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Sein Vater erschießt sich, und ihm bleiben nur die alte Hündin Beta und eine innere Unruhe. Er bricht auf in den Süden und lässt sich in einem kleinen Küstenort nieder, wo er als Sportlehrer arbeitet, stundenlang im Meer schwimmt und sich verliebt. Das behagliche neue Leben ist schlagartig zu Ende, als er beginnt, ein Familiengeheimnis zu ergründen: Sein Großvater, dem er zum Verwechseln ähnlich sieht, hatte in der Gegend gelebt, bis er unter ungeklärten Umständen verschwand. Mit seiner Suche zieht er das Misstrauen der Bewohner auf sich, ungewöhnliche Dinge geschehen. Obendrein wird ihm seine…mehr

Produktbeschreibung
Sein Vater erschießt sich, und ihm bleiben nur die alte Hündin Beta und eine innere Unruhe. Er bricht auf in den Süden und lässt sich in einem kleinen Küstenort nieder, wo er als Sportlehrer arbeitet, stundenlang im Meer schwimmt und sich verliebt. Das behagliche neue Leben ist schlagartig zu Ende, als er beginnt, ein Familiengeheimnis zu ergründen: Sein Großvater, dem er zum Verwechseln ähnlich sieht, hatte in der Gegend gelebt, bis er unter ungeklärten Umständen verschwand. Mit seiner Suche zieht er das Misstrauen der Bewohner auf sich, ungewöhnliche Dinge geschehen. Obendrein wird ihm seine Krankheit zum Verhängnis, er kann Gesichter nicht wiedererkennen. Allmählich begreift er, dass ihm das Schicksal seines Großvaters droht, doch da steht ihm das Wasser schon bis zum Hals ... Mit lichter, hypnotisierender Kraft und einer feinsinnigen Spannung erzählt »Flut« von einer Suche über drei Generationen, die an die Grenzen des Menschenmöglichen führt.

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Autorenporträt
Daniel Galera, geboren 1979 in São Paulo, lebt heute in Porto Alegre. Er hat Erzählungen, eine Graphic Novel und drei Romane geschrieben. Sein Werk ist vielfach ausgezeichnet, verfilmt und für das Theater adaptiert worden. Galera hat u. a. Zadie Smith, Jonathan Safran Foer, David Foster Wallace und Hunter S. Thompson ins Portugiesische übersetzt.

Nicolai von Schweder-Schreiner, geboren 1967 in Lissabon, übersetzt seit 1997 Texte aus dem Portugiesischen und Englischen ins Deutsche. Er ist außerdem als Musiker und Komponist tätig. Nicolai Schweder-Schreiner lebt heute in Hamburg.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ein Versprechen auf mehr von diesem Autor ist dieser Roman von Daniel Galera für Eberhard Geisler. Warum? Weil der Autor scheinbar sehr lässig die Theologie in die leicht erzählte Geschichte eines Mannes auf der Suche nach seiner Herkunft und nach dem einfachen Leben einwebt. Die Tatsache, dass der Mann sich keine Gesichter merken kann und der Roman mit Spiegelbildern spielt, deutet Geisler, nachdem ihn der Autor immer wieder mit scheinbar bedeutungslosen Zeichen erfreut hat, als Teil einer theologischen Spekulation, derzufolge der Mensch erst frei ist, wenn er Gottes Antlitz als Verlöschendes begreift (oder so ähnlich). Für Geisler eine faszinierende Sache - der Gedanke wie auch die Niederlegung im Roman.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.09.2013

LITERATURLAND BRASILIEN
Einsame Seelenwanderung: Daniel Galera
Mit der Pistole in der Hand sitzt der Vater im Sessel und teilt seinem Sohn mit, er werde sich erschießen. Dieser angekündigte Selbstmord ist der Ausgangspunkt von Daniel Galeras mythischem Roman „Flut“. Und dann schickt der 1979 in São Paulo geborene, in Porto Alegre aufgewachsene Autor seinen namenlosen Helden auf eine albtraumhafte Reise. Vor seinem Tod ringt ihm der Vater das Versprechen ab, seine Hündin Beta zu töten, denn sie werde den Verlust ihres Herrn nicht ertragen.
  Bevor er stirbt, erzählt der Lebensmüde dem Sohn erstmals von seinem Großvater, dessen Leben – und Sterben– wie eine Legende klingt. Ein Dorffest, ein plötzlicher Stromausfall, Dunkelheit und danach eine breite Blutspur. In dem Fischerdorf Garopaba an Brasiliens Südküste sei der Sonderling mit Hunderten Messerstichen von der Dorfgemeinschaft niedergemetzelt worden. Doch seine Leiche habe man nie gefunden. Es gehe das Gerücht um, er lebe in einer Höhle im Wald. Oder nur sein Geist?
  Nach der Beerdigung des Vaters setzt der Sohn die Hündin in seinen Wagen und fährt los. Er wird sie nicht töten. Scheinbar grundlos gibt er sein Leben in der Stadt Porto Alegre auf und mietet ein kleines Haus in Garopaba. Direkt am Meer. Fast jeden Tag schwimmt er weit hinaus. Er entzieht sich seinen Freunden und der Familie, löscht seinen Facebook-Account, auf den ihm seine Exfreundin Viviane sporadisch Nachrichten schickt. Sie lebt inzwischen gemeinsam mit seinem Bruder in São Paulo. Er hält alle auf Distanz, auch den Leser, etwas Autistisches haftet ihm an. Langsam ergreift ihn eine parallele Traumwelt.
  Die Suche nach dem Phantom des alten Gaúcho wird zu einer Obsession. Es ist der Blick in einen Seelenspiegel, denn er sieht seinem Großvater in jungen Jahren zum Verwechseln ähnlich. Die Leute in Garopaba starren ihn an, als stünde ein Wiedergänger, ein böser Geist vor ihnen. Er selbst kann wegen einer neurologischen Störung Gesichter nicht unterscheiden. Jede Begegnung mit einem Menschen ist für ihn die erste, bis dieser sich zu erkennen gibt. Galera erzählt seinen dreiteiligen Roman wohl auch deshalb im Präsens, existieren doch für seinen Protagonisten Menschen in der Vergangenheit nicht.
  Garopabazieht Surfer an und Wale. Eine junge Frau wird ermordet, aber niemand spricht darüber. Die Dorfbewohner – unter ihnen viele Einsiedler und Sonderlinge, Fischer, die für einen Zackenbarsch ihr Leben riskieren, fanatische Apnoe-Taucher, Säufer – sind einem geradezu mittelalterlichen Aberglauben verhaftet. „Der Aberglaube ist manchmal stärker als die Wahrheit“, sagt Jasmin, in die der eigenartige junge Mann sich verliebt. Immer wieder verspürt er das Verlangen zu laufen und zu schwimmen, „bis das dauernde Gefühl, ein Mensch zu sein, sich durch die extreme körperliche Anstrengung und die Verwandlung seiner Gedanken in Schritte und Schwimmzüge, in Lunge und Herz, ganz von allein auflöst.“
  Es ist Winter geworden. Der 33-Jährige ist allein, hat das Gefühl, „stundenlang geträumt zu haben, er sei sein Großvater“. Diese Trauer und Desorientierung projiziert Galera von dessen Inneren in die Außenwelt. Das trostlose Garopaba gibt seinen Gefühlen ein Gesicht. Wie im Traum wandert der Held mit der Hündin Beta am Strand entlang, vernarbt, knochig und atemlos wie ein alter Mann. Galera gibt dieser Hündin viel Raum. Sie ist die zweite Protagonistin des Romans. „Ein treuer Hund ist ein verkrüppeltes Tier. Diesen Pakt können wir nicht lösen“, schreibt er gleich zu Anfang. Der Held riskiert sogar sein Leben, um sie zu retten, schlägt den Kerl, der Beta stehlen will, fast tot. Wie ein persönlicher Schutzgeist begleitet sie ihn. Sie ist „ein lebendes Totem“ und verkörpert zudem das, was der Sohn an seinem Vater trotz dessen Alkoholsucht bewunderte. Zähigkeit und eine Gutherzigkeit, die erst auf den zweiten Blick zutage tritt.
  Wie getrieben durchwandert der bärtige Wilde mit Hund im sintflutartigen Regen die bewaldeten Hügel. Er vergisst die Zeit, verliert die Orientierung, die Menschen weichen vor ihm zurück. Erschöpft kämpft er sich durch die finsteren Tiefen des Waldes, die Steilhänge, unter denen das nächtliche Meer tost, wandert durch ein Szenario, das seine Gefühlszustand materialisiert. „Das Meer vor ihm ist eine einzige dunkle Masse, noch dunkler als die Nacht, ein Monstrum, unsichtbar und gleichzeitig offensichtlich.“ Dann fällt er.
  Daniel Galera hat Hunter S. Thompson, Zadie Smith, Jonathan Safran Foer und David Foster Wallace ins Portugiesische übersetzt, sagte aber, vor allem Philip Roth habe ihn beeinflusst. „Flut“, sein vierter Roman, ist ein grandios-intuitives Buch über die Verlorenheit und Orientierungslosigkeit auf der Landkarte eines zutiefst einsamen Lebensweges.
MICHAELA METZ
Daniel Galera : Flut. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 425 Seiten, 22,95 Euro.
Daniel Galera , geboren 1979 in São Paulo, lebt in Porto Alegre. Er schreibt Erzählungen, Graphic Novels und Romane. Die Literaturzeitschrift Granta zählte Galera 2012 zu den zwanzig besten jungen brasilianischen Autoren. FOTO: RAUL KREBS
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2013

Die abendliche Farbe des Meeres

Lord Chandos am Strand: In seinem Roman "Flut" erzählt der brasilianische Autor Daniel Galera die Geschichte eines Mannes, dem Gesichter und Worte entgleiten.

Ein junger Mann stellt anhand eines Fotos fest, dass er seinem in einem fernen Dorf verschollenen, totgeglaubten Großvater wie aus dem Gesicht geschnitten ist, und macht sich auf die Suche nach Spuren von ihm. Er nimmt das betreffende Foto, schnipselt es auf Passgröße zurecht und steckt es in die Plastikhülle seiner Brieftasche, wo früher sein eigenes Foto gesteckt hat. Derart ausgestattet, macht er sich auf den Weg zu dem kleinen Ort an der Küste, wo der Großvater zuletzt gesichtet worden sein soll. So beginnt die Geschichte. Sie enthält einiges an Sprengstoff.

Der Protagonist, dessen Namen wir nicht erfahren, besucht eingangs seinen Vater in Porto Alegre. Hier kommt bereits die Rede auf den geheimnisumwitterten Großvater, der eines Tages die Familie verließ, durch Südamerika zog, in Garopaba, einem kleinen Ort an der brasilianischen Küste, sich niederließ, Hühner hielt, Palmenblätter sammelte, sich vor allem als guter Schwimmer erwies und am Ende bei einer wilden Messerstecherei ums Leben gekommen sein soll. Der Vater kündigt sodann seinen Selbstmord aus Lebensmüdigkeit an und bittet seinen Sohn, sich später um seine Hündin zu kümmern. Der namenlose Romanheld begibt sich nach vollzogenem Selbstmord des Vaters in besagtes Garopaba, um ein einfaches Leben zu führen, eine Frau zu vergessen, das Meer zu genießen, ausgiebig zu schwimmen, Schwimmunterricht zu geben, durch den Ort zu schlendern, einzelnen Anwohnern im Vorübergehen zuzunicken, Cheeseburger zu essen und Bier zu trinken.

Was er sucht, ist die Leere: "Hinter dem Morro da Vigia, gesprenkelt mit den Lichtern von Häusern und Straßenlaternen, liegt die Leere, deretwegen er hergekommen ist." Zentral für das Verständnis des Buches ist der Umstand, dass die Hauptfigur seit ihrer Kindheit unter einem pathologischen Vergessen von Gesichtern leidet, was jetzt bei Frauenbegegnungen zum Problem wird: Er sieht schöne Mädchen, erkennt sie beim nächsten Mal aber nicht wieder. Er orientiert sich darum an Stimmen, Kleidern und Gesten. Bei allem betreibt er immer auch die Suche nach seinem Großvater, sammelt Spuren und wird von einem Fremden, der den Alten noch gekannt hat, auf der Straße wegen der verblüffenden Ähnlichkeit sogar einmal als dessen Enkel identifiziert. Galera betreibt ein Spiel der Spiegelung wie der Negation des Spiegelbilds. Dieses stellt sich ein, muss aber im selben Moment zerbrochen werden. Einmal springt der Protagonist von einem Felsen ins Meer wie in sein eigenes Spiegelbild, heißt es, aber die Wellen breiten sich kreisförmig aus: Keinerlei Fixierung ist möglich.

Die Lust am Selbstverlust wird hier aber zu einem Gewinn. In der Liebe erkennt unser Mann, dass er sich das Gesicht der Geliebten zwar nicht merken, sich an ihrem Körper aber vielfach berauschen kann. "Ein weiteres Mal staunt er, auf welch unterschiedliche Art und Weise die Welt sich seinen Sinnen offenbaren kann. Nichts geht verloren, außer den Gesichtern." Einmal trifft der Mann auf eine Gruppe von Mädchen und schaut ihnen beim Abschied in die Augen. Diese Augen zeichnen sich durch Transparenz aus; sie ermöglichen ein Schauen, das auf nichts geheftet ist. "Von seinem Platz aus sieht er, wie sich die Sonne in ihren großen Augen spiegelt, sie sind grün und durchsichtig wie das Wasser an diesem Tag. Er kann sie gut sehen, obwohl sie nicht in seine Richtung blicken, so wie Pferde oder Vögel, die uns beobachten, ohne den Blick auf uns zu richten." Sich mit Ausdauer einen Weg durch die Wellen bahnend, fühlt sich der Mann gleichsam vom Meer befragt, ob er nicht irgendetwas Wichtiges vergessen habe.

Konsequent verweist der Autor immer wieder auf Zeichen und Signale, die keinerlei Bedeutung mit sich führen. Die Meeresbrandung rauscht, Autos hupen, Motoren knattern, Grillen zirpen. Einmal ist die Rede von Fischern am Strand, die Netze einholen und dabei lauthals schreien, ohne jedoch vom Beobachter verstanden werden zu können, weil ihre Rufe im Tosen der Wellen untergehen. Ein anderes Mal fällt dem Mann etwas auf, als er sich selber sprechen hört: "In Gedanken hört er ganz deutlich, was er sagen will, aber in dem Augenblick, in dem die Worte aus seinem Mund kommen, lösen sie sich auf." Lord Chandos am Strand.

Die Besessenheit, mit der hier von Ebenbildlichkeit und dem permanenten Vergessen der Gesichter die Rede ist, drängt dem Leser eine brisante theologische Spekulation auf. In diesem Buch, in dem geschwommen, gejoggt, geliebt, manches ziellose Gespräch geführt und nachts am Strand mit Zufallsbekanntschaften Party gefeiert wird, liegt auf den ersten Blick nichts ferner als Theologie. Und doch scheint gerade die Leichtigkeit der Sprache, der wir hier begegnen, mit dem Thema des Gesichts und damit einer bemerkenswerten theologischen Position zu tun zu haben. Das Buch scheint die Einsicht vermitteln zu wollen, dass der Erzähler in dem Augenblick, in dem er das Antlitz des Gottes selbst, auf das die abendländische Tradition stets als auf ihr Höchstes fixiert war, als ein Verlöschendes begreift, gerade dadurch beginnen kann, dem anfänglichen Wort recht zu entsprechen, es weiterzusprechen.

Faszinierend ist, wie im Augenblick der Entleerung der Zeichen und der Einsicht, dass Identität nicht durch Spiegelung zu erreichen ist, ein Schreiben möglich wird, in dem sich die Wirklichkeit wie von selber zeichnet. Die abendliche Farbe des Meeres, das Gelächter des alten Mannes, das sich mit dem Rauschen der Brandung mischt, die jungen Frauen am Kiosk, die plaudern und ein Dosenbier miteinander trinken. In "Flut" entdeckt ein Dreiunddreißigjähriger das Geheimnis des Erzählens für sich. Daniel Galera behandelt es in seinem Roman auf eine Weise, die noch einiges von diesem jungen Talent erwarten lässt.

EBERHARD GEISLER

Daniel Galera: "Flut". Roman.

Aus dem Brasilianischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 423 S., geb., 22,95 [Euro].

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"... wie von einer geheimen Kraftquelle gespeist."
Volker Weidermann, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 07.07.2013