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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Alexandra Stahl erklärt, wie man sich in Berlin die richtige Geschichte über das eigene Leben erzählt
"Wie hält man das Leben aus? Gar nicht. Und in der immer gleichen Bar", hieß es in Alexandra Stahls Debütroman "Männer ohne Möbel" (2021) über eine junge Frau namens Ellie, die in Berlin-Neukölln auf der Suche nach Liebe an Tresen, auf Dating-Apps und in wildfremden Betten vor allem Einsamkeit findet. "Wahrscheinlich wird sich nie etwas ändern", hieß es dort lakonisch, "aber morgen rede ich mir wieder das Gegenteil ein." Das war eine Prophezeiung, die sich erfüllt hat. Denn das Leben von Ellie, die in der Volkshochschule Neukölln einen (real existierenden) Kurs belegt, in dem man lernt, "sich selbst wie eine Romanfigur zu betrachten und sein Leben wie ein Lieblingsbuch aufzuschreiben", erfährt in Stahls zweitem Roman, "Frauen, die beim Lachen sterben", eine erzählerische Fortsetzung. Unter anderem Namen.
So wie einst ihre Vorgängerin Ellie sucht im neuen Buch nun Iris nur ein paar Straßenzüge weiter im glückselig-kreativen Kreuzberger Graefe-Kiez nach einem Mann, der sich einmal nicht für jemand anderen hält, und nach Frauenfreundschaften, in denen man über die eigentlichen Fragen der Existenz nicht einfach hinweglacht. Stahls literarische Doppelfigur hat einen Erkenntnisprozess durchlaufen: Iris weiß, dass man Nähe auch ertragen und Liebe auch aushalten muss und dass man "wenig ändern kann, auch wenn man alles begriffen hat". Mit Anfang vierzig stellt sie an Heiligabend auf einer griechischen Insel fest, wie sinnlos es war, sich in Berlin ständig zu erzählen, "wer wir sind und welche Leben wir führen und warum wir diese Leben führen, und wie viel Bestätigung, Zuspruch, Applaus wir gebraucht hatten, wie empfindlich wir gewesen waren, wie ernst wir uns genommen hatten".
Wer meint, es handele sich hier um einen weiteren Berlin-Roman, der das Lebensgefühl auf dem Grat zwischen Individualismus und Egomanie, zwischen Ungebundenheit und Haltlosigkeit, zwischen genussvoller Intensität und Suchtproblematik taxiert, der liegt richtig. Allerdings blickt Alexandra Stahl anders als die meisten Apologeten der "Arm, aber sexy"-Romantik ohne Künstlerpose, Berlin-Popanz und Verklärung dauerimprovisierter Lebensentwürfe auf ihre Zeitgenossen. Stahl trat erstmals 2019 beim literarischen Nachwuchswettbewerb "Open Mike" in Neukölln in Erscheinung und tauschte anschließend ihre langjährige Arbeit als Agentur-Journalistin gegen das Dasein als freie Autorin. Mit der Berliner Künstlerszene geht sie in ihrem Roman ebenso humorvoll wie unerbittlich ins Gericht. Hier ein freier Grafikdesigner von fünfzig Jahren, dessen scheinheilige Feminismus-Pose Iris sofort durchschaut, und dort ein egozentrischer, selbstverliebter Autor, der mit den "echten Gefühlen" eines Mannes beim Bachmann-Wettbewerb gnadenlos untergeht.
"Immer diese Männer mit ihren Wichtigkeiten und ihren Witzen zwischen den Wichtigkeiten" - dieses Zitat von Ingeborg Bachmann legt Stahl ihrer Heldin in den Mund. Mit ihr teilt Iris nicht nur die Leidenschaft für Rom, sondern auch ein experimentierfreudiges Verhältnis zu Männern und eine gewisse Schwäche für den Rausch. Anders als viele Neu-Berliner Freigeister erkennt Iris immerhin früh: "Ich wusste, dass ich keine Künstlerin war." Einst hatte sie mit "unangemessen guter Laune" beim Gedanken an ihre Zukunft beschlossen, nach Berlin zu ziehen, ohne zu wissen, worauf sie in der Hauptstadt der Vorläufigkeiten eigentlich hinauswollte. Es folgten ein halbes Semester Archäologie, ein paar Nebenjobs und siebzehn Jahre als Verwalterin einer Künstlerresidenz. Der erste Lockdown führt Iris dann vor Augen, dass sie ihr Leben mit anderen Dingen als Honorarverträgen, Get-together-Events, Schlüsselübergaben und Putzplänen verbringen könnte. Nur, womit dann?
Das Unfertige und Suchende, die Angst davor, irgendwo anzukommen und stehen zu bleiben, bestimmen auch das Erzählprinzip des Romans. Im Parlando-Ton springt Stahl zwischen Zeitebenen und Entwicklungsstufen ihrer Icherzählerin hin und her, überschneidet schwärmerische Beschreibungen ihres Fluchtorts Griechenland mit unverbindlichen Liebschaften und komplizierten Freundschaften in Berlin, wechselt von Anekdoten aus dem Kulturbetrieb zu so leichtfüßigen wie hintergründigen Exkursen über die Symbolik von Herdplatten, den Siegeszug der Haferflocken oder die Abwägung zwischen Liebesbeziehungen und Haustieren. Die Zeiten, in denen Iris mit ihren Freundinnen über Stunden, Nächte und schließlich Jahre in Getränken und Gesprächen über "das Leben" versank, sind vorbei. Ela, einst Lehrerin an einer Kreuzberger Brennpunktschule, erwartet das erste Kind und führt nun im bürgerlichen Rixdorf eine "Bio-Boutique", in der die ernährungsbewusste Klientel am "Discodonnerstag" mit Sekt und Hits der Achtziger empfangen wird. Auch die geschäftstüchtige Katja, die nach ihrer Hochzeit mit einem depressiven Schweizer Chirurgen in einen der gläsernen Wohn-Sarkophage am Potsdamer Platz zieht, lässt Iris mit ihrer Weigerung allein, sich den Konventionen des Erwachsenseins zu fügen.
"Ich kann keine Geschichten erzählen", gibt Iris einmal zu Protokoll, und genau das macht ihre assoziativ gesteuerte Berlin-Erzählung so gelassen, eindringlich und weniger angestrengt als etwa die Neuköllner Nahkampf-Berichte von Behzad Karim Khani oder Finn Job. Hier wirkt nichts exaltiert, kalkuliert und arrangiert; alles folgt dem weisen Prinzip der Protagonistin: "Ich hatte mich daran gewöhnt, über Dinge nachzudenken, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Wozu auch, gab es ein Preisgeld?" CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Alexandra Stahl: "Frauen, die beim Lachen sterben". Roman.
Verlag Jung und Jung, Salzburg 2024. 224 S., geb., 23,- Euro.
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