Als Student in den Sechzigerjahren war Janus Emmeran einer der erfolgreichsten Fluchthelfer im geteilten Berlin: Hunderten von Menschen verhalf er durch die Mauer in die Freiheit. Mehr als vierzig Jahre spater kehrt Janus in seine Schicksalsstadt zuruck. Per Kontaktanzeige lernt er hier die fast 30 Jahre jungere Colette kennen, Tochter eines linientreuen Hochschulprofessors in der DDR und Inhaberin eines kleinen Verlags. Zwischen den beiden, die verschiedener nicht sein konnten, entwickelt sich eine Amour fou, die bald auch Janus' bewegte Vergangenheit wieder lebendig werden lasst - vom Tag des Mauerbaus am 13. August 1961 bis hin zum Aufbau des Netzes der Fluchthilfe in den Wochen und Monaten danach. Ungeachtet ihrer so verschiedenen Lebenslaufe in Ost und West versuchen Colette und Janus zueinanderzufinden. Bald wird ihnen klar, dass es nicht nur die deutsche Vergangenheit ist, die zwischen ihnen steht. Janus wird von einem Freund und ehemaligen Fluchthelfer gebeten, Anisa, eine verfolgte junge Frau syrisch-kurdischer Abstammung, in seinem Haus in der Schweiz zu verstecken. Anisas Schwester wurde von ihrem Vater und ihrem Onkel umgebracht, nun droht Anisa ein ahnliches Schicksal. Und in Janus erwacht aufs Neue der Drang, zu helfen. FREI, der mit Spannung erwartete Roman von Roswitha Quadflieg und Burkhart Veigel, erzahlt vom Verlangen nach Freiheit und beleuchtet eines der abenteuerlichsten Kapitel deutsch-deutscher Geschichte. Mitreiend erzahlt, wirft er die Frage auf nach individueller Verantwortung angesichts der politischen Umwalzungen - damals wie heute.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2018Fiktion oder historische Fakten?
Deutsch-deutsches Finale in der Schweiz: Roswitha Quadflieg und Burkhart Veigel schreiben gemeinsam einen Fluchthelfer-Roman
Dieser Roman beginnt am 13. August 1961 in West-/Ost-Berlin, er endet am zwanzigsten und einundzwangsten Tag des Jahres 2016 auf der Sonnalp in der Schweiz. Zwei Geschichten knüpfen sich hier ineinander, zunächst die Fluchthelfergeschichte des Medizinstudenten Janus Emmeran, dann die Liebesgeschichte zwischen Janus und der dreißig Jahre jüngeren Lyrik-Verlegerin Colette, die in Ost-Berlin aufgewachsen ist.
Urheber dieser Doppelgeschichte sind zwei Autoren: Burkhart Veigel, der von 1961 bis 1970 in Berlin aktiver Fluchthelfer war und vor sieben Jahren das Sachbuch "Wege durch die Mauer - Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West" verfasst hat. Sechshundertfünfzig Menschen hat er in den Westen gebracht und dafür im Jahr 2012 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Die Schriftstellerin Roswitha Quadflieg gründete 1973 die bibliophile Ramin-Presse, eine Verlagswerkstatt, in der sie Texte der Weltliteratur mit eigenen Bildern druckte. Heute ist sie freie Schriftstellerin. In einer Nachbemerkung zum Roman teilen beide mit: "Wir haben uns beim Schreiben dieses Romans an die historischen Daten und Fakten gehalten und ihnen unsere Fiktionen zur Seite gestellt."
Fiktion ist vor allem die Liebesgeschichte, die nicht absichtslos ist. Die junge Frau aus der DDR und ihre beiden Kinder fragen den neuen Geliebten ihrer Mutter kräftig aus, was damals in den sechziger Jahren geschehen ist. Für die junge Generation aus dem Osten klingen die Berichte von Janus wie Abenteuergeschichten aus einer fremden Welt. Mit einem Schlag wurde die Stadt durch die Mauer geteilt, der Kalte Krieg erreichte einen weiteren Höhepunkt. Die Zeit der Fluchthilfe wird wie ein Tagebuch aufgeblättert, immer genau datiert. Dazwischengeschoben werden die zwanzig/einundzwanzig Tage der Liebesgeschichte.
Das ist eine kluge Konstruktion, auf zwei Ebenen ein doppeltes Geschehen in Szene zu setzen. Der Leser ahnt natürlich, dass die Fluchthelferpassagen von Burkhart Veigel stammen, aber die Autorin und der Autor haben sich so fein aufeinander abgestimmt, vielleicht auch miteinander gerungen, dass es keine Brüche gibt, der Text fließt ruhig und in sich stimmig. Das Wagnis, zu zweit einen Roman zu schreiben, ist geglückt, wohl auch deshalb, weil es eine gemeinsame Linie gibt: die Fluchthilfe.
Freilich wird in diesem Roman nicht die gesamte Problematik der Fluchthilfe, die damals durchaus auch umstritten war, angeschnitten. War es krude Geschäftemacherei unter dem Deckmantel der Humanität? Haben sich kriminelle Elemente unter die Fluchthelfer gemischt? Kochten hier einige Leute ihr politisches Süppchen? Janus im Roman betont, er habe kein Geld von den Flüchtenden genommen, für ihn war der Gedanke der Freiheit die Leitlinie seines Handelns, er wollte das Unrechtssystem der DDR nicht tatenlos hinnehmen. Erst ganz zum Schluss, als er finanziell pleite ist, kommt der Gedanke auf, Geld nehmen zu müssen. Die Fluchtwege, die Janus wählt, sind vielfältig und kostspielig.
Zunächst geht die Flucht über gefälschte Pässe, dann über Doppelgänger, ein weiterer Weg ist die Kanalisation, auch ein Tunnel wird gegraben, der aber einstürzt. Die tollkühnste Variante ist das Versteck im Armaturenbrett eines umgebauten alten Cadilllacs. Es funktioniert. Allerdings ist der Wagen zu auffällig und kann nur begrenzt eingesetzt werden.
Auf der Ebene der Politik passieren auch merkwürdige Dinge. Kontaktmann für Janus ist ein Mister X von der CIA, mit dem Janus öfters Gespräche führt, dazu gibt es immer eine Cola und Brötchen. Dieser Mister X plant, einen angeblichen Angriff des Ostens auf West-Berlin zu verhindern. Kurz vor dem 1.Mai, dem Stichtag des Überfalls, wird der Plan zurückgezogen. Fiktion oder historische Fakten? Das Büro des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz bietet Janus einen Deal an, der Senat übernehme alle seine Schulden und wolle 37 seiner Flüchtlinge freikaufen, wenn Janus die Fluchthilfe einstelle. Dieser stimmt zu, aber der Deal scheitert dennoch, denn ein solcher Coup passt nicht ins Konzept von Egon Bahr, der erfolgreich diesen Menschenhandel stoppt. Fiktion oder historische Fakten?
Die Zeit der Fluchthilfe hat sich überlebt. Janus verlässt Berlin und studiert ordentlich Medizin, wird Orthopäde in Süddeutschland, kehrt schließlich im Rentenalter nach Berlin zurück und lernt Colette durch eine Kontaktanzeige kennen. Ein neues Glück scheint sich anzubahnen, das jedoch nur zwanzig Tage währt. Janus behauptet, er habe ein Freiheits-Gen, er müsse geradezu zwanghaft Menschen in Not helfen. Und nun kommt der krumme Schritt in die Gegenwart des Jahres 2016. Ein Freund aus alten Zeiten bittet ihn, einer jungen syrisch-kurdischen Frau zu helfen. Deren Schwester ist wegen angeblich verletzter Familienehre von ihrem Vater und ihrem Onkel ermordet worden. Nun droht Anisa dasselbe Schicksal, sie sucht Asyl, muss versteckt werden, um ihr Leben zu retten.
Hier wird die Romangeschichte allzu sehr überfrachtet. Janus ist wieder der aufrechte Helfer und holt Anisa in sein Schweizer Ferienhaus, wo er gerade ein paar Tage mit Colette verbringt. Die Amour fou geht schief, Colette mag die Berge nicht, sie gehört nach Berlin. In einem Abschiedsbrief teilt sie Janus mit: "Ich liebe Dich, aber wir haben uns bei unserem Flug über die höchsten Berge die Flügel verbrannt." Das ist ein poetischer Satz, aber das Ende des Romans wirkt verkrampft. Warum muss Janus schon wieder Flüchtlingen helfen, als ob es seine chronische Krankheit wäre? Die Mauerflüchtlinge reichen doch. Der Roman hätte keinen Schaden genommen, wenn die Autorin und der Autor darauf verzichtet hätten, noch eine Schippe draufzulegen. Zu leicht brennt dann etwas an.
LERKE VON SAALFELD
Roswitha Quadflieg, Burkhart Veigel: "Frei". Roman.
Europa Verlag, München 2018. 341 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsch-deutsches Finale in der Schweiz: Roswitha Quadflieg und Burkhart Veigel schreiben gemeinsam einen Fluchthelfer-Roman
Dieser Roman beginnt am 13. August 1961 in West-/Ost-Berlin, er endet am zwanzigsten und einundzwangsten Tag des Jahres 2016 auf der Sonnalp in der Schweiz. Zwei Geschichten knüpfen sich hier ineinander, zunächst die Fluchthelfergeschichte des Medizinstudenten Janus Emmeran, dann die Liebesgeschichte zwischen Janus und der dreißig Jahre jüngeren Lyrik-Verlegerin Colette, die in Ost-Berlin aufgewachsen ist.
Urheber dieser Doppelgeschichte sind zwei Autoren: Burkhart Veigel, der von 1961 bis 1970 in Berlin aktiver Fluchthelfer war und vor sieben Jahren das Sachbuch "Wege durch die Mauer - Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West" verfasst hat. Sechshundertfünfzig Menschen hat er in den Westen gebracht und dafür im Jahr 2012 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Die Schriftstellerin Roswitha Quadflieg gründete 1973 die bibliophile Ramin-Presse, eine Verlagswerkstatt, in der sie Texte der Weltliteratur mit eigenen Bildern druckte. Heute ist sie freie Schriftstellerin. In einer Nachbemerkung zum Roman teilen beide mit: "Wir haben uns beim Schreiben dieses Romans an die historischen Daten und Fakten gehalten und ihnen unsere Fiktionen zur Seite gestellt."
Fiktion ist vor allem die Liebesgeschichte, die nicht absichtslos ist. Die junge Frau aus der DDR und ihre beiden Kinder fragen den neuen Geliebten ihrer Mutter kräftig aus, was damals in den sechziger Jahren geschehen ist. Für die junge Generation aus dem Osten klingen die Berichte von Janus wie Abenteuergeschichten aus einer fremden Welt. Mit einem Schlag wurde die Stadt durch die Mauer geteilt, der Kalte Krieg erreichte einen weiteren Höhepunkt. Die Zeit der Fluchthilfe wird wie ein Tagebuch aufgeblättert, immer genau datiert. Dazwischengeschoben werden die zwanzig/einundzwanzig Tage der Liebesgeschichte.
Das ist eine kluge Konstruktion, auf zwei Ebenen ein doppeltes Geschehen in Szene zu setzen. Der Leser ahnt natürlich, dass die Fluchthelferpassagen von Burkhart Veigel stammen, aber die Autorin und der Autor haben sich so fein aufeinander abgestimmt, vielleicht auch miteinander gerungen, dass es keine Brüche gibt, der Text fließt ruhig und in sich stimmig. Das Wagnis, zu zweit einen Roman zu schreiben, ist geglückt, wohl auch deshalb, weil es eine gemeinsame Linie gibt: die Fluchthilfe.
Freilich wird in diesem Roman nicht die gesamte Problematik der Fluchthilfe, die damals durchaus auch umstritten war, angeschnitten. War es krude Geschäftemacherei unter dem Deckmantel der Humanität? Haben sich kriminelle Elemente unter die Fluchthelfer gemischt? Kochten hier einige Leute ihr politisches Süppchen? Janus im Roman betont, er habe kein Geld von den Flüchtenden genommen, für ihn war der Gedanke der Freiheit die Leitlinie seines Handelns, er wollte das Unrechtssystem der DDR nicht tatenlos hinnehmen. Erst ganz zum Schluss, als er finanziell pleite ist, kommt der Gedanke auf, Geld nehmen zu müssen. Die Fluchtwege, die Janus wählt, sind vielfältig und kostspielig.
Zunächst geht die Flucht über gefälschte Pässe, dann über Doppelgänger, ein weiterer Weg ist die Kanalisation, auch ein Tunnel wird gegraben, der aber einstürzt. Die tollkühnste Variante ist das Versteck im Armaturenbrett eines umgebauten alten Cadilllacs. Es funktioniert. Allerdings ist der Wagen zu auffällig und kann nur begrenzt eingesetzt werden.
Auf der Ebene der Politik passieren auch merkwürdige Dinge. Kontaktmann für Janus ist ein Mister X von der CIA, mit dem Janus öfters Gespräche führt, dazu gibt es immer eine Cola und Brötchen. Dieser Mister X plant, einen angeblichen Angriff des Ostens auf West-Berlin zu verhindern. Kurz vor dem 1.Mai, dem Stichtag des Überfalls, wird der Plan zurückgezogen. Fiktion oder historische Fakten? Das Büro des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz bietet Janus einen Deal an, der Senat übernehme alle seine Schulden und wolle 37 seiner Flüchtlinge freikaufen, wenn Janus die Fluchthilfe einstelle. Dieser stimmt zu, aber der Deal scheitert dennoch, denn ein solcher Coup passt nicht ins Konzept von Egon Bahr, der erfolgreich diesen Menschenhandel stoppt. Fiktion oder historische Fakten?
Die Zeit der Fluchthilfe hat sich überlebt. Janus verlässt Berlin und studiert ordentlich Medizin, wird Orthopäde in Süddeutschland, kehrt schließlich im Rentenalter nach Berlin zurück und lernt Colette durch eine Kontaktanzeige kennen. Ein neues Glück scheint sich anzubahnen, das jedoch nur zwanzig Tage währt. Janus behauptet, er habe ein Freiheits-Gen, er müsse geradezu zwanghaft Menschen in Not helfen. Und nun kommt der krumme Schritt in die Gegenwart des Jahres 2016. Ein Freund aus alten Zeiten bittet ihn, einer jungen syrisch-kurdischen Frau zu helfen. Deren Schwester ist wegen angeblich verletzter Familienehre von ihrem Vater und ihrem Onkel ermordet worden. Nun droht Anisa dasselbe Schicksal, sie sucht Asyl, muss versteckt werden, um ihr Leben zu retten.
Hier wird die Romangeschichte allzu sehr überfrachtet. Janus ist wieder der aufrechte Helfer und holt Anisa in sein Schweizer Ferienhaus, wo er gerade ein paar Tage mit Colette verbringt. Die Amour fou geht schief, Colette mag die Berge nicht, sie gehört nach Berlin. In einem Abschiedsbrief teilt sie Janus mit: "Ich liebe Dich, aber wir haben uns bei unserem Flug über die höchsten Berge die Flügel verbrannt." Das ist ein poetischer Satz, aber das Ende des Romans wirkt verkrampft. Warum muss Janus schon wieder Flüchtlingen helfen, als ob es seine chronische Krankheit wäre? Die Mauerflüchtlinge reichen doch. Der Roman hätte keinen Schaden genommen, wenn die Autorin und der Autor darauf verzichtet hätten, noch eine Schippe draufzulegen. Zu leicht brennt dann etwas an.
LERKE VON SAALFELD
Roswitha Quadflieg, Burkhart Veigel: "Frei". Roman.
Europa Verlag, München 2018. 341 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Freiheit ist das Motiv, das sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht und die Handlung aus allen Blickwinkeln beleuchtet." (www.carpegusta.de, 04.07.2018) "[...] das Ergebnis besticht und berührt." (Leipziger Internet Zeitung, 30.03.2019)