in Hochgatterers Erzählerbrust, beide Endfünfziger, beide Melancholiker. Kommissar Ludwig Kovacs wird von einem unregelmäßig schlagenden Herzen geplagt, aber immerhin macht sich seine Tochter Sorgen um ihn. Der Psychiater des Krankenhauses, Raffael Horn, tut sich schwer mit dem dritten Lebensabschnitt. Sein Sohn, ein Stubenhocker zwischen krimineller und künstlerischer Energie, wird zum Testfall des väterlichen Nervenkostüms.
Man kann nicht behaupten, Kovacs und Horn ermittelten stringent, lange Zeit ist auch unklar, ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen den menschlichen Schadensfällen gibt. Hochgatterer fährt reichlich Personal auf, das jeweils aus seiner Perspektive zum Gesamtbild beiträgt. Über die Ermittler wird in der Vergangenheit berichtet, nur der Entführer hat eine präsentische Ich-Stimme. Diese berichtet dem Opfer, wie es ihm selbst ergangen ist, als Schützling des örtlichen Kinderheims. "Die Burg" dient heute als Auffanglager für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die von schwarzgewandeten Glatzköpfen der "Aktion 18" bewacht werden, "1" steht für "A", "8" für "H" - also Adolf Hitler. Dann gibt es noch Leftis Kneipe, ein städtisches Jugendzentrum, in dem pubertäre Seelen nach dem Sinn des Lebens sucht, einen Pater, der eine Lehrerin beglückt, Horns Cello spielende Gattin, Sozialarbeiter, diverse Ermittler und einen nervösen Polizeichef.
Der Romantitel ist "Faust" entliehen, Gretchen spricht "inwendig" in der Kerkerszene: "Meine Mutter, die Hur / Die mich umgebracht hat! / Mein Vater, der Schelm / Der mich gessen hat! / Mein Schwesterlein klein / Hub auf die Bein / An einem kühlen Ort; / Da ward ich ein schönes Waldvögelein; / Fliege fort, fliege fort!" Der Generalbass ist intoniert, es geht um die Spätfolgen von Missbrauch und Demütigungstechniken, die seinerzeit in der "Burg" unter den verschleiernden Begriffen "Decke", "Glatze", "Siegelring" und "Einzug nach Jerusalem" praktiziert wurden.
Und nun - ein sehr verspäteter Rachefeldzug? Kunstvoll legt Hochgatterer die Karten auf den Tisch. Seinfein gearbeiteter Text zeigt die Täter von einst und was aus ihren Opfern wurde. Er handelt von Verhaltensmustern und deren Wiederholung, von einer Gegenwart in den Fängen einer Vergangenheit, die nicht vergehen will. Und er macht deutlich, warum die soziale Kontrolle in einer Kleinstadt besser blüht als sonstwo.
HANNES HINTERMEIER
Paulus Hochgatterer:
"Fliege fort, fliege fort".
Roman.
Deuticke Verlag,
Wien 2019.
286 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paulus Hochgatterer kann Krimino- und Psychologie
Es ist gerade ein bisschen viel, was alles auf die Kleinstadt Furth am See herniederprasselt. Die fiktive Idylle zwischen Badesteg und Wanderweg hat es mit einer veritablen Verbrechenswalze zu tun. Zunächst trifft es ältere Menschen: Ein Mann fällt angeblich von einer Leiter, sein Körper ist übersät von Hämatomen; eine Klosterschwester hat mit einem scharfen Löffel Risotto gegessen, das sich als Katzenfutter entpuppt; ein Säufer hat sich die Kopfschwarte aufgeschlitzt, angeblich an einem Ast. Auf das Haus eines rechtspopulistischen Politikers wird ein Graffito-Anschlag verübt, den Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes trifft bei der Fronleichnamsprozession eine Stahlkugel an der Schläfe. Am rätselhaftesten ist die Entführung der zehnjährigen Tochter eines aggressiven Mittelständlers - eine Lösegeldforderung unterbleibt.
Der österreichische Schriftsteller und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer mag es nicht, wenn man seine beiden Romane "Die Süße des Lebens" (2006) und "Das Matratzenhaus" (2010) als "Kriminalromane" rubriziert, als wäre das abqualifizierend. Die Sorge muss er nicht haben, denn der 1961 in Amstetten geborene Autor legt mit "Fliege fort, fliege fort", seinem dritten Furth-Roman, dank eines hohen sprachlichen Verdichtungsgrades einen untadeligen literarischen Kriminalroman vor.
Gleich zwei Ermittler wohnen in Hochgatterers Erzählerbrust, beide Endfünfziger, beide Melancholiker. Kommissar Ludwig Kovacs wird von einem unregelmäßig schlagenden Herzen geplagt, aber immerhin macht sich seine Tochter Sorgen um ihn. Der Psychiater des Krankenhauses, Raffael Horn, tut sich schwer mit dem dritten Lebensabschnitt. Sein Sohn, ein Stubenhocker zwischen krimineller und künstlerischer Energie, wird zum Testfall des väterlichen Nervenkostüms.
Man kann nicht behaupten, Kovacs und Horn ermittelten stringent, lange Zeit ist auch unklar, ob es überhaupt einen Zusammenhang zwischen den menschlichen Schadensfällen gibt. Hochgatterer fährt reichlich Personal auf, das jeweils aus seiner Perspektive zum Gesamtbild beiträgt. Über die Ermittler wird in der Vergangenheit berichtet, nur der Entführer hat eine präsentische Ich-Stimme. Diese berichtet dem Opfer, wie es ihm selbst ergangen ist, als Schützling des örtlichen Kinderheims. "Die Burg" dient heute als Auffanglager für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die von schwarzgewandeten Glatzköpfen der "Aktion 18" bewacht werden, "1" steht für "A", "8" für "H" - also Adolf Hitler. Dann gibt es noch Leftis Kneipe, ein städtisches Jugendzentrum, in dem pubertäre Seelen nach dem Sinn des Lebens sucht, einen Pater, der eine Lehrerin beglückt, Horns Cello spielende Gattin, Sozialarbeiter, diverse Ermittler und einen nervösen Polizeichef.
Der Romantitel ist "Faust" entliehen, Gretchen spricht "inwendig" in der Kerkerszene: "Meine Mutter, die Hur / Die mich umgebracht hat! / Mein Vater, der Schelm / Der mich gessen hat! / Mein Schwesterlein klein / Hub auf die Bein / An einem kühlen Ort; / Da ward ich ein schönes Waldvögelein; / Fliege fort, fliege fort!" Der Generalbass ist intoniert, es geht um die Spätfolgen von Missbrauch und Demütigungstechniken, die seinerzeit in der "Burg" unter den verschleiernden Begriffen "Decke", "Glatze", "Siegelring" und "Einzug nach Jerusalem" praktiziert wurden.
Und nun - ein sehr verspäteter Rachefeldzug? Kunstvoll legt Hochgatterer die Karten auf den Tisch. Seinfein gearbeiteter Text zeigt die Täter von einst und was aus ihren Opfern wurde. Er handelt von Verhaltensmustern und deren Wiederholung, von einer Gegenwart in den Fängen einer Vergangenheit, die nicht vergehen will. Und er macht deutlich, warum die soziale Kontrolle in einer Kleinstadt besser blüht als sonstwo.
HANNES HINTERMEIER
Paulus Hochgatterer:
"Fliege fort, fliege fort".
Roman.
Deuticke Verlag,
Wien 2019.
286 S., geb., 23,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Hochgatterer kennt durch seinen Beruf als Psychiater nicht nur die Ängste der Menschen, sondern er versteht es als exzellenter, sprachlich feinfühliger Autor auch, diese Gefühlsmelange aus nackter Existenzangst, Ausgrenzung, Hass, Rachegelüsten und Gewaltfantasien für den Leser erlebbar zu machen - bis hin zu absoluten Gänsehautmomenten. Das schafft nur herausragende Literatur." Peter Mohr, Rheinpfalz, 01.02.20
"Ein hochkonzentrierter literarischer Krimi, der sprachlich, atmosphärisch und formal besticht." Luzia Stettler, srf 52 Beste Bücher, 05.01.20
"Paulus Hochgatterer kennt die Abgründe des Menschen, weiß, wo deren Leichen begraben liegen. Und dennoch ist in seinem Erzählen eine große Zugewandtheit zu spüren, eine Nachsicht und ein Wohlwollen allen Schwächen gegenüber." Ulrich Rüdenauer, Stuttgarter Zeitung, 19.12.19
"Durch die subtilen Charakterstudien entsteht ein dichtes Stimmungsbild des vergangenen und gegenwärtigen Österreichs. Dabei erweist sich Hochgatterer als sehr genauer, einfühlsamer und kluger Beobachter menschlicher Verhaltensweisen und Beziehungsdynamiken - ohne deshalb auf eine klare Haltung zu verzichten." Sonja Hartl, Krimibestenliste November
"Kunstvoll legt Hochgatterer die Karten auf den Tisch. Sein fein gearbeiteter Text zeigt die Täter von einst und was aus ihren Opfern wurde. Er handelt von Verhaltensmustern und deren Wiederholung, von einer Gegenwart in den Fängen einer Vergangenheit, die nicht vergehen will. Und er macht deutlich, warum die soziale Kontrolle in einer Kleinstadt besser blüht als sonstwo." Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.11.19
"'Fliege fort, fliege fort' ist ein hochkonzentrierter literarischer Krimi. ... Es ist ein kleinstädtisches Gesellschaftspanorama feinster Brutalität, das Paulus Hochgatterer in die schöne Landschaft hineinzeichnet." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 26.10.19
"Es ist ein gleichsam unvollendetes, aber atmosphärisch hochgradig verdichtes Erzählmosaik, das er nach und nach vor uns ausbreitet; doch auch von "erzählen" mag man kaum sprechen, ist dieser Roman doch so konsequent aus Figurenperspektive geschrieben, dass die Anwesenheit einer Erzählinstanz auch nicht ansatzweise spürbar wäre." Katharina Granzin, taz, 12.10.19
"Hochgatterer ist erneut ein Kunstwerk gelungen, das tief in unsere Psychen und Gesellschaft blicken lässt." Klaus Zeyringer, Der Standard, 28.09.19
"Ein Roman, der den Schmerz, den er erzählt, durch die Spannung, die er herstellt, nicht verrät." Katja Gasser, ORF, 22.09.19
"Bei Hochgatterer bilden Inhalt und Form eine Einheit. Nichts an seiner Sprache wirkt forciert. Mit wenigen Sätzen versteht er es, Atmosphären zu erschaffen." Sebastian Fasthuber, Falter, 18.09.2019
"Ein hochkonzentrierter literarischer Krimi, der sprachlich, atmosphärisch und formal besticht." Luzia Stettler, srf 52 Beste Bücher, 05.01.20
"Paulus Hochgatterer kennt die Abgründe des Menschen, weiß, wo deren Leichen begraben liegen. Und dennoch ist in seinem Erzählen eine große Zugewandtheit zu spüren, eine Nachsicht und ein Wohlwollen allen Schwächen gegenüber." Ulrich Rüdenauer, Stuttgarter Zeitung, 19.12.19
"Durch die subtilen Charakterstudien entsteht ein dichtes Stimmungsbild des vergangenen und gegenwärtigen Österreichs. Dabei erweist sich Hochgatterer als sehr genauer, einfühlsamer und kluger Beobachter menschlicher Verhaltensweisen und Beziehungsdynamiken - ohne deshalb auf eine klare Haltung zu verzichten." Sonja Hartl, Krimibestenliste November
"Kunstvoll legt Hochgatterer die Karten auf den Tisch. Sein fein gearbeiteter Text zeigt die Täter von einst und was aus ihren Opfern wurde. Er handelt von Verhaltensmustern und deren Wiederholung, von einer Gegenwart in den Fängen einer Vergangenheit, die nicht vergehen will. Und er macht deutlich, warum die soziale Kontrolle in einer Kleinstadt besser blüht als sonstwo." Hannes Hintermeier, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.11.19
"'Fliege fort, fliege fort' ist ein hochkonzentrierter literarischer Krimi. ... Es ist ein kleinstädtisches Gesellschaftspanorama feinster Brutalität, das Paulus Hochgatterer in die schöne Landschaft hineinzeichnet." Paul Jandl, Neue Zürcher Zeitung, 26.10.19
"Es ist ein gleichsam unvollendetes, aber atmosphärisch hochgradig verdichtes Erzählmosaik, das er nach und nach vor uns ausbreitet; doch auch von "erzählen" mag man kaum sprechen, ist dieser Roman doch so konsequent aus Figurenperspektive geschrieben, dass die Anwesenheit einer Erzählinstanz auch nicht ansatzweise spürbar wäre." Katharina Granzin, taz, 12.10.19
"Hochgatterer ist erneut ein Kunstwerk gelungen, das tief in unsere Psychen und Gesellschaft blicken lässt." Klaus Zeyringer, Der Standard, 28.09.19
"Ein Roman, der den Schmerz, den er erzählt, durch die Spannung, die er herstellt, nicht verrät." Katja Gasser, ORF, 22.09.19
"Bei Hochgatterer bilden Inhalt und Form eine Einheit. Nichts an seiner Sprache wirkt forciert. Mit wenigen Sätzen versteht er es, Atmosphären zu erschaffen." Sebastian Fasthuber, Falter, 18.09.2019