Wissenschaftlicher Aufsatz aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Literatur, Werke, , Sprache: Deutsch, Abstract: Der Text beginnt mit der Aussage "Wir haben einen neuen Advokaten, [...]." Das sprechende Subjekt "wir" ist der Narrator, der in dem den inneren Monolog einleitenden Hauptsatz zwar in der 1. Person Singular Präsens sprechen sollte, die Ich-Aussage des Erzählers aber umgeht und statt "ich" zunächst "wir" sagt. Der Plural "wir" des Personalpronomens zeigt, dass die namen-lose Erzählinstanz denjenigen angehört, die das "Barreau" bilden, also einer Gruppe von Advokaten, die in einem "Bureau" zusammenarbeiten und jetzt einen neuen Mitarbeiter haben. Dessen Name lautet "Dr. Bucephalus". Der Bucephalus war vor seiner Verwandlung in einen Juristen in grauen Vorzeit das "Streitroß Alexanders von Mazedonien". Dieses Halbwesen aus Pferd und Mensch beobachtet der Ich-Erzähler nun und macht sich so seine Gedanken. Den echten Bucephalus hat der große Alexander auf seinem Asienfeldzug geritten, das "Königsschwert" in der Hand mit Zielrichtung auf "Indiens Tore". Da es in der heutigen Gesellschaftsordnung, d.h. der Gegenwart des Ich-Erzählers, Indien aber nicht mehr zu erobern gilt, bleibt dem Bucephalus nichts anderes übrig, als sich "in die Gesetzbücher zu versenken". Der Narrator monologisiert in "Der neue Advokat" nur eingangs über den Dr. Bucephalus, der das alte Streitross auch in seiner transformierten Gestalt als Anwalt nicht verleugnen kann. Der Zwiespalt zwischen menschlicher und tierischer Identität dient dem Erzähler jedoch lediglich als Auslöser einer Reflexion über die Richtungslosigkeit der modernen Zeit. Das erzählende Ich räsoniert über die von ihm erlebte "Gesellschaftsordnung". Bei der Beurteilung seiner heutigen Zeit hat das Ich den Buce-phalus als agierendes Subjekt an den Rand gedrängt. Im Mittelpunkt seiner Gesellschaftskritik steht die Klage des Ich-Erzählers, heute gebe es keinen großen Alexander mehr und "niemand, niemand kann nach Indien führen." Hinter dem Räsonnement des Narrators steht nach meiner Deutung Kafkas Diagnose seiner Zeit. Aufgrund dieser Diagnose einer fundamentalen Orientierungslosigkeit,, die man auch ontologische Bodenlosigkeit nennen könnte, verbinden sich in "Der neue Advokat" Kafkas Kritik an der Neuzeit und sein messianischer Anspruch. Wenn sich das Ich am Textende, wie der Buce-phalus, in die stille Stube zurückzieht, wird der Ich-Erzähler zu einer Figur des Scheiternden. Abgesehen von den minimalen narrativen Zügen am Anfang besteht der Text also im Wesentlichen aus einer "aporetischen Selbstdiagnose" (Binder).