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Für die Zukunft der EU ist die intime Kenntnis der Funktionsweise des jeweiligen Partners heute notwendiger denn je. Doch Deutschland und Frankreich sind sich trotz der engen Bande, die sie seit Kriegsende geknüpft haben, weitgehend fremd geblieben. Weil es sich um zwei Gesellschaftsmodelle handelt, die gegensätzlicher nicht sein können. Weil wie immer Klischees das tiefere Verständnis und somit die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Anderssein behindern. Weil schließlich Frankreich wegen seiner besonderen Geschichte für Deutsche eine Projektionsfläche eigener Wunschvorstellungen ist. Und…mehr

Produktbeschreibung
Für die Zukunft der EU ist die intime Kenntnis der Funktionsweise des jeweiligen Partners heute notwendiger denn je. Doch Deutschland und Frankreich sind sich trotz der engen Bande, die sie seit Kriegsende geknüpft haben, weitgehend fremd geblieben. Weil es sich um zwei Gesellschaftsmodelle handelt, die gegensätzlicher nicht sein können. Weil wie immer Klischees das tiefere Verständnis und somit die konstruktive Auseinandersetzung mit dem Anderssein behindern. Weil schließlich Frankreich wegen seiner besonderen Geschichte für Deutsche eine Projektionsfläche eigener Wunschvorstellungen ist. Und nicht zuletzt, weil viele Begriffe zur Kategorie der "falschen Freunde" gehören: Sie scheinen in beiden Sprachen identisch, bedeuten aber etwas ganz anderes. Besonders für deutsche Journalisten ist Frankreich ein Land der Widersprüche. Das Medienverständnis ist fast das Gegenteil des deutschen. Anspruch und Wirklichkeit, Theorie und Praxis klaffen auch bei den Werten, Prinzipien und Institutionen der Demokratie oft auseinander. Und vor allem: Paris ist nicht identisch mit Frankreich, einem Gebilde, dessen Komplexität nicht zuletzt die Wahlen 2022 offenbarten. Dieses Buch ist ein Versuch, Frankreich verständlicher zu machen. Es zeigt, wie man sich einem fremden Land, von dem man meint, es zu kennen, annähern kann, und wie man die Fallstricke umgeht, die in Klischees und Idealvorstellungen lauern. Frankreich muss man lernen, zwischen den Zeilen zu lesen. Das Buch ist ein Beitrag zum öffentlichen Diskurs über die Zukunft Europas.
Autorenporträt
Isabelle Bourgeois, geboren 1955, ist Mitgründerin und Moderatorin der Dialogplattform www.tandem-europe.eu. Sie hat an der École Normale Supérieure in Fontenay-aux-Roses und an der Sorbonne studiert. Von 1980 bis 1988 war sie Lektorin an der Universität Hannover (Romanistik) und Kulturattaché an der französischen Botschaft in Bonn (zuständig für Rundfunk). Von 1988 bis 2017 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Centre d'Information et de Recherche sur l'Allemagne Contemporaine – CIRAC (vergleichende Studien: Medien und Kommunikation, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Gesellschaft, kulturelle Unterschiede). Von 2001 bis 2015 war sie Chefredakteurin der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Regards sur l'économie allemande (CIRAC), von 1989 bis 2001 Dozentin am Institut d'Etudes Politiques (Paris), von 2002 bis 2017 Dozentin an der Université de Cergy-Pontoise und von 1990 bis 2005 freie Autorin für epd-medien, diverse deutsche Tageszeitungen und den Deutschlandfunk. Von ihr liegen zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen vor, u. a. vergleichende Studien (Medien, Wirtschaft, Soziales), außerdem Dokumentarfilme für France 3 (Portraits von Heinrich Böll und Günter Grass) und das ZDF (deutsche Fassung des Portraits von Günter Grass). 1996 gewann sie den Deutsch-Französischen Journalistenpreis TV für Heinrich Böll (France 3). Sie ist Mitglied im Beirat von Eurotopics.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Cristina Cöllen bekommt mit dem Buch der Pariser Politikwissenschaftlerin Isabelle Bourgeois eine Gebrauchsanleitung zum besseren Verständnis Frankreichs an die Hand. Was unterscheidet den französischen citoyen vom deutschen Bürger, was die französische Demokratie von der deutschen? Und wie steht es wirklich um die Löhne und die Gesundheitsversorgung in der französischen Provinz. Die Autorin räumt mit Missverständnissen auf und vermittelt dem deutschen Betrachter und Frankreich-Reisenden ungeahnte Einsichten, verspricht Cöllen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2023

Der Schlüssel zum Hexagon
So nah und doch zuweilen so weit weg - eine Bedienungsanleitung für Deutsche im Umgang mit Frankreich

Crêpes vor dem Eiffelturm essen, durch den Louvre spazieren, in Nizza oder Cannes am Strand liegen, Lavendelfelder in der Provence, Liberté, Égalité, Fraternité: So mag man Frankreich in Deutschland vor allem kennen. Über die Klischees hinaus geht es dann noch um Macron, Le Pen, das philosophische Vermächtnis von Sartre oder de Beauvoir, die Gelbwesten-Bewegung, Napoleon und vielleicht la nouvelle vague.

Aber wo bleibt das andere Frankreich? Das Frankreich der Dörfer in der sogenannten "diagonale du vide" (Diagonale der Leere) in der Mitte des Landes, vernachlässigt von Politik und Wirtschaft, das Frankreich der stets vergessenen Überseegebiete, das Frankreich der indischen und pakistanischen Märkte im Pariser Vorort Aubervilliers, das Frankreich der von Polizisten verprügelten Demonstranten, das Frankreich der Debatte, ob es jetzt chocolatine oder pain au chocolat heißen soll, das Frankreich der Drogendealer vor dem Lyoner Bahnhof Part-Dieu?

Isabelle Bourgeois, Dozentin am Pariser Institut d'études politiques und Autorin für diverse deutsche und französische Medien, hat ihr neues Buch dieser These folgend geschrieben: dass Deutschland nämlich seinen französischen Nachbarn nicht ganz so gut kennt, wie es meint. Deutschland und Frankreich sind "fremde Freunde", wie sie es nennt.

Unterschiede gibt es viele zwischen den beiden Ländern. Da wäre zum einen der französische Zentralismus, der sich als großer Gegensatz zum deutschen Föderalismus durch das Buch zieht. Der Zentralismus hat im Hexagon - in Frankreich ein oft verwendeter Begriff für das Land, an seine geographische Form angelehnt - viele Facetten: So gibt es etwa einen journalistischen Zentralismus. Während in Deutschland längst nicht alle großen Medien ihren Hauptsitz in Berlin haben - obwohl zumindest ein Korrespondentenbüro unerlässlich ist -, gibt es beinahe kein einziges nationales französisches Medium, egal ob Zeitung, Fernsehsender oder Radiosender, der nicht von Paris aus in den Rest des Landes hineinberichtet.

In Paris sammelt sich überhaupt alles: Justiz, Politik, die meisten großen Unternehmen, Medien, die berühmtesten und besten Universitäten. Dieser Zentralismus der Hauptstadt beeinflusst auch das Denken und die Gesellschaft im Rest Frankreichs. Anders als in Deutschland, wo sich alles zwischen Berlin, Hamburg, Frankfurt, München, Köln und Leipzig verteilt, sammelt sich in Paris daher auch die Macht. Die Stadt wird für viele Franzosen zu einer fast unerlässlichen Station einer guten Karriere oder Ausbildung. In Paris wird über den Rest des Landes - und seltener mit diesem - diskutiert, gestritten, entschieden.

Zum anderen wäre da aber auch das (mediale) Bild Frankreichs und Deutschlands, denn Bourgeois wendet sich ganz besonders an deutsche Auslandskorrespondenten, die über Frankreich berichten sollen. Hier geht es um grundlegende, aber nicht immer gleich offensichtliche Widersprüche und Missverständnisse, wie es auch der Untertitel des Buches andeutet. So zum Beispiel ist der französische citoyen zwar generell die Übersetzung des deutschen Bürgers, bedeutet jedoch in der Realität nicht das Gleiche. So wie auch auf staatlicher Ebene im deutschen Föderalismus mehr Eigenständigkeit den Bundesländern zukommt, ist auch der deutsche Bürger mündig und darf beziehungsweise muss eigenverantwortlich handeln. Ganz anders ist es da in Frankreich: Der citoyen "ist ein Atom der abstrakten Größe 'Volk' bzw. der einheitlichen République", schreibt Bourgeois. Dadurch kommt ihm auch wesentlich weniger Selbstbestimmung als in Deutschland zu, und er kann weniger politisch mitgestalten.

Genauso ist das politische System unterschiedlicher, als es von außen den Anschein haben mag. Wie auch Deutschland ist Frankreich eine Republik und eine Demokratie, doch sie hat "eindeutige monarchische Züge", schreibt Bourgeois. Das Parlament, bestehend aus Sénat und Assemblée Nationale, hat weit weniger Macht als der Deutsche Bundestag, und politische Parteien sind im Hexagon viel mehr "Rennställe" für Kandidaten als Grundpfeiler politischer Stabilität wie in Deutschland. Dadurch ergeben sich andere politische und gesellschaftliche Hierarchien, die zwar durch ähnliche Begriffe den Schein von Vertrautheit erzeugen, sich aber erheblich voneinander unterscheiden.

Bourgeois bleibt nicht nur bei Politik und Medien, sondern fängt auch mit detailreichen Analysen die meisten Facetten der französischen Gesellschaft und Wirtschaft ein. Vom SMIC - dem französischen Mindestlohn, der sich allein nach Inflation und Kaufkraft richtet - bis zu den déserts médicaux, Regionen, in denen der Zugang zu Gesundheitsversorgung viel zu dürftig ist, erklärt und beschreibt sie das Land. Einerseits beschreibt und erklärt sie für die Deutschen, andererseits auch für die Franzosen selbst, die ihr eigenes Land nicht immer zwischen den Zeilen lesen können.

"Frankreich entschlüsseln" ist also ein Wegweiser, fast schon eine kleine Bedienungsanleitung zum Ablegen der eigenen "nationalen Brille", mit der man oft die Welt betrachtet. Das Buch will kein Lexikon zum allumfassenden Verständnis des Nachbarn auf der anderen Seite des Rheins sein; vielmehr gibt es dem Leser und auch dem deutschen Auslandskorrespondenten die Werkzeuge in die Hand, um hinter die Kulissen eines Landes blicken zu können, das so nah ist und doch manchmal weit weg. CRISTINA CÖLLEN

Isabelle Bourgeois: Frankreich entschlüsseln. Missverständnisse und Widersprüche im medialen Diskurs.

Herbert von Halem Verlag, Köln 2023. 287 S., 23,- Euro.

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