Zum Arzt oder nicht zum Arzt - das ist hier die Frage Rückenschmerzen, Krebsvorsorge, Magen-Darm-Beschwerden, Gewichtsprobleme - wenn es um die Gesundheit geht, haben viele Menschen das Gefühl, etwas tun zu müssen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse belegen aber, dass das Gegenteil oft besser ist. Sind wir erkältet, schlucken wir ein Antibiotikum, bei einem Bandscheibenvorfall lassen wir uns operieren, und um Krebs fernzuhalten, gehen wir regelmäßig zur Vorsorge. Wir tun viel, um gesund zu werden oder zu bleiben, rennen zum Arzt oder in die Apotheke. Aber ist das auch richtig? Nein - oft ist es besser, nichts zu tun. Sitzt man aber erst einmal in der Praxis, kann man nur schwer wieder zurück. Dann muss etwas getan werden. Wer will sich schon vorwerfen, etwas zu spät oder gar nicht unternommen zu haben? Es könnte ja helfen! Doch die Medizin ist voll von unnötigen, teuren und sogar schädlichen Maßnahmen. So bekommen viele Patienten eine Diagnose, die mit den Beschwerden nichts zu tun hat. Oder eine Behandlung, die nicht nötig ist, die vielleicht sogar schadet. Und manch Gesunder verlässt die Praxis als Kranker. Dabei müssten viele Menschen gar nicht zum Arzt - Abwarten ist oft die bessere Medizin. Die Autoren haben als Ärzte im Krankenhaus Erfahrungen mit Aktionismus gemacht, erleben ihn aber auch immer wieder in ihrem Alltag. Sie erklären in diesem Buch anhand vieler Fallgeschichten und des heutigen Stands der Wissenschaft, warum es sich oft lohnt, nicht tätig zu werden - von A wie Arthrose bis Z wie Zahnreinigung.Ein Ratgeber, der einem mal nicht sagt, was man für seine Gesundheit tun muss, sondern was man lassen kann.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2017Die Natur kuriert, die Apotheke kassiert
Siebzehnmal im Jahr gehen die Deutschen zum Arzt: Ragnhild und Jan Schweitzer raten mit guten Gründen zu mehr Gelassenheit im Umgang mit alltäglichen Wehwehchen.
Alternative Fakten sind keineswegs eine Erfindung amerikanischer Präsidentenberaterinnen. Avant la lettre begleitet der Sachverhalt die medizinische Praxis seit Menschengedenken. Selbsternannte Wunderheiler, Landbader und Quacksalber haben schon immer alternative Angebote empfänglichen Gemütern feilgeboten. Leider ist die Trennlinie zwischen seriöser Medizin und Quacksalberei für den medizinischen Laien nicht leicht zu erkennen. Experten sind sich oft uneins. Und nicht selten sind es approbierte Ärzte, die diagnostische und therapeutische Maßnahmen empfehlen, deren Wirksamkeit unbewiesen, die oft teuer und nur im günstigen Falle nicht schädlich sind.
Also dann doch lieber nichts tun. Abwarten sei oft die beste Methode, meinen die Ärzte Ragnhild und Jan Schweitzer. Die Natur richte viele Dinge von selbst. Fragen Sie weder Arzt noch Apotheker, raten die Autoren ihren Lesern. Ob Infekte der Atemwege, die häufigen Rückenschmerzen oder Bauchgrimmen: Tun oder Nichtstun, das ist bei Alltagserkrankungen für sie keine Frage. Denn es kommt auf das Gleiche hinaus. Der Vorteil: Nichtstun richtet weniger Schaden an und ist billiger zu haben.
Der Titel dieses Plädoyers für eine therapeutische Enthaltsamkeit ist mit Bedacht gewählt, so darf man unterstellen. Leser mit kritischer Einstellung zum Medizinbetrieb und Neigungen zu alternativen Behandlungsmethoden gilt es zu gewinnen. Doch entpuppen sich die Autoren, ausgebildete Ärzte und ausgewiesene Medizinjournalisten, als hartgesottene Schulmediziner, die nur gelten lassen, wofür es hinreichend empirische Belege gibt. Evidenzbasierte Medizin heißt es im Fachjargon.
Das Ärzteehepaar liefert ein Kompendium des Unterlassens. Denn woran Patienten, Angehörige und die Ärzte gleichermaßen kranken, das ist der Zwang, immer etwas tun zu müssen. Ob Gelenkbeschwerden, Erkältung, Durchfall oder Weisheitszähne: man fährt nicht schlecht, wenn man auf die Kraft der Natur vertraut und dem Körper Zeit zur Erholung lässt. Nüchtern besehen, müssen viele auch von Ärzten empfohlene Maßnahmen als wirkungslos eingestuft werden. Oft wurden sie niemals hinreichend geprüft. Und als völlig abwegig im Blick auf Wirksamkeit erweist sich fast alles, was in den Auslagen der Apotheken an Säften, Tinkturen, Kapseln, Pflästerchen, an Schlaf und Potenz steigernden Mitteln angepriesen wird.
Zur besonderen Wachsamkeit raten die Autoren, wenn Ärzte die als IGeL bezeichneten individuellen Gesundheitsleistungen offerieren. Die IGeL sind Angebote jenseits des Katalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Skepsis ist angesagt, denn die nützten nicht den Patienten, nur den Ärzten, die daran verdienen. Die Autoren illustrieren das an einer Fülle von Beispielen. Wäre die Effektivität der IGeL belegt, so schreiben sie, dann erstatteten die Krankenkassen die Kosten.
Eine gewagte Behauptung. Denn sie überschätzt das Maß wissenschaftlich motivierter Rationalität der Entscheidungsprozesse dieser Institutionen. Dass es daran oft mangelt, lehrt ein Blick in das Menü der Gesundheitsleistungen vieler Kassen. Da werden Mitglieder mit dem Angebot der Kostenübernahme mitunter absurder Yogakurse und abwegiger homöopathischer Arzneien ohne Effektivitätsnachweis umworben.
Mit gelegentlich heftigem Furor werfen die Autoren einen kritischen Blick auf angeblich hocheffektive Diäten, Nahrungsergänzungsstoffe und Biolebensmittel ("Gesund ist man auch ohne Öko"). Und sie erinnern daran, dass längst nicht alles, was unter dem Schlagwort der Prävention von Krankheiten auf dem Medizinmarkt angeboten wird, der Gesundheit dienlich ist.
Wer sich als Arzt ein Mindestmaß an kritischer Vernunft bewahrt hat, wird den Autoren in (fast) allem zustimmen. Auf dass ihre Einsichten, die doch so wenig beachtet werden, von jedermann verstanden werden, befleißigen sich Herr und Frau Schweitzer dessen, was heute als einfache Sprache bezeichnet wird. Das ist manchmal nervig und soll vermutlich dem guten Zweck dienen, möglichst viele Leser mit der Botschaft zu erreichen.
Die eingestreuten Berichte über eigene schlechte Erfahrungen mit unnützen Therapien und überflüssigen diagnostischen Maßnahmen sollen Authentizität verbürgen. Doch wundert der Leser sich, wie es denn sein kann, dass zwei angesehene Mediziner und Wissenschaftsjournalisten manchem offensichtlichen medizinischen Unfug auf den Leim gegangen sind. Dies bestätigt die alte ärztliche Erfahrung, dass Betroffenheit, als Patient oder Angehörige, der Bewahrung eines kühlen Kopfes abträglich ist. Und darum ist das Buch wichtig. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen, ein wenig Gelassenheit im Umgang mit den Wehwehchen des Alltags zu erlernen. Man muss nicht immer gleich zum Arzt gehen.
Hätte der Rezensent zum Schluss noch einen Wunsch frei, er erhoffte sich, das kleine Kompendium in Fortsetzungen in der "Apotheken Umschau" zu lesen - als Antidot zur Werbung für Gesundheitsprodukte.
STEPHAN SAHM
Jan und Ragnhild Schweitzer: "Fragen Sie weder Arzt noch
Apotheker". Warum
Abwarten oft die beste
Medizin ist.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2017.
272 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Siebzehnmal im Jahr gehen die Deutschen zum Arzt: Ragnhild und Jan Schweitzer raten mit guten Gründen zu mehr Gelassenheit im Umgang mit alltäglichen Wehwehchen.
Alternative Fakten sind keineswegs eine Erfindung amerikanischer Präsidentenberaterinnen. Avant la lettre begleitet der Sachverhalt die medizinische Praxis seit Menschengedenken. Selbsternannte Wunderheiler, Landbader und Quacksalber haben schon immer alternative Angebote empfänglichen Gemütern feilgeboten. Leider ist die Trennlinie zwischen seriöser Medizin und Quacksalberei für den medizinischen Laien nicht leicht zu erkennen. Experten sind sich oft uneins. Und nicht selten sind es approbierte Ärzte, die diagnostische und therapeutische Maßnahmen empfehlen, deren Wirksamkeit unbewiesen, die oft teuer und nur im günstigen Falle nicht schädlich sind.
Also dann doch lieber nichts tun. Abwarten sei oft die beste Methode, meinen die Ärzte Ragnhild und Jan Schweitzer. Die Natur richte viele Dinge von selbst. Fragen Sie weder Arzt noch Apotheker, raten die Autoren ihren Lesern. Ob Infekte der Atemwege, die häufigen Rückenschmerzen oder Bauchgrimmen: Tun oder Nichtstun, das ist bei Alltagserkrankungen für sie keine Frage. Denn es kommt auf das Gleiche hinaus. Der Vorteil: Nichtstun richtet weniger Schaden an und ist billiger zu haben.
Der Titel dieses Plädoyers für eine therapeutische Enthaltsamkeit ist mit Bedacht gewählt, so darf man unterstellen. Leser mit kritischer Einstellung zum Medizinbetrieb und Neigungen zu alternativen Behandlungsmethoden gilt es zu gewinnen. Doch entpuppen sich die Autoren, ausgebildete Ärzte und ausgewiesene Medizinjournalisten, als hartgesottene Schulmediziner, die nur gelten lassen, wofür es hinreichend empirische Belege gibt. Evidenzbasierte Medizin heißt es im Fachjargon.
Das Ärzteehepaar liefert ein Kompendium des Unterlassens. Denn woran Patienten, Angehörige und die Ärzte gleichermaßen kranken, das ist der Zwang, immer etwas tun zu müssen. Ob Gelenkbeschwerden, Erkältung, Durchfall oder Weisheitszähne: man fährt nicht schlecht, wenn man auf die Kraft der Natur vertraut und dem Körper Zeit zur Erholung lässt. Nüchtern besehen, müssen viele auch von Ärzten empfohlene Maßnahmen als wirkungslos eingestuft werden. Oft wurden sie niemals hinreichend geprüft. Und als völlig abwegig im Blick auf Wirksamkeit erweist sich fast alles, was in den Auslagen der Apotheken an Säften, Tinkturen, Kapseln, Pflästerchen, an Schlaf und Potenz steigernden Mitteln angepriesen wird.
Zur besonderen Wachsamkeit raten die Autoren, wenn Ärzte die als IGeL bezeichneten individuellen Gesundheitsleistungen offerieren. Die IGeL sind Angebote jenseits des Katalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Skepsis ist angesagt, denn die nützten nicht den Patienten, nur den Ärzten, die daran verdienen. Die Autoren illustrieren das an einer Fülle von Beispielen. Wäre die Effektivität der IGeL belegt, so schreiben sie, dann erstatteten die Krankenkassen die Kosten.
Eine gewagte Behauptung. Denn sie überschätzt das Maß wissenschaftlich motivierter Rationalität der Entscheidungsprozesse dieser Institutionen. Dass es daran oft mangelt, lehrt ein Blick in das Menü der Gesundheitsleistungen vieler Kassen. Da werden Mitglieder mit dem Angebot der Kostenübernahme mitunter absurder Yogakurse und abwegiger homöopathischer Arzneien ohne Effektivitätsnachweis umworben.
Mit gelegentlich heftigem Furor werfen die Autoren einen kritischen Blick auf angeblich hocheffektive Diäten, Nahrungsergänzungsstoffe und Biolebensmittel ("Gesund ist man auch ohne Öko"). Und sie erinnern daran, dass längst nicht alles, was unter dem Schlagwort der Prävention von Krankheiten auf dem Medizinmarkt angeboten wird, der Gesundheit dienlich ist.
Wer sich als Arzt ein Mindestmaß an kritischer Vernunft bewahrt hat, wird den Autoren in (fast) allem zustimmen. Auf dass ihre Einsichten, die doch so wenig beachtet werden, von jedermann verstanden werden, befleißigen sich Herr und Frau Schweitzer dessen, was heute als einfache Sprache bezeichnet wird. Das ist manchmal nervig und soll vermutlich dem guten Zweck dienen, möglichst viele Leser mit der Botschaft zu erreichen.
Die eingestreuten Berichte über eigene schlechte Erfahrungen mit unnützen Therapien und überflüssigen diagnostischen Maßnahmen sollen Authentizität verbürgen. Doch wundert der Leser sich, wie es denn sein kann, dass zwei angesehene Mediziner und Wissenschaftsjournalisten manchem offensichtlichen medizinischen Unfug auf den Leim gegangen sind. Dies bestätigt die alte ärztliche Erfahrung, dass Betroffenheit, als Patient oder Angehörige, der Bewahrung eines kühlen Kopfes abträglich ist. Und darum ist das Buch wichtig. Vielleicht hilft es dem einen oder anderen, ein wenig Gelassenheit im Umgang mit den Wehwehchen des Alltags zu erlernen. Man muss nicht immer gleich zum Arzt gehen.
Hätte der Rezensent zum Schluss noch einen Wunsch frei, er erhoffte sich, das kleine Kompendium in Fortsetzungen in der "Apotheken Umschau" zu lesen - als Antidot zur Werbung für Gesundheitsprodukte.
STEPHAN SAHM
Jan und Ragnhild Schweitzer: "Fragen Sie weder Arzt noch
Apotheker". Warum
Abwarten oft die beste
Medizin ist.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2017.
272 S., br., 14,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
» Fragen Sie weder Arzt noch Apotheker ist kein blindes Ärztebashing, sondern eine fundierte und gut verständliche Auseinandersetzung mit dem ernsten Thema der Überversorgung mit Diagnostik und Operationen.« Dr. Eckart v. Hirschhausen