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Emi Yagi dekonstruiert das japanische Patriarchat
"Du hattest es bestimmt auch nicht leicht, hörte ich mich sagen. Erst wirst du ohne dein Zutun schwanger, dann bekommst du Besuch von einem Engel und wem nicht sonst noch alles, während dir sterbenselend zumute sein muss." Die Gottesmutter Maria, der die Firmenangestellte Shibata am Weihnachtsabend in einem Mosaikfenster auf Tokios Einkaufsmeile Ginza begegnet, wird ihr zur Seelenschwester und Inspiration: So hat Shibata die Idee, sich auch ohne sexuelle Beziehung zur Mutter zu machen. Gefrustet davon, als einzige Frau die ewige Kümmerin und Kaffeekocherin in ihrer Firma sein zu müssen, setzt sie die Notlüge in die Welt, schwanger zu sein. Und wegen Schwangerschaftsübelkeit sei sie zu jenen Aufgaben nicht mehr imstande. Als die Sache auffliegt, schlägt das in Emi Yagis Roman "Frau Shibatas geniale Idee" hohe Wellen. Und auch jenseits der Fiktion: 2020 erhielt Yagi dafür den Dazai-Osamu-Preis.
Shibata denkt sich ein Geburtsdatum aus und verfasst für die praxisfernen Kollegen ihrer Firma (die Papierrollen herstellt), einen Leitfaden zur Kaffeezubereitung. Sie benutzt eine Schwangerschafts-App, nach deren Vorgaben sie ihre Kleidung ausstopft und Gymnastik macht für einen "unbewohnten Bauch". Das nach Schwangerschaftswochen gegliederte Buch persifliert das "Mutter-und-Kind-Gesundheitshandbuch" (boshi kenko techo), das werdende Mütter in Japan erhalten, um Schwangerschaft und Kindeswohl bis zum Schulalter zu notieren. Yagi gibt Einblicke in Japans Firmenkultur, so etwa die Schikanierung von Schwangeren durch Vorgesetzte oder After-Work-Trinkzwang unter Kollegen. Doch handelt es sich in Yagis zwischen Virtualität, Realität und Surrealem wechselndem Roman um eine sich verselbständigende Lüge: "In letzter Zeit regte es sich häufiger in meinem Bauch", bemerkt die Heldin.
Yagi entwirft expressive Bilder bleierner Existenz und von Maschinenmenschen, Analogien zwischen der Fabrikfertigung, bei der Papierschleifen um einen hohlen Kern gewickelt werden, und dem kinderlosen Körper, wobei der fiktive Embryo den Namen Sorato ("leerer Mensch") erhält. Und das Buch übt nebenbei in Shibatas "Gesprächen unter Frauen", eben mit der Gottesmutter, Kritik daran, dass Maria sich allein über den Sohn zu definieren habe.
Dem hedonistischen Tokio mit seinen vielen Singlehaushalten steht das alte Japan mit dem Elternhaus in der Provinz gegenüber. Doch das Patriarchat bekommt Risse. Yagi symbolisiert sie durch die "kakophone Klanghölle" des Kampfs der alten Standuhr gegen die Girlband, die aus dem Fernseher plärrt. Das späte Erwachsenwerden, das sich im heutigen Japan in Bindungsangst und Geburtenrückgang zeigt, spiegelt sich in Gedankenreisen zu geheimen Gärten und Refugien der Kindheit. Yagi entwirft eine Kritik der Massen in einer stromlinienförmigen Moderne: "Ich sah graue Mäntel in den Eingängen zur U-Bahn verschwinden und dachte noch, wie sehr mir das alles widerstrebte, als ich auch schon Teil des Stroms war."
Zum Schluss ruft die Scheinschwangere nochmals "jene Frau in meinem Geiste an, mehr aus einem Gefühl der Verbundenheit als aus Glauben": "Obwohl du einen Gynäkologen oder eine Krankenschwester viel nötiger gehabt hättest, kamen dich bloß Engel und Weise besuchen." Aber auch mehr als zweitausend Jahre später sei in Japan das Kindergroßziehen wegen mangelnder Krippenplätze schwer, und harte Auflagen behindern die Aufnahme. Doch bevor "ich mich irgendwo auf dem Weg vergesse, will ich etwas für mich selbst erschaffen und meine eigene Versicherung sein, selbst wenn es auf einer Lüge" - oder, im Fall Marias, auf der Weihnachtsgeschichte - beruht.
Da passt auch das Ultraschallbild von Shibatas fiktivem Kind zur Friedensbotschaft der Weihnachtsnacht: Es zeigt ein Baby, das ein Peace-Zeichen macht. Und bei der Rückkehr in die Firma sind die Kollegen geläutert: Alle außer dem Abteilungsleiter können nunmehr Kaffee kochen. STEFFEN GNAM
Emi Yagi: "Frau Shibatas geniale Idee". Roman.
Aus dem Japanischen von Luise Steggewentz. Atlantik Verlag, Hamburg 2021. 208 S., geb., 21,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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