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Freiheitsgrade kennt man aus der Mechanik. Der Begriff bezeichnet dort die Zahl der Richtungen, in die ein Körper sich an einem Gelenk bewegen kann. Bei seinem Versuch, den Liberalismus auf die Höhe der Zeit zu bringen, geht Christoph Möllers weder von der politischen Großwetterlage aus noch vom Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft. Vielmehr versucht er, Formen einer Ordnung herauszupräparieren, die Bewegungsfreiheit und soziale Varianz ermöglicht. So gerüstet, verspricht er keine Antworten, aber neue Perspektiven auf diverse Phänomene: auf den Begriff der politischen Repräsentation,…mehr

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Produktbeschreibung
Freiheitsgrade kennt man aus der Mechanik. Der Begriff bezeichnet dort die Zahl der Richtungen, in die ein Körper sich an einem Gelenk bewegen kann. Bei seinem Versuch, den Liberalismus auf die Höhe der Zeit zu bringen, geht Christoph Möllers weder von der politischen Großwetterlage aus noch vom Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft. Vielmehr versucht er, Formen einer Ordnung herauszupräparieren, die Bewegungsfreiheit und soziale Varianz ermöglicht. So gerüstet, verspricht er keine Antworten, aber neue Perspektiven auf diverse Phänomene: auf den Begriff der politischen Repräsentation, aber auch die Funktion territorialer Grenzen. Freiheit, so Möllers, ist eine Praxis der Ergebnisoffenheit, die Prozesse ermöglicht, von denen unklar sein muss, wohin sie führen.


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Autorenporträt
Christoph Möllers, geboren 1969, lehrt Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jens Bisky empfiehlt das neue Buch des Berliner Verfassungsrechtlers Christoph Möllers zur Einübung politischen Denkens, mitunter sogar gegen eigene Überzeugungen. Gegenwartsnah führt ihn der Autor durch Traditionen und Vorstellungen des Liberalismus und entwickelt einen "kühnen" Standpunkt, sein "Konzept der Freiheitsgrade", ohne dabei zu stark zu systematisieren, stellt Bisky fest. Das gibt dem Rezensenten Raum für eigene Gedanken und Reibungen und lässt ihn neu über Politik und Freiheit nachdenken sowie, hoch aktuell, über die "körperliche Seite der Freiheit". Für Bisky eins der besten Bücher der jüngeren Vergangenheit, auch, da Inhalt und aphoristische Form zueinander passen, wie er findet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2020

Spielräume für Freiheiten
Prinzipien bitte nur im Plural: Christoph Möllers wägt Motive liberaler Programmatik und Politik

Von allen politischen Strömungen, die im Gefolge der Französischen Revolution entstanden sind, ist der Liberalismus am schwersten zu fassen. Das hat sicherlich damit zu tun, dass er in der Mitte des politischen Spektrums angesiedelt und demgemäß nach beiden Seiten hin ebenso offen wie abgrenzungsbedürftig ist. Tatsächlich haben die politischen Parteien, die den Begriff liberal in ihrem Namen führen und führten, recht unterschiedliche politische Positionen besetzt: Nationalliberale und Sozialliberale, Wirtschaftsliberale, Bürgerrechtsliberale, Liberalkonservative, Neoliberale und so fort. Nur mit populistischen Bewegungen kann sich der Liberalismus nicht einlassen, ohne seine Identität zu verlieren. Es gibt kaum eine politische Strömung, gegenüber der er so sehr auf Abgrenzung Wert gelegt hat, wie gegenüber dem Populismus.

Aber auch mit der Demokratie ist der Liberalismus nicht immer Hand in Hand gegangen, sondern hat sich häufig als Begrenzung und Einschränkung der Demokratie verstanden: Nicht alles, was auf der Grundlage demokratischer Mehrheiten beschlossen wird, ist mit dem liberalen Freiheitsverständnis vereinbar. Die Formel von der "liberalen Demokratie" ist darum alles andere als ein Pleonasmus. Dass Victor Orbán die von ihm für Ungarn präferierte politische Ordnung ausdrücklich als "illiberale Demokratie" bezeichnet hat, ist dafür nur das jüngste Beispiel.

Wer sich als "illiberaler Demokrat" bezeichnet, will zumeist provozieren; in einer sozio-politischen Welt, in der alle "irgendwie" liberal sind oder zumindest Liberalität für sich reklamieren, bezieht man als Illiberaler eine dezidierte politische Position: Man will zu dem Teil des politischen Spektrums, wo sich die meisten aufhalten, unter keinen Umständen dazugehören. Es ist darum wesentlich einfacher, ein Buch über das Illiberale zu schreiben als eines über Liberalität. Dementsprechend sind in den letzten Jahrzehnten, zumindest in Deutschland, sehr viel mehr Arbeiten über die Gegner des Liberalismus entstanden als über die Liberalen selbst - was die politischen Gewichte auf den Kopf gestellt hat. Das hat indes nicht nur damit zu tun, dass die Liberalen nur schwer zu definieren sind, sondern sich bei ihnen auch selten das Außergewöhnliche, Originelle, Exzentrische findet. Den Denkern der Liberalität haftet häufig etwas Biederes, dem Common Sense Verpflichtetes an, weswegen man ihre Ideen und Argumente zumeist zur Kenntnis nimmt, ohne davon sonderlich beeindruckt zu sein. Das ist der Nachteil all dessen, was man nicht nur für richtig, sondern auch für selbstverständlich hält.

Christoph Möllers hat sich also mit dem Vorhaben "liberale Elemente im politischen Feld" zu erkunden, wie der ursprüngliche Untertitel seines Buches lautete, einiges vorgenommen. Dabei hat er weder eine Geschichte des politischen Liberalismus in der westlichen Welt noch eine Theorie politischer Liberalität geschrieben, wenngleich sich in seinem Buch immer wieder Ansätze zu beidem finden. Im Prinzip nämlich hält er Distanz zu dem Projekt, aus liberalen Elementen eine politische Bewegung, wie eben den Liberalismus, zu formen. Der nämlich, so die Leitidee seines Buchs, verwickelt sich ein ums andere Mal in Selbstwidersprüche, wenn er einen bestimmten Aspekt des Liberalen allein, etwa die individuelle Freiheit, stark macht und dabei dessen Gegensatz, etwa die soziale Verantwortung, zwangsläufig marginalisiert, wie das den liberalen Parteien in vielen westlichen Ländern immer wieder passiert ist. Liberalität, so Möllers' Grundgedanke in Anlehnung an Odo Marquardt, bleibt zum Prinzipiellen auf Abstand. Stattdessen sucht sie in den konkreten politischen Konstellationen nach Möglichkeiten, die Freiheitsgrade auszuweiten und das dabei Erreichte zu sichern. "Freiheitsgrade" steht bei Möllers für die Pluralisierung des Kollektivsingulars Freiheit, der verbirgt, dass das Ausleben der Freiheit durch den einen zur Freiheitseinschränkung des anderen werden kann - im Fall von Individuen genauso wie im Fall von politischen Großverbänden.

Aber wie lässt sich diese Beobachtung, die liberales Denken und liberale Politik ja von Anfang an begleitet hat, narrativ umsetzen, ohne dass man eine Geschichte des fortgesetzten Scheiterns liberaler Bewegungen schreibt, weil sie, wie zuletzt am Neoliberalismus zu beobachten, durch die Versteifung auf ein einziges liberales Prinzip alle anderen Elemente von Liberalität vernachlässigt oder gar beeinträchtigt haben. Möllers umgeht dieses Dilemma einer Erzählung des fortgesetzten Scheiterns an den eigenen Grundsätzen, die den Feinden liberaler Politik auch noch als Argument dienen könnte, indem er sich auf keine Erzählung einlässt, weder in ideengeschichtlicher noch in realpolitischer Hinsicht.

Stattdessen entwickelt Möllers ein Puzzle von Aspekten, in dem es ein ums andere Mal darum geht, die Chancen wie Kosten eines bestimmten Aspekts von Freiheit im politischen Feld zu sichten und gegen andere Aspekte abzuwägen, dabei wohl wissend, dass ein solches Abwägen in keinem Fall zu endgültigen Festlegungen führen kann, sondern dass deren konkrete Bestimmung von den jeweiligen sozialen Konstellationen und politischen Umständen abhängig ist. Dementsprechend erhebt Möllers auch nicht den Anspruch auf endgültige Bestimmungen und Festlegungen beim Abwägen von Freiheitsgraden gegeneinander, sondern beschränkt sich darauf, das beim Abwägen zu Berücksichtigende detailliert vorzustellen. Man könnte das auch als kognitiv praktizierte Liberalität bezeichnen. Jedenfalls entgeht er dadurch dem performativen Selbstwiderspruch des Liberalen, der mit einem Mal ganz apodiktisch daherkommt.

Dabei kommt Möllers die juristische Schulung seines Denkens und Argumentierens zugute. Es sind durchweg kleinere Abschnitte, in denen er ein Problemfeld untersucht, die diversen Aspekte paragraphenförmig zusammenstellt und die Wirkungen sowie Gegenwirkungen der liberalen Elemente beschreibt. Das hat mitunter etwas Mechanisches, aber Möllers hat aus der Not eine Tugend gemacht, indem er seine Erkundung der Freiheitsgrade als "liberale politische Mechanik" untertitelt hat. Man kann Möllers Buch auch lesen als eine Erkundung der Aporien, in die ein Liberalismus gerät, der keinen Blick für die Fallen konkreter politischer Lagen hat. In diesem Sinn ist Möllers Buch ein eminent politisches Buch, das nicht nur von liberalem Denken und Handeln, sondern von den Problemen der Politik insgesamt handelt. Die im Grundsatz geschickte Herangehensweise, die Probleme nicht in einer geschlossenen Abhandlung anzugehen, sondern in eine Fülle von Stichworten aufzulösen, hat freilich ihren Preis, und der besteht darin, dass sich kein rechter Lesefluss einstellen will. Man muss immer wieder Luft holen und neu ansetzen. Das macht die Lektüre durchaus anstrengend. Es ist indes nicht auszuschließen, dass Christoph Möllers genau das beabsichtigt hat.

HERFRIED MÜNKLER

Christoph Möllers:

"Freiheitsgrade". Elemente einer liberalen politischen Mechanik.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 342 S., br., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»... dieses Buch ist so dicht, intensiv, so klug wie kaum ein anderes.« Dirk Kurbjuweit DER SPIEGEL 20211126