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Harte Arbeit, reicher Lohn: Elmar Kraushaar hat rechtzeitig zum heutigen achtzigsten Geburtstag von Freddy Quinn eine Biographie des Sängers und Schauspielers vorgelegt
"Fern, so fern dem Heimatland": Millionen Flüchtlinge horchten auf, als 1956 diese Zeilen aus allen Radios und Musikboxen tönten. Auch elf Jahre nach Kriegsende gehörten sie nicht wirklich dazu. Es sei denn, das Wirtschaftswunder rief. Das bestätigte die nächste Zeile: "Viele Jahre schwere Fron, harte Arbeit, karger Lohn." "Heimweh" hieß der Schlager und sang im Refrain von grünen Tälern, in denen man "einst zu Hause" gewesen sei. Auch jene, die, von Flucht verschont, in Gesangsvereinen "Im schönsten Wiesengrunde" schmetterten, sahen sich verstanden. Freddy Quinn musste ein Star werden.
Sein samtiger Bariton trug viel dazu bei. Doch die wahren Väter des Erfolgs waren Ralf Arni und Ernst Bader. Sie hatten Dean Martins Liebesschlendersong "Memories Are Made of This" zur großen Klage umgetextet. Selbst die Eingangszeile "Brennend heißer Wüstensand", dem Produzentenwunsch nach Fremdenlegions-Flair entsprungen, wurde nicht als befremdlich empfunden: Als Metapher für die Bußwüste, in der man sich nach den Greueln des "Dritten Reichs" fühlte, geisterte er lange durch das deutsche Unbewusste. Noch 1962 stürmte die Italienerin Mina mit "Heißer Sand", einem Fluchtdrama mit Legionsfirnis, die hiesige Hitparade. Freddy Quinn aber etablierte sich, obwohl seine Lieder auch damit kokettierten, nicht als singender Söldner, sondern als einsamer Seemann, Artist und Cowboy. "Heimatlos" hieß sein Anschlusshit, es folgten acht weitere, darunter, neben "Heimweh" am bekanntesten, "Junge, komm bald wieder". Für eine Dekade belegte Quinn jährlich den ersten Platz der deutschen Hitparade, ein bis heute ungebrochener Rekord. Sein letzter Treffer war 1966 "Hundert Mann und ein Befehl", eine semipazifistische Antwort auf Barry Sadlers militante "Ballad of the Green Berets", die zudem "Wir" ausbügeln sollte, Quinns Tirade gegen die aufkommenden Jugendrevolten, die nicht einmal "das Establishment" hatte hören wollen.
Vom Thron des traurigen Wanderers stießen ihn weder dieser Ausrutscher noch das folgende Ausbleiben der Hits. Er eroberte sich Musicalbühnen, gab in "Große Freiheit Nummer 7" einen zweiten Hans Albers und in "Der Junge von Sankt Pauli" sich selbst. Die Routine dafür hatte er sich in Musikfilmen wie "Freddy, Tiere, Sensationen" oder "Heimweh nach St. Pauli" erworben, die ihn, flankiert von "Busenstars" wie Jayne Mansfield oder Mamie van Doren, im Zirkus-, Western- und Hafenmilieu die Klischees des notorisch Einsamen, mal Verlassenen, mal Verlassenden bedienen ließen.
All das ist aufgelistet und kommentiert in Elmar Kraushaars Quinn-Biographie, rechtzeitig zum heutigen achtzigsten Geburtstag des Sängers. Eine enorme Fleißarbeit, die auch den Mann hinter dem Image sucht. Zu Recht - denn nur als Fernweh- und Zölibatsbarde hätte Freddy Quinn sich selbst im biederen deutschen Unterhaltungsgeschäft jener Zeit nicht derart lange an der Spitze gehalten. Was ihn trug, war ein Flackern, das gelegentlich als unterdrückte Wildheit in einigen seiner Lieder (lateinamerikanischen Balladen oder Countrysongs) aufbrach. Hinzu kam sein Aussehen, vergleichbar dem viril-sanfter Größen von Rock Hudson bis Ricky Nelson; prompt wurde er in seinem Zirkusfilm als Artist im Glitzerlook zur Zweitausgabe von Burt Lancaster und Tony Curtis im Hollywoodfilm "Trapez" stilisiert. Damit faszinierte Quinn viele Frauen - und nicht wenige Männer. Was Kraushaar zu ermüdend langen Passagen über die Gerüchte zur mutmaßlichen Homosexualität des Sängers veranlasst.
Nicht nur die geschlechtliche, sondern überhaupt die Identität Freddy Quinns war von Geheimnissen umgeben, mit denen er und seine Manager kalkulierten: Geboren als Sohn einer österreichischen Journalistin und eines irischen Kaufmanns, Kindheit in West Virginia, Wien und Antwerpen, soll er, aus Trotz gegen einen adligen Stiefvater, durch Südeuropa und Nordafrika getrampt sein, in Zirkussen und auf Frachtern gearbeitet und in Algerien drei Wochen Fremdenlegion absolviert haben. Sicher ist nur, dass er 1954 in der "Washington Bar" in Hamburgs Rotlichtviertel abräumte, bis ihm der Fernsehregisseur Jürgen Roland zu ersten Fernsehauftritten und Plattenaufnahmen verhalf.
All das hätte Quinn prädestiniert zur Verkörperung von Abenteurertum. Er aber kultivierte die Haltung des verlorenen Sohns, der stumm bleibt, wenn es um seine Vergangenheit geht, dem man aber anmerkt, dass er allzeit anständig geblieben ist. Auch damit erfüllte er ein Ideal der jungen Bundesrepublik: Zwar wurden wortreich die verlorenen Heimaten geschildert; doch wie und auf wessen Kosten man Krieg und Flucht überlebt hatte, ob dem Getretenwerden ein Treten vorausgegangen war, darüber schwieg man meist.
Elmar Kraushaar aber ist weniger an den allgemeinen deutschen, sondern eher an Quinns persönlichen Fluchten interessiert. Auch an seiner Verbissenheit, die ihn zu vielem befähigte, jedoch nie zur im Showgeschäft unabdingbaren Lässigkeit, zu Ironie oder Spontanität. Auch Quinns "Hätte ich doch"-Erlebnis, das damals so vielen hiesigen Stars widerfuhr, wird erläutert: 1965 bot ihm Bert Kaempfert "Blue Spanish Eyes" an. Er lehnte ab - und Al Martino hatte den Welthit, der Quinn womöglich den ersehnten Weg in die Vereinigten Staaten geöffnet hätte. Stattdessen absolvierte er bis in die neunziger Jahre erfolgreich Deutschland-Tourneen mit internationalen Einsprengseln.
"Quinns Bescheidenheit ist die der Zirkusleute. Ihre Naivität macht sie stark in einer Welt der Masken", schrieb einmal ein Hamburger Kritiker. Das ehrlichste Urteil aber fällte der Sänger selbst: "Mein Leben hört sich an wie eine Erfindung ", sagte er 1999. Zehn Jahre später, verloren vielleicht im eigenen Maskengewirr, verschwand er wieder in dem Nichts, aus dem er 1954 aufgetaucht war. Sein Manager weigert sich, den Aufenthaltsort dieses vielleicht sonderbarsten deutschen Unterhaltungskünstlers unserer frühen Jahre preiszugeben.
DIETER BARTETZKO.
Elmar Kraushaar: "Freddy Quinn: Ein unwahrscheinliches Leben." Biografie.
Artrium Verlag, Zürich 2011. 351 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
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