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Viel Bewunderung, wenig Einsichten: Ein Band versammelt bunt gemischte Gespräche über Erinnerungen an Erlebnisse mit Bob Dylan
Für seine Verehrer hat Bob Dylan etwas Übermenschliches. Wie ein Gott war er von Anfang an da, ist er auf seiner "Never Ending Tour" immer noch allgegenwärtig und doch unerreichbar, anwesend und abweisend zugleich. Er ist nicht wegzudenken, bleibt aber ein Geheimnis. Wer will es ergründen? Unzählige Autoren haben es gewagt und sind an dieser Sphinx des Rock gescheitert.
Zu seinem achtzigsten Geburtstag unternehmen die Journalisten Stefan Aust und Martin Scholz einen weiteren Versuch. Ihre Grundidee hat Charme. Sie haben prominenten Persönlichkeiten Karten für Dylan-Konzerte in Deutschland besorgt und sie anschließend nach ihren Eindrücken und Erinnerungen befragt. So sollte ein Bild des Künstlers im Spiegel seiner Fans entstehen. Ursprünglich war dies eine Interview-Reihe für die "Welt am Sonntag". Um ein Buch daraus zu machen, wurden weitere Verehrer, Kenner und Freunde befragt.
So bildet sich eine bunte Reihe aus professionellen und amateurhaften Enthusiasten: Politikern wie Ursula von der Leyen oder Otto Schily, Musikern wie Elvis Costello und Pete Townshend, Autoren wie Navid Kermani oder T. C. Boyle, Weggefährtinnen wie Joan Baez oder Patti Smith. Manche ihrer Schwärmereien laden dazu ein, eigene Dylan-Erlebnisse wachzurufen. Das bereitet einen wehmütigen Genuss.
Am Ende aber legt man diese Sammlung von achtzehn Interviews frustriert zur Seite. Denn der Sprung von der Zeitung ins Buch ist größer, als die beiden Autoren meinten. Das liegt auch daran, dass die meisten ihrer Gesprächspartner kaum Substanzielles zu sagen haben. Oder hatten es die Interviewer zu sehr auf emotionale Reaktionen und nostalgische Anekdoten abgesehen? Wollte man sich dem Geheimnis von Dylans Liedern zumindest annähern, müsste man sich mehr für sein Songwriting interessieren, für Melodien und Rhythmus, für die Geschichten und Metaphern seiner Verse, für diese Stimme und die Band, mit der Dylan seinen musikalischen Kosmos wieder und wieder durchwandert, manchmal auch durchhumpelt, und erweitert.
Doch in den meisten Gesprächen bleibt es bei nichtssagendem Bewundern. Es werden Label wie Genie, Ikone, Legende oder Mythos bemüht, aber diese markieren nur einen autoritären Rang und eröffnen keinen Zugang. Selbst Navid Kermani, dem doch ein herrliches Buch über Neil Young gelungen ist, entlocken die Interviewer nichts von Belang. Vielleicht hätten sie den Regisseur Wim Wenders oder den Literaturwissenschaftler Heinrich Detering, beides ausgewiesene Dylan-Kenner, zum Gespräch bitten sollen.
Stattdessen gewähren sie Wolfgang Niedecken, der seine Karriere auf seiner Dylan-Verehrung aufgebaut hat, den größten Raum. Wie er von seinen Versuchen, dessen Songs ins Kölsche zu übertragen, und seinen beiden kurzen Begegnungen mit dem Meister berichtet, ist sympathisch. Aber er versäumt es, den riesigen Abstand zwischen sich und ihm ausreichend zu reflektieren. Es fehlt ihm wie auch den anderen an einer eigenständigen, vielleicht sogar kritischen Perspektive. Kritisch äußern sich die Interviewten nur über Dylans christliche Phase vor vierzig Jahren. Dies scheint also seine beste und nachhaltigste Provokation gewesen zu sein.
Ein Gesprächspartner aber hat wirklich etwas zu sagen: Gene Simmons, der Bassist der Knallpoprock-Band Kiss. Einmal hat er gemeinsam mit Dylan Songs zu schreiben versucht. Aus einer Laune heraus hatte er bei dessen Manager angefragt und tatsächlich eine Zusage erhalten. Schon am nächsten Tag ließ Dylan sich in einem weißen VW-Lieferwagen bei Simmons vorfahren: "Ich sehe ihn noch, wie er aussteigt, der Wagen fährt wieder weg, und er kommt mit seinem Gitarrenkoffer zu mir." Die beiden packten ihre Instrumente aus, stimmten sie und begannen zu spielen: "Es gab Momente, da bin ich einfach in Ehrfurcht neben ihm erstarrt." Sie quatschten, lachten, probierten verschiedene Melodien aus.
Als sie an den Punkt kamen, wo sie Worte gebraucht hätten, bat Simmons: "Bob, schreib du doch den Text." Aber Dylan antwortete: "Nein, mach du das mal, Mr. Kiss." - "Ja, so nannte er mich immer, Mr. Kiss." Da er genau weiß, wie viel ihn von Dylan trennt, kann Simmons seine Faszination auf den Punkt bringen: "Bob Dylan bleibt ein Rätsel, selbst für jene, die ihm nahegekommen sind. Aber genau das ist es doch, was Dylan ausmacht - man kann nie herausfinden, wer er wirklich ist."
JOHANN HINRICH CLAUSSEN
Stefan Aust und Martin Scholz: "Forever Young". Unsere Geschichte mit
Bob Dylan.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2021. 288 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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