In this landmark work of history and winner of the Pulitzer Prize, Joseph J. Ellis explores how a group of greatly gifted but deeply flawed individuals-Hamilton, Burr, Jefferson, Franklin, Washington, Adams, and Madison-confronted the overwhelming challenges before them to set the course for our nation. The United States was more a fragile hope than a reality in 1790. During the decade that followed, the Founding Fathers-re-examined here as Founding Brothers-combined the ideals of the Declaration of Independence with the content of the Constitution to create the practical workings of our government. Through an analysis of six fascinating episodes-Hamilton and Burr's deadly duel, Washington's precedent-setting Farewell Address, Adams' administration and political partnership with his wife, the debate about where to place the capital, Franklin's attempt to force Congress to confront the issue of slavery and Madison's attempts to block him, and Jefferson and Adams' famous correspondence-Founding Brothers brings to life the vital issues and personalities from the most important decade in our nation's history.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Krieg und Kriegsgeschrei verschonen die Präsidenten nicht
Sie konnten sein kein einig Volk von Brüdern: Joseph J. Ellis verfolgt die Ursachen des Bürgerkriegs bis in die Biographien der Gründer der Vereinigten Staaten / Von Andreas Platthaus
Ein Mal, ein einziges Mal, will der Autor wirklich etwas Persönliches sagen. Auf Seite 360 bricht sich dieser Willen Bahn, in Anmerkung 64 zum vierten Kapitel seines Buches, und wie es sich gehört, wenn vom Wollen einmal ernsthaft die Rede ist, geht es ums Ganze. Denn mit einem Satz stellt der Autor große Teile der Forschung seines Fachs vom Kopf auf die Füße: "Ein wiederauferstandener Washington hätte sich, das will ich sagen, 1861 auf die Seite Lincolns und der Union gestellt." Ende der Fußnote. Anfang der Debatte.
Wohin hätte sich George Washington heute gestellt? Auf die Seite der Befürworter einer Invasion des Irak? Oder hätte er gemäß dem Geist der Gründer der Vereinigten Staaten auf strenge kriegerische Enthaltsamkeit gedrungen? Man war ja selbstgenügsam in den dreizehn ehemals britischen Kronkolonien, die sich am 4. Juli 1776 für unabhängig erklärt hatten - an jenem Tag, der Washington im Kampf gegen die Engländer eine verheerende Niederlage einbrachte -, man konnte sich seine Widersacher auf amerikanischem Boden schließlich selber suchen. Nachdem die Tories, die Anhänger der Briten, nach Kanada vertrieben waren, fand man rasch Ersatz für Streit und Händel. Es gibt heute manche böse Stimme in der Geschichtsschreibung, die sich die alsbald zur Leitlinie erklärte außenpolitische Isolation der jungen Republik damit erklärt, daß man genug mit inneramerikanischem Disput zu tun hatte.
Amerika, du hast es besser - Goethes Stoßseufzer aus dem zerrütteten Europa müßte somit heute anders formuliert werden: Amerika, dir geht es zu gut. Deshalb kann man sich außenpolitisch engagieren. Das war zu Washingtons Zeiten eben anders, und deshalb mußte der erste Präsident sich in seinen acht Amtsjahren in all den Auseinandersetzungen aufreiben, die ihm als Pflanzer, der lieber auf der Veranda gesessen und dem Gesang der Pflücker gelauscht hätte, so unsympathisch waren. Und seine Stimme zählte nicht nur doppelt, sondern tausendfach. Sogar heute muß in Amerika die Frage provozieren, ob er Lincoln unterstützt hätte.
Deshalb ist der eingangs zitierte Satz so umstürzend - und so erbauend. Wogegen er anschreibt, ist die Vereinnahmung des Unabhängigkeitshelden und ersten Präsidenten für die Sache der Südstaaten. Amerikanische Historiker haben im letzten halben Jahrhundert das frühere Idealbild ihrer Nation systematisch geschleift, das Image Washingtons als Mann der Freiheit und der Weisheit dekonstruiert, den Mann, in dem seine Zeit die politisch-ethische Dreieinigkeit aus Zeus, Moses und Cincinnatus zu erkennen glaubte, zum Feind der Republik erklärt, seine Herkunft aus Virginia als einzige politische Bindungskraft ausgemacht, ihn somit zum Befürworter der Sklavenhaltung in den Vereinigten Staaten gemacht. Und besaß Washington nicht Sklaven? Deren dreihundert auf seinen Besitztümern um Mount Vernon? Tat sein Heimatstaat Virginia es etwa jenen nördlichen Kolonien nach, die sich bis 1790 Verfassungen gegeben hatten, die die Sklaverei als unvereinbar mit den erst 1776 verkündeten Grundsätzen der Unabhängigkeitserklärung gebrandmarkt hatten? Und hatte Washington, der größte Held des Kampfs gegen die Engländer, etwa sein Wort gegen Virginias Versäumnis erhoben? Gegen das Versäumnis aller südlichen Staaten, das zum ersten modernen Krieg führen sollte, wenn auch erst ein Dreivierteljahrhundert später?
Daraufhin schreibt dieses Buch zu: auf den Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Doch das Buch, so könnte man einwenden, umfaßt diese Zeit ja gar nicht mehr. "Sie schufen Amerika" heißt es, und der Untertitel präzisiert: "Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington". Washington starb 1799, John Adams 1826, und selbst wenn man die fehlenden Glieder zwischen A wie Adams und W wie Washington überprüft, so stellt spätestens das Jahr 1836 den Endpunkt der Untersuchung dar, das Jahr, in dem James Madison als letzter der großen Staatsmänner der jungen Vereinigten Staaten das Zeitliche segnete.
Doch wieder einmal spielt die deutsche Übersetzung eines fremdsprachigen Titels dem Leser einen Streich. "Founding Brothers" heißt das vor zwei Jahren in Amerika erschienene Buch im Original. Der Verfasser ist Joseph J. Ellis, seines Zeichens prominentester Vertreter der amerikanischen Revolutionsforschung. Seit vergangenem Jahr aber auch umstritten wegen dreister Selbststilisierung in Vorlesungen und Interviews zum Vietnam-Veteranen, Bürgerrechtskämpfer und Footballstar seiner früheren Schule (F.A.Z. vom 25. Juni 2001). Die Bücher haben jedoch durch die Aufregung um den Dozenten Ellis eher noch gewonnen, denn eine Horde von skandalbegierigen Journalisten stürzte sich sogleich auf das Sextett, mit dem er sich in die vorderste Reihe der amerikanischen Historiographie geschrieben hat (für seine Jefferson-Studie "American Sphinx" hatte er 1997 den National Book Award erhalten, "Founding Brothers" brachte ihm kurz vor der Aufdeckung seiner akademischen Angebereien den Pulitzer-Preis ein). Den Büchern aber war kein Fehler nachzuweisen, und wenn ihr Autor schon in eigener Sache derart lebendig zu erzählen wußte, daß man dem heute Neunundfünfzigjährigen seine angeblichen Heldentaten als junger Mann bereitwillig abnahm, dann durfte man hoffen, daß dieses narrative Talent auch seinen Texten zugute kommt. Soviel sei bereits gesagt: Die Hoffnung trügt nicht.
"Gründerbrüder": Diese Bezeichnung läßt nicht nur die beinahe mythische Geschichtsbetrachtung der Amerikaner anklingen, die die Protagonisten des Unabhängigkeitskriegs und der nachfolgenden Konsolidierung der Vereinigten Staaten gemeinhin als "Gründerväter" verherrlicht, sondern sie evoziert über unser aller Bild von Brüdern neben allen Gemeinsamkeiten auch deren Feindschaft. Jede Rede von Brüdern beschwört - zumal im bibelfesten Amerika - sogleich das Alte Testament herauf: Kain und Abel oder Esau und Jakob. So beginnt denn Ellis sein Buch mit jenem Duell vom 11. Juli 1804, in dem Alexander Hamilton von Aaron Burr erschossen wurde, ein Föderalist von einem Demokraten. Unter dem Zeichen des Brudermords steht das Buch von Anfang an, und im englischen Titel von Ellis ist zwar der gemeinsame Kampf angesprochen - aber auch schon das furchtbare Zerwürfnis, der Bruderkrieg zwischen Nord und Süd. Er - das ist die verschwiegene These von "Sie schufen Amerika" - war schon siebzig Jahre vor seiner Zeit angelegt in den Taten der Gründerbrüder. Denn wovon sie nicht reden konnten, darüber mußten sie schweigen.
Beschwiegen von John Adams bis George Washington und von allen anderen zwischen A und W (mit einer Ausnahme; dazu gleich) wurde die Sklaverei. Sie war, das arbeitet Ellis mit einer Deutlichkeit heraus, die ihresgleichen sucht, schon in den Jahren unmittelbar nach Erlangung der Unabhängigkeit der Stoff, aus dem die Albträume der jungen Union bestanden. Der Zusammenhalt des neubegründeten labilen Staatsgebildes beruhte auf dem Konsens, über die Sklaverei keinen Konsens finden zu müssen, das Thema also besser den jeweiligen Einzelstaaten zu überlassen und um Himmels willen nicht daran zu rühren. Als am 11. Februar 1790 zwei Petitionen vor das Repräsentantenhaus gebracht wurden, in denen Quäker die Bundesregierung aufforderten, den Sklavenhandel sofort zu unterbinden, da glaubten die Parlamentarier noch, dieses Ansinnen ignorieren zu können. Doch tags darauf folgte eine weitere Petition, diesmal nicht von seiten einer religiösen Minderheit, der man ihre glaubensbedingte Neutralität im Kampf gegen die Briten allgemein verübelte und sie deshalb gar nicht erst ernst zu nehmen gedachte, sondern von einer Gemeinschaft höchst ehrenwerter Bürger des Staates Pennsylvania, unter ihnen niemand Geringerer als Benjamin Franklin.
Franklin war die erwähnte Ausnahme, und er ist darum die Lichtgestalt des Buches. John Adams mag ja die Zuneigung von Ellis gehören, seinen größten Respekt erweist er jedoch dem Mann, den Adams verabscheute, weil er ihm seine Rolle als Aushängeschild der Revolution neidete. Dabei einte beide - Adams wie Franklin - ihr kompromißloses Handeln, das sie jeweils allein an ihren subjektiven ethischen und politischen Idealen ausrichteten. Franklin stand 1790 auf der Schwelle zum Tod - am 17. April sollte er vierundachtzigjährig sterben, als erster der Gründerbrüder -, doch er wählte den Kampf gegen die Sklaverei zum Gegenstand seiner letzten öffentlichen Äußerung.
Ihn, die lebende Legende, den Vorzeigeamerikaner in Europa, die perfekte Verkörperung des Einklangs von Politik, Philosophie und Naturwissenschaft, konnte der Kongreß nicht überhören. So wurde am 16. und 17. März zum ersten- und für lange Zeit zum letztenmal im Repräsentantenhaus über die Sklaverei debattiert. Doch es sprachen nur die beiden Wortführer des "tiefen Südens", James Jackson aus Georgia und William Loughton Smith aus South Carolina. Sie verteidigten die Sklaverei unter Verweis auf die gerade erst ratifizierte Verfassung der Vereinigten Staaten, die einen Passus enthielt, der es dem Kongreß verbot, vor 1808 den Sklavenhandel zu behindern. Das war der Kompromiß gewesen, mit dem 1787 der Verfassungskonvent in Philadelphia vor dem Scheitern bewahrt worden war. Ohne jene Klausel, die der Union nach dem Willen der Verfassungsväter für zwanzig Jahre innere Ruhe sichern sollte, hätte es die Vereinigten Staaten gar nicht erst gegeben.
Nur Franklin hatte als Gründerbruder den Familienfrieden aufgekündigt. Ein weiteres Gründergeschwister, Madison, lieferte jedoch als Vorsitzender des Repräsentantenhauses sein diplomatisches Meisterstück ab und ließ am 23. März über einen Ausschußbericht debattieren, der ursprünglich aus mehreren Resolutionen bestand, die unterschiedliche Positionen zur Sklaverei berücksichtigten. In der schließlich verabschiedeten Version aber fand sich die Formulierung: "Der Kongreß hat keine Autorität, in die Freilassung von Sklaven oder in ihre Behandlung in irgendeinem der Staaten einzugreifen; es bleibt allein Sache der Einzelstaaten, darüber irgendwelche Regelungen zu treffen, welche die Menschlichkeit und eine wahre Klugheit möglicherweise erfordern." Damit waren nicht nur die Eingaben der Quäker und der Abolitionisten abgeschmettert, sondern auch die Verfassungsregelungen außer Kraft gesetzt, die dem Kongreß immerhin von 1808 an die Möglichkeit eröffnet hätten, den Sklavenhandel zu beenden. Nunmehr war die Sklaverei auf Ewigkeit gestellt, die Union abermals gerettet. Wen interessierte da noch die Formulierung, die Thomas Jefferson vierzehn Jahre zuvor in die Unabhängigkeitserklärung geschrieben hatte: daß alle Menschen gleich geschaffen seien und unveräußerliche Rechte hätten?
Jefferson jedenfalls interessierte sein Geschwätz von gestern längst nicht mehr. Als Außenminister diente er in Washingtons erstem Kabinett, und auch der Präsident scheute das gefährliche Thema und schrieb nach Abschluß der parlamentarischen Debatte erleichtert an seinen Freund David Stuart: "Die Sache mit den Sklaven ist endlich schlafen gelegt worden und wird kaum mehr erwachen." Für die Lebensspanne der Gründerbrüder behielt er recht, doch die Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und politischer Wirklichkeit der Vereinigten Staaten konnte nur so lange kaschiert werden, wie es noch Veteranen der Unabhängigkeit gab, die qua ihrer Persönlichkeit Zeugnis dafür ablegen konnten, daß alles zum besten stand. Mit der Generation der Gründerbrüder starb auch diese Illusion, und von den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts an verstärkten sich die seismischen Aktivitäten längs der Mason-Dixon-Linie, die das große politische Erdbeben des Jahres 1861 ankündigten, die Sezession der Südstaaten, die Georgia und South Carolina schon 1790 angedroht hatten. Was es den Gründerbrüdern um jeden Preis zu verhindern galt, war nun Mittel der Wirtschaftspolitik geworden.
Statt der Chronologie gibt für Ellis der innere Zusammenhang das Raster ab, und die Zeitsprünge von Kapitel zu Kapitel sind kaum spürbar, so geschickt verzahnt Ellis seine Gegenstände. Dieses ingeniös umgesetzte Konzept einer narrativen Historiographie im scheinbar reaktionärsten Stil ("Große Männer machen die Geschichte") ist mit allen Wassern von Strukturalismus und Postmoderne gewaschen, und die Auswahl der von ihm dokumentierten sechs Ereignisse - neben dem Duell zwischen Hamilton und Burr und der Debatte um die Sklaverei des Jahres 1790 noch die nur wenige Monate später getroffene Geheimabsprache über die Gründung der späteren Hauptstadt Washington, die Abschiedsbotschaft Washingtons vom Sommer 1796, die Entzweiung der alten Freunde John Adams und Thomas Jefferson in den Präsidentenwahlen von 1796 und 1800 sowie deren Wiederannäherung als alte Männer von 1812 an bis zum gemeinsamen Todestag am 4. Juli 1826, dem fünfzigsten Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung - fällt so geschickt aus, daß man an diesen sechs Schlaglichtern vierzig Jahre Geschichte fassen kann, die zum Prägendsten gehören, was die Neuzeit hervorgebracht hat. Denn die Gründerbrüder schufen Amerika nach ihrem Bilde.
Was ihnen fehlte, war Übereinstimmung betreffs der Ziele der Revolution und der Intentionen der Verfassung. Deshalb, so erklärt Ellis die immer wieder wechselnden Allianzen, die zerbrochenen Freundschaften und persönlichen Animositäten, "schwammen Föderalisten ebenso wie Republikaner in einem Meer gegenseitiger Anschuldigungen und parteiischer Interpretationen. Die Mitte konnte nicht halten, weil sie nicht existierte." Nur diese Mitte hätte vermeiden können, was 1861 geschah, als derjenige der beiden amerikanischen Grundkonflikte, der ausgesprochen wurde, die Frage, ob der neue Staat einer zentralen Regierungsgewalt unterworfen sein sollte oder nicht, sich endgültig mit dem verschwiegenen Problem der Sklaverei verband. Zuvor hatten die Gründerbrüder und ihre Erben den Bestand der Union durch Deals gesichert: So hatte Hamilton, Spiritus rector der Föderalisten, seine bundesstaatliche Finanzkonzeption 1790 durchsetzen können, weil er auf Jeffersons Vermittlung seinem einstigen Mitstreiter Madison, mit dem zusammen er die "Federalist Papers" geschrieben hatte, garantieren konnte, daß die zukünftige Hauptstadt am Fluß Potomac errichtet werden würde, der einen Teil der Grenze Virginias bildete. So zog Hamilton den Virginier Madison auf seine Seite, indem er ihn an dessen patriotische Pflicht erinnerte - dieser Patriotismus galt Virginia, nicht den Vereinigten Staaten. Ellis kann sogar aufgrund einiger Andeutungen in Erinnerungen und Briefwechseln jener Jahre plausibel machen, daß auch die Beibehaltung der Sklaverei in den langwierigen Verhandlungen um die Durchsetzung föderalistischer Prinzipien als Preis eingesetzt wurde.
So verquicken sich immer wieder diese zwei Konflikte, und durch die intensiven persönlichen Verbindungen der Revolutionsgeneration mußten die wechselseitigen Enttäuschungen besonders tief ausfallen. Einzig über George Washington fanden die innenpolitischen Kombattanten kaum ein böses Wort, allein Jefferson in seiner Egozentrik ließ einige Briefe in die Welt hinaus, die bittere Bemerkungen über den ersten Präsidenten enthielten und zur ehrlichen Überraschung des Absenders zuverlässig ihren Weg in die Presse fanden. Washington brach daraufhin jeden Kontakt zu seinem virginischen Landsmann ab.
Immer wieder Virginia und Virginier, in jeder Phase der frühen Vereinigten Staaten Schlüsselstaat und Schlüsselfiguren. Noch die endgültige Festlegung des Standorts der neuen Hauptstadt, deren Benennung nach Washington unausgesprochen schon vor dessen Tod sichergestellt war, erfolgte nur teilweise unter Rücksichtnahme auf die Geheimabsprachen mit Madison und den virginischen Abgeordneten - auch die Tatsache, daß etliche Grundstücke, die der exterritoriale Bezirk um die Hauptstadt umfassen sollte, George Washington gehörten, der unweit des Bauplatzes seinen Herrensitz von Mount Vernon bewohnte, war nicht nebensächlich. Immerhin sicherte der Ankauf des Terrains durch die Bundesregierung dem Präsidenten ein nicht unerhebliches Sümmchen.
Aber Washington zählt dennoch zu den Helden von Ellis, weil er stillschweigend auf seiten der Abolitionisten stand, während das Gros der Virginier den Fortbestand des Sklaverei nach Kräften beförderte. Solche Verlierer der Geschichte kann Ellis heute noch mit perfiden historiographischen Methoden abstrafen. So verkneift er sich zu erwähnen, daß auch Madison und dessen Vertrauter James Monroe später jeweils zum Präsidenten gewählt wurden (beide zudem für zwei Amtszeiten, das nach Washingtons Verzicht auf eine dritte Kandidatur verpflichtende Höchstmaß für einen Präsidenten). Dagegen erhebt Ellis John Adams zu seinem Favoriten, also ausgerechnet den einzigen der frühen Präsidenten, der schon nach vier Jahren wieder abgewählt wurde. Diesen Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte erklärt Ellis mit Intrigen und generellem Unverständnis für die weitsichtige Politik von John Adams, der als Parteigänger der Föderalisten die entscheidenden Schritte zur Bewahrung der staatlichen Einheit Amerikas vollzogen hat.
Die Liebe von Ellis zu dem kompromißlosen Veteranen der Unabhängigkeit ist in den beiden ihm und Jefferson gewidmeten abschließenden Kapiteln in jeder Zeile spürbar. Und was für schöne Details Ellis aufgrund seiner biographischen Vorarbeiten zu den beiden engen Freunden und zeitweise unversöhnlichen politischen Gegnern hier anführen kann. So sei nur erwähnt, daß es John Adams zu verdanken war, daß erstmals Berlin eine zentrale Rolle in der amerikanischen Europa-Politik spielte. Denn er entsandte seinen Sohn John Quincy Adams als Botschafter an den preußischen Hof, mit dem Amerika seit 1785 ein Freundschafts- und Schiffahrtsabkommen verband, das Adams seinerzeit ausgehandelt und der greise König Friedrich II. noch unterzeichnet hatte. Diesen Vertrauensbeweis vergaß Amerika Preußen nicht, und als Adams als Präsident zehn Jahre später einen besonders zuverlässigen Informanten für europäische Angelegenheiten auf dem alten Kontinent etablieren wollte, war Berlin für seinen Sohn erste Wahl - das waren noch Zeiten!
Den beiden Adams gilt auch das schönste Beispiel für noble Zurückhaltung seitens Ellis, der zwar durch Verschweigen kleine Bosheiten in seinem Buch einzustreuen versteht, aber auch bisweilen den eigenen Triumph als Interpret der Geschichte unterdrückt. So muß es für John Adams die Krönung seines politischen Lebens gewesen sein, als sein Sohn 1824 zum Präsidenten gewählt wurde - bis zu George W. Bush das einzige derartige Beispiel in der amerikanischen Geschichte. Adams senior war nicht zuletzt deshalb abgewählt worden, weil sein Konkurrent Jefferson subtil das Gerücht gestreut hatte, der ehemalige amerikanische Gesandte am britischen Hof favorisiere eine Monarchie für die Vereinigten Staaten und verfolge dynastische Ziele zugunsten seiner eigenen Familie. Als John Quincy, den viele Gegner der Adams in den Jahren der Präsidentschaft seines Vaters (1797 bis 1801) als "Dauphin" verspottet hatten, schließlich ins höchste Amt gewählt wurde, gelang dies zum einzigen Mal in der amerikanischen Geschichte einem unabhängigen Kandidaten, denn die federalists, die einstmals den Vater unterstützt hatten, waren von dessen Nachfolgern marginalisiert worden. Mit Jefferson, Madison und Monroe regierten ein Vierteljahrhundert lang nur Demokraten in Washington. Erst John Quincy Adams beendete diese Einparteienherrschaft und sicherte damit das politische Erbe seines Vaters, dem die politische Theorie das System der checks and balances verdankt. Doch über diesen Triumph des alten Adams, nur ein Jahr vor seinem Tod, verliert Ellis kein Wort. Er setzt Leser voraus, die weiterdenken. Was für ein schöneres Kompliment soll man einem Buch noch machen?
Joseph J. Ellis: "Sie schufen Amerika". Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington. Aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer. Verlag C. H. Beck, München 2002. 373 S., geb., 24,90 [Euro].
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Sie konnten sein kein einig Volk von Brüdern: Joseph J. Ellis verfolgt die Ursachen des Bürgerkriegs bis in die Biographien der Gründer der Vereinigten Staaten / Von Andreas Platthaus
Ein Mal, ein einziges Mal, will der Autor wirklich etwas Persönliches sagen. Auf Seite 360 bricht sich dieser Willen Bahn, in Anmerkung 64 zum vierten Kapitel seines Buches, und wie es sich gehört, wenn vom Wollen einmal ernsthaft die Rede ist, geht es ums Ganze. Denn mit einem Satz stellt der Autor große Teile der Forschung seines Fachs vom Kopf auf die Füße: "Ein wiederauferstandener Washington hätte sich, das will ich sagen, 1861 auf die Seite Lincolns und der Union gestellt." Ende der Fußnote. Anfang der Debatte.
Wohin hätte sich George Washington heute gestellt? Auf die Seite der Befürworter einer Invasion des Irak? Oder hätte er gemäß dem Geist der Gründer der Vereinigten Staaten auf strenge kriegerische Enthaltsamkeit gedrungen? Man war ja selbstgenügsam in den dreizehn ehemals britischen Kronkolonien, die sich am 4. Juli 1776 für unabhängig erklärt hatten - an jenem Tag, der Washington im Kampf gegen die Engländer eine verheerende Niederlage einbrachte -, man konnte sich seine Widersacher auf amerikanischem Boden schließlich selber suchen. Nachdem die Tories, die Anhänger der Briten, nach Kanada vertrieben waren, fand man rasch Ersatz für Streit und Händel. Es gibt heute manche böse Stimme in der Geschichtsschreibung, die sich die alsbald zur Leitlinie erklärte außenpolitische Isolation der jungen Republik damit erklärt, daß man genug mit inneramerikanischem Disput zu tun hatte.
Amerika, du hast es besser - Goethes Stoßseufzer aus dem zerrütteten Europa müßte somit heute anders formuliert werden: Amerika, dir geht es zu gut. Deshalb kann man sich außenpolitisch engagieren. Das war zu Washingtons Zeiten eben anders, und deshalb mußte der erste Präsident sich in seinen acht Amtsjahren in all den Auseinandersetzungen aufreiben, die ihm als Pflanzer, der lieber auf der Veranda gesessen und dem Gesang der Pflücker gelauscht hätte, so unsympathisch waren. Und seine Stimme zählte nicht nur doppelt, sondern tausendfach. Sogar heute muß in Amerika die Frage provozieren, ob er Lincoln unterstützt hätte.
Deshalb ist der eingangs zitierte Satz so umstürzend - und so erbauend. Wogegen er anschreibt, ist die Vereinnahmung des Unabhängigkeitshelden und ersten Präsidenten für die Sache der Südstaaten. Amerikanische Historiker haben im letzten halben Jahrhundert das frühere Idealbild ihrer Nation systematisch geschleift, das Image Washingtons als Mann der Freiheit und der Weisheit dekonstruiert, den Mann, in dem seine Zeit die politisch-ethische Dreieinigkeit aus Zeus, Moses und Cincinnatus zu erkennen glaubte, zum Feind der Republik erklärt, seine Herkunft aus Virginia als einzige politische Bindungskraft ausgemacht, ihn somit zum Befürworter der Sklavenhaltung in den Vereinigten Staaten gemacht. Und besaß Washington nicht Sklaven? Deren dreihundert auf seinen Besitztümern um Mount Vernon? Tat sein Heimatstaat Virginia es etwa jenen nördlichen Kolonien nach, die sich bis 1790 Verfassungen gegeben hatten, die die Sklaverei als unvereinbar mit den erst 1776 verkündeten Grundsätzen der Unabhängigkeitserklärung gebrandmarkt hatten? Und hatte Washington, der größte Held des Kampfs gegen die Engländer, etwa sein Wort gegen Virginias Versäumnis erhoben? Gegen das Versäumnis aller südlichen Staaten, das zum ersten modernen Krieg führen sollte, wenn auch erst ein Dreivierteljahrhundert später?
Daraufhin schreibt dieses Buch zu: auf den Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Doch das Buch, so könnte man einwenden, umfaßt diese Zeit ja gar nicht mehr. "Sie schufen Amerika" heißt es, und der Untertitel präzisiert: "Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington". Washington starb 1799, John Adams 1826, und selbst wenn man die fehlenden Glieder zwischen A wie Adams und W wie Washington überprüft, so stellt spätestens das Jahr 1836 den Endpunkt der Untersuchung dar, das Jahr, in dem James Madison als letzter der großen Staatsmänner der jungen Vereinigten Staaten das Zeitliche segnete.
Doch wieder einmal spielt die deutsche Übersetzung eines fremdsprachigen Titels dem Leser einen Streich. "Founding Brothers" heißt das vor zwei Jahren in Amerika erschienene Buch im Original. Der Verfasser ist Joseph J. Ellis, seines Zeichens prominentester Vertreter der amerikanischen Revolutionsforschung. Seit vergangenem Jahr aber auch umstritten wegen dreister Selbststilisierung in Vorlesungen und Interviews zum Vietnam-Veteranen, Bürgerrechtskämpfer und Footballstar seiner früheren Schule (F.A.Z. vom 25. Juni 2001). Die Bücher haben jedoch durch die Aufregung um den Dozenten Ellis eher noch gewonnen, denn eine Horde von skandalbegierigen Journalisten stürzte sich sogleich auf das Sextett, mit dem er sich in die vorderste Reihe der amerikanischen Historiographie geschrieben hat (für seine Jefferson-Studie "American Sphinx" hatte er 1997 den National Book Award erhalten, "Founding Brothers" brachte ihm kurz vor der Aufdeckung seiner akademischen Angebereien den Pulitzer-Preis ein). Den Büchern aber war kein Fehler nachzuweisen, und wenn ihr Autor schon in eigener Sache derart lebendig zu erzählen wußte, daß man dem heute Neunundfünfzigjährigen seine angeblichen Heldentaten als junger Mann bereitwillig abnahm, dann durfte man hoffen, daß dieses narrative Talent auch seinen Texten zugute kommt. Soviel sei bereits gesagt: Die Hoffnung trügt nicht.
"Gründerbrüder": Diese Bezeichnung läßt nicht nur die beinahe mythische Geschichtsbetrachtung der Amerikaner anklingen, die die Protagonisten des Unabhängigkeitskriegs und der nachfolgenden Konsolidierung der Vereinigten Staaten gemeinhin als "Gründerväter" verherrlicht, sondern sie evoziert über unser aller Bild von Brüdern neben allen Gemeinsamkeiten auch deren Feindschaft. Jede Rede von Brüdern beschwört - zumal im bibelfesten Amerika - sogleich das Alte Testament herauf: Kain und Abel oder Esau und Jakob. So beginnt denn Ellis sein Buch mit jenem Duell vom 11. Juli 1804, in dem Alexander Hamilton von Aaron Burr erschossen wurde, ein Föderalist von einem Demokraten. Unter dem Zeichen des Brudermords steht das Buch von Anfang an, und im englischen Titel von Ellis ist zwar der gemeinsame Kampf angesprochen - aber auch schon das furchtbare Zerwürfnis, der Bruderkrieg zwischen Nord und Süd. Er - das ist die verschwiegene These von "Sie schufen Amerika" - war schon siebzig Jahre vor seiner Zeit angelegt in den Taten der Gründerbrüder. Denn wovon sie nicht reden konnten, darüber mußten sie schweigen.
Beschwiegen von John Adams bis George Washington und von allen anderen zwischen A und W (mit einer Ausnahme; dazu gleich) wurde die Sklaverei. Sie war, das arbeitet Ellis mit einer Deutlichkeit heraus, die ihresgleichen sucht, schon in den Jahren unmittelbar nach Erlangung der Unabhängigkeit der Stoff, aus dem die Albträume der jungen Union bestanden. Der Zusammenhalt des neubegründeten labilen Staatsgebildes beruhte auf dem Konsens, über die Sklaverei keinen Konsens finden zu müssen, das Thema also besser den jeweiligen Einzelstaaten zu überlassen und um Himmels willen nicht daran zu rühren. Als am 11. Februar 1790 zwei Petitionen vor das Repräsentantenhaus gebracht wurden, in denen Quäker die Bundesregierung aufforderten, den Sklavenhandel sofort zu unterbinden, da glaubten die Parlamentarier noch, dieses Ansinnen ignorieren zu können. Doch tags darauf folgte eine weitere Petition, diesmal nicht von seiten einer religiösen Minderheit, der man ihre glaubensbedingte Neutralität im Kampf gegen die Briten allgemein verübelte und sie deshalb gar nicht erst ernst zu nehmen gedachte, sondern von einer Gemeinschaft höchst ehrenwerter Bürger des Staates Pennsylvania, unter ihnen niemand Geringerer als Benjamin Franklin.
Franklin war die erwähnte Ausnahme, und er ist darum die Lichtgestalt des Buches. John Adams mag ja die Zuneigung von Ellis gehören, seinen größten Respekt erweist er jedoch dem Mann, den Adams verabscheute, weil er ihm seine Rolle als Aushängeschild der Revolution neidete. Dabei einte beide - Adams wie Franklin - ihr kompromißloses Handeln, das sie jeweils allein an ihren subjektiven ethischen und politischen Idealen ausrichteten. Franklin stand 1790 auf der Schwelle zum Tod - am 17. April sollte er vierundachtzigjährig sterben, als erster der Gründerbrüder -, doch er wählte den Kampf gegen die Sklaverei zum Gegenstand seiner letzten öffentlichen Äußerung.
Ihn, die lebende Legende, den Vorzeigeamerikaner in Europa, die perfekte Verkörperung des Einklangs von Politik, Philosophie und Naturwissenschaft, konnte der Kongreß nicht überhören. So wurde am 16. und 17. März zum ersten- und für lange Zeit zum letztenmal im Repräsentantenhaus über die Sklaverei debattiert. Doch es sprachen nur die beiden Wortführer des "tiefen Südens", James Jackson aus Georgia und William Loughton Smith aus South Carolina. Sie verteidigten die Sklaverei unter Verweis auf die gerade erst ratifizierte Verfassung der Vereinigten Staaten, die einen Passus enthielt, der es dem Kongreß verbot, vor 1808 den Sklavenhandel zu behindern. Das war der Kompromiß gewesen, mit dem 1787 der Verfassungskonvent in Philadelphia vor dem Scheitern bewahrt worden war. Ohne jene Klausel, die der Union nach dem Willen der Verfassungsväter für zwanzig Jahre innere Ruhe sichern sollte, hätte es die Vereinigten Staaten gar nicht erst gegeben.
Nur Franklin hatte als Gründerbruder den Familienfrieden aufgekündigt. Ein weiteres Gründergeschwister, Madison, lieferte jedoch als Vorsitzender des Repräsentantenhauses sein diplomatisches Meisterstück ab und ließ am 23. März über einen Ausschußbericht debattieren, der ursprünglich aus mehreren Resolutionen bestand, die unterschiedliche Positionen zur Sklaverei berücksichtigten. In der schließlich verabschiedeten Version aber fand sich die Formulierung: "Der Kongreß hat keine Autorität, in die Freilassung von Sklaven oder in ihre Behandlung in irgendeinem der Staaten einzugreifen; es bleibt allein Sache der Einzelstaaten, darüber irgendwelche Regelungen zu treffen, welche die Menschlichkeit und eine wahre Klugheit möglicherweise erfordern." Damit waren nicht nur die Eingaben der Quäker und der Abolitionisten abgeschmettert, sondern auch die Verfassungsregelungen außer Kraft gesetzt, die dem Kongreß immerhin von 1808 an die Möglichkeit eröffnet hätten, den Sklavenhandel zu beenden. Nunmehr war die Sklaverei auf Ewigkeit gestellt, die Union abermals gerettet. Wen interessierte da noch die Formulierung, die Thomas Jefferson vierzehn Jahre zuvor in die Unabhängigkeitserklärung geschrieben hatte: daß alle Menschen gleich geschaffen seien und unveräußerliche Rechte hätten?
Jefferson jedenfalls interessierte sein Geschwätz von gestern längst nicht mehr. Als Außenminister diente er in Washingtons erstem Kabinett, und auch der Präsident scheute das gefährliche Thema und schrieb nach Abschluß der parlamentarischen Debatte erleichtert an seinen Freund David Stuart: "Die Sache mit den Sklaven ist endlich schlafen gelegt worden und wird kaum mehr erwachen." Für die Lebensspanne der Gründerbrüder behielt er recht, doch die Diskrepanz zwischen moralischem Anspruch und politischer Wirklichkeit der Vereinigten Staaten konnte nur so lange kaschiert werden, wie es noch Veteranen der Unabhängigkeit gab, die qua ihrer Persönlichkeit Zeugnis dafür ablegen konnten, daß alles zum besten stand. Mit der Generation der Gründerbrüder starb auch diese Illusion, und von den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts an verstärkten sich die seismischen Aktivitäten längs der Mason-Dixon-Linie, die das große politische Erdbeben des Jahres 1861 ankündigten, die Sezession der Südstaaten, die Georgia und South Carolina schon 1790 angedroht hatten. Was es den Gründerbrüdern um jeden Preis zu verhindern galt, war nun Mittel der Wirtschaftspolitik geworden.
Statt der Chronologie gibt für Ellis der innere Zusammenhang das Raster ab, und die Zeitsprünge von Kapitel zu Kapitel sind kaum spürbar, so geschickt verzahnt Ellis seine Gegenstände. Dieses ingeniös umgesetzte Konzept einer narrativen Historiographie im scheinbar reaktionärsten Stil ("Große Männer machen die Geschichte") ist mit allen Wassern von Strukturalismus und Postmoderne gewaschen, und die Auswahl der von ihm dokumentierten sechs Ereignisse - neben dem Duell zwischen Hamilton und Burr und der Debatte um die Sklaverei des Jahres 1790 noch die nur wenige Monate später getroffene Geheimabsprache über die Gründung der späteren Hauptstadt Washington, die Abschiedsbotschaft Washingtons vom Sommer 1796, die Entzweiung der alten Freunde John Adams und Thomas Jefferson in den Präsidentenwahlen von 1796 und 1800 sowie deren Wiederannäherung als alte Männer von 1812 an bis zum gemeinsamen Todestag am 4. Juli 1826, dem fünfzigsten Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung - fällt so geschickt aus, daß man an diesen sechs Schlaglichtern vierzig Jahre Geschichte fassen kann, die zum Prägendsten gehören, was die Neuzeit hervorgebracht hat. Denn die Gründerbrüder schufen Amerika nach ihrem Bilde.
Was ihnen fehlte, war Übereinstimmung betreffs der Ziele der Revolution und der Intentionen der Verfassung. Deshalb, so erklärt Ellis die immer wieder wechselnden Allianzen, die zerbrochenen Freundschaften und persönlichen Animositäten, "schwammen Föderalisten ebenso wie Republikaner in einem Meer gegenseitiger Anschuldigungen und parteiischer Interpretationen. Die Mitte konnte nicht halten, weil sie nicht existierte." Nur diese Mitte hätte vermeiden können, was 1861 geschah, als derjenige der beiden amerikanischen Grundkonflikte, der ausgesprochen wurde, die Frage, ob der neue Staat einer zentralen Regierungsgewalt unterworfen sein sollte oder nicht, sich endgültig mit dem verschwiegenen Problem der Sklaverei verband. Zuvor hatten die Gründerbrüder und ihre Erben den Bestand der Union durch Deals gesichert: So hatte Hamilton, Spiritus rector der Föderalisten, seine bundesstaatliche Finanzkonzeption 1790 durchsetzen können, weil er auf Jeffersons Vermittlung seinem einstigen Mitstreiter Madison, mit dem zusammen er die "Federalist Papers" geschrieben hatte, garantieren konnte, daß die zukünftige Hauptstadt am Fluß Potomac errichtet werden würde, der einen Teil der Grenze Virginias bildete. So zog Hamilton den Virginier Madison auf seine Seite, indem er ihn an dessen patriotische Pflicht erinnerte - dieser Patriotismus galt Virginia, nicht den Vereinigten Staaten. Ellis kann sogar aufgrund einiger Andeutungen in Erinnerungen und Briefwechseln jener Jahre plausibel machen, daß auch die Beibehaltung der Sklaverei in den langwierigen Verhandlungen um die Durchsetzung föderalistischer Prinzipien als Preis eingesetzt wurde.
So verquicken sich immer wieder diese zwei Konflikte, und durch die intensiven persönlichen Verbindungen der Revolutionsgeneration mußten die wechselseitigen Enttäuschungen besonders tief ausfallen. Einzig über George Washington fanden die innenpolitischen Kombattanten kaum ein böses Wort, allein Jefferson in seiner Egozentrik ließ einige Briefe in die Welt hinaus, die bittere Bemerkungen über den ersten Präsidenten enthielten und zur ehrlichen Überraschung des Absenders zuverlässig ihren Weg in die Presse fanden. Washington brach daraufhin jeden Kontakt zu seinem virginischen Landsmann ab.
Immer wieder Virginia und Virginier, in jeder Phase der frühen Vereinigten Staaten Schlüsselstaat und Schlüsselfiguren. Noch die endgültige Festlegung des Standorts der neuen Hauptstadt, deren Benennung nach Washington unausgesprochen schon vor dessen Tod sichergestellt war, erfolgte nur teilweise unter Rücksichtnahme auf die Geheimabsprachen mit Madison und den virginischen Abgeordneten - auch die Tatsache, daß etliche Grundstücke, die der exterritoriale Bezirk um die Hauptstadt umfassen sollte, George Washington gehörten, der unweit des Bauplatzes seinen Herrensitz von Mount Vernon bewohnte, war nicht nebensächlich. Immerhin sicherte der Ankauf des Terrains durch die Bundesregierung dem Präsidenten ein nicht unerhebliches Sümmchen.
Aber Washington zählt dennoch zu den Helden von Ellis, weil er stillschweigend auf seiten der Abolitionisten stand, während das Gros der Virginier den Fortbestand des Sklaverei nach Kräften beförderte. Solche Verlierer der Geschichte kann Ellis heute noch mit perfiden historiographischen Methoden abstrafen. So verkneift er sich zu erwähnen, daß auch Madison und dessen Vertrauter James Monroe später jeweils zum Präsidenten gewählt wurden (beide zudem für zwei Amtszeiten, das nach Washingtons Verzicht auf eine dritte Kandidatur verpflichtende Höchstmaß für einen Präsidenten). Dagegen erhebt Ellis John Adams zu seinem Favoriten, also ausgerechnet den einzigen der frühen Präsidenten, der schon nach vier Jahren wieder abgewählt wurde. Diesen Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte erklärt Ellis mit Intrigen und generellem Unverständnis für die weitsichtige Politik von John Adams, der als Parteigänger der Föderalisten die entscheidenden Schritte zur Bewahrung der staatlichen Einheit Amerikas vollzogen hat.
Die Liebe von Ellis zu dem kompromißlosen Veteranen der Unabhängigkeit ist in den beiden ihm und Jefferson gewidmeten abschließenden Kapiteln in jeder Zeile spürbar. Und was für schöne Details Ellis aufgrund seiner biographischen Vorarbeiten zu den beiden engen Freunden und zeitweise unversöhnlichen politischen Gegnern hier anführen kann. So sei nur erwähnt, daß es John Adams zu verdanken war, daß erstmals Berlin eine zentrale Rolle in der amerikanischen Europa-Politik spielte. Denn er entsandte seinen Sohn John Quincy Adams als Botschafter an den preußischen Hof, mit dem Amerika seit 1785 ein Freundschafts- und Schiffahrtsabkommen verband, das Adams seinerzeit ausgehandelt und der greise König Friedrich II. noch unterzeichnet hatte. Diesen Vertrauensbeweis vergaß Amerika Preußen nicht, und als Adams als Präsident zehn Jahre später einen besonders zuverlässigen Informanten für europäische Angelegenheiten auf dem alten Kontinent etablieren wollte, war Berlin für seinen Sohn erste Wahl - das waren noch Zeiten!
Den beiden Adams gilt auch das schönste Beispiel für noble Zurückhaltung seitens Ellis, der zwar durch Verschweigen kleine Bosheiten in seinem Buch einzustreuen versteht, aber auch bisweilen den eigenen Triumph als Interpret der Geschichte unterdrückt. So muß es für John Adams die Krönung seines politischen Lebens gewesen sein, als sein Sohn 1824 zum Präsidenten gewählt wurde - bis zu George W. Bush das einzige derartige Beispiel in der amerikanischen Geschichte. Adams senior war nicht zuletzt deshalb abgewählt worden, weil sein Konkurrent Jefferson subtil das Gerücht gestreut hatte, der ehemalige amerikanische Gesandte am britischen Hof favorisiere eine Monarchie für die Vereinigten Staaten und verfolge dynastische Ziele zugunsten seiner eigenen Familie. Als John Quincy, den viele Gegner der Adams in den Jahren der Präsidentschaft seines Vaters (1797 bis 1801) als "Dauphin" verspottet hatten, schließlich ins höchste Amt gewählt wurde, gelang dies zum einzigen Mal in der amerikanischen Geschichte einem unabhängigen Kandidaten, denn die federalists, die einstmals den Vater unterstützt hatten, waren von dessen Nachfolgern marginalisiert worden. Mit Jefferson, Madison und Monroe regierten ein Vierteljahrhundert lang nur Demokraten in Washington. Erst John Quincy Adams beendete diese Einparteienherrschaft und sicherte damit das politische Erbe seines Vaters, dem die politische Theorie das System der checks and balances verdankt. Doch über diesen Triumph des alten Adams, nur ein Jahr vor seinem Tod, verliert Ellis kein Wort. Er setzt Leser voraus, die weiterdenken. Was für ein schöneres Kompliment soll man einem Buch noch machen?
Joseph J. Ellis: "Sie schufen Amerika". Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington. Aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer. Verlag C. H. Beck, München 2002. 373 S., geb., 24,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2002Washington hatte wie üblich recht
American Diner: Joseph J. Ellis kandiert und überzuckert die Lebensläufe der Gründerväter
Das erste Kapitel handelt von dem Duell des ehemaligen Finanzministers Alexander Hamilton mit dem Vizepräsidenten Aaron Burr; das zweite von Thomas Jefferson; das dritte von James Madison und der Sklaverei; das vierte von George Washington; das fünfte und sechste von Jefferson und John Adams. Der Historiker Joseph („Joe”) Ellis kennt die Lebensläufe von Adams, Jefferson und anderer Gründerväter von früheren Veröffentlichungen her recht genau. Für die biographischen Meditationen „Sie schufen Amerika” hat er von den Personen losgelöste Kapitelüberschriften gewählt, an die man sich erst gewöhnen muss. Denn in dem Kapitel „Das Dinner” wird nichts gegessen, in „Das Schweigen” wird andauernd debattiert und in „Die Freundschaft” fast nur gestritten. Lediglich in dem Kapitel „Das Duell” fallen tatsächlich Schüsse.
Diesem Duell, schreibt der Verfasser, hat sich Hamilton nicht wegen Ehrenhändeln gestellt, sondern weil er Burr für eine katilinarische Existenz hielt, der aus Staatsräson das Lebenslicht auszublasen war. Offen bleibt, warum er dann absichtlich daneben schoss. Nach derlei Widersprüchen braucht man nicht lange zu fahnden. George Washington wird einmal als eiserner Realist charakterisiert, der allen Visionen mißtraute, zwei Seiten später entwirft er „eine panoramische und völlig kontinentale Vision eines amerikanischen Reiches”. Die Hauptthese des Verfassers lautet, eine „winzige Minderheit prominenter politischer Führer” habe die USA geschaffen. Vergessen wir den Dekonstruktivismus und die Enthierarchisierung unseres Geschichtsbildes. Hier erleben wir die Wiederauferstehung der DWAMs, der Dead White American Males und ihrer exklusiven geschichtsbildenden Potenz. Da kommt ausser der Alibifrau Abigail Adams das weibliche Geschlecht höchstens im Vorwort als Schreibkraft oder Gattin vor und Minderheiten nur als Sklaven. Die Verehrung des Verfassers für die Gründerväter geht bis zum Kniefälligen („Washington hatte wie üblich recht”), und einmal bemüht er – wie die Historiker des 19. Jahrhunderts – die Vorsehung, um Hamiltons Herkunft zu würdigen.
Die Art, wie hier der Postmoderne ins Gesicht gespuckt wird, hatte in Amerika Erfolg: Pulitzerpreis und Bestsellerliste. Tiefliegende Bedürfnisse von Nonplusultra-Amerikanern wurden gestillt. Einer von denen meinte, seit der Bibel kein besseres Buch mehr gelesen zu haben. In Europa wird das Echo schwächer ausfallen. Obendrein ist die Übersetzung fehlerhaft (zum Beispiel wird „disinterestedness” mit „Interesselosigkeit” übersetzt, tatsächlich bedeutet es soviel wie Überparteilichkeit), elegant ist sie auch nicht („Jefferson war... in Debatten eine zurückgezogene Nicht-Gegenwart”). Wenigstens wird der Beck-Verlag nicht in die Verlegenheit geraten, den von ihm gestifteten Übersetzerpreis an jemanden aus dem eignen Haus zu verleihen.
Greifen wir den Hauptgedanken noch einmal auf. Eine Elite aus „ehrenhaften und tugendhaften Führern” begründete die amerikanische Republik. John Adams, der Favorit des Verfassers, wird sogar als „übertrieben aufrichtiger Neuengländer” vorgestellt. Doch viel hat sich Joseph J. Ellis von ihm nicht abgeschaut. Als Professor an einem reinen Frauencollege machte er seinen Studentinnen weis, er habe in Vietnam gekämpft, sich in Mississippi für die Rechte der Schwarzen ins Geschirr geworfen und schon als Schüler den entscheidenden Touchdown beim Endspiel erzielt. Kein Wort wahr. Der Mann war nie in Vietnam, ist unter Bürgerrechtlern ein Unbekannter und gehörte der Schulmannschaft nicht einmal an, die, nebenbei gesagt, das Spiel auch noch verlor.
In den Erzählungen über seinen imaginären Vietnameinsatz hat er am dicksten aufgetragen: die Verantwortung als Zugführer der Fallschirmspringer nahe My Lai; die frisch gebügelten Uniformstücke General Weestmorelands, dem er direkt unterstellt war; die Tränen eines Soldaten, der auf dem Schlachtfeld Emily Dickinson las. Rechtlich gesehen könnte Hauptmann a.D. Ellis für falsche Angaben zu seinem Militärdienst mit Gefängnis bestraft werden. Aber sicher würde sich ein Gutachter finden, der ihm ein Walter Mitty-Syndrom bescheinigt. Nur dass Walter Mitty seine erfundenen Heldentaten für sich behielt, während Ellis seine persönliche Bilanzfälschung in die Welt hinaustrug und damit einen echten Vietnamkrieger so wütend machte, dass er Ellis vorwarf, er tanze auf den Gräbern seiner gefallenen Kameraden.
Freispruch für Clinton
Müsste man nun aber nicht die Flunkereien dieses eitlen Mannes und seine Forschungsleistung auseinanderhalten? Ellis ist unter Historikern bekannt gewesen als einer, der auf Exaktheit und Beweisbarkeit besonderen Wert legte. Einen Kollegen rief er flugs zur Ordnung, als der eine Reagan-Biographie mit fiktionalen Elementen angereichert hatte (siehe SZ vom 16./17.10.1999). Das hier zu besprechende Werk schrieb er mit maximalem faktographischen Aufwand. Er hielt fest, dass Burr beim Duell einen Anzug aus Bombasin trug (das ist ein gemusterter Doppelbarchent), schöpfte alle Bedeutungen aus, die ein abgebrochener Zedernzweig gehabt haben könnte und gab eine eigene Quelle für den Umstand an, dass der Ort des Duells vorher von Gestrüpp und Geröll gesäubert worden ist.
Und doch nässt die persönliche Unaufrichtigkeit dieses Mannes auf sein wissenschaftliches Urteil durch. Um Clinton in Schutz zu nemen, stellt sich Ellis parteiisch hinter die unbewiesene These, Jefferson habe seine Sklavin Sally geschwängert, sexuelle Verfehlungen seien somit aus historischer Sicht entschuldbar, die Gründerväter hätten Clinton freigesprochen.
Bei dieser Gelegenheit erinnern wir uns daran, dass die Väter der Republik keineswegs so tugendhaft waren, wie Ellis trotz des von ihm selbst eingebrachten Materials vorgibt. Wir lesen, dass Hamilton den Etat seines Finanzministeriums frisiert hat, dass bei der Verlegung der Hauptstadt von Philadelphia nach Washington Bestechungsgelder geflossen sind, dass Jefferson seinen Mitstreiter Adams für geistesgestört hielt und dass Adams den grossen Pamphletisten Thomas Paine eine Kreuzung aus Schwein und Welpe schimpfte.
Trotzdem: Die Generation der Gründer hatte mehr Format als die heutige politische Elite, das sei gesagt. Sie schufen Amerika – so verkehrt ist das nicht, wenn auch aus einer nicht mehr ganz frischen Perspektive. Erspart bleibe uns ein Nachfolgeband über Bush, Cheney, Ashcroft und Rumsfeld unter dem Titel: Sie schafften Amerika.
GERT RAEITHEL
JOSEPH J. ELLIS: Sie schufen Amerika. Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. C.H. Beck, München 2002. 370 Seiten, 24,90 Euro.
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American Diner: Joseph J. Ellis kandiert und überzuckert die Lebensläufe der Gründerväter
Das erste Kapitel handelt von dem Duell des ehemaligen Finanzministers Alexander Hamilton mit dem Vizepräsidenten Aaron Burr; das zweite von Thomas Jefferson; das dritte von James Madison und der Sklaverei; das vierte von George Washington; das fünfte und sechste von Jefferson und John Adams. Der Historiker Joseph („Joe”) Ellis kennt die Lebensläufe von Adams, Jefferson und anderer Gründerväter von früheren Veröffentlichungen her recht genau. Für die biographischen Meditationen „Sie schufen Amerika” hat er von den Personen losgelöste Kapitelüberschriften gewählt, an die man sich erst gewöhnen muss. Denn in dem Kapitel „Das Dinner” wird nichts gegessen, in „Das Schweigen” wird andauernd debattiert und in „Die Freundschaft” fast nur gestritten. Lediglich in dem Kapitel „Das Duell” fallen tatsächlich Schüsse.
Diesem Duell, schreibt der Verfasser, hat sich Hamilton nicht wegen Ehrenhändeln gestellt, sondern weil er Burr für eine katilinarische Existenz hielt, der aus Staatsräson das Lebenslicht auszublasen war. Offen bleibt, warum er dann absichtlich daneben schoss. Nach derlei Widersprüchen braucht man nicht lange zu fahnden. George Washington wird einmal als eiserner Realist charakterisiert, der allen Visionen mißtraute, zwei Seiten später entwirft er „eine panoramische und völlig kontinentale Vision eines amerikanischen Reiches”. Die Hauptthese des Verfassers lautet, eine „winzige Minderheit prominenter politischer Führer” habe die USA geschaffen. Vergessen wir den Dekonstruktivismus und die Enthierarchisierung unseres Geschichtsbildes. Hier erleben wir die Wiederauferstehung der DWAMs, der Dead White American Males und ihrer exklusiven geschichtsbildenden Potenz. Da kommt ausser der Alibifrau Abigail Adams das weibliche Geschlecht höchstens im Vorwort als Schreibkraft oder Gattin vor und Minderheiten nur als Sklaven. Die Verehrung des Verfassers für die Gründerväter geht bis zum Kniefälligen („Washington hatte wie üblich recht”), und einmal bemüht er – wie die Historiker des 19. Jahrhunderts – die Vorsehung, um Hamiltons Herkunft zu würdigen.
Die Art, wie hier der Postmoderne ins Gesicht gespuckt wird, hatte in Amerika Erfolg: Pulitzerpreis und Bestsellerliste. Tiefliegende Bedürfnisse von Nonplusultra-Amerikanern wurden gestillt. Einer von denen meinte, seit der Bibel kein besseres Buch mehr gelesen zu haben. In Europa wird das Echo schwächer ausfallen. Obendrein ist die Übersetzung fehlerhaft (zum Beispiel wird „disinterestedness” mit „Interesselosigkeit” übersetzt, tatsächlich bedeutet es soviel wie Überparteilichkeit), elegant ist sie auch nicht („Jefferson war... in Debatten eine zurückgezogene Nicht-Gegenwart”). Wenigstens wird der Beck-Verlag nicht in die Verlegenheit geraten, den von ihm gestifteten Übersetzerpreis an jemanden aus dem eignen Haus zu verleihen.
Greifen wir den Hauptgedanken noch einmal auf. Eine Elite aus „ehrenhaften und tugendhaften Führern” begründete die amerikanische Republik. John Adams, der Favorit des Verfassers, wird sogar als „übertrieben aufrichtiger Neuengländer” vorgestellt. Doch viel hat sich Joseph J. Ellis von ihm nicht abgeschaut. Als Professor an einem reinen Frauencollege machte er seinen Studentinnen weis, er habe in Vietnam gekämpft, sich in Mississippi für die Rechte der Schwarzen ins Geschirr geworfen und schon als Schüler den entscheidenden Touchdown beim Endspiel erzielt. Kein Wort wahr. Der Mann war nie in Vietnam, ist unter Bürgerrechtlern ein Unbekannter und gehörte der Schulmannschaft nicht einmal an, die, nebenbei gesagt, das Spiel auch noch verlor.
In den Erzählungen über seinen imaginären Vietnameinsatz hat er am dicksten aufgetragen: die Verantwortung als Zugführer der Fallschirmspringer nahe My Lai; die frisch gebügelten Uniformstücke General Weestmorelands, dem er direkt unterstellt war; die Tränen eines Soldaten, der auf dem Schlachtfeld Emily Dickinson las. Rechtlich gesehen könnte Hauptmann a.D. Ellis für falsche Angaben zu seinem Militärdienst mit Gefängnis bestraft werden. Aber sicher würde sich ein Gutachter finden, der ihm ein Walter Mitty-Syndrom bescheinigt. Nur dass Walter Mitty seine erfundenen Heldentaten für sich behielt, während Ellis seine persönliche Bilanzfälschung in die Welt hinaustrug und damit einen echten Vietnamkrieger so wütend machte, dass er Ellis vorwarf, er tanze auf den Gräbern seiner gefallenen Kameraden.
Freispruch für Clinton
Müsste man nun aber nicht die Flunkereien dieses eitlen Mannes und seine Forschungsleistung auseinanderhalten? Ellis ist unter Historikern bekannt gewesen als einer, der auf Exaktheit und Beweisbarkeit besonderen Wert legte. Einen Kollegen rief er flugs zur Ordnung, als der eine Reagan-Biographie mit fiktionalen Elementen angereichert hatte (siehe SZ vom 16./17.10.1999). Das hier zu besprechende Werk schrieb er mit maximalem faktographischen Aufwand. Er hielt fest, dass Burr beim Duell einen Anzug aus Bombasin trug (das ist ein gemusterter Doppelbarchent), schöpfte alle Bedeutungen aus, die ein abgebrochener Zedernzweig gehabt haben könnte und gab eine eigene Quelle für den Umstand an, dass der Ort des Duells vorher von Gestrüpp und Geröll gesäubert worden ist.
Und doch nässt die persönliche Unaufrichtigkeit dieses Mannes auf sein wissenschaftliches Urteil durch. Um Clinton in Schutz zu nemen, stellt sich Ellis parteiisch hinter die unbewiesene These, Jefferson habe seine Sklavin Sally geschwängert, sexuelle Verfehlungen seien somit aus historischer Sicht entschuldbar, die Gründerväter hätten Clinton freigesprochen.
Bei dieser Gelegenheit erinnern wir uns daran, dass die Väter der Republik keineswegs so tugendhaft waren, wie Ellis trotz des von ihm selbst eingebrachten Materials vorgibt. Wir lesen, dass Hamilton den Etat seines Finanzministeriums frisiert hat, dass bei der Verlegung der Hauptstadt von Philadelphia nach Washington Bestechungsgelder geflossen sind, dass Jefferson seinen Mitstreiter Adams für geistesgestört hielt und dass Adams den grossen Pamphletisten Thomas Paine eine Kreuzung aus Schwein und Welpe schimpfte.
Trotzdem: Die Generation der Gründer hatte mehr Format als die heutige politische Elite, das sei gesagt. Sie schufen Amerika – so verkehrt ist das nicht, wenn auch aus einer nicht mehr ganz frischen Perspektive. Erspart bleibe uns ein Nachfolgeband über Bush, Cheney, Ashcroft und Rumsfeld unter dem Titel: Sie schafften Amerika.
GERT RAEITHEL
JOSEPH J. ELLIS: Sie schufen Amerika. Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington. Aus dem Englischen von Martin Pfeiffer. C.H. Beck, München 2002. 370 Seiten, 24,90 Euro.
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