Florian, der Karpfen ist ein literarisches Juwel. Bisher noch nie in Buchform erschienen, erzählt das Märchen die Geschichte von Karlchen, einem kleinen Jungen, der sich nichts sehnlichster wünscht, als sich wie die Fische im See zu tummeln. Ob Florian, der alte Karpfen, Karlchen helfen kann? Neben Florian, der Karpfen versammelt dieser bibliophile Band weitere Texte über die besondere Beziehung des großen Erzählers Siegfried Lenz zur Natur, zum Wasser, zum Angeln – und zum Fisch. Mit einem Nachwort von Maren Ermisch und zahlreichen Abbildungen
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jörg Magenau lernt das Lob der Fische mit diesem kleinen verspielten Märchen von Siegfried Lenz. Nachwort, Fotos, ein Fisch-Gedicht und anderes machen aus dem erstmals gedruckten knappen Text zwar erst ein Buch, erklärt Magenau, zauberhaft findet er die Geschichte um einen Jungen, der auszieht, um das Geheimnis der Schwimmblasen zu ergründen, aber allemal. Eine Moral entdeckt Magenau in der Geschichte ebenso wie ein freundliches Naturbild. Und vor dem Hintergrund der lebenslangen Verbundenheit des Autors mit dem Wasser macht der Text sowieso Sinn, findet er.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2021Schöpfergott
mit Kiemen
Über „Florian, der Karpfen“ von Siegfried Lenz
Karpfen sind friedliche Fische. Sie sind anspruchslos, zutraulich, argwöhnisch, schreckhaft und verständig und darüber hinaus von einer „verblüffenden Schönheit“. Das jedenfalls behauptete Siegfried Lenz. Zeitlebens unterhielt Lenz eine intensive Beziehung zum Wasser und zu Fischen aller Art, auch zum Karpfen. Sein Werk ist reich an Erzählungen, die am oder im Wasser spielen. In seiner masurischen Heimat lernte er Schwimmen und Angeln, bevor er Lesen konnte.
Als friedfertiger älterer Herr, der Fische nicht mehr mit der Angel aus dem Wasser zu ziehen pflegte, hielt er im „Gnadenteich“ im Garten seines Sommerhauses in Tetenhusen bei Rendsburg seine eigenen Karpfen, die, wie der Freund Helmut Schmidt gerne berichtete, angeschwommen kamen und die Mäuler aufsperrten, wenn sie die sich nähernden Schritte ihres Besitzers und Fütterers vernahmen: „Die rochen das.“ Der Altkanzler freute sich dann an der Freude seines Freundes Siggi, was jener wiederum in der ihm eigenen freundlichen Art mit dem Satz kommentierte: „Das ist auch eine Art, Freude zu beziehen.“
Um Freude – die reine Freude des Erzählens – und um einen alten Karpfen geht es auch in der kleinen Erzählung, die sich im Nachlass von Siegfried Lenz im Literaturarchiv Marbach gefunden hat. „Florian, der Karpfen“ wurde 1953 im Kinderfunk des NDR gesendet, ist bisher aber noch nirgends gedruckt worden. Es ist ein schlichtes kleines Märchen, gerade mal 20 Seiten lang, und es bedarf schon einiger verlegerischer Kniffe, Fotos des Schriftstellers mit Boot und See und Frau und Fischen, eines frühen Fisch-Gedichts aus dem Jahr 1948, der Lobrede, die Siegfried Lenz 1999 vor dem Anglerverband hielt, als der Karpfen zum „Fisch des Jahrhunderts“ ernannt wurde, sowie einer kleinen Erinnerung des Verlegers und eines Nachworts, das länger ist als das Märchen selbst, um daraus ein wenigstens schmales Büchlein zu machen.
Florian der Karpfen ist zwar die zentrale Gestalt des Märchens, kommt aber erst am Ende und auch dann nur als schwer atmender, uralter Körper am Grund des Sees vor. Er ist so etwas wie ein Schöpfergott, der von den Fischen geehrt und beschützt wird, weil es ohne ihn kein Leben oder zumindest keine mit Luft gefüllten Schwimmblasen gäbe. Es ist eine Art Taufakt, den der alte Karpfen an den Fischen vollzieht, indem er ihre Schwimmblasen mit Luft füllt. Dieses Geheimnis zu erkunden, hat sich ein kleiner Junge namens Karlchen vorgenommen, der am liebsten auf dem Bootssteg liegt und ins Wasser schaut, um den Fischen zuzusehen, und der auch gerne so eine schöne, silbern schimmernde Schwimmblase hätte. Nur: Wo kriegt man die?
Mithilfe zweier Haubentaucher, die ihn auf einem Brett wie in einer Kutsche auch unter Wasser durch den See ziehen, begegnet er einem an der Schere verletzten Krebs, einer ausgelassenen Gruppe junger Barsche und schließlich einem Maränenmädchen, das ihm hilft, den Karpfen zu finden. Das Märchen endet nicht wirklich gut. Zwar erfährt Karlchen endlich, woher die Schwimmblasen kommen, doch sein Versuch, selber eine zu erhalten, scheitert. Das einzige, was ihm – und mit ihm der ganzen Menschheit – bleibt, ist der Blinddarm, mit dem sich aber bekanntlich nicht besser schwimmen lässt.
Die Moral von der Geschicht’ könnte darin bestehen, dass Wissen auch nicht immer zu Erfolg verhilft, dass der Erfolg einer Sache weniger wichtig ist als der Weg, der dorthin führt und so viele Begegnungen ermöglicht. Vor allem aber zeichnet Lenz das Bild einer durch und durch freundlichen Natur, die dem kleinen Menschen voller Wohlwollen und Gesprächsbereitschaft entgegenkommt.
Es war klar, dass sich Lenz, als er 1943 mit 17 Jahren eingezogen wurde, für die Marine entscheiden würde. Als Matrose auf der Ostsee erlebte er Bomben- und U-Boot-Angriffe, Tote und Verletzte. Die Heimat sah er nicht wieder. Nachdem er 1945 in den letzten Kriegstagen in Dänemark desertierte, siedelte er sich im zerstörten Hamburg an und begann von hier aus, rückwirkend, das Element des Wassers, das Meer und die Seen der Kindheit erzählerisch zurückzuerobern und wieder in Friedenslandschaften zu verwandeln. Die neue Wahlheimat erschloss er sich entlang der Elbe. Das Lobgedicht auf die Fische, das der Student während der Vorlesung zwischen seine Mitschriften kritzelte, ist dafür ebenso ein Beleg wie das Märchen von Florian, dem Karpfen. Und auch wenn es Karlchen nicht gelingt, die Leichtigkeit der Fische im Wasser zu erreichen, so zeigt der Erzähler Siegfried Lenz schon hier, mit welcher spielerischen Leichtigkeit er von Anfang an unterwegs gewesen ist und dass er im Element des Wassers sehr wohl zu Hause war.
JÖRG MAGENAU
Siegfried Lenz:
Florian, der Karpfen.
Ein Märchen und seine Geschichte. Mit einem Nachwort von Maren
Ermisch und zahlreichen Abbildungen.
Hoffmann & Campe,
Hamburg 2021,
80 Seiten, 15 Euro.
Zeitlebens unterhielt Siegfried Lenz eine innige Beziehung zum Wasser und zu Fischen aller Art.
Foto: Privatarchiv/Siegfried Lenz
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
mit Kiemen
Über „Florian, der Karpfen“ von Siegfried Lenz
Karpfen sind friedliche Fische. Sie sind anspruchslos, zutraulich, argwöhnisch, schreckhaft und verständig und darüber hinaus von einer „verblüffenden Schönheit“. Das jedenfalls behauptete Siegfried Lenz. Zeitlebens unterhielt Lenz eine intensive Beziehung zum Wasser und zu Fischen aller Art, auch zum Karpfen. Sein Werk ist reich an Erzählungen, die am oder im Wasser spielen. In seiner masurischen Heimat lernte er Schwimmen und Angeln, bevor er Lesen konnte.
Als friedfertiger älterer Herr, der Fische nicht mehr mit der Angel aus dem Wasser zu ziehen pflegte, hielt er im „Gnadenteich“ im Garten seines Sommerhauses in Tetenhusen bei Rendsburg seine eigenen Karpfen, die, wie der Freund Helmut Schmidt gerne berichtete, angeschwommen kamen und die Mäuler aufsperrten, wenn sie die sich nähernden Schritte ihres Besitzers und Fütterers vernahmen: „Die rochen das.“ Der Altkanzler freute sich dann an der Freude seines Freundes Siggi, was jener wiederum in der ihm eigenen freundlichen Art mit dem Satz kommentierte: „Das ist auch eine Art, Freude zu beziehen.“
Um Freude – die reine Freude des Erzählens – und um einen alten Karpfen geht es auch in der kleinen Erzählung, die sich im Nachlass von Siegfried Lenz im Literaturarchiv Marbach gefunden hat. „Florian, der Karpfen“ wurde 1953 im Kinderfunk des NDR gesendet, ist bisher aber noch nirgends gedruckt worden. Es ist ein schlichtes kleines Märchen, gerade mal 20 Seiten lang, und es bedarf schon einiger verlegerischer Kniffe, Fotos des Schriftstellers mit Boot und See und Frau und Fischen, eines frühen Fisch-Gedichts aus dem Jahr 1948, der Lobrede, die Siegfried Lenz 1999 vor dem Anglerverband hielt, als der Karpfen zum „Fisch des Jahrhunderts“ ernannt wurde, sowie einer kleinen Erinnerung des Verlegers und eines Nachworts, das länger ist als das Märchen selbst, um daraus ein wenigstens schmales Büchlein zu machen.
Florian der Karpfen ist zwar die zentrale Gestalt des Märchens, kommt aber erst am Ende und auch dann nur als schwer atmender, uralter Körper am Grund des Sees vor. Er ist so etwas wie ein Schöpfergott, der von den Fischen geehrt und beschützt wird, weil es ohne ihn kein Leben oder zumindest keine mit Luft gefüllten Schwimmblasen gäbe. Es ist eine Art Taufakt, den der alte Karpfen an den Fischen vollzieht, indem er ihre Schwimmblasen mit Luft füllt. Dieses Geheimnis zu erkunden, hat sich ein kleiner Junge namens Karlchen vorgenommen, der am liebsten auf dem Bootssteg liegt und ins Wasser schaut, um den Fischen zuzusehen, und der auch gerne so eine schöne, silbern schimmernde Schwimmblase hätte. Nur: Wo kriegt man die?
Mithilfe zweier Haubentaucher, die ihn auf einem Brett wie in einer Kutsche auch unter Wasser durch den See ziehen, begegnet er einem an der Schere verletzten Krebs, einer ausgelassenen Gruppe junger Barsche und schließlich einem Maränenmädchen, das ihm hilft, den Karpfen zu finden. Das Märchen endet nicht wirklich gut. Zwar erfährt Karlchen endlich, woher die Schwimmblasen kommen, doch sein Versuch, selber eine zu erhalten, scheitert. Das einzige, was ihm – und mit ihm der ganzen Menschheit – bleibt, ist der Blinddarm, mit dem sich aber bekanntlich nicht besser schwimmen lässt.
Die Moral von der Geschicht’ könnte darin bestehen, dass Wissen auch nicht immer zu Erfolg verhilft, dass der Erfolg einer Sache weniger wichtig ist als der Weg, der dorthin führt und so viele Begegnungen ermöglicht. Vor allem aber zeichnet Lenz das Bild einer durch und durch freundlichen Natur, die dem kleinen Menschen voller Wohlwollen und Gesprächsbereitschaft entgegenkommt.
Es war klar, dass sich Lenz, als er 1943 mit 17 Jahren eingezogen wurde, für die Marine entscheiden würde. Als Matrose auf der Ostsee erlebte er Bomben- und U-Boot-Angriffe, Tote und Verletzte. Die Heimat sah er nicht wieder. Nachdem er 1945 in den letzten Kriegstagen in Dänemark desertierte, siedelte er sich im zerstörten Hamburg an und begann von hier aus, rückwirkend, das Element des Wassers, das Meer und die Seen der Kindheit erzählerisch zurückzuerobern und wieder in Friedenslandschaften zu verwandeln. Die neue Wahlheimat erschloss er sich entlang der Elbe. Das Lobgedicht auf die Fische, das der Student während der Vorlesung zwischen seine Mitschriften kritzelte, ist dafür ebenso ein Beleg wie das Märchen von Florian, dem Karpfen. Und auch wenn es Karlchen nicht gelingt, die Leichtigkeit der Fische im Wasser zu erreichen, so zeigt der Erzähler Siegfried Lenz schon hier, mit welcher spielerischen Leichtigkeit er von Anfang an unterwegs gewesen ist und dass er im Element des Wassers sehr wohl zu Hause war.
JÖRG MAGENAU
Siegfried Lenz:
Florian, der Karpfen.
Ein Märchen und seine Geschichte. Mit einem Nachwort von Maren
Ermisch und zahlreichen Abbildungen.
Hoffmann & Campe,
Hamburg 2021,
80 Seiten, 15 Euro.
Zeitlebens unterhielt Siegfried Lenz eine innige Beziehung zum Wasser und zu Fischen aller Art.
Foto: Privatarchiv/Siegfried Lenz
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
»Vor allem aber zeichnet Lenz das Bild einer durch und durch freundlichen Natur, die dem kleinen Menschen voller Wohlwollen und Gesprächsbereitschaft entgegenkommt.« Jörg Magenau Süddeutsche Zeitung 20210901