+++ Unser Leben wird von unseren Freundschaften bestimmt +++ Gibt es die »Freundschaft fürs Leben«? Wie ist es, wenn eine Freundin plötzlich zur Konkurrentin wird? Und was ist eigentlich das richtige Verhältnis von Nähe und Distanz? Im Gespräch mit Katja Kraus geben ihre Gesprächspartner aus Politik, Kultur und Sport ungewöhnlich offen Auskunft über ihr Verständnis von Freundschaft, deren Bedeutung in ihrem Leben, aber auch über den Umgang mit Brüchen in persönlichen Beziehungen. Ein Buch, das sich klug mit den verschiedenen Spielarten der Freundschaft auseinandersetzt - und mit den Menschen, die uns oft näher stehen als unsere Familien. Mit Roger Willemsen, Maria Höfl-Riesch, Barbara Auer, Jürgen Flimm, Egon Bahr, Jürgen Klopp, Gregor Gysi, Claudia Roth, Ali Mahdjoubi, Sahra Wagenknecht, Rene Adler, Manfred Bissinger, Sylvia Bovenschen, Jean Remy von Matt, Benjamin Lebert, Christoph Metzelder, Marina Weisband, Joseph Vogl, Bettina Böttinger, Herbert Hainer und Andrea Fischer.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2015Super, Freunde!
Eine Politikerin und ein Dichter. Ein Journalist und ein Kanzler. Wozu sind Freunde da? Katja Kraus hat Antworten in ihrem neuen Buch gesammelt
Wer ist schon wirklich befreundet?" Egon Bahr, der große Lebensfreund von Willy Brandt, lehnt sich zurück. Günter Grass, glaubt er, sei doch mit Max Frisch ganz eng gewesen - und irrt sich. Frisch und Grass waren sich fremd. Aber heute, fährt er fort, diese Facebook-Freundschaften, das sei doch ein Irrglaube der Menschheit: "Wie soll das denn gehen, Verbundenheit in sechs Zeilen?" Er schüttelt den Kopf und sortiert seinen Schreibtisch, auf dem neben einem Kalender nur eine Schreibmappe und ein Aschenbecher liegen und zwei seiner eigenen Bücher. Willy Brandt fehle ihm sehr. Er frage sich oft, was dieser jetzt wohl tun würde, und fühle dann eine Leere, weil er es nicht überprüfen könne. "Manchmal" - er flüstert beinahe - "träume ich auch von ihm."
Egon Bahr ist 92 Jahre alt. Und wenn ein Mann wie er in Katja Kraus' neuem Buch "Freundschaft - Geschichten von Nähe und Distanz" mit Facebook die gesamte Freundschaftskultur den Bach heruntergehen sieht, darf man ihm das verzeihen. Dass das Kulturpessimistische, die "apokalyptischen Schlussfolgerungen", wie die Autorin das nennt, aber auch an anderen Stellen des Buchs auftauchen und dabei gar keinen Anlass zu weiteren Überlegungen geben, fängt einen beim Lesen irgendwann an zu irritieren.
Etwa, wenn die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen halbkokett abstreitet, eine Zukunftsforscherin zu sein - dann aber in Erwägung zieht, dass es privates Leben bald nicht mehr geben werde. Also auch keine Freundschaft im klassischen Sinne, weil diese nun einmal etwas sehr Persönliches sei: "Wenn Öffentliches und Privates verschwimmen, weil alles erschnüffelt ist, weil gerade eine Drohne am Fenster vorbeifliegt, dann löst sich alles, was im Vertrauten beheimatet ist, auf", so Silvia Bovenschen.
Aber ist das denn so? Man könnte es doch auch genau umgekehrt formulieren, dass mit dem Lausch- und Spähangriff auf die Privatsphäre etwas wie Freundschaft wichtiger wird, nämlich als Schutzraum, als Ort der Verschwiegenheit, der verabredeten Codes oder der verschlüsselten Kommunikation, als ein Raum also, den man mit zunehmender Vehemenz zu verteidigen bereit ist. Brauchen wir Freunde nicht mehr denn je?
Katja Kraus, ehemalige Torfrau, acht Jahre lang im Vorstand des Hamburger SV und Autorin des viel beachteten Buchs "Macht - Geschichten von Erfolg und Scheitern", will sich zu zeitdiagnostischen Thesen nicht aufschwingen. Ihre Annäherung an "Freundschaft" vollzieht sie im Gespräch: Sie hat Spitzensportler, Politiker, Schriftsteller und Wissenschaftler aufgesucht - Männer und Frauen, mit denen sie sich über die Facetten von Freundschaft unterhalten hat.
Das ist unbedingt lesenswert und interessant gerade auch dort, wo es um Brüche geht (eine Frau tritt zwischen zwei Männer oder umgekehrt), um Freundschaftsvernichtung durch Konkurrenz oder um Pausen, nach denen erneute Annäherungen erfolgen. Und es ist überraschend, weil es vorkommt, dass bei Gesprächspartnern, von denen man meint, dass sie unterschiedlicher nicht sein könnten, Parallelen auftauchen, die am Ende dann vielleicht doch etwas mit der Zeit zu tun haben, in der wir leben. Die Beschaffenheit von Freundschaft, denkt man bei der Lektüre, ist eben keine anthropologische Konstante. Sie hat in unterschiedlichen historischen Situationen auch unterschiedliche Ausprägungen.
Auffällig jedenfalls ist, dass keiner der Menschen, mit denen Katja Kraus sich verabredet hat, das Freundschaftsideal einer uneingeschränkten und damit auch schonungslosen Offenheit unter Freunden ins Feld führt, welches man an erster Stelle vermutet hätte. Unbedingte und absolute Ehrlichkeit, die es auszuhalten gilt, wenn man miteinander befreundet ist: Es sei nicht ihr Anspruch an Freunde, sich gegenseitig scharf ins Visier zu nehmen. Vielmehr eine Schutzfunktion als absolute Ehrlichkeit solle Freundschaft bieten, sagt die Fernsehmoderatorin Bettina Böttinger. Man dürfe sich nicht nach dem Mund reden, aber auch nicht nerven, indem man immer wieder den Finger in die offene Wunde legt, meint die Politikerin Sahra Wagenknecht. Es sei nicht nötig, Freunde mit unabgefragter Kritik zu verletzen, so Silvia Bovenschen.
Und Roger Willemsen erzählt, wie selten es passiere, dass Freunde ihn kritisierten, und wenn, aus Sorge davor, dass er sich verheize, zu viele Dinge gleichzeitig tue: "Niemals sagt einer von ihnen, eine Vorstellung war mau. Ein Buch nicht lesbar." Gerade nach Fernsehsendungen habe er im Nachhinein gedacht: "Da hätte mich mal jemand beiseite nehmen sollen und sagen: Schau mal, was du da machst."
So wird Katja Kraus' Freundschaftsbuch unwillkürlich zur Erzählung über einen Schutzraum, dem das Unerbittliche, aber auch die uneingeschränkte Offenheit eher fernliegen. Männer wie Jürgen Trittin und Christoph Metzelder tauchen als Verschwiegenheitsexperten auf, die enge Freunde mit ihrem Innersten nicht unnötig behelligen wollen. Freundschaft sei für ihn etwas, was das Leben bereichern solle. Mit seinen Nöten beladen wolle er seine Freunde nicht, sagt der Theaterregisseur Jürgen Flimm - und singt ein Loblied auf seinen Bereicherungsfreund Michael Naumann, den Verleger und ehemaligen Kulturstaatsminister, den er eigentlich habe heiraten wollen.
Und noch etwas anderes zieht durch die Bestandsaufnahme prominenter Freunde hindurch, das mit der Zeit, mit aufweichenden Rollenbildern und erodierenden Familien zu tun hat, manchmal aber auch mit dem Alter der Befragten: Es ist die Tendenz, die engen Freunde als Familie oder Familienersatz zu bezeichnen. Das geschieht vor allem dann, wenn gerade ein Elternteil gestorben ist, aber nicht nur: "Freundschaft ist, Teil der Familie zu sein", sagt sehr grundsätzlich etwa die Grünen-Politikerin Claudia Roth, die im Buch zu den wenigen gehört, die das Interesse an neuen Freundschaften betont, sich als weiterhin entflammbar zeigt. Ihr jüngster Freund, sagt sie, sei der Dichter und Dramatiker Albert Ostermaier, den sie auf einer Veranstaltung kennengelernt habe. Sie schwärmt: "Er ist noch mehr auf der Überholspur als ich. Eine Übereinstimmung in Höchstgeschwindigkeit."
Dass Katja Kraus ihren Gesprächspartnern so überaus freundlich begegnet, hat den Nachteil, dass sie sich kritische Fragen nicht erlaubt. Ein Phänomen wie die Männerfreundschaft bleibt auf diese Weise fast unergründet. Da doziert der Publizist Manfred Bissinger in Allgemeinplätzen ziemlich oberschlau daher, dass Freundschaften heute "Allianzen" seien, "vor allem in der Politik", dass "Macht menschliche Beziehungen" kompensiere und der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff "Zweckbündnisse mit Freundschaften verwechselt" habe. Und wenn er ein paar Seiten später dann Gerhard Schröder als "wahren Freund", als "Ausnahme" in einer bindungslosen Branche preist, dessen Kumpel gar nicht aus der Politik kommen, sondern Künstler, Wirtschaftsbosse und Alphatiere seien wie er selbst, dann wünschte man sich schon, dass der Autorin Worte wie "Kumpel", "Kumpanei" oder auch "Männerwirtschaft" der näheren Betrachtung Wert gewesen wären. Gerhard Schröder als unstrategischer Superfreund - das nimmt man so ohne weiteres nicht hin.
Es sei bemerkenswert, dass die großen historischen und literarischen Freundschaftspaare beinah ausschließlich Männerbündnisse seien, heißt es im Buch an einer Stelle. Es gebe keine weiblichen Äquivalente zu Huckleberry Finn und Tom Sawyer, Winnetou und Old Shatterhand, Don Quijote und Sancho Pansa, Egon Bahr und Willy Brandt. Ganz am Schluss ihres Buchs fügt Katja Kraus dieser Liste noch eine weitere romantische Männerfreundschaft hinzu: Roger Willemsen und seinen besten Freund, den Kulturwissenschaftler Joseph Vogl. Vor vielen Jahren lernten sie sich an der Uni in München in einem "Medea"-Seminar kennen. Kraus befragt beide unabhängig voneinander. Und wie Joseph Vogl nach so vielen Jahren, einem Bruch, einer Freundschaftspause und einer erneuten Annäherung über diese Begegnung spricht; wie er sagt, dass er sich immer gewünscht hatte, dass so etwas möglich sein könnte, "auf diese Weise zu reden: lange, intellektuell, sympathisch, grenzenlos", "ein amoralischer Raum in der ungekannten Schrankenlosigkeit" - das ist so schön, dass man sofort eine Freundin anrufen will.
JULIA ENCKE
Katja Kraus: "Freundschaft. Geschichten von Nähe und Distanz". S. Fischer, 256 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Politikerin und ein Dichter. Ein Journalist und ein Kanzler. Wozu sind Freunde da? Katja Kraus hat Antworten in ihrem neuen Buch gesammelt
Wer ist schon wirklich befreundet?" Egon Bahr, der große Lebensfreund von Willy Brandt, lehnt sich zurück. Günter Grass, glaubt er, sei doch mit Max Frisch ganz eng gewesen - und irrt sich. Frisch und Grass waren sich fremd. Aber heute, fährt er fort, diese Facebook-Freundschaften, das sei doch ein Irrglaube der Menschheit: "Wie soll das denn gehen, Verbundenheit in sechs Zeilen?" Er schüttelt den Kopf und sortiert seinen Schreibtisch, auf dem neben einem Kalender nur eine Schreibmappe und ein Aschenbecher liegen und zwei seiner eigenen Bücher. Willy Brandt fehle ihm sehr. Er frage sich oft, was dieser jetzt wohl tun würde, und fühle dann eine Leere, weil er es nicht überprüfen könne. "Manchmal" - er flüstert beinahe - "träume ich auch von ihm."
Egon Bahr ist 92 Jahre alt. Und wenn ein Mann wie er in Katja Kraus' neuem Buch "Freundschaft - Geschichten von Nähe und Distanz" mit Facebook die gesamte Freundschaftskultur den Bach heruntergehen sieht, darf man ihm das verzeihen. Dass das Kulturpessimistische, die "apokalyptischen Schlussfolgerungen", wie die Autorin das nennt, aber auch an anderen Stellen des Buchs auftauchen und dabei gar keinen Anlass zu weiteren Überlegungen geben, fängt einen beim Lesen irgendwann an zu irritieren.
Etwa, wenn die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen halbkokett abstreitet, eine Zukunftsforscherin zu sein - dann aber in Erwägung zieht, dass es privates Leben bald nicht mehr geben werde. Also auch keine Freundschaft im klassischen Sinne, weil diese nun einmal etwas sehr Persönliches sei: "Wenn Öffentliches und Privates verschwimmen, weil alles erschnüffelt ist, weil gerade eine Drohne am Fenster vorbeifliegt, dann löst sich alles, was im Vertrauten beheimatet ist, auf", so Silvia Bovenschen.
Aber ist das denn so? Man könnte es doch auch genau umgekehrt formulieren, dass mit dem Lausch- und Spähangriff auf die Privatsphäre etwas wie Freundschaft wichtiger wird, nämlich als Schutzraum, als Ort der Verschwiegenheit, der verabredeten Codes oder der verschlüsselten Kommunikation, als ein Raum also, den man mit zunehmender Vehemenz zu verteidigen bereit ist. Brauchen wir Freunde nicht mehr denn je?
Katja Kraus, ehemalige Torfrau, acht Jahre lang im Vorstand des Hamburger SV und Autorin des viel beachteten Buchs "Macht - Geschichten von Erfolg und Scheitern", will sich zu zeitdiagnostischen Thesen nicht aufschwingen. Ihre Annäherung an "Freundschaft" vollzieht sie im Gespräch: Sie hat Spitzensportler, Politiker, Schriftsteller und Wissenschaftler aufgesucht - Männer und Frauen, mit denen sie sich über die Facetten von Freundschaft unterhalten hat.
Das ist unbedingt lesenswert und interessant gerade auch dort, wo es um Brüche geht (eine Frau tritt zwischen zwei Männer oder umgekehrt), um Freundschaftsvernichtung durch Konkurrenz oder um Pausen, nach denen erneute Annäherungen erfolgen. Und es ist überraschend, weil es vorkommt, dass bei Gesprächspartnern, von denen man meint, dass sie unterschiedlicher nicht sein könnten, Parallelen auftauchen, die am Ende dann vielleicht doch etwas mit der Zeit zu tun haben, in der wir leben. Die Beschaffenheit von Freundschaft, denkt man bei der Lektüre, ist eben keine anthropologische Konstante. Sie hat in unterschiedlichen historischen Situationen auch unterschiedliche Ausprägungen.
Auffällig jedenfalls ist, dass keiner der Menschen, mit denen Katja Kraus sich verabredet hat, das Freundschaftsideal einer uneingeschränkten und damit auch schonungslosen Offenheit unter Freunden ins Feld führt, welches man an erster Stelle vermutet hätte. Unbedingte und absolute Ehrlichkeit, die es auszuhalten gilt, wenn man miteinander befreundet ist: Es sei nicht ihr Anspruch an Freunde, sich gegenseitig scharf ins Visier zu nehmen. Vielmehr eine Schutzfunktion als absolute Ehrlichkeit solle Freundschaft bieten, sagt die Fernsehmoderatorin Bettina Böttinger. Man dürfe sich nicht nach dem Mund reden, aber auch nicht nerven, indem man immer wieder den Finger in die offene Wunde legt, meint die Politikerin Sahra Wagenknecht. Es sei nicht nötig, Freunde mit unabgefragter Kritik zu verletzen, so Silvia Bovenschen.
Und Roger Willemsen erzählt, wie selten es passiere, dass Freunde ihn kritisierten, und wenn, aus Sorge davor, dass er sich verheize, zu viele Dinge gleichzeitig tue: "Niemals sagt einer von ihnen, eine Vorstellung war mau. Ein Buch nicht lesbar." Gerade nach Fernsehsendungen habe er im Nachhinein gedacht: "Da hätte mich mal jemand beiseite nehmen sollen und sagen: Schau mal, was du da machst."
So wird Katja Kraus' Freundschaftsbuch unwillkürlich zur Erzählung über einen Schutzraum, dem das Unerbittliche, aber auch die uneingeschränkte Offenheit eher fernliegen. Männer wie Jürgen Trittin und Christoph Metzelder tauchen als Verschwiegenheitsexperten auf, die enge Freunde mit ihrem Innersten nicht unnötig behelligen wollen. Freundschaft sei für ihn etwas, was das Leben bereichern solle. Mit seinen Nöten beladen wolle er seine Freunde nicht, sagt der Theaterregisseur Jürgen Flimm - und singt ein Loblied auf seinen Bereicherungsfreund Michael Naumann, den Verleger und ehemaligen Kulturstaatsminister, den er eigentlich habe heiraten wollen.
Und noch etwas anderes zieht durch die Bestandsaufnahme prominenter Freunde hindurch, das mit der Zeit, mit aufweichenden Rollenbildern und erodierenden Familien zu tun hat, manchmal aber auch mit dem Alter der Befragten: Es ist die Tendenz, die engen Freunde als Familie oder Familienersatz zu bezeichnen. Das geschieht vor allem dann, wenn gerade ein Elternteil gestorben ist, aber nicht nur: "Freundschaft ist, Teil der Familie zu sein", sagt sehr grundsätzlich etwa die Grünen-Politikerin Claudia Roth, die im Buch zu den wenigen gehört, die das Interesse an neuen Freundschaften betont, sich als weiterhin entflammbar zeigt. Ihr jüngster Freund, sagt sie, sei der Dichter und Dramatiker Albert Ostermaier, den sie auf einer Veranstaltung kennengelernt habe. Sie schwärmt: "Er ist noch mehr auf der Überholspur als ich. Eine Übereinstimmung in Höchstgeschwindigkeit."
Dass Katja Kraus ihren Gesprächspartnern so überaus freundlich begegnet, hat den Nachteil, dass sie sich kritische Fragen nicht erlaubt. Ein Phänomen wie die Männerfreundschaft bleibt auf diese Weise fast unergründet. Da doziert der Publizist Manfred Bissinger in Allgemeinplätzen ziemlich oberschlau daher, dass Freundschaften heute "Allianzen" seien, "vor allem in der Politik", dass "Macht menschliche Beziehungen" kompensiere und der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff "Zweckbündnisse mit Freundschaften verwechselt" habe. Und wenn er ein paar Seiten später dann Gerhard Schröder als "wahren Freund", als "Ausnahme" in einer bindungslosen Branche preist, dessen Kumpel gar nicht aus der Politik kommen, sondern Künstler, Wirtschaftsbosse und Alphatiere seien wie er selbst, dann wünschte man sich schon, dass der Autorin Worte wie "Kumpel", "Kumpanei" oder auch "Männerwirtschaft" der näheren Betrachtung Wert gewesen wären. Gerhard Schröder als unstrategischer Superfreund - das nimmt man so ohne weiteres nicht hin.
Es sei bemerkenswert, dass die großen historischen und literarischen Freundschaftspaare beinah ausschließlich Männerbündnisse seien, heißt es im Buch an einer Stelle. Es gebe keine weiblichen Äquivalente zu Huckleberry Finn und Tom Sawyer, Winnetou und Old Shatterhand, Don Quijote und Sancho Pansa, Egon Bahr und Willy Brandt. Ganz am Schluss ihres Buchs fügt Katja Kraus dieser Liste noch eine weitere romantische Männerfreundschaft hinzu: Roger Willemsen und seinen besten Freund, den Kulturwissenschaftler Joseph Vogl. Vor vielen Jahren lernten sie sich an der Uni in München in einem "Medea"-Seminar kennen. Kraus befragt beide unabhängig voneinander. Und wie Joseph Vogl nach so vielen Jahren, einem Bruch, einer Freundschaftspause und einer erneuten Annäherung über diese Begegnung spricht; wie er sagt, dass er sich immer gewünscht hatte, dass so etwas möglich sein könnte, "auf diese Weise zu reden: lange, intellektuell, sympathisch, grenzenlos", "ein amoralischer Raum in der ungekannten Schrankenlosigkeit" - das ist so schön, dass man sofort eine Freundin anrufen will.
JULIA ENCKE
Katja Kraus: "Freundschaft. Geschichten von Nähe und Distanz". S. Fischer, 256 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Das ist unbedingt lesenswert und interessant gerade auch dort, wo es um Brüche geht Julia Encke Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 20150215