Den Auftakt der Großen (innersozialistischen) Debatte (über die Oktoberrevolution) bildete ein Aufsatz Karl Kautskys, der eine Woche nach dem Umsturz in Russland, am 15. November, in der Leipziger Volkszeitung erschien. Kautsky argumentierte hier orthodox-marxistisch, dass die Etablierung einer Diktatur des Proletariats in einem Bauernland unzeitgemäß sei und dieser extreme Widerspruch Produktionseinstellungen, den Zerfall des Staatsapparats und separatistische Tendenzen zur Folge haben werde. Clara Zetkin widersprach zwei Wochen später dieser Einschätzung leidenschaftlich … und erklärte: „Die Dinge und Menschen sind reif zur Revolution, wenn breite Volksschichten bestimmte Zustände als unerträglich empfinden.“ Nach noch einmal zwei Wochen meldete sich Alexander Stein zu Wort, ein ehemaliger Menschewik aus Riga … Er verfügte über aktuelle Informationen aus russisch-menschewistischen Quellen, die nichts Gutes verhießen. Die sogenannte Diktatur des Proletariats sei nichts anderes als die Diktatur einer einzigen Partei, der Bolschewiki … Alle Andersdenkenden seien massiven Verfolgungen ausgesetzt, Razzien, Zeitungsverbote und willkürliche Verhaftungen an der Tagesordnung. Auch drohten die Bolschewiki damit, die Verfassungsgebende Versammlung aufzulösen, wenn das Wahlergebnis nicht ihren Wünschen entspreche. Das waren eher unerwünschte Nachrichten, die von vielen deutschen Sympathisanten der Oktoberrevolution mit Redensarten wie etwa „Revolutionen werden nicht mit Samthandschuhen gemacht“ abgetan wurden. Die Stellungnahmen Kautskys, Zetkins und Steins markierten bereits die Grundpositionen des sich entfaltenden innersozialistischen Streits über die bolschewistische Machtergreifung. (Aus dem Beitrag von Jürgen Zarusky)