Der Leidener Althistoriker Henk Versnel berührt in dieser Studie das komplizierte Verhältnis von Magie und Religion, welches sich trotz aller gegenteiligen Behauptungen hartnäckig einem Bedeutungs- und Interesseschwundes widersetzt. Die genaue Lektüre von antiken griechischen und lateinischen Fluchtafeln macht eine bisher nicht hinreichend erforschte Unterscheidung in zwei Kategorien möglich. Auf der einen Seite finden sich Bindeflüche (defixiones), die durch "Bindung" Kontrahenten oder Rivalen aller Kraft berauben sollten. In Gräbern, Gruben oder Brunnen versteckt, zeigen sie keinerlei Erwähnung von Rechtfertigung und verwenden Worte und Handlungen manipulativer Art, die moderne Leser als "magisch" bezeichnen würden. Ihr anonymer Gebrauch machte sie anfällig für Verdächtigungen und soziale Ablehnung. Ein zweiter Typus von Fluchtafeln, der in der wissenschaftlichen Literatur ebenfalls als defixiones bezeichnet wird, scheint von grundlegend anderer Natur zu sein. Meist öffentlich in Tempeln angebracht bitten sie die örtliche Gottheit, eine (meist) unbekannte Person für ein am Verfasser begangenes Unrecht (Diebstahl, Verleumdung oder schlechte Behandlung) zu strafen. Der erkennbar respektvolle Ton, eine demütige Haltung sowie weitere Charakteristika erweisen diese Texte als Gebete für Gerechtigkeit, in unserer Wahrnehmung also Ausdrücke einer frommen Religiosität. Die Tatsache, dass die antiken Menschen zwischen beiden Typen zu unterscheiden wussten und entsprechend handelten, gibt Anlass, die Anwendung der modernen Begriffe "Magie" und "Religion" auf die antike griechische und römische Fluchpraxis neu zu überdenken.
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