Die Lebensgeschichte einer ungewöhnlichen Frau - mit vielen überraschenden Einblicken in das Leben der berühmten Familie Mann. «Ein Lichtblick ist die Katia-Mann-Biographie von Inge und Walter Jens, die sorgfältig erforscht, was diese Frau als selbstbewusste Chefin der Firma Thomas Mann für die Weltliteratur geleistet hat.» (Frido Mann in der WELT AM SONNTAG) «Jetzt ist endlich sie dran.» (Der Spiegel) Wer war Frau Thomas Mann? Wer war Katharina Pringsheim? Die Antwort auf diese Frage scheint einfach: Katia, wer denn sonst? Katia, die so bekannt ist wie Heinrich oder Golo, Erika oder Klaus. Eine Figur im Reich des Zauberers, seine engste Vertraute. «K.», die in Thomas Manns Tagebüchern als Mutter seiner Kinder, seine Begleiterin und Ratgeberin, aber auch als Managerin eines ebenso erfolgreichen wie bedrohten Betriebs erscheint. Doch wer war sie wirklich? Dieses Buch versucht eine Antwort. Es ist die erste umfassende Biographie Katia Manns - spannend erzählt und mit zahlreichen bisher unbekannten Dokumenten und Fotos. Inge und Walter Jens schildern das Leben einer ungewöhnlichen Frau und geben zugleich überraschende Einblicke in das Leben der Familie Mann.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, CY, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, IRL, I, L, M, NL, P, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.03.2003Wer wäre frei mit beschwerter Seele?
Ein kompliziertes Leben in einem komplizierten Jahrhundert an der Seite eines komplizierten Mannes: Zwei Biographien Katia Manns
Die Sätze, die Katia Mann 1974 ihren "Ungeschriebenen Memoiren" vorangestellt hat, sind mittlerweile berühmt: "Ich habe tatsächlich mein ganzes, allzu langes Leben immer im strikt Privaten gehalten. Nie bin ich hervorgetreten, ich fand, das ziemte sich nicht." Aber die lesende Nachwelt ist ein Vampir, der sich in seinem unstillbaren Lebenshunger paradoxerweise mit Vorliebe von den Biographien der großen Toten nährt - und ist aus den Lebensgeschichten berühmter Dichter nichts Neues mehr zu saugen, sind eben die Witwen dran. Da nützt es Katia Mann nichts, daß sie ihren stolz-bescheidenen Anspruch auf Privatheit schon 1930 formuliert hat, als sie in eine Publikation mit "Bildnissen führender Frauen" aufgenommen werden sollte; sie wies das Ansinnen mit den Worten zurück: "Der Charakter meiner Existenz ist rein privat, ich habe auf keinem Gebiet etwas Hervorragendes geleistet, und so müßte ich - und müßte wohl auch die Öffentlichkeit - die Heranziehung meiner Person innerhalb einer Zusammenstellung, wie Sie sie planen, als unangebracht empfinden."
Nun ist das tausendfache K. der Thomas- Mannschen Tagebücher zu zwei stattlichen Biographien einer Frau aufgeschwollen, die gefunden hätte, dergleichen zieme sich nicht. Wir haben sie respektvoll, aber gänzlich unerschüttert gelesen. Respektvoll deswegen, weil dieses komplizierte Leben in einem komplizierten Jahrhundert an der Seite eines komplizierten Mannes mit sechs komplizierten Kindern jeden Respekt verdient, unerschüttert deshalb, weil uns dieses Leben in seinen Grundzügen und vielen Einzelheiten längst vertraut war. Denn wenn die beiden gut recherchierten Biographien eines zeigen, dann dies: daß Katia Manns Anspruch auf Privatheit nicht aus dem Gefühl stammte, etwas verbergen zu müssen, sondern aus dem im Elternhaus erworbenen großbürgerlich-selbstsicheren Rollenbewußtsein, daß es als Lebensbilanz völlig hinreicht, gegen die Widrigkeiten der Epoche ein großes Haus geführt, dem berühmten Mann optimale Arbeitsbedingungen gesichert und sechs Kinder großgezogen zu haben. Sie wußte, daß sie "Hervorragendes" geleistet hatte; ihr Selbstgefühl verbot es ihr aber, etwas, das ihr selbstverständlich erschien, als Leistung auszustellen.
Allem Exzentrischen abgeneigt
So richtet sich das Interesse des Lesers beider Biographien naturgemäß auf den Ort der Prägung dieses Selbstgefühls: auf das Elternhaus und damit auf die Jahre vor der Ehe. "Immer war sie stark und noch dazu sehr, sehr selbstbewußt", so hat Elisabeth Mann Borgese noch im Juli 2001 Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck im Gespräch mitgeteilt; wie beide Biographien mit Hinweisen auf psychosomatische Erkrankungen Katias in Zeiten familiärer Überlastung zeigen, stimmt die erste Hälfte des Satzes nur bedingt, die zweite aber trifft unbedingt zu. Beide Bücher besitzen ihre besondere Stärke in der Vergegenwärtigung des hochkultivierten bürgerlichen Milieus, in das Katharina Pringsheim 1883 hineingeboren wurde: der Großeltern Hedwig und Ernst Dohm, sie Schriftstellerin und bedeutende Frauenrechtlerin, er langjähriger Redakteur des "Kladderadatsch", der Eltern Hedwig und Alfred Pringsheim, sie zunächst Meininger Schauspielerin und dann Mutter von fünf Kindern, deren jüngstes Katia war, er bestsituierter Sohn eines Eisenbahnunternehmers, Mathematikprofessor an der Universität München und Wagnerianer der ersten Stunde. Das elterliche Palais in der Münchner Arcisstraße war ein Treffpunkt des geistigen München.
Ihrer jüdischen Herkunft stand die Familie, soweit sich erschließen läßt, gleichgültig gegenüber, und die evangelisch getaufte Katia hat die Frage ihres Judentums auch in späteren Jahren nicht sehr beschäftigt. "Kein Gedanke an Judenthum kommt auf, diesen Leuten gegenüber; man spürt nichts als Kultur", so schrieb 1904 der schwer beeindruckte Thomas Mann nach Einführung in das Haus Pringsheim an den Bruder Heinrich. Es sind die geistige Liberalität und die Kultiviertheit des Pringsheimschen Hauses, die Selbstverständlichkeit des kulturellen Besitzes und des persönlichen Umgangs mit führenden Künstlern der Zeit, worin Katia Manns Selbstbewußtsein gründete. Wer in diesem geistig-kulturellen Milieu aufgewachsen war, den konnte so leicht nichts beeindrucken - auch der junge Erfolgsautor Thomas Mann nicht, und so bedurfte es denn schon einigen rhetorischen Aufwands von seiten des Dichters, bis es im Oktober 1904 zur Verlobung kam. Verstiegene Rhetorik scheiterte ohnehin am kritischen Pragmatismus der Physik- und Mathematikstudentin. Als der Wagnerianer Thomas Mann sich in einem Werbungsbrief zu der Klimax hinreißen ließ: "Seien Sie meine Bejahung, meine Rechtfertigung, meine Vollendung, meine Erlöserin", tat sie dies als Überschätzung ab. Sich in ein wagnersches Rollenschema pressen zu lassen war ihr völlig ungemäß.
Hätte sie sich als Erlöserin verstanden, dann wäre ihre Ehe mit einem Mann von "homophilielastiger Sowohl-als-auch-Erregbarkeit" (Jüngling/Roßbeck) zu raschem Scheitern verurteilt gewesen. Tragfähig war diese Ehe deswegen, weil Katia Mann - es war wohl dies, was sie am stärksten mit ihrem Mann verband - in ihrer Rolle als Ehefrau so sehr eine Leistungsethikerin war, wie er als Schriftsteller ein Leistungsethiker blieb: auf größtmögliche Pflichterfüllung bedacht und deshalb allem Extremen und Hysterischen abgeneigt - und dies in einer familiären Umgebung, die ihr in puncto seelischer Exzentrizität viel abverlangte.
Die vielfältigen Überforderungen, die Mann und Kinder mit sich brachten, hat Katia Mann allenfalls durch gelegentliche Rückzüge in Krankheit kompensiert, entzogen aber hat sie sich ihren Aufgaben nie. Dabei mag ihr in brüchigen Zeiten die großbürgerliche Rollensicherheit als Mater familias eines großen Hauses eine Hilfe gewesen sein. Daß diese mit seelischer Kälte nicht verwechselt werden darf, zeigt schon eine Erinnerung W. E. Süskinds, der 1923 Katia Mann auf der Münchner Residenzstraße auf der Suche nach ihren wilden Kindern Erika und Klaus begegnete und den dabei die Ahnung durchzuckte, "daß diese oft so spöttische, den Widerspruch niederbügelnde, unnachsichtig rügende Frau in ihrem tief verletzten Familiensinn die tragende Kraft ihres Hauses sei, die tragende Kraft vielleicht sogar für die Arbeit des Dichters". Dies war, wie beide Biographien zeigen, sie gewiß und auf vielfache Weise: als Mutter und Ehefrau, Sekretärin ihres Mannes, Finanzverwalterin, Reiseplanerin, Umzugsorganisatorin, Generalbevollmächtigte in Dingen des lebenspraktischen Vollzugs. Bei der Bewältigung dieses Lebensprogramms dürfte ihr das Vorbild ihrer Mutter stets vor Augen gestanden haben.
In jeder Biographie steckt mindestens eine weitere, noch ungeschriebene Biographie. In diesem Fall ist es diejenige von Katias Mutter Hedwig Pringsheim. Während Katias Vater in beiden Büchern nahezu ohne Stimme bleibt, tritt die Gestalt der Mutter zumal bei Inge und Walter Jens um so lebensvoller hervor. Sie haben eine Fülle von Briefen Hedwig Pringsheims ausfindig gemacht: Zeugnisse entspannter Lebensklugheit, menschlicher Wärme und heiterer Liberalität aus der Feder einer Frau, von der im Hinblick auf praktische Lebensbewältigung viel zu lernen war. Hedwig Pringsheim stand an der Seite eines Gatten, der gern dem fröhlichen Geschäft des Schürzenjagens nachging, einem zwar materiell glänzend gestellten, aber menschlich keineswegs unkomplizierten Hause vor. Die große Würde, mit der sie und ihr Gatte nach 1933 die Demütigungen durch die Nazis, den Verlust des Hauses, der Kunstsammlungen und des Vermögens bis zur Flucht in die Schweiz 1939 ertragen haben, spiegelt sich in den Briefen an die Tochter.
Marcel Reich-Ranicki hat anläßlich des Todes von Katia Mann 1980 die Frage aufgeworfen: "Aber war Katia Mann . . . wirklich glücklich?" Das ist natürlich eine rhetorische Frage, und es liegt im Charakter solcher stilistischen Figuren, daß sie neue rhetorische Fragen hervorbringen: "Wie sollte man das wissen?" heißt es bei Jüngling/Roßbeck. (Beide Biographien bedienen sich des stilistischen Notankers der rhetorischen Frage übrigens in lästigster Fülle.) Hedwig Pringsheim gab hierzu jedenfalls wenige Tage nach Katias Hochzeit eine nicht sehr optimistische Prognose: "Wenn Kleinchen nicht glücklich wird, und Talent zum Glück hat sie so wenig wie ihre Mutter, so wird sich das wie Bleigewicht an meine arme Seele hängen, und wer wäre frei mit beschwerter Seele?!"
Tatsächlich hat das Wort Glück als Bezeichnung für einen Seelenzustand in Katia Manns Vokabular wohl eine nur geringe Rolle gespielt. Aber Hedwig Pringsheim hatte 1907 auch dies geschrieben: "Ich glaube, das mütterliche, das ist überhaupt ihr recht eigentliches Gebiet." Glück also wohl nicht, aber doch Erfüllung in einer Lebensrolle, die ihr das Äußerste abverlangte und ihr nur selten die Möglichkeit zur Distanzierung gewährte, so 1920 anläßlich eines Sanatoriumsaufenthalts: "Ich habe hier soviel Zeit zum Nachdenken, und da denke ich doch manchmal, daß ich mein Leben nicht ganz richtig eingestellt habe, und daß es nicht gut war, es so ausschließlich auf Dich und die Kinder zu stellen."
Seltene Töne in der Geschichte eines Lebens, in dem es Ausbruchsversuche, auch in der Form von Amouren, wohl nicht gegeben hat. Statt dessen scheint Katia Mann, deren Kindern die Abnabelung vom Elternhaus unendlich schwer fiel oder auch - wie im Falle Erikas - für immer mißlang, ihr "recht eigentliches Gebiet", das mütterliche, immer stärker auch auf den eigenen Mann ausgedehnt zu haben, dessen sich in voyeuristischer Augenlust erfüllende Homosexualität sie am Ende mit der gleichen Nachsicht zur Kenntnis nahm wie seine kindlich-narzißtischen Empfindlichkeiten oder seine Unfähigkeit, Kaffee zu kochen.
Können wir, ja wollen wir überhaupt mehr über diese Ehe erfahren, als wir ohnehin schon aus den Tagebüchern des Dichters wissen? Zumal es ja schriftstellerisch unendlich schwer ist, einer Frau, die sich stolz "sein Zubehör" genannt hat, ihr eigenes Leben zurückzugeben, für das doch die wichtigste Quelle das Tagebuch ihres Mannes bildet. Beide Teams haben deshalb mit Fleiß und spurenleserischem Scharfsinn versucht, den Quellenbestand zu erweitern. Das Ehepaar Jens war darin besonders erfolgreich. Aber nur Inge Jens, der besten Kennerin der Tagebücher, scheint die Problematik bewußtgeworden zu sein, daß, wer sich vor allem auf die Tagebücher stützt, damit notgedrungen die Biographie Katias aus der Perspektive ihres Mannes erzählt: als das Leben "seines Zubehörs". Inge und Walter Jens haben deshalb beharrlich versucht, wann immer möglich, andere Quellen als das Tagebuch sprechen zu lassen, vor allem Katias Briefe. Für ihr Buch bedeutet das einen Hochgewinn, weil Katias Briefe denen ihrer Mutter an Lebendigkeit des Urteils in nichts nachstehen.
"Ja, süffisant war sie schon, Frau Thomas Mann", kommentiert das Ehepaar Jens oder auch knapper im Oberlehrerduktus: "Gut beobachtet!" Wie überhaupt zu sagen ist, daß Inge und Walter Jens ihre Prosa mit einer sahnigen Rhetorik aufschäumen, die Ausdruck einer manchmal irritierenden Distanzlosigkeit gegenüber ihrem Gegenstand ist: "Aber Katia, was erfuhr sie? Vermutlich wenig." "Ja, Katia genoß die Reisen mit ihrem berühmten Mann." Oft spielt ein Stil munterster Teilhabe über die Substanzlosigkeit der Aussage hinweg, so daß sich der Leser gern in die Briefzitate flüchtet. Manches erfährt man hier über Katias politischen Ärger über ihren Mann, weil er sich 1933 nicht sofort "radikal von dieser fluchwürdigen Bande getrennt hat", die Deutschland nun beherrschte.
Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck haben zwar auch ungedruckte Quellen aufgetan, halten sich aber vor allem an gedruckte Lebenszeugnisse und dabei möglichst an die Tagebücher, was die Biographie der "Frau des Zauberers" manchmal in die Gefahr bringt, zu einer Biographie des Zauberers zu werden, von der dessen Werk subtrahiert worden ist. Die Verfasserinnen sind sich der Gefahr bewußt und versuchen ihr dadurch zu begegnen, daß sie den Autor der Tagebücher aus weiblicher Perspektive mit angenehm leichter Ironie traktieren, die ihnen die Lebensgeschichte von Zubehör und Zauberer aus größerer Distanz zu erzählen erlaubt.
Fünfundzwanzig Jahre hat Katia Mann nach dem Tode ihres Mannes noch gelebt, und es ist erstaunlich, wie wenig Interesse beide Biographien für diesen langen Lebensabschnitt aufbringen. Inge und Walter Jens begründen ihr biographisches Unternehmen mit einem beklemmend uninteressanten Argument: Katia Mann sei eine "interessante Frau" gewesen mit einem "interessanten Leben". Ist eine Frau also nicht mehr "interessant", nachdem ihr interessanter Mann verstarb? Und ist sie nur deshalb interessant, weil er interessant war? Beide Biographien jedenfalls machen sich mit dieser Verteilung der Gewichte auf irritierende Weise Katia Manns Urteil zu eigen, sie sei "sein Zubehör" gewesen. Interessant.
Inge und Walter Jens: "Frau Thomas Mann". Das Leben der Katharina Pringsheim. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 352 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Kirsten Jüngling/Brigitte Roßbeck: "Katia Mann. Die Frau des Zauberers". Biographie. Propyläen Verlag, München 2003. 416 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein kompliziertes Leben in einem komplizierten Jahrhundert an der Seite eines komplizierten Mannes: Zwei Biographien Katia Manns
Die Sätze, die Katia Mann 1974 ihren "Ungeschriebenen Memoiren" vorangestellt hat, sind mittlerweile berühmt: "Ich habe tatsächlich mein ganzes, allzu langes Leben immer im strikt Privaten gehalten. Nie bin ich hervorgetreten, ich fand, das ziemte sich nicht." Aber die lesende Nachwelt ist ein Vampir, der sich in seinem unstillbaren Lebenshunger paradoxerweise mit Vorliebe von den Biographien der großen Toten nährt - und ist aus den Lebensgeschichten berühmter Dichter nichts Neues mehr zu saugen, sind eben die Witwen dran. Da nützt es Katia Mann nichts, daß sie ihren stolz-bescheidenen Anspruch auf Privatheit schon 1930 formuliert hat, als sie in eine Publikation mit "Bildnissen führender Frauen" aufgenommen werden sollte; sie wies das Ansinnen mit den Worten zurück: "Der Charakter meiner Existenz ist rein privat, ich habe auf keinem Gebiet etwas Hervorragendes geleistet, und so müßte ich - und müßte wohl auch die Öffentlichkeit - die Heranziehung meiner Person innerhalb einer Zusammenstellung, wie Sie sie planen, als unangebracht empfinden."
Nun ist das tausendfache K. der Thomas- Mannschen Tagebücher zu zwei stattlichen Biographien einer Frau aufgeschwollen, die gefunden hätte, dergleichen zieme sich nicht. Wir haben sie respektvoll, aber gänzlich unerschüttert gelesen. Respektvoll deswegen, weil dieses komplizierte Leben in einem komplizierten Jahrhundert an der Seite eines komplizierten Mannes mit sechs komplizierten Kindern jeden Respekt verdient, unerschüttert deshalb, weil uns dieses Leben in seinen Grundzügen und vielen Einzelheiten längst vertraut war. Denn wenn die beiden gut recherchierten Biographien eines zeigen, dann dies: daß Katia Manns Anspruch auf Privatheit nicht aus dem Gefühl stammte, etwas verbergen zu müssen, sondern aus dem im Elternhaus erworbenen großbürgerlich-selbstsicheren Rollenbewußtsein, daß es als Lebensbilanz völlig hinreicht, gegen die Widrigkeiten der Epoche ein großes Haus geführt, dem berühmten Mann optimale Arbeitsbedingungen gesichert und sechs Kinder großgezogen zu haben. Sie wußte, daß sie "Hervorragendes" geleistet hatte; ihr Selbstgefühl verbot es ihr aber, etwas, das ihr selbstverständlich erschien, als Leistung auszustellen.
Allem Exzentrischen abgeneigt
So richtet sich das Interesse des Lesers beider Biographien naturgemäß auf den Ort der Prägung dieses Selbstgefühls: auf das Elternhaus und damit auf die Jahre vor der Ehe. "Immer war sie stark und noch dazu sehr, sehr selbstbewußt", so hat Elisabeth Mann Borgese noch im Juli 2001 Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck im Gespräch mitgeteilt; wie beide Biographien mit Hinweisen auf psychosomatische Erkrankungen Katias in Zeiten familiärer Überlastung zeigen, stimmt die erste Hälfte des Satzes nur bedingt, die zweite aber trifft unbedingt zu. Beide Bücher besitzen ihre besondere Stärke in der Vergegenwärtigung des hochkultivierten bürgerlichen Milieus, in das Katharina Pringsheim 1883 hineingeboren wurde: der Großeltern Hedwig und Ernst Dohm, sie Schriftstellerin und bedeutende Frauenrechtlerin, er langjähriger Redakteur des "Kladderadatsch", der Eltern Hedwig und Alfred Pringsheim, sie zunächst Meininger Schauspielerin und dann Mutter von fünf Kindern, deren jüngstes Katia war, er bestsituierter Sohn eines Eisenbahnunternehmers, Mathematikprofessor an der Universität München und Wagnerianer der ersten Stunde. Das elterliche Palais in der Münchner Arcisstraße war ein Treffpunkt des geistigen München.
Ihrer jüdischen Herkunft stand die Familie, soweit sich erschließen läßt, gleichgültig gegenüber, und die evangelisch getaufte Katia hat die Frage ihres Judentums auch in späteren Jahren nicht sehr beschäftigt. "Kein Gedanke an Judenthum kommt auf, diesen Leuten gegenüber; man spürt nichts als Kultur", so schrieb 1904 der schwer beeindruckte Thomas Mann nach Einführung in das Haus Pringsheim an den Bruder Heinrich. Es sind die geistige Liberalität und die Kultiviertheit des Pringsheimschen Hauses, die Selbstverständlichkeit des kulturellen Besitzes und des persönlichen Umgangs mit führenden Künstlern der Zeit, worin Katia Manns Selbstbewußtsein gründete. Wer in diesem geistig-kulturellen Milieu aufgewachsen war, den konnte so leicht nichts beeindrucken - auch der junge Erfolgsautor Thomas Mann nicht, und so bedurfte es denn schon einigen rhetorischen Aufwands von seiten des Dichters, bis es im Oktober 1904 zur Verlobung kam. Verstiegene Rhetorik scheiterte ohnehin am kritischen Pragmatismus der Physik- und Mathematikstudentin. Als der Wagnerianer Thomas Mann sich in einem Werbungsbrief zu der Klimax hinreißen ließ: "Seien Sie meine Bejahung, meine Rechtfertigung, meine Vollendung, meine Erlöserin", tat sie dies als Überschätzung ab. Sich in ein wagnersches Rollenschema pressen zu lassen war ihr völlig ungemäß.
Hätte sie sich als Erlöserin verstanden, dann wäre ihre Ehe mit einem Mann von "homophilielastiger Sowohl-als-auch-Erregbarkeit" (Jüngling/Roßbeck) zu raschem Scheitern verurteilt gewesen. Tragfähig war diese Ehe deswegen, weil Katia Mann - es war wohl dies, was sie am stärksten mit ihrem Mann verband - in ihrer Rolle als Ehefrau so sehr eine Leistungsethikerin war, wie er als Schriftsteller ein Leistungsethiker blieb: auf größtmögliche Pflichterfüllung bedacht und deshalb allem Extremen und Hysterischen abgeneigt - und dies in einer familiären Umgebung, die ihr in puncto seelischer Exzentrizität viel abverlangte.
Die vielfältigen Überforderungen, die Mann und Kinder mit sich brachten, hat Katia Mann allenfalls durch gelegentliche Rückzüge in Krankheit kompensiert, entzogen aber hat sie sich ihren Aufgaben nie. Dabei mag ihr in brüchigen Zeiten die großbürgerliche Rollensicherheit als Mater familias eines großen Hauses eine Hilfe gewesen sein. Daß diese mit seelischer Kälte nicht verwechselt werden darf, zeigt schon eine Erinnerung W. E. Süskinds, der 1923 Katia Mann auf der Münchner Residenzstraße auf der Suche nach ihren wilden Kindern Erika und Klaus begegnete und den dabei die Ahnung durchzuckte, "daß diese oft so spöttische, den Widerspruch niederbügelnde, unnachsichtig rügende Frau in ihrem tief verletzten Familiensinn die tragende Kraft ihres Hauses sei, die tragende Kraft vielleicht sogar für die Arbeit des Dichters". Dies war, wie beide Biographien zeigen, sie gewiß und auf vielfache Weise: als Mutter und Ehefrau, Sekretärin ihres Mannes, Finanzverwalterin, Reiseplanerin, Umzugsorganisatorin, Generalbevollmächtigte in Dingen des lebenspraktischen Vollzugs. Bei der Bewältigung dieses Lebensprogramms dürfte ihr das Vorbild ihrer Mutter stets vor Augen gestanden haben.
In jeder Biographie steckt mindestens eine weitere, noch ungeschriebene Biographie. In diesem Fall ist es diejenige von Katias Mutter Hedwig Pringsheim. Während Katias Vater in beiden Büchern nahezu ohne Stimme bleibt, tritt die Gestalt der Mutter zumal bei Inge und Walter Jens um so lebensvoller hervor. Sie haben eine Fülle von Briefen Hedwig Pringsheims ausfindig gemacht: Zeugnisse entspannter Lebensklugheit, menschlicher Wärme und heiterer Liberalität aus der Feder einer Frau, von der im Hinblick auf praktische Lebensbewältigung viel zu lernen war. Hedwig Pringsheim stand an der Seite eines Gatten, der gern dem fröhlichen Geschäft des Schürzenjagens nachging, einem zwar materiell glänzend gestellten, aber menschlich keineswegs unkomplizierten Hause vor. Die große Würde, mit der sie und ihr Gatte nach 1933 die Demütigungen durch die Nazis, den Verlust des Hauses, der Kunstsammlungen und des Vermögens bis zur Flucht in die Schweiz 1939 ertragen haben, spiegelt sich in den Briefen an die Tochter.
Marcel Reich-Ranicki hat anläßlich des Todes von Katia Mann 1980 die Frage aufgeworfen: "Aber war Katia Mann . . . wirklich glücklich?" Das ist natürlich eine rhetorische Frage, und es liegt im Charakter solcher stilistischen Figuren, daß sie neue rhetorische Fragen hervorbringen: "Wie sollte man das wissen?" heißt es bei Jüngling/Roßbeck. (Beide Biographien bedienen sich des stilistischen Notankers der rhetorischen Frage übrigens in lästigster Fülle.) Hedwig Pringsheim gab hierzu jedenfalls wenige Tage nach Katias Hochzeit eine nicht sehr optimistische Prognose: "Wenn Kleinchen nicht glücklich wird, und Talent zum Glück hat sie so wenig wie ihre Mutter, so wird sich das wie Bleigewicht an meine arme Seele hängen, und wer wäre frei mit beschwerter Seele?!"
Tatsächlich hat das Wort Glück als Bezeichnung für einen Seelenzustand in Katia Manns Vokabular wohl eine nur geringe Rolle gespielt. Aber Hedwig Pringsheim hatte 1907 auch dies geschrieben: "Ich glaube, das mütterliche, das ist überhaupt ihr recht eigentliches Gebiet." Glück also wohl nicht, aber doch Erfüllung in einer Lebensrolle, die ihr das Äußerste abverlangte und ihr nur selten die Möglichkeit zur Distanzierung gewährte, so 1920 anläßlich eines Sanatoriumsaufenthalts: "Ich habe hier soviel Zeit zum Nachdenken, und da denke ich doch manchmal, daß ich mein Leben nicht ganz richtig eingestellt habe, und daß es nicht gut war, es so ausschließlich auf Dich und die Kinder zu stellen."
Seltene Töne in der Geschichte eines Lebens, in dem es Ausbruchsversuche, auch in der Form von Amouren, wohl nicht gegeben hat. Statt dessen scheint Katia Mann, deren Kindern die Abnabelung vom Elternhaus unendlich schwer fiel oder auch - wie im Falle Erikas - für immer mißlang, ihr "recht eigentliches Gebiet", das mütterliche, immer stärker auch auf den eigenen Mann ausgedehnt zu haben, dessen sich in voyeuristischer Augenlust erfüllende Homosexualität sie am Ende mit der gleichen Nachsicht zur Kenntnis nahm wie seine kindlich-narzißtischen Empfindlichkeiten oder seine Unfähigkeit, Kaffee zu kochen.
Können wir, ja wollen wir überhaupt mehr über diese Ehe erfahren, als wir ohnehin schon aus den Tagebüchern des Dichters wissen? Zumal es ja schriftstellerisch unendlich schwer ist, einer Frau, die sich stolz "sein Zubehör" genannt hat, ihr eigenes Leben zurückzugeben, für das doch die wichtigste Quelle das Tagebuch ihres Mannes bildet. Beide Teams haben deshalb mit Fleiß und spurenleserischem Scharfsinn versucht, den Quellenbestand zu erweitern. Das Ehepaar Jens war darin besonders erfolgreich. Aber nur Inge Jens, der besten Kennerin der Tagebücher, scheint die Problematik bewußtgeworden zu sein, daß, wer sich vor allem auf die Tagebücher stützt, damit notgedrungen die Biographie Katias aus der Perspektive ihres Mannes erzählt: als das Leben "seines Zubehörs". Inge und Walter Jens haben deshalb beharrlich versucht, wann immer möglich, andere Quellen als das Tagebuch sprechen zu lassen, vor allem Katias Briefe. Für ihr Buch bedeutet das einen Hochgewinn, weil Katias Briefe denen ihrer Mutter an Lebendigkeit des Urteils in nichts nachstehen.
"Ja, süffisant war sie schon, Frau Thomas Mann", kommentiert das Ehepaar Jens oder auch knapper im Oberlehrerduktus: "Gut beobachtet!" Wie überhaupt zu sagen ist, daß Inge und Walter Jens ihre Prosa mit einer sahnigen Rhetorik aufschäumen, die Ausdruck einer manchmal irritierenden Distanzlosigkeit gegenüber ihrem Gegenstand ist: "Aber Katia, was erfuhr sie? Vermutlich wenig." "Ja, Katia genoß die Reisen mit ihrem berühmten Mann." Oft spielt ein Stil munterster Teilhabe über die Substanzlosigkeit der Aussage hinweg, so daß sich der Leser gern in die Briefzitate flüchtet. Manches erfährt man hier über Katias politischen Ärger über ihren Mann, weil er sich 1933 nicht sofort "radikal von dieser fluchwürdigen Bande getrennt hat", die Deutschland nun beherrschte.
Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck haben zwar auch ungedruckte Quellen aufgetan, halten sich aber vor allem an gedruckte Lebenszeugnisse und dabei möglichst an die Tagebücher, was die Biographie der "Frau des Zauberers" manchmal in die Gefahr bringt, zu einer Biographie des Zauberers zu werden, von der dessen Werk subtrahiert worden ist. Die Verfasserinnen sind sich der Gefahr bewußt und versuchen ihr dadurch zu begegnen, daß sie den Autor der Tagebücher aus weiblicher Perspektive mit angenehm leichter Ironie traktieren, die ihnen die Lebensgeschichte von Zubehör und Zauberer aus größerer Distanz zu erzählen erlaubt.
Fünfundzwanzig Jahre hat Katia Mann nach dem Tode ihres Mannes noch gelebt, und es ist erstaunlich, wie wenig Interesse beide Biographien für diesen langen Lebensabschnitt aufbringen. Inge und Walter Jens begründen ihr biographisches Unternehmen mit einem beklemmend uninteressanten Argument: Katia Mann sei eine "interessante Frau" gewesen mit einem "interessanten Leben". Ist eine Frau also nicht mehr "interessant", nachdem ihr interessanter Mann verstarb? Und ist sie nur deshalb interessant, weil er interessant war? Beide Biographien jedenfalls machen sich mit dieser Verteilung der Gewichte auf irritierende Weise Katia Manns Urteil zu eigen, sie sei "sein Zubehör" gewesen. Interessant.
Inge und Walter Jens: "Frau Thomas Mann". Das Leben der Katharina Pringsheim. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003. 352 S., Abb., geb., 19,90 [Euro].
Kirsten Jüngling/Brigitte Roßbeck: "Katia Mann. Die Frau des Zauberers". Biographie. Propyläen Verlag, München 2003. 416 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2003Seine Frau
Und so wagte der Ängstliche und gewann: Zwei Biographien erzählen nun auch das Leben von Katia Mann, geborene Pringsheim
Als Thomas Mann sich Anfang 1905 verheiratete, erklärte er, er habe geruht, „sich eine Verfassung zu geben”. Und zwanzig Jahre nach der Eheschließung zitierte er Hegel: „Der sittliche Weg zur Ehe sei der, bei dem zuerst der Entschluss zur Verehelichung stehe und dieser dann schließlich die Neigung zur Folge habe, so dass bei der Verheiratung beides vereinigt sei. Ich habe das mit Vergnügen gelesen, denn es war mein Fall.” Kein Zweifel, seine Ehe war für Thomas Mann jene existenzielle Kernfestung, die es ihm erlaubte, auf der Grundlage eines Minimums an Leben ein Maximum an Leistung hervorzubringen; die ein Höchstmaß an seelischer Reizbarkeit mit absoluter Stabilität der äußeren Umstände ausbalancierte. Selten dürfte ein so anspruchsvoller und dabei so unwahrscheinlicher Lebensplan zu so vollkommenem Erfolg geführt worden sein. Die berühmte Rede, die Thomas Mann seiner Frau zum siebzigsten Geburtstag hielt („So lange Menschen meiner gedenken, wird ihrer gedacht sein”) bekundet eine Liebe, die ganz in Dankbarkeit aufgegangen ist – Dankbarkeit vor allem für Katias grenzenlose Geduld.
Als Thomas Mann sich dazu entschloss, die schönste und reichste junge Frau Münchens zu erobern, da hatte ihn sein Roman „Buddenbrooks” zwar schon zu einem berühmten Schriftsteller gemacht, doch hatte er davor erst einem einzigen Menschen seine Liebe gestanden: einem Lübecker Mitschüler, der ihn dafür ausgelacht hatte. Spätere Romanzen zu gleichaltrigen jungen Männern waren im Quälend-Unausgesprochenen verblieben, von Mädchenfreundschaften gibt es keine gesicherten Nachrichten. Dass der junge Thomas Mann in Italien brisantere erotische Erfahrungen sammeln konnte, ist denkbar, aber nicht bezeugt. Für die Art Gemeinschaft, die er in der Ehe suchte, spielt es auch keine Rolle. Die Verheiratung folgte aus dem mit allem Ernst gefassten Entschluss, der homosexuellen Neigung zu entsagen.
Der schwule Papa
Dass aus dieser prekären Ausgangslage eine wunderbare Liebe wachsen konnte, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Thomas Mann vor dieser Frau seine erotischen Vorlieben auf Dauer doch nicht verbergen musste – als der fast Achtzigjährige sich Hals über Kopf in den Zürcher Hotelkellner Franzl Westermeier verliebte, da nahm Katia das ebenso gelassen wie die Urlaubsschwärmerei für den jungen Klaus Heuser ein Vierteljahrhundert davor – Heuser wurde sogar Gast in der Mann-Villa in der Münchener Poschinger Straße! Diese Familie hatte einen schwulen Papa, und irgendwie ging das – ob es gut ging, ist allerdings eine Frage, die sich erst beantworten ließe, wenn man wüsste, woran die vielen Unglücksfälle in der Generation von Thomas Manns Kindern, die Selbstmorde, Drogensucht und Depressionen gelegen haben mögen (es kann ja auch die schiere Übermacht des Vaters gewesen sein).
Die bedeutende Frau, ohne die Thomas Mann weder äußerlich noch innerlich mit seinem Leben fertig geworden wäre, hat nun zwei annähernd gleich ausführliche Biographien erhalten. Die des Ehepaares Inge und Walter Jens ist solider, durchgehend aus erster Hand gearbeitet, mit reichem Zitatenmaterial aus den Briefen vor allem Katias und ihrer Familie; die des in Frauenbiographien erfahrenen Duos Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck ist etwas sprunghafter, dafür faktenreicher, auch wenn diese Fakten vielfach aus der Sekundärliteratur stammen – doch interessant ist es schon zu erfahren, dass es von Katia Mann eine offenbar lesenswerte Übersetzung von Thackerays tausendseitigem Roman „Vanity Fair” gibt, die seit den zwanziger Jahren entstanden war und dann in den fünfziger Jahren in einer weltliterarischen Reihe der DDR erschien.
Die Lebenskameradin
Für beide Bücher gilt, dass ihr weitaus reizvollster Teil die Zeit vor der Eheschließung behandelt. Die Geschichte der reichen jüdischen, allerdings schon in der Generation von Katias Großeltern zum Christentum übergetretenen Familie Pringsheim ist kulturgeschichtlich für sich schon reizvoll genug: Ein „Kladderadatsch”-Redakteur steht neben einer frühen Frauenrechtlerin, die Verbundenheit mit dem Meiningischen Theaterherzog Georg II. neben einem Wagnerianismus der ersten Stunde, der Katias Vater Alfred einmal sogar zum Zuschlagen mit dem Bierseidel verführte. Der märchenhafte, im Eisenbahnbau erworbene Reichtum von Katias Großeltern und Eltern wurde zum Hintergrund einer bemerkenswerten familiären Liberalität: Weder den Kindern noch der Ehefrau blieb es verborgen, dass der Vater, ein Mathematikprofessor und Schürzenjäger, sich ganz offiziell eine Opernsängerin als Geliebte hielt; die körperliche Intimität zwischen Eltern und Kindern mutet vollkommen modern an, und es ist diese Unbefangenheit, die Katia besser als alles andere auf ihr Lebensabenteuer mit dem Schriftsteller vorbereitete.
Katia hatte vier ältere Brüder und einen Zwillingsbruder. Sie wuchs also in einer reinen Jungsatmosphäre auf, hatte ein dunkle Stimme, war sportlich, machte als eine der ersten Frauen Bayerns Abitur und studierte Naturwissenschaften. Thomas Mann begriff, dass diese Frau ihm genau die Chance auf jene Lebenskameradschaft bot, die er suchte, und so wagte der Ängstliche und gewann. Es wird nicht die erste Ehe der europäischen Geschichte gewesen sein, die nicht auf erotischer Erfüllung beruhte und trotzdem leidlich funktionierte. Thomas Mann war seiner Frau noch nach fünfzehn Ehejahren zutiefst dankbar, „weil es sie in ihrer Liebe nicht im Geringsten beirrt oder verstimmt, wenn sie mir schließlich keine Lust einflößt und wenn das Liegen bei ihr mich nicht in den Stand setzt, ihr Lust, d.h. die letzte Geschlechtslust zu bereiten”. Immerhin vermochte ihr Thomas Mann zu geben, was sie offenbar am meisten ersehnte: Kinder. Das Problematische dieser Partnerschaft wurde so rasch wie möglich in lautem Familientrubel aufgelöst, und aus dem glutäugigen Mädchen wurde schon bald eine etwas breithüftige, mit schweren Füßen auftretende Mutter und Hausherrin.
Diese Rolle hat Katia dann mit bürgerlicher Perfektion ausgefüllt. Über ein halbes Jahrhundert und alle Ortswechsel in zwei Kontinenten hinweg verstand sie es, den anspruchsvollen Tenor einer Villenexistenz mit Köchinnen und Hausmädchen aufrecht zu erhalten, ihren Mann finanziell zu managen, große Teile seiner Korrespondenz zu führen und ihren sechs Kindern als Mutter und Freundin zu dienen. Das Bild, das man davon schon aus den Tagebüchern Thomas Manns gewinnen konnte, wird von den Biographien freilich kaum erweitert. Politisch scheint Katia seit jeher etwas weiter links gestanden zu haben als ihr Mann – was ihrer Herkunft entsprach; während Thomas noch hart an den „Betrachtungen eines Unpolitischen” werkte, schenkte Oma Pringsheim ihren Enkeln zu Weihnachten 1917 den pazifistischen Roman „Die Waffen nieder” von Bertha von Suttner.
Nach 1933 wäre Katia ein schnellerer Schnitt vom Dritten Reich im Einklang mit ihren Kindern lieber gewesen. Im Zweiten Weltkrieg hat das Ehepaar Mann Deutschland bekanntlich aus gesunder Brust gehasst: „Die letzten englischen Luftangriffe waren wirklich erhebend”, schrieb Katia im März 1942 an ihre Freundin Molly Shenstone, „besonders für jemanden, der die Hunnen so hasst wie ich! Du hast ganz recht, Hass ist eine absolute Notwendigkeit in dieser Zeit. Ich denke immer, dass Leute, die nicht hassen, auch nicht lieben können, und der hier oft ausgesprochene Stolz auf die völlige Abwesenheit von Hass macht mich ganz wahnsinnig.”
Die Zitate, die vor allem vom Ehepaar Jens vorgestellt werden, sind so stimulierend, dass man einen Briefband von Katia wünscht. Sie beobachtete und formulierte ausgezeichnet, und im Fall des „Zauberbergs” wurden ihre humoristischen Schilderungen bekanntlich zur ersten Grundlage des Romans. So beschreibt sie Hugo von Hofmannsthal als Salzburger Festspielchef nach dem Ersten Weltkrieg: „Was den Hugo betrifft, so wirkt er hier wie eine Lustspielfigur, ein ununterbrochen plappernder maitre de plaisir, welcher den ganzen Tag ruhelos von einem zum anderen flitzt, in erster Linie natürlich von einem der zahlreichen anwesenden Adeligen, Ambassadeurs, Attachés, rumänischen Prinzessinnen etc. zum anderen. Wahrhaft traurig und unwürdig! Und dabei sieht er, dicker geworden und brillengeschmückt, durchaus aus wie ein jüdischer Rechtsanwalt.”
Im Alter sah Katia Mann immer mehr aus wie eine wetterfeste Indianersquaw, und sie blieb so aktiv wie es alte Leute erst im 20. Jahrhundert wurden – sie reiste weit, chauffierte halsbrecherisch und streitlustig um den Zürichsee und ersparte der Nachwelt das Schauspiel einer irrationalen Witwenherrschaft über das Werk ihres Mannes. Zusammen mit der Tochter Erika beförderte sie die ersten Briefausgaben und legte später auch der Edition der Tagebücher keine Steine in den Weg. Sie macht von Anfang bis Ende den Eindruck eines vollkommen freien Menschen. Wenn man ihr Leben zwischen 1883 und 1980 liest, fragt man, wo in dieser Epoche der Fortschritt gewesen sein soll.
GUSTAV SEIBT
INGE und WALTER JENS: Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 352 Seiten, 19,90 Euro.
KIRSTEN JÜNGLING und BRIGITTE ROßBECK: Katia Mann. Die Frau des Zauberers. Biografie. Propyläen Verlag, München 2003. 416 Seiten, 22 Euro.
Eine wetterfeste Indianersquaw: Die temperamentvolle Autofahrerin Katia Mann hinterm Steuer ihres Wagens
Foto: SZ-
Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Und so wagte der Ängstliche und gewann: Zwei Biographien erzählen nun auch das Leben von Katia Mann, geborene Pringsheim
Als Thomas Mann sich Anfang 1905 verheiratete, erklärte er, er habe geruht, „sich eine Verfassung zu geben”. Und zwanzig Jahre nach der Eheschließung zitierte er Hegel: „Der sittliche Weg zur Ehe sei der, bei dem zuerst der Entschluss zur Verehelichung stehe und dieser dann schließlich die Neigung zur Folge habe, so dass bei der Verheiratung beides vereinigt sei. Ich habe das mit Vergnügen gelesen, denn es war mein Fall.” Kein Zweifel, seine Ehe war für Thomas Mann jene existenzielle Kernfestung, die es ihm erlaubte, auf der Grundlage eines Minimums an Leben ein Maximum an Leistung hervorzubringen; die ein Höchstmaß an seelischer Reizbarkeit mit absoluter Stabilität der äußeren Umstände ausbalancierte. Selten dürfte ein so anspruchsvoller und dabei so unwahrscheinlicher Lebensplan zu so vollkommenem Erfolg geführt worden sein. Die berühmte Rede, die Thomas Mann seiner Frau zum siebzigsten Geburtstag hielt („So lange Menschen meiner gedenken, wird ihrer gedacht sein”) bekundet eine Liebe, die ganz in Dankbarkeit aufgegangen ist – Dankbarkeit vor allem für Katias grenzenlose Geduld.
Als Thomas Mann sich dazu entschloss, die schönste und reichste junge Frau Münchens zu erobern, da hatte ihn sein Roman „Buddenbrooks” zwar schon zu einem berühmten Schriftsteller gemacht, doch hatte er davor erst einem einzigen Menschen seine Liebe gestanden: einem Lübecker Mitschüler, der ihn dafür ausgelacht hatte. Spätere Romanzen zu gleichaltrigen jungen Männern waren im Quälend-Unausgesprochenen verblieben, von Mädchenfreundschaften gibt es keine gesicherten Nachrichten. Dass der junge Thomas Mann in Italien brisantere erotische Erfahrungen sammeln konnte, ist denkbar, aber nicht bezeugt. Für die Art Gemeinschaft, die er in der Ehe suchte, spielt es auch keine Rolle. Die Verheiratung folgte aus dem mit allem Ernst gefassten Entschluss, der homosexuellen Neigung zu entsagen.
Der schwule Papa
Dass aus dieser prekären Ausgangslage eine wunderbare Liebe wachsen konnte, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Thomas Mann vor dieser Frau seine erotischen Vorlieben auf Dauer doch nicht verbergen musste – als der fast Achtzigjährige sich Hals über Kopf in den Zürcher Hotelkellner Franzl Westermeier verliebte, da nahm Katia das ebenso gelassen wie die Urlaubsschwärmerei für den jungen Klaus Heuser ein Vierteljahrhundert davor – Heuser wurde sogar Gast in der Mann-Villa in der Münchener Poschinger Straße! Diese Familie hatte einen schwulen Papa, und irgendwie ging das – ob es gut ging, ist allerdings eine Frage, die sich erst beantworten ließe, wenn man wüsste, woran die vielen Unglücksfälle in der Generation von Thomas Manns Kindern, die Selbstmorde, Drogensucht und Depressionen gelegen haben mögen (es kann ja auch die schiere Übermacht des Vaters gewesen sein).
Die bedeutende Frau, ohne die Thomas Mann weder äußerlich noch innerlich mit seinem Leben fertig geworden wäre, hat nun zwei annähernd gleich ausführliche Biographien erhalten. Die des Ehepaares Inge und Walter Jens ist solider, durchgehend aus erster Hand gearbeitet, mit reichem Zitatenmaterial aus den Briefen vor allem Katias und ihrer Familie; die des in Frauenbiographien erfahrenen Duos Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck ist etwas sprunghafter, dafür faktenreicher, auch wenn diese Fakten vielfach aus der Sekundärliteratur stammen – doch interessant ist es schon zu erfahren, dass es von Katia Mann eine offenbar lesenswerte Übersetzung von Thackerays tausendseitigem Roman „Vanity Fair” gibt, die seit den zwanziger Jahren entstanden war und dann in den fünfziger Jahren in einer weltliterarischen Reihe der DDR erschien.
Die Lebenskameradin
Für beide Bücher gilt, dass ihr weitaus reizvollster Teil die Zeit vor der Eheschließung behandelt. Die Geschichte der reichen jüdischen, allerdings schon in der Generation von Katias Großeltern zum Christentum übergetretenen Familie Pringsheim ist kulturgeschichtlich für sich schon reizvoll genug: Ein „Kladderadatsch”-Redakteur steht neben einer frühen Frauenrechtlerin, die Verbundenheit mit dem Meiningischen Theaterherzog Georg II. neben einem Wagnerianismus der ersten Stunde, der Katias Vater Alfred einmal sogar zum Zuschlagen mit dem Bierseidel verführte. Der märchenhafte, im Eisenbahnbau erworbene Reichtum von Katias Großeltern und Eltern wurde zum Hintergrund einer bemerkenswerten familiären Liberalität: Weder den Kindern noch der Ehefrau blieb es verborgen, dass der Vater, ein Mathematikprofessor und Schürzenjäger, sich ganz offiziell eine Opernsängerin als Geliebte hielt; die körperliche Intimität zwischen Eltern und Kindern mutet vollkommen modern an, und es ist diese Unbefangenheit, die Katia besser als alles andere auf ihr Lebensabenteuer mit dem Schriftsteller vorbereitete.
Katia hatte vier ältere Brüder und einen Zwillingsbruder. Sie wuchs also in einer reinen Jungsatmosphäre auf, hatte ein dunkle Stimme, war sportlich, machte als eine der ersten Frauen Bayerns Abitur und studierte Naturwissenschaften. Thomas Mann begriff, dass diese Frau ihm genau die Chance auf jene Lebenskameradschaft bot, die er suchte, und so wagte der Ängstliche und gewann. Es wird nicht die erste Ehe der europäischen Geschichte gewesen sein, die nicht auf erotischer Erfüllung beruhte und trotzdem leidlich funktionierte. Thomas Mann war seiner Frau noch nach fünfzehn Ehejahren zutiefst dankbar, „weil es sie in ihrer Liebe nicht im Geringsten beirrt oder verstimmt, wenn sie mir schließlich keine Lust einflößt und wenn das Liegen bei ihr mich nicht in den Stand setzt, ihr Lust, d.h. die letzte Geschlechtslust zu bereiten”. Immerhin vermochte ihr Thomas Mann zu geben, was sie offenbar am meisten ersehnte: Kinder. Das Problematische dieser Partnerschaft wurde so rasch wie möglich in lautem Familientrubel aufgelöst, und aus dem glutäugigen Mädchen wurde schon bald eine etwas breithüftige, mit schweren Füßen auftretende Mutter und Hausherrin.
Diese Rolle hat Katia dann mit bürgerlicher Perfektion ausgefüllt. Über ein halbes Jahrhundert und alle Ortswechsel in zwei Kontinenten hinweg verstand sie es, den anspruchsvollen Tenor einer Villenexistenz mit Köchinnen und Hausmädchen aufrecht zu erhalten, ihren Mann finanziell zu managen, große Teile seiner Korrespondenz zu führen und ihren sechs Kindern als Mutter und Freundin zu dienen. Das Bild, das man davon schon aus den Tagebüchern Thomas Manns gewinnen konnte, wird von den Biographien freilich kaum erweitert. Politisch scheint Katia seit jeher etwas weiter links gestanden zu haben als ihr Mann – was ihrer Herkunft entsprach; während Thomas noch hart an den „Betrachtungen eines Unpolitischen” werkte, schenkte Oma Pringsheim ihren Enkeln zu Weihnachten 1917 den pazifistischen Roman „Die Waffen nieder” von Bertha von Suttner.
Nach 1933 wäre Katia ein schnellerer Schnitt vom Dritten Reich im Einklang mit ihren Kindern lieber gewesen. Im Zweiten Weltkrieg hat das Ehepaar Mann Deutschland bekanntlich aus gesunder Brust gehasst: „Die letzten englischen Luftangriffe waren wirklich erhebend”, schrieb Katia im März 1942 an ihre Freundin Molly Shenstone, „besonders für jemanden, der die Hunnen so hasst wie ich! Du hast ganz recht, Hass ist eine absolute Notwendigkeit in dieser Zeit. Ich denke immer, dass Leute, die nicht hassen, auch nicht lieben können, und der hier oft ausgesprochene Stolz auf die völlige Abwesenheit von Hass macht mich ganz wahnsinnig.”
Die Zitate, die vor allem vom Ehepaar Jens vorgestellt werden, sind so stimulierend, dass man einen Briefband von Katia wünscht. Sie beobachtete und formulierte ausgezeichnet, und im Fall des „Zauberbergs” wurden ihre humoristischen Schilderungen bekanntlich zur ersten Grundlage des Romans. So beschreibt sie Hugo von Hofmannsthal als Salzburger Festspielchef nach dem Ersten Weltkrieg: „Was den Hugo betrifft, so wirkt er hier wie eine Lustspielfigur, ein ununterbrochen plappernder maitre de plaisir, welcher den ganzen Tag ruhelos von einem zum anderen flitzt, in erster Linie natürlich von einem der zahlreichen anwesenden Adeligen, Ambassadeurs, Attachés, rumänischen Prinzessinnen etc. zum anderen. Wahrhaft traurig und unwürdig! Und dabei sieht er, dicker geworden und brillengeschmückt, durchaus aus wie ein jüdischer Rechtsanwalt.”
Im Alter sah Katia Mann immer mehr aus wie eine wetterfeste Indianersquaw, und sie blieb so aktiv wie es alte Leute erst im 20. Jahrhundert wurden – sie reiste weit, chauffierte halsbrecherisch und streitlustig um den Zürichsee und ersparte der Nachwelt das Schauspiel einer irrationalen Witwenherrschaft über das Werk ihres Mannes. Zusammen mit der Tochter Erika beförderte sie die ersten Briefausgaben und legte später auch der Edition der Tagebücher keine Steine in den Weg. Sie macht von Anfang bis Ende den Eindruck eines vollkommen freien Menschen. Wenn man ihr Leben zwischen 1883 und 1980 liest, fragt man, wo in dieser Epoche der Fortschritt gewesen sein soll.
GUSTAV SEIBT
INGE und WALTER JENS: Frau Thomas Mann. Das Leben der Katharina Pringsheim. Rowohlt Verlag, Reinbek 2003. 352 Seiten, 19,90 Euro.
KIRSTEN JÜNGLING und BRIGITTE ROßBECK: Katia Mann. Die Frau des Zauberers. Biografie. Propyläen Verlag, München 2003. 416 Seiten, 22 Euro.
Eine wetterfeste Indianersquaw: Die temperamentvolle Autofahrerin Katia Mann hinterm Steuer ihres Wagens
Foto: SZ-
Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Jetzt ist endlich sie dran. Der Spiegel