Der New-York-Times Bestseller von Lauren Groff: Geschichten von wilden Tieren, maßlosen Unwettern und dem Menschen, der die größte Bedrohung ist.
Erzählungen wie der Ort, nach dem sie benannt sind – Florida: wild und schön, gleißend hell, dunkel und unberechenbar. Eine Mutter läuft Nacht für Nacht gegen Wut und Zweifel an, zwei Mädchen werden allein in der Wildnis zurückgelassen, eine junge Frau gibt jeglichen Besitz auf. Situationen schlagen um, und Menschen verwandeln sich in der flirrenden Hitze Floridas, das hier viel mehr ist als ein Land: eine Atmosphäre, in der alles, was das Leben ausmacht, üppig gedeiht und gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartet, die vertraute Oberfläche durchbricht. Mit grausamer Präzision und mitreißender Sprachgewalt erzählt Groff von Zorn, Furcht und Einsamkeit inmitten einer Natur, deren neue Schrecken wir selbst geschaffen haben.
Erzählungen wie der Ort, nach dem sie benannt sind – Florida: wild und schön, gleißend hell, dunkel und unberechenbar. Eine Mutter läuft Nacht für Nacht gegen Wut und Zweifel an, zwei Mädchen werden allein in der Wildnis zurückgelassen, eine junge Frau gibt jeglichen Besitz auf. Situationen schlagen um, und Menschen verwandeln sich in der flirrenden Hitze Floridas, das hier viel mehr ist als ein Land: eine Atmosphäre, in der alles, was das Leben ausmacht, üppig gedeiht und gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartet, die vertraute Oberfläche durchbricht. Mit grausamer Präzision und mitreißender Sprachgewalt erzählt Groff von Zorn, Furcht und Einsamkeit inmitten einer Natur, deren neue Schrecken wir selbst geschaffen haben.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in D, A, L ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2019Panther, Geister und Leerstände
Stürme an Land und in der Seele: Für die Frauen in Lauren Groffs sinnlich prallen Erzählungen ist Florida inneres und äußeres Schicksal.
Florida ist ein amerikanischer Bundesstaat mit den Städten Miami, Orlando und St. Pete darin, ein Staat, in dem neben der immer schon ansässigen oder eingewanderten Bevölkerung eine Menge Rentner leben, und wohin Menschen, die es sich leisten können, vor dem schneidenden Winter weiter nördlich für eine Weile ausweichen. Florida ist Disney und Cape Canaveral und die Everglades, und weil es zu den Südstaaten gehört und deren Gewaltgeschichte von Sklaverei, Bürgerkrieg und Lynchmorden in sich trägt, ist Florida ein eigenwilliges Ökosystem sowohl von Natur wie von Gesellschaft, ein realer Ort ebenso wie auch Metapher. Dieses komplexe, ausufernde, uneindeutige Gebilde bildet den Resonanzraum für Lauren Groffs Erzählungen namens "Florida".
Von den elf Geschichten der Sammlung ereignen sich acht tatsächlich in Florida und eine in Salvador in Brasilien während eines Sturms, der die Stadt in etwas verwandelt, das zumindest vorübergehend, für die Zeit des Aufenthalts der Erzählerin, Florida ähnlichsieht. Zwei spielen in Frankreich, dem Land, das seine Natur vor Jahrhunderten schon vollständig kultiviert hat, während Florida seiner ausgeliefert blieb. Aber Florida holt auf. Möglicherweise ist es, von heute aus gesehen, nicht der Graben zwischen Natur und Kultur, der die beiden trennt, sondern nur der unterschiedliche Grad der jeweiligen Zerstörung natürlichen Lebensraums.
Lauren Groff lebt in Florida, stammt aber nicht von dort und behält daher einen leicht fremden Blick bei, vor allem zunächst auf die Gegend, in der ihre Figuren ausgesetzt sind. Schwüle, Hitze ohne Sonnenlicht, schwere Luft, Wirbelstürme von gewaltiger Kraft. Tiere, deren Schreie die Nächte durchschneiden, Käfer, die in morschem Holz nisten, eine Welt voller Geräusche und Bewegung, niemals still. Die Frauen in diesen Geschichten - es sind fast immer Frauen, die in ihrem Mittelpunkt stehen - vermitteln den Eindruck, sie seien in eine Gefahrenzone geworfen worden, deren Regeln sie nicht kennen. Die kennen dann häufig die Männer, denen sie dorthin gefolgt sind, ihrerseits den Frauen fremde Geschöpfe, doch meistens ohne Arg und nett zu den Kindern.
Die Frauen, von denen Lauren Groff erzählt, heißen "Ich" oder "sie" oder "die Mutter", "die große Schwester" und "die kleine Schwester" oder einfach "die Frau". Familiäre Funktionen, neue Formen eines Archetyps, fast einer neuen Spezies - denn das meiste, was sich in den Familien dieser Geschichten abspielt, bleibt für "die Mutter" ebenso unergründlich wie die Welt der Schlangen: "Sobald man in Florida einen Fuß vor die Tür setzt, wird man von einer Schlange beobachtet: Schlangen im Mulch, Schlangen im Gebüsch, Schlangen, die auf dem Rasen warten, bis man aus dem Pool steigt, damit sie sich darin ersäufen können, und Schlangen, die deinen blassen Knöchel ansehen und sich fragen, wie es wohl wäre, hier die Giftzähne hineinzuschlagen."
Möglicherweise ist die Frau, die uns diese "Schlangengeschichten" überschriebene kurze Story erzählt, zumindestens verwandt mit den anderen Frauen, die in diesem Buch eine zentrale Rolle spielen. Möglicherweise ist es immer dieselbe, zumindest aber jeweils eine Version der Frau, die in der ersten Geschichte des Bands vor ihrer Wut davonrennt. "Irgendwie ist aus mir eine Frau geworden, die herumschreit, und weil ich keine Frau sein will, die herumschreit, deren Kinder mit starren und wachsamen Mienen durchs Haus schleichen, habe ich mir angewöhnt, nach dem Abendessen die Laufschuhe anzuziehen, raus auf die dämmrigen Straßen zu gehen und das Ausziehen, Waschen, Vorlesen, Vorsingen und Einmummeln der Jungen meinem Mann zu überlassen, jemandem, der nicht herumschreit."
Das ist ein sehr langer erster Satz für eine Geschichte von nur fünfzehn Seiten. "Geister und Leerstände" ist sie überschrieben, und hieße der Band nicht klipp und klar "Florida", wäre auch dies ein guter Titel für das ganze Buch gewesen.
Die Frau, die in der ersten Story rennt, könnte auch die Frau aus der Geschichte "Die Mitternachtszone" sein, die in den Zustand der Bewegungslosigkeit versetzt wird, weil sie versucht, eine Glühbirne auszuwechseln, und dabei von einem Schemel fällt und eine Gehirnerschütterung erleidet. Sie war mit Mann und zwei Kindern in den Ferien in ein einsames Haus in der Wildnis gezogen und dort mit den Kindern allein geblieben, während der Mann geschäftlich für zwei Tage in die Stadt zurückfahren muss. Der erste Tag geht ungestört über die Bühne, der zweite aber bringt den Haushaltsunfall. Als die Erzählerin aus ihrer Ohnmacht erwacht, um zu erbrechen, sind alle Routinen, jeder Plan, wie die Tage herumzukriegen seien, während draußen ein Florida-Panther durch den Wald streicht, in sich zusammengefallen. Dass die Kinder ungewaschen, mit nicht geputzten Zähnen und in dreckigen Kleidern zur Mutter ins Bett kriechen, ist einerseits, nämlich in der Phantasie der Mutter, ein frühes Anzeichen für den Untergang der familiären Zivilisiertheit, gewissermaßen ein erster Schritt zurück in die unberechenbare Natur, die sie umgibt. Andererseits aber, von Kinderseite aus gesehen, vor allem Teil der Fürsorge, mit der sie ihre Mutter pflegen und keine Sekunde aus den Augen lassen wollen.
Dass die Zivilisation sich in Mutterschaft und Kinderaufzucht auflöst - das ist eine der Ängste, vielleicht die Ur-Angst der Frauen in diesen Erzählungen. Es ist eine Angst, die als blanker, wenn auch unbestimmter Terror in ihnen wütet, während draußen Tropenstürme die Landschaft mit allem, was auf ihr steht, plattmachen. Es ist eine Angst, die keinen Anlass braucht, aber die Atmosphäre anfüllt und sich ausbreitet wie ein Virus, eine Plage, und alles erfasst. Die Natur ist nicht nur das Wetter, der Urwald, das Getier. Natur, das ist auch der eigene Körper, die Instinkte der Mutter, der Rückfall ins Animalische, etwa in dem Wunsch, die Kinder vor Liebe aufzufressen. Ist es Delirium? Wird die Natur sich rächen für alles, was ihr angetan wird? Werden die Würmer, die Panther kommen und alle holen, zerfetzen, vernichten? Florida ist für all diese Ängste Schauplatz, Wahrscheinlichkeit und Chiffre.
Lauren Groff hat nicht alle Geschichten mit derselben Disziplin geschrieben, so scheint es. Die eine Frankreich-Geschichte etwa, in der die Mutter einer kalt werdenden Leidenschaft für Guy de Maupassant hinterherreist, wirkt fahrig und gleichzeitig forciert und atmosphärisch nicht dicht genug im Vergleich mit den meisten Erzählungen hier, die den Titel des tropischen Melodrams verdienen würden, hätte die Sammlung einen Untertitel. Wobei Melodram hier eher an "malady" als an Drama erinnern sollte und vor allem die pralle Fülle meint, zu der Landschaft, Wetter, Tiere, Menschen, Gefühle und Halluzinationen verschmelzen, um das herzustellen, was wir phantasieren, wenn wir "Florida" hören, lesen, und an Disney denken, Cape Canaveral und die Everglades, den in diesem Landstrich seltenen Panther, die Würmer, die Stürme und das Meer, das alles und auch die Angst bald in sich versenken wird, wenn wir Lauren Groff in ihre Geschichten folgen.
VERENA LUEKEN
Lauren Groff: "Florida". Erzählungen.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Berlin, Berlin 2019. 287 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stürme an Land und in der Seele: Für die Frauen in Lauren Groffs sinnlich prallen Erzählungen ist Florida inneres und äußeres Schicksal.
Florida ist ein amerikanischer Bundesstaat mit den Städten Miami, Orlando und St. Pete darin, ein Staat, in dem neben der immer schon ansässigen oder eingewanderten Bevölkerung eine Menge Rentner leben, und wohin Menschen, die es sich leisten können, vor dem schneidenden Winter weiter nördlich für eine Weile ausweichen. Florida ist Disney und Cape Canaveral und die Everglades, und weil es zu den Südstaaten gehört und deren Gewaltgeschichte von Sklaverei, Bürgerkrieg und Lynchmorden in sich trägt, ist Florida ein eigenwilliges Ökosystem sowohl von Natur wie von Gesellschaft, ein realer Ort ebenso wie auch Metapher. Dieses komplexe, ausufernde, uneindeutige Gebilde bildet den Resonanzraum für Lauren Groffs Erzählungen namens "Florida".
Von den elf Geschichten der Sammlung ereignen sich acht tatsächlich in Florida und eine in Salvador in Brasilien während eines Sturms, der die Stadt in etwas verwandelt, das zumindest vorübergehend, für die Zeit des Aufenthalts der Erzählerin, Florida ähnlichsieht. Zwei spielen in Frankreich, dem Land, das seine Natur vor Jahrhunderten schon vollständig kultiviert hat, während Florida seiner ausgeliefert blieb. Aber Florida holt auf. Möglicherweise ist es, von heute aus gesehen, nicht der Graben zwischen Natur und Kultur, der die beiden trennt, sondern nur der unterschiedliche Grad der jeweiligen Zerstörung natürlichen Lebensraums.
Lauren Groff lebt in Florida, stammt aber nicht von dort und behält daher einen leicht fremden Blick bei, vor allem zunächst auf die Gegend, in der ihre Figuren ausgesetzt sind. Schwüle, Hitze ohne Sonnenlicht, schwere Luft, Wirbelstürme von gewaltiger Kraft. Tiere, deren Schreie die Nächte durchschneiden, Käfer, die in morschem Holz nisten, eine Welt voller Geräusche und Bewegung, niemals still. Die Frauen in diesen Geschichten - es sind fast immer Frauen, die in ihrem Mittelpunkt stehen - vermitteln den Eindruck, sie seien in eine Gefahrenzone geworfen worden, deren Regeln sie nicht kennen. Die kennen dann häufig die Männer, denen sie dorthin gefolgt sind, ihrerseits den Frauen fremde Geschöpfe, doch meistens ohne Arg und nett zu den Kindern.
Die Frauen, von denen Lauren Groff erzählt, heißen "Ich" oder "sie" oder "die Mutter", "die große Schwester" und "die kleine Schwester" oder einfach "die Frau". Familiäre Funktionen, neue Formen eines Archetyps, fast einer neuen Spezies - denn das meiste, was sich in den Familien dieser Geschichten abspielt, bleibt für "die Mutter" ebenso unergründlich wie die Welt der Schlangen: "Sobald man in Florida einen Fuß vor die Tür setzt, wird man von einer Schlange beobachtet: Schlangen im Mulch, Schlangen im Gebüsch, Schlangen, die auf dem Rasen warten, bis man aus dem Pool steigt, damit sie sich darin ersäufen können, und Schlangen, die deinen blassen Knöchel ansehen und sich fragen, wie es wohl wäre, hier die Giftzähne hineinzuschlagen."
Möglicherweise ist die Frau, die uns diese "Schlangengeschichten" überschriebene kurze Story erzählt, zumindestens verwandt mit den anderen Frauen, die in diesem Buch eine zentrale Rolle spielen. Möglicherweise ist es immer dieselbe, zumindest aber jeweils eine Version der Frau, die in der ersten Geschichte des Bands vor ihrer Wut davonrennt. "Irgendwie ist aus mir eine Frau geworden, die herumschreit, und weil ich keine Frau sein will, die herumschreit, deren Kinder mit starren und wachsamen Mienen durchs Haus schleichen, habe ich mir angewöhnt, nach dem Abendessen die Laufschuhe anzuziehen, raus auf die dämmrigen Straßen zu gehen und das Ausziehen, Waschen, Vorlesen, Vorsingen und Einmummeln der Jungen meinem Mann zu überlassen, jemandem, der nicht herumschreit."
Das ist ein sehr langer erster Satz für eine Geschichte von nur fünfzehn Seiten. "Geister und Leerstände" ist sie überschrieben, und hieße der Band nicht klipp und klar "Florida", wäre auch dies ein guter Titel für das ganze Buch gewesen.
Die Frau, die in der ersten Story rennt, könnte auch die Frau aus der Geschichte "Die Mitternachtszone" sein, die in den Zustand der Bewegungslosigkeit versetzt wird, weil sie versucht, eine Glühbirne auszuwechseln, und dabei von einem Schemel fällt und eine Gehirnerschütterung erleidet. Sie war mit Mann und zwei Kindern in den Ferien in ein einsames Haus in der Wildnis gezogen und dort mit den Kindern allein geblieben, während der Mann geschäftlich für zwei Tage in die Stadt zurückfahren muss. Der erste Tag geht ungestört über die Bühne, der zweite aber bringt den Haushaltsunfall. Als die Erzählerin aus ihrer Ohnmacht erwacht, um zu erbrechen, sind alle Routinen, jeder Plan, wie die Tage herumzukriegen seien, während draußen ein Florida-Panther durch den Wald streicht, in sich zusammengefallen. Dass die Kinder ungewaschen, mit nicht geputzten Zähnen und in dreckigen Kleidern zur Mutter ins Bett kriechen, ist einerseits, nämlich in der Phantasie der Mutter, ein frühes Anzeichen für den Untergang der familiären Zivilisiertheit, gewissermaßen ein erster Schritt zurück in die unberechenbare Natur, die sie umgibt. Andererseits aber, von Kinderseite aus gesehen, vor allem Teil der Fürsorge, mit der sie ihre Mutter pflegen und keine Sekunde aus den Augen lassen wollen.
Dass die Zivilisation sich in Mutterschaft und Kinderaufzucht auflöst - das ist eine der Ängste, vielleicht die Ur-Angst der Frauen in diesen Erzählungen. Es ist eine Angst, die als blanker, wenn auch unbestimmter Terror in ihnen wütet, während draußen Tropenstürme die Landschaft mit allem, was auf ihr steht, plattmachen. Es ist eine Angst, die keinen Anlass braucht, aber die Atmosphäre anfüllt und sich ausbreitet wie ein Virus, eine Plage, und alles erfasst. Die Natur ist nicht nur das Wetter, der Urwald, das Getier. Natur, das ist auch der eigene Körper, die Instinkte der Mutter, der Rückfall ins Animalische, etwa in dem Wunsch, die Kinder vor Liebe aufzufressen. Ist es Delirium? Wird die Natur sich rächen für alles, was ihr angetan wird? Werden die Würmer, die Panther kommen und alle holen, zerfetzen, vernichten? Florida ist für all diese Ängste Schauplatz, Wahrscheinlichkeit und Chiffre.
Lauren Groff hat nicht alle Geschichten mit derselben Disziplin geschrieben, so scheint es. Die eine Frankreich-Geschichte etwa, in der die Mutter einer kalt werdenden Leidenschaft für Guy de Maupassant hinterherreist, wirkt fahrig und gleichzeitig forciert und atmosphärisch nicht dicht genug im Vergleich mit den meisten Erzählungen hier, die den Titel des tropischen Melodrams verdienen würden, hätte die Sammlung einen Untertitel. Wobei Melodram hier eher an "malady" als an Drama erinnern sollte und vor allem die pralle Fülle meint, zu der Landschaft, Wetter, Tiere, Menschen, Gefühle und Halluzinationen verschmelzen, um das herzustellen, was wir phantasieren, wenn wir "Florida" hören, lesen, und an Disney denken, Cape Canaveral und die Everglades, den in diesem Landstrich seltenen Panther, die Würmer, die Stürme und das Meer, das alles und auch die Angst bald in sich versenken wird, wenn wir Lauren Groff in ihre Geschichten folgen.
VERENA LUEKEN
Lauren Groff: "Florida". Erzählungen.
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Berlin, Berlin 2019. 287 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.01.2020Das Surren der
Kühlaggregate
Sieht so die Literatur des Klimawandels aus?
Lauren Groffs kraftvoller Erzählband „Florida“
VON MEIKE FESSMANN
Wild und unheimlich, im Alltäglichen verortet wie in einem Sumpfgebiet, pirschen sich diese Erzählungen heran. Ein leiser Sound drohenden Unheils liegt über allem. Oft sind es die Geräusche von Tieren, ihr Atem, ihr Schleichen, ihr Schlängeln und Peitschen, das Aufknacken von Nüssen oder von irgendwas (einem Schädel beispielsweise), ihr Herzschlag, das knappe Zischen einer zuschlagenden Katzenpfote. Die kleine Narbe, die ihr Kater hinterlassen hat, erinnert eine Frau an alles, was sie verlor. Als ihr Freund sie verließ, ging es bergab, er hat das Brunchen am Morgen mitgenommen, den geregelten Tagesablauf, die Freunde, den Besuch im Ferienhaus seiner Eltern in Pennsylvania. Ihr Job an der Uni wurde nicht verlängert, sie ließ sich fallen, gab einfach auf, packte ihre Sachen in den Kombi, und aus der „Beinahe-Professorin“ wurde eine Obdachlose, die ihren Wagen einfach stehen ließ, nachdem er aufgebrochen wurde – was übrig geblieben war, hing „wie Gedärme“ heraus.
Die elf Geschichten aus „Florida“ sind von großer Körperlichkeit, wobei kaum ein Unterschied zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Dingen besteht. Die Natur ist beides, bedrohlich und bedroht, fast in jeder Geschichte gibt es Hitze, Regen, Stürme oder Hurrikans, in jeder Ecke lauern Schlangen, Termiten, Ungeziefer. Alligatoren sind keine Seltenheit, in Dolinen sammelt sich das Wasser. Sie glaube daran, dass Landschaften tatsächlich das Gehirn verändern, sagte die 1978 geborene Schriftstellerin nach einer Lesung bei „Politics and Prose“ im Juni 2018 (zu sehen auf Youtube). Dort beschrieb sie auch, wie sie sich aufs Schreiben einstimmt: mit dem Lesen von Gedichten, häufig Emily Dickinson.
Lauren Groff, deren dritten Roman „Fates and Furies“ („Licht und Zorn“) Präsident Obama 2015 zu seinem Lieblingsbuch erkor, nachdem schon ihr erster Roman, „The Monsters of Templeton“, 2008 auf die Bestseller-Liste der New York Times gekommen war, wuchs im Bundesstaat New York auf. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann und den beiden Söhnen in Florida. Dort gleiche der Sommer „dem langsamen Ertrinken bei glühender Hitze“, schreibt sie in „Yport“, der nach einem Dorf in der Normandie benannten längsten und letzten Erzählung des fulminanten Bandes. Eine Schriftstellerin verbringt den Sommer mit ihren kleinen Söhnen in Frankreich, um der Hitze und ihren Panikattacken zu entfliehen und endlich ihr Buch über Guy de Maupassant voranzubringen, an dem sie seit Jahren arbeitet. Doch nicht nur ihre Söhne beginnen „Guy“ zu hassen, auch ihr eigener Widerwille wächst.
Warum soll sie ihre Zeit an einen derartig unsympathischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts verschwenden, nur weil sie ein paar seiner Werke gelungen findet? Steht er nicht für alles, was sie verabscheut, für Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Misogynie und Amoralität? Sie hatte gehofft, sich in Frankreich besser zu fühlen, klarer, eleganter, auch die Sprache, die uns umgibt, verändert schließlich, wer wir sind. Doch die Kur schlägt nicht an. „Ach, Mommy hat doch vor allem Angst“, weiß der ältere der beiden Söhne schon mit sieben Jahren und tätschelt das Bein seiner Mutter, während er sie auf einer schmalen Brücke über eine tiefe Kluft führt.
„Yport“ ist nicht nur eine Erzählung über die USA und das hochnäsige Europa, über den Einfluss von Landschaft und Sprache auf die Psyche, über Güte und Moral, sondern auch über den Klimawandel. Paris war der weiblichen Hauptfigur, die nur „die Mutter“ genannt wird, immer als möglicher Fluchtort vor den „drohenden Klimakriegen der Zukunft“ erschienen. Nun ist es dort beinahe so heiß wie in Florida. Das beschert ihr nicht nur die „entmutigende Selbsterkenntnis“, für immer und ewig nach Florida zu gehören. Es führt auch zu der Überlegung, dass „auf einem heißeren Planeten alle Orte gleich schlecht“ sind. Die Äquilibristik des Schreckens beherrscht Lauren Groff meisterlich: eine Angst hält die andere in Schach. Der Klimawandel ist gewissermaßen das Nervensystem, das die einzelnen Erzählungen und den ganzen Band innerviert.
Lauren Groff ist eine präzise und strukturierte Erzählerin, die ihren Geschichten mit natürlichen Dialogen und elementaren Bildern Kraft verleiht: Ob es die Eiche ist, die vor einem jüngst verlassenen Nonnenkloster nachts angestrahlt wird, einem „Koloss“ ähnlich, der an eine am Küchentisch sitzende Frau erinnert, ob es die Robinson-Crusoe-Geschichte um zwei Mädchen ist oder die im Florida rund um den Zweiten Weltkrieg spielende Erzählung, in der es ein Junge mit seinem amphibien- und reptilienvernarrten rassistischen Vater, einem Herpetologie-Professor, in einem dunklen Cracker-Haus am Sumpf aushalten muss, nachdem die Mutter eines Tages geflohen ist. Der Kriegseinsatz des Vaters in Europa brachte eine Atempause, danach wurde alles nur noch schlimmer. Innen- und Außenwelt verschlingt Groff zu einem Möbius-Band der Bedrohung, wenn sie über den Jungen schreibt, er könne Mädchen ohne ein Wort verführen, weil sie „die Gefahr spürten, die zusammengerollt in ihm lauerte“.
Die Schlange des Unglücks beißt sich wie der mythische Ouroboros in den eigenen Schwanz, wenn es in „Geister und Leerstände“, der ersten Erzählung, heißt: „Tagsüber, wenn meine Söhne in der Schule sind, verschlinge ich wie eine Besessene alles über die Katastrophen der Welt, die Gletscher, die sterben wie lebende Wesen, den Großen Pazifikmüllfleck und das hundertfache, nicht protokollierte Artensterben – Jahrtausende, einfach so ausgelöscht, als wären sie nichts wert. Von unbändiger Trauer erfüllt, lese ich, als könnte Lesen dieser Trauer irgendwie den Rachen stopfen, statt ihre Gier zu befeuern, denn genau das passiert.“
Die Übersetzung von Stefanie Jacobs ist meistens gelungen. Manchmal erfindet sie wenig plausibel ein Detail hinzu – dass sich Kreuzfahrtpassagiere „dreimal täglich“ am Büffet bedienen beispielsweise –, während sie im selben Zusammenhang Details weglässt, die für die Stärke eines Bildes notwendig wären, wenn sie übersetzt: „meine Aufsässigkeit glich zu dieser Zeit einem zähen Nebel, der sich nie auflöste, weil nirgends Sonne war“. Im amerikanischen Original aber heißt es: „my rebelliousness at the time was like a sticky fog rolling through my body and never burning off, there was no sun inside“. Dabei geht nicht nur die Körperlichkeit des Bildes mit der für Lauren Groff so typischen Inversion von Innen- und Außenwelt verloren, sondern auch der rollende Klang und Rhythmus des Satzes.
Die Geschichte, aus der dieses Zitat stammt, heißt „Die Mitternachtszone“. Es ist jene Zone tief im Meer, in die kein Licht vordringt. Wie alle Erzählungen wirkt sie realistisch und verhandelt die großen Themen der Zeit mit einem Spin, der zwischen Panik und Lakonie, zwischen Energie und fast lasziver Trägheit rotiert, um schließlich in einer kafkaesken Verwandlungsszenerie zu enden, die so minutiös gebaut ist, dass man sie fast überlesen kann. Lauren Groff braucht keine Dystopie, um das Unheimliche der Gegenwart zu erfassen. Ihr genügt eine Erzählerin, die mit ihren beiden Söhnen zwei Tage allein in einer Jagdhütte fernab der Zivilisation bleibt, während ihr Mann wegen eines beruflichen Notfalls nach Hause zurückkehren muss. Sie will sich und ihm beweisen, dass sie, die zwar mit ihren Kindern tobt und ihnen vorliest, aber alles vermeidet, was nach weiblicher – oder irgendeiner – Pflichterfüllung aussieht, das kann. Es geht auf ebenso tragikomische wie furchterregende Weise schief. Als er zurückkehrt, liegt sie mit einer notdürftig von ihren Kindern versorgten Kopfverletzung in der Hütte, und zum ersten Mal zeigt sich etwas bei dem „sanften Hünen“, was sonst ihr Part ist: „Was ich in seinem Gesicht sah, war das Schlimmste überhaupt, es war Angst, und sie war riesengroß, sie war elementar wie der Wind und die kühle Sonne, die ich bald auf meinem seidigen Pelz spüren würde.“
Wie David Vann mit seinen in Alaska angesiedelten Familientragödien, wie T. C. Boyle und Joan Didion mit ihren in Kalifornien spielenden Büchern, macht auch Lauren Groff in „Florida“ aus einem Land die mentale Topografie ihrer Obsessionen. Die Fremdheitserfahrung, aus dem Norden der USA in den Süden gezogen zu sein, mag dazu beigetragen haben, ihr Sensorium für gesellschaftliche Spannungen zu sensibilisieren: für soziale Abstürze, für Rassismus, für das „neue Gift“ eines Hasses, das nur bei Männern wirkt, aber auch für die Schwierigkeiten von Frauen, in einer „Gesellschaft der Singularitäten“, wie der Soziologe Andreas Reckwitz die hochindividualisierte Gesellschaft der Spätmoderne nennt, mit der Mutterrolle klarzukommen. Was die israelische Soziologin Orna Donath als „Regretting Motherhood“ erkundete oder Rachel Cusk mit ihrem autobiografischen Essay „A Life’s Work“ („Lebenswerk“), gespenstert durch diese Geschichten als der Schrecken mehrfacher Überforderung: Kinder in einer Welt aufzuziehen, von der die Wissenschaft versichert, sie steuere auf ihren Untergang zu.
Lauren Groff ist eine kraftvolle Erzählerin, die dem Unheimlichen der Gegenwart auf eine Weise beikommt, die an Alice Munro erinnert und noch aus dem kleinsten Detail Aussagekraft gewinnt. Aus dem ständigen Surren der Klimaanlagen beispielsweise, die dem Schutz derjenigen dienen, die drinnen sind, und die Atmosphäre weiter aufheizen.
Die Äquilibristik des
Schreckens: Eine Angst hält
die andere in Schach
Durch die Geschichten
gespenstert der Schrecken
mehrfacher Überforderung
Lauren Groff: Florida. Erzählungen. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, München 2019. 286 Seiten, 22 Euro.
Vor dem Untergang: Tropensturm Ernesto zieht über Florida hinweg.
Foto: MARC SEROTA / reuters
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Kühlaggregate
Sieht so die Literatur des Klimawandels aus?
Lauren Groffs kraftvoller Erzählband „Florida“
VON MEIKE FESSMANN
Wild und unheimlich, im Alltäglichen verortet wie in einem Sumpfgebiet, pirschen sich diese Erzählungen heran. Ein leiser Sound drohenden Unheils liegt über allem. Oft sind es die Geräusche von Tieren, ihr Atem, ihr Schleichen, ihr Schlängeln und Peitschen, das Aufknacken von Nüssen oder von irgendwas (einem Schädel beispielsweise), ihr Herzschlag, das knappe Zischen einer zuschlagenden Katzenpfote. Die kleine Narbe, die ihr Kater hinterlassen hat, erinnert eine Frau an alles, was sie verlor. Als ihr Freund sie verließ, ging es bergab, er hat das Brunchen am Morgen mitgenommen, den geregelten Tagesablauf, die Freunde, den Besuch im Ferienhaus seiner Eltern in Pennsylvania. Ihr Job an der Uni wurde nicht verlängert, sie ließ sich fallen, gab einfach auf, packte ihre Sachen in den Kombi, und aus der „Beinahe-Professorin“ wurde eine Obdachlose, die ihren Wagen einfach stehen ließ, nachdem er aufgebrochen wurde – was übrig geblieben war, hing „wie Gedärme“ heraus.
Die elf Geschichten aus „Florida“ sind von großer Körperlichkeit, wobei kaum ein Unterschied zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen, Dingen besteht. Die Natur ist beides, bedrohlich und bedroht, fast in jeder Geschichte gibt es Hitze, Regen, Stürme oder Hurrikans, in jeder Ecke lauern Schlangen, Termiten, Ungeziefer. Alligatoren sind keine Seltenheit, in Dolinen sammelt sich das Wasser. Sie glaube daran, dass Landschaften tatsächlich das Gehirn verändern, sagte die 1978 geborene Schriftstellerin nach einer Lesung bei „Politics and Prose“ im Juni 2018 (zu sehen auf Youtube). Dort beschrieb sie auch, wie sie sich aufs Schreiben einstimmt: mit dem Lesen von Gedichten, häufig Emily Dickinson.
Lauren Groff, deren dritten Roman „Fates and Furies“ („Licht und Zorn“) Präsident Obama 2015 zu seinem Lieblingsbuch erkor, nachdem schon ihr erster Roman, „The Monsters of Templeton“, 2008 auf die Bestseller-Liste der New York Times gekommen war, wuchs im Bundesstaat New York auf. Inzwischen lebt sie mit ihrem Mann und den beiden Söhnen in Florida. Dort gleiche der Sommer „dem langsamen Ertrinken bei glühender Hitze“, schreibt sie in „Yport“, der nach einem Dorf in der Normandie benannten längsten und letzten Erzählung des fulminanten Bandes. Eine Schriftstellerin verbringt den Sommer mit ihren kleinen Söhnen in Frankreich, um der Hitze und ihren Panikattacken zu entfliehen und endlich ihr Buch über Guy de Maupassant voranzubringen, an dem sie seit Jahren arbeitet. Doch nicht nur ihre Söhne beginnen „Guy“ zu hassen, auch ihr eigener Widerwille wächst.
Warum soll sie ihre Zeit an einen derartig unsympathischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts verschwenden, nur weil sie ein paar seiner Werke gelungen findet? Steht er nicht für alles, was sie verabscheut, für Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Misogynie und Amoralität? Sie hatte gehofft, sich in Frankreich besser zu fühlen, klarer, eleganter, auch die Sprache, die uns umgibt, verändert schließlich, wer wir sind. Doch die Kur schlägt nicht an. „Ach, Mommy hat doch vor allem Angst“, weiß der ältere der beiden Söhne schon mit sieben Jahren und tätschelt das Bein seiner Mutter, während er sie auf einer schmalen Brücke über eine tiefe Kluft führt.
„Yport“ ist nicht nur eine Erzählung über die USA und das hochnäsige Europa, über den Einfluss von Landschaft und Sprache auf die Psyche, über Güte und Moral, sondern auch über den Klimawandel. Paris war der weiblichen Hauptfigur, die nur „die Mutter“ genannt wird, immer als möglicher Fluchtort vor den „drohenden Klimakriegen der Zukunft“ erschienen. Nun ist es dort beinahe so heiß wie in Florida. Das beschert ihr nicht nur die „entmutigende Selbsterkenntnis“, für immer und ewig nach Florida zu gehören. Es führt auch zu der Überlegung, dass „auf einem heißeren Planeten alle Orte gleich schlecht“ sind. Die Äquilibristik des Schreckens beherrscht Lauren Groff meisterlich: eine Angst hält die andere in Schach. Der Klimawandel ist gewissermaßen das Nervensystem, das die einzelnen Erzählungen und den ganzen Band innerviert.
Lauren Groff ist eine präzise und strukturierte Erzählerin, die ihren Geschichten mit natürlichen Dialogen und elementaren Bildern Kraft verleiht: Ob es die Eiche ist, die vor einem jüngst verlassenen Nonnenkloster nachts angestrahlt wird, einem „Koloss“ ähnlich, der an eine am Küchentisch sitzende Frau erinnert, ob es die Robinson-Crusoe-Geschichte um zwei Mädchen ist oder die im Florida rund um den Zweiten Weltkrieg spielende Erzählung, in der es ein Junge mit seinem amphibien- und reptilienvernarrten rassistischen Vater, einem Herpetologie-Professor, in einem dunklen Cracker-Haus am Sumpf aushalten muss, nachdem die Mutter eines Tages geflohen ist. Der Kriegseinsatz des Vaters in Europa brachte eine Atempause, danach wurde alles nur noch schlimmer. Innen- und Außenwelt verschlingt Groff zu einem Möbius-Band der Bedrohung, wenn sie über den Jungen schreibt, er könne Mädchen ohne ein Wort verführen, weil sie „die Gefahr spürten, die zusammengerollt in ihm lauerte“.
Die Schlange des Unglücks beißt sich wie der mythische Ouroboros in den eigenen Schwanz, wenn es in „Geister und Leerstände“, der ersten Erzählung, heißt: „Tagsüber, wenn meine Söhne in der Schule sind, verschlinge ich wie eine Besessene alles über die Katastrophen der Welt, die Gletscher, die sterben wie lebende Wesen, den Großen Pazifikmüllfleck und das hundertfache, nicht protokollierte Artensterben – Jahrtausende, einfach so ausgelöscht, als wären sie nichts wert. Von unbändiger Trauer erfüllt, lese ich, als könnte Lesen dieser Trauer irgendwie den Rachen stopfen, statt ihre Gier zu befeuern, denn genau das passiert.“
Die Übersetzung von Stefanie Jacobs ist meistens gelungen. Manchmal erfindet sie wenig plausibel ein Detail hinzu – dass sich Kreuzfahrtpassagiere „dreimal täglich“ am Büffet bedienen beispielsweise –, während sie im selben Zusammenhang Details weglässt, die für die Stärke eines Bildes notwendig wären, wenn sie übersetzt: „meine Aufsässigkeit glich zu dieser Zeit einem zähen Nebel, der sich nie auflöste, weil nirgends Sonne war“. Im amerikanischen Original aber heißt es: „my rebelliousness at the time was like a sticky fog rolling through my body and never burning off, there was no sun inside“. Dabei geht nicht nur die Körperlichkeit des Bildes mit der für Lauren Groff so typischen Inversion von Innen- und Außenwelt verloren, sondern auch der rollende Klang und Rhythmus des Satzes.
Die Geschichte, aus der dieses Zitat stammt, heißt „Die Mitternachtszone“. Es ist jene Zone tief im Meer, in die kein Licht vordringt. Wie alle Erzählungen wirkt sie realistisch und verhandelt die großen Themen der Zeit mit einem Spin, der zwischen Panik und Lakonie, zwischen Energie und fast lasziver Trägheit rotiert, um schließlich in einer kafkaesken Verwandlungsszenerie zu enden, die so minutiös gebaut ist, dass man sie fast überlesen kann. Lauren Groff braucht keine Dystopie, um das Unheimliche der Gegenwart zu erfassen. Ihr genügt eine Erzählerin, die mit ihren beiden Söhnen zwei Tage allein in einer Jagdhütte fernab der Zivilisation bleibt, während ihr Mann wegen eines beruflichen Notfalls nach Hause zurückkehren muss. Sie will sich und ihm beweisen, dass sie, die zwar mit ihren Kindern tobt und ihnen vorliest, aber alles vermeidet, was nach weiblicher – oder irgendeiner – Pflichterfüllung aussieht, das kann. Es geht auf ebenso tragikomische wie furchterregende Weise schief. Als er zurückkehrt, liegt sie mit einer notdürftig von ihren Kindern versorgten Kopfverletzung in der Hütte, und zum ersten Mal zeigt sich etwas bei dem „sanften Hünen“, was sonst ihr Part ist: „Was ich in seinem Gesicht sah, war das Schlimmste überhaupt, es war Angst, und sie war riesengroß, sie war elementar wie der Wind und die kühle Sonne, die ich bald auf meinem seidigen Pelz spüren würde.“
Wie David Vann mit seinen in Alaska angesiedelten Familientragödien, wie T. C. Boyle und Joan Didion mit ihren in Kalifornien spielenden Büchern, macht auch Lauren Groff in „Florida“ aus einem Land die mentale Topografie ihrer Obsessionen. Die Fremdheitserfahrung, aus dem Norden der USA in den Süden gezogen zu sein, mag dazu beigetragen haben, ihr Sensorium für gesellschaftliche Spannungen zu sensibilisieren: für soziale Abstürze, für Rassismus, für das „neue Gift“ eines Hasses, das nur bei Männern wirkt, aber auch für die Schwierigkeiten von Frauen, in einer „Gesellschaft der Singularitäten“, wie der Soziologe Andreas Reckwitz die hochindividualisierte Gesellschaft der Spätmoderne nennt, mit der Mutterrolle klarzukommen. Was die israelische Soziologin Orna Donath als „Regretting Motherhood“ erkundete oder Rachel Cusk mit ihrem autobiografischen Essay „A Life’s Work“ („Lebenswerk“), gespenstert durch diese Geschichten als der Schrecken mehrfacher Überforderung: Kinder in einer Welt aufzuziehen, von der die Wissenschaft versichert, sie steuere auf ihren Untergang zu.
Lauren Groff ist eine kraftvolle Erzählerin, die dem Unheimlichen der Gegenwart auf eine Weise beikommt, die an Alice Munro erinnert und noch aus dem kleinsten Detail Aussagekraft gewinnt. Aus dem ständigen Surren der Klimaanlagen beispielsweise, die dem Schutz derjenigen dienen, die drinnen sind, und die Atmosphäre weiter aufheizen.
Die Äquilibristik des
Schreckens: Eine Angst hält
die andere in Schach
Durch die Geschichten
gespenstert der Schrecken
mehrfacher Überforderung
Lauren Groff: Florida. Erzählungen. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Verlag Hanser Berlin, München 2019. 286 Seiten, 22 Euro.
Vor dem Untergang: Tropensturm Ernesto zieht über Florida hinweg.
Foto: MARC SEROTA / reuters
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
"Eine ständige Unruhe durchzieht ihre Sprache (von Stefanie Jacobs sensibel übersetzt), die manchmal abrupt zwischen sprödem Protokoll und üppigen Bildern hin- und herwechselt und in der Giftschlangen, Sturmnächte und Erdlöcher sich auch in den Innenwelten der Menschen ausbreiten. Worin ein Trost liegt: Denn wer sich der Natur, dem Leben in all seinen Erscheinungsformen und also dem Tod ausliefert, wer bereit ist, sich als Teil dieser Kreisläufe und nicht als ihnen überlegen zu begreifen, verliert womöglich die Angst." Eva Behrendt, ZEIT, 28.11.2019
"Elf Geschichten, die ausloten, was das heute heißt: Frau, Intellektuelle und Mutter sein, welche Begrenzungen es gibt und wie Emanzipation aussehen könnte. [...] Diese Prosa ist spannend, ein Erzählton, der meisterhaft die Stimmung aufziehender Gefahren beschwört. [...] Dass Lauren Groffs Texte sich eine simple Antwort versagen, genau das macht ihr Buch zu einem exzellenten Lesestoff." Daniel Hass, Deutschlandfunk Kultur, 01.11.2019
"Eine der begabtesten Schriftstellerinnen Amerikas." Wieland Freund, Welt am Sonntag, 27.10.2019
"'Florida' ist ein an gegenwärtigen Themen reicher Erzählband, dessen vielschichtige (Frauen-)Figuren und facettenreiche Sprache Lauren Groff als eine tolle Geschichtenerzählerin ausweisen." Carola Ebeling, taz, 07.11.2019
"Lauren Groff lebt in Florida, stammt aber nicht von dort und behält daher einen leicht fremden Blick bei, vor allem auf die Gegend, in der ihre Figuren ausgesetzt sind: Schwüle, Hitze ohne Sonnenlicht, schwere Luft, Wirbelstürme von gewaltiger Kraft. Tiere, deren Schreie die Nächte durchschneiden, Käfer, die in morschem Holz nisten, eine Welt voller Geräusche und Bewegungen, niemals still. Die Frauen in diesen Geschichten [...] vermitteln den Eindruck, sie seien in eine Gefahrenzone geworfen worden, deren regeln sie nicht kennen." Verena Lueken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.12.2019
"Florida beeindruckt bis in einzelne Sätze hinein mit Überraschungsmomenten; und allein die präzise, zugleich erfindungsreiche Übersetzung von Stefanie Jacobs ist die Lektüre wert. Tatsächlich kann man schwer sagen, ob diese Literatur von Groff oder Jacobs stammt. Wahrscheinlich ist es eine kongeniale Kombination. Das Buch ist eine der besten Veröffentlichungen US-amerikanischer Werke, die zuletzt ins Deutsche übertragen worden sind." Carsten Otte, Tagesspiegel, 01.12.2019
"Wie das Leben als Paar oder in einer Familie immer wieder zum Verzweifeln ist, was die flirrende, drückende Atmosphäre Floridas damit zu tun hat, wie das mit den Gewissheiten in solchen Leben so eine Sache ist, davon handeln diese fantastischen Erzählungen der jungen Autorin Lauren Groff." Gerrit Bartels, Tagesspiegel, 08.12.2019
"In Lauren Groffs wunderbar poetischen Kurzgeschichten erscheint Florida als raues Paradies." Jana Felgenhauer, Barbara, 12/2019
"In den elf Erzählungen der US-Autorin wüten Sturzregen und Stürme, schleichen Panther und Schlangen umher. Wie Groff diese [...] schildert, ist unglaublich unterhaltsam." Christoph Feil, Heilbronner Stimme, 17.11.2019
"Elf Geschichten, die ausloten, was das heute heißt: Frau, Intellektuelle und Mutter sein, welche Begrenzungen es gibt und wie Emanzipation aussehen könnte. [...] Diese Prosa ist spannend, ein Erzählton, der meisterhaft die Stimmung aufziehender Gefahren beschwört. [...] Dass Lauren Groffs Texte sich eine simple Antwort versagen, genau das macht ihr Buch zu einem exzellenten Lesestoff." Daniel Hass, Deutschlandfunk Kultur, 01.11.2019
"Eine der begabtesten Schriftstellerinnen Amerikas." Wieland Freund, Welt am Sonntag, 27.10.2019
"'Florida' ist ein an gegenwärtigen Themen reicher Erzählband, dessen vielschichtige (Frauen-)Figuren und facettenreiche Sprache Lauren Groff als eine tolle Geschichtenerzählerin ausweisen." Carola Ebeling, taz, 07.11.2019
"Lauren Groff lebt in Florida, stammt aber nicht von dort und behält daher einen leicht fremden Blick bei, vor allem auf die Gegend, in der ihre Figuren ausgesetzt sind: Schwüle, Hitze ohne Sonnenlicht, schwere Luft, Wirbelstürme von gewaltiger Kraft. Tiere, deren Schreie die Nächte durchschneiden, Käfer, die in morschem Holz nisten, eine Welt voller Geräusche und Bewegungen, niemals still. Die Frauen in diesen Geschichten [...] vermitteln den Eindruck, sie seien in eine Gefahrenzone geworfen worden, deren regeln sie nicht kennen." Verena Lueken, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.12.2019
"Florida beeindruckt bis in einzelne Sätze hinein mit Überraschungsmomenten; und allein die präzise, zugleich erfindungsreiche Übersetzung von Stefanie Jacobs ist die Lektüre wert. Tatsächlich kann man schwer sagen, ob diese Literatur von Groff oder Jacobs stammt. Wahrscheinlich ist es eine kongeniale Kombination. Das Buch ist eine der besten Veröffentlichungen US-amerikanischer Werke, die zuletzt ins Deutsche übertragen worden sind." Carsten Otte, Tagesspiegel, 01.12.2019
"Wie das Leben als Paar oder in einer Familie immer wieder zum Verzweifeln ist, was die flirrende, drückende Atmosphäre Floridas damit zu tun hat, wie das mit den Gewissheiten in solchen Leben so eine Sache ist, davon handeln diese fantastischen Erzählungen der jungen Autorin Lauren Groff." Gerrit Bartels, Tagesspiegel, 08.12.2019
"In Lauren Groffs wunderbar poetischen Kurzgeschichten erscheint Florida als raues Paradies." Jana Felgenhauer, Barbara, 12/2019
"In den elf Erzählungen der US-Autorin wüten Sturzregen und Stürme, schleichen Panther und Schlangen umher. Wie Groff diese [...] schildert, ist unglaublich unterhaltsam." Christoph Feil, Heilbronner Stimme, 17.11.2019