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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Frauenpower ist der Motor der Arabellion: Der Journalist Karim El-Gawhary porträtiert ungewöhnliche Araberinnen, die ihr Schicksal nicht länger klaglos hinnehmen
Man wird Karim El-Gawhary kaum unterstellen, er wisse nicht, wie schlecht es um den Status der Frauen in arabischen und islamischen Ländern bestellt ist, oder lehne gar deren Emanzipation ab. Seit 1991 berichtet er, Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters, für deutsche Zeitungen als Korrespondent über die Ereignisse in der arabischen Welt. Seit 2004 leitet er das Büro des ORF in Kairo. Umso wichtiger ist es, dass er in seinem jüngsten Buch einmal ein ganz anderes Bild von "der arabischen Frau" zeichnet, ein Bild jenseits der Kopftuchdebatte und weitverbreiteter Klischees. Wer kein Kopftuch trägt, kann nicht automatisch als klug oder emanzipiert gelten, und wer es trägt, ist deshalb nicht automatisch dumm. Es kommt ganz auf den Kopf an.
El-Gawhary stellt Frauen aus Ägypten, Libyen, Syrien, Saudi-Arabien, dem Jemen und aus Bahrein vor. Schwerpunkt ist Ägypten, das Herz der Arabellion - jenes Aufstandes der arabischen Massen gegen ihre Unterdrücker, der nun schon drei Jahre alt ist und - vorsichtig ausgedrückt - bis jetzt sehr gemischte Ergebnisse gezeitigt hat. Freilich wird aus diesem Buch deutlich, welche Rolle gerade Frauen in dieser Erhebung gespielt haben - unter ungleich schwierigeren Bedingungen als die arabischen Männer. Und die Frauen - etwa jene des Tahrir-Platzes, die sich gegen sexuelle Belästigung gewehrt haben und wehren - setzen darauf, dass "die Revolution" ihnen eines Tages doch ihre Rechte geben werde.
Doch schon jetzt gibt es im patriarchalisch strukturierten Arabien Biographien von Frauen, die staunen machen. Da ist Umm Khaled, von Beruf Fernfahrerin, die einzige Ägypterin, die einen schweren Truck durch das Land fährt, allseits respektiert von ihren männlichen Arbeitskollegen, die sich am Ende doch damit abgefunden haben, dass "eine Frau so etwas kann". Da ist eine andere Ägypterin, die Tag für Tag ein Taxi durch den apokalyptischen Verkehrsstrom Kairos steuert; oder Abier, die in Suez - als Folge der Revolution gegen Husni Mubarak und befeuert durch sie - eine Gewerkschaft der Brotverkäuferinnen gegründet hat. Sie organisierte Streiks, wie überhaupt die Rolle der Arbeitsniederlegungen im Kampf gegen das alte Regime bis jetzt zu wenig gewürdigt worden ist. Die Revolution gegen Mubarak hat sich nicht allein auf dem Tahrir-Platz abgespielt.
In Libyen, wo eine neue Unübersichtlichkeit eingezogen ist, haben Frauen sowohl auf der Seite des gestürzten Diktators Gaddafi als auch auf der Seite der Rebellen mitgekämpft. Der Autor stellt sie vor und beschreibt die Hoffnungen, die sie für die Zukunft hegen. Sie zu verwirklichen wird in Libyen nicht viel einfacher sein als in Bahrein, wo die politische Aktivistin Zeinab Demütigungen und Gefängnis auf sich genommen hat in ihrem Kampf an der Seite der Opposition. Die Auseinandersetzung dort ist besonders schwierig und vor allem gefährlich, weil das übermächtige Saudi-Arabien keinerlei Interesse an politischen Veränderungen, gar Umstürzen in seiner Nachbarschaft hat. In Bahrein stellen die diskriminierten Schiiten die Bevölkerungsmehrheit, und die Schiiten Saudi-Arabiens sind ein ständiger Pfahl im Fleisch der dortigen wahhabitischen Herrscher.
Mehr noch gilt dies freilich für mutige Frauen wie Manal El-Scharif, die am 19. Mai 2011 in der saudischen Stadt Khobar auf spektakuläre Weise das für Frauen gültige Verbot, Auto zu fahren, übertrat und damit der Frauenbewegung in ihrem krankhaft auf Geschlechter-Apartheid gegründeten Land neuen Schwung verlieh.
Der mittlere Teil des Buches fällt ein wenig aus dem Gesamtkonzept heraus. Unter der Überschrift "Die bitteren Verliererinnen" schildert der Autor arabische Frauen, die zu Opfern des Fanatismus oder einer ungerechten Justiz wurden. Doch selbst diese palästinensischen oder ägyptischen Frauen, die als Mütter ihre Söhne oder Töchter verloren haben, weil diese freiwillig im Irak "für Saddam Hussein gegen die Imperialisten" kämpfen wollten oder sich im Kampf gegen die israelische Besetzung des Westjordanlandes in die Luft sprengten oder beim berüchtigten Fußball-Massaker von Port Said getötet wurden, treten allmählich aus der bloßen Rolle von Dulderinnen heraus und sind nicht mehr bereit, ihr Schicksal klaglos auf sich zu nehmen.
In letzter Zeit wird die Frage gestellt, ob die Arabellion die Verhältnisse nicht verschlimmert habe, ob der Aufstand der Massen zwischen Tunis und Manama den Aufwand und Eifer seiner Protagonisten überhaupt wert gewesen sei; angesichts des schleppenden Fortschritts in den betroffenen Ländern, angesichts des blutigen Krieges in Syrien ist diese Frage nur allzu berechtigt. Die von Karim El-Gawhary vorgestellten arabischen Frauen sind da optimistischer als auswärtige Beobachter, weil sie eine nicht unbeträchtliche Rolle dabei gespielt haben und noch spielen.
Die "Frauen vom Tahrir" haben die Erfahrung gemacht, dass man sich erfolgreich wehren kann - gegen Patriarchen, Machos, Traditionalisten, Salafisten und oft auch die eigenen Mütter, die in gesellschaftlicher Starre verharren. Freilich wissen sie, und Karim El-Gawhary schreibt auch darüber, dass der Weg in eine selbstbestimmte Zukunft lang und schwierig sein wird. Doch die Frauen haben wohl den Schlüssel zum Erfolg der Arabellion in der Hand. Ob ständige westliche Belehrungen die Entwicklung erleichtern, ist fraglich.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Karim El-Gawhary: "Frauenpower auf Arabisch". Jenseits von Klischees und Kopftuchdebatte.
Verlag Kremayr und Scheriau, Wien 2013. 203 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
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