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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Eine Studie über die Beziehungen zwischen Athen und Belgrad
Im März 2019 wurde der frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic vom Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Richter befanden ihn des Völkermords sowie der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für mitschuldig, so wegen des Massakers von Srebrenica, bei dem bosnisch-serbische Truppen 1995 mehr als 7000 bosnische Muslime getötet hatten. Als Verbrecher hatte Karadzic schon zu Beginn des 1992 ausgebrochenen Krieges in Bosnien praktisch weltweit gegolten - allerdings nicht in Serbien und in Griechenland, wo man ihn als Helden feierte. Als er im Juni 1993 auf Einladung der griechisch-orthodoxen Kirche und anderer Institutionen Athen besuchte, wurde der Warlord wie ein Staatsgast behandelt. Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis (der Vater des heutigen griechischen Regierungschefs) und Oppositionschef Andreas Papandreou empfingen ihn mit höchsten Ehren.
Der von der Bevölkerung und fast allen Medien gefeierte Gast bedankte sich überschwänglich: "Alle sagen uns, wir sollen die Waffen niederlegen, da wir allein sind. Wir sagen nein, wir sind nicht allein. Wir haben mit uns die Griechen und Gott!" Tatsächlich war Griechenland - eine Mehrheit der Bevölkerung ebenso wie die jeweiligen Regierungen - neben Russland lange das einzige Land, das den mörderischen großserbischen Vertreibungsfeldzug der neunziger Jahre nicht nur nicht verurteilte, sondern stützte. Wirtschaftlich durch Umgehung der gegen Belgrad verhängten Sanktionen. Militärisch, indem Athen Waffenlieferungen ermöglichte und wegsah, wenn griechische Freiwillige in die bosnischen Kampfgebiete zogen. Rhetorisch ohnehin - griechische Medien warben offen für den panorthodoxen Kriegstourismus. Erst 1996, als der westlich orientierte Pragmatiker Kostas Simitis Regierungschef wurde, änderte sich Athens Position. Das Gros der Bevölkerung und viele Medien standen freilich weiter aufseiten der großserbischen Politik.
Unter dem treffend doppeldeutigen Titel "Freundschaftsbande. Griechisch-serbische Geschichts- und Gegenwartsdeutungen vor dem Hintergrund der Jugoslawienkriege 1991-1999" hat die Historikerin Ruza Fotiadis das Geflecht dieser Beziehungen nun analysiert. Schon der einführende, gut eineinhalb Jahrhunderte zurückreichende Exkurs zur Entwicklung der serbisch-griechischen Beziehungen ist lesenswert. Die Autorin beleuchtet darin die erfolgreiche Allianz der beiden Staaten gegen das Osmanische Reich in den Balkan-Kriegen von 1912/13, aber auch den Konflikt, der sich nach dem Sieg um die territoriale Beute in der historischen Region Makedonien entspann. Das neuerliche Zusammengehen im Ersten Weltkrieg, als Serbiens Regierung sowie Zehntausende serbische Soldaten und Flüchtlinge auf Korfu Zuflucht fanden, überdeckte diesen Streit nur kurz.
Leider erwähnt die Autorin nicht, was zum Bild gehört hätte: dass sich nämlich das serbisch dominierte erste Jugoslawien 1941 als Gegenleistung für den Beitritt zum deutsch-italienisch-japanischen Dreierpakt von Hitler schriftlich zusichern ließ, die Stadt Saloniki annektieren zu dürfen. Das Buch steigt erst 1945 wieder ein, als Tito, wohlgemerkt kein Serbe, unter Hinweis auf die Unterdrückung "tausender Mazedonier" in Griechenland Belgrads Anspruch auf nordgriechische Territorien erneuerte. Jugoslawiens Pläne für ein kommunistisches "Großmakedonien" bestätigten nur Athens Argwohn gegen die slawischen Nachbarn. Wer von einer angeblich seit jeher bestehenden griechisch-serbischen Freundschaft fabuliert, wie seit den neunziger Jahren bei Nationalisten beider Länder üblich, muss also zentrale Ereignisse ausblenden, damit das Bild überzeugend wirkt.
In den Neunzigerjahren schien die Interessenkongruenz dann aber tatsächlich groß. Anfangs setzten Militär, Politik und Intellektuelle in Belgrad darauf, dass der blutig durchgesetzte großserbische Führungsanspruch im zerfallenden Jugoslawien auch in Paris und London gebilligt werde - schließlich hatte man in zwei Weltkriegen zusammen gekämpft. "Diese im öffentlichen Diskurs befeuerten Allianzvorstellungen und Solidaritätshoffnungen sollten sich jedoch zerschlagen", schreibt Fotiadis. Die Westeuropäer, so die Autorin, erteilten der serbischen Eroberungspolitik eine Absage "und distanzierten sich in der Folge zunehmend vom Regime in Belgrad". Erst im Zuge der Enttäuschung über den "Verrat" von Briten und Franzosen seien die Griechen im serbischen Diskurs zu den wahren Freunden des Serbentums erkoren worden. Von einer imaginierten "Gemeinschaft der Underdogs" schreibt Fotiadis: "Verstärkt wurde dies von der ,Bruderlosigkeit' der Griechen und dem ,Bruderverlust' der Serben."
Das ist korrekt, nur übergeht eine solche Darstellung, dass Frankreich unter François Mitterrand und übler noch das Großbritannien von John Major die serbische Vertreibungspolitik anfangs durchaus deckten. In Paris leitete erst Jacques Chirac einen Kurswechsel ein. Als Andreas Papandreou, seit 1993 wieder Ministerpräsident, gegenüber Chirac behauptete, es gehe den Serben in Jugoslawien um die Verteidigung ihres Glaubens, soll der französische Präsident brüsk erwidert haben: "Erzählen Sie mir nichts von Religionskriegen. Diese Menschen haben keinen Glauben und kein Gesetz. Es sind Terroristen." In Athen sah man das weiterhin anders. Der konservative Konstantinos Mitsotakis bezeichnete den serbischen Präsidenten und Sozialistenführer Milosevic als persönlichen Freund. Der Sozialist Papandreou hatte dagegen vor allem an Karadzic einen Narren gefressen, der einer Auferstehung der serbischen Orthodoxie das Wort redete. Hinzu kamen Intellektuelle wie der nationalistische griechische Komponist Mikis Theodorakis, der für die Massaker im ehemaligen Jugoslawien "zu 100 Prozent" Deutschland verantwortlich machte, serbische Täter dagegen als Freiheitskämpfer idealisierte.
Karadzic unterstützte solche Deutungen in Interviews mit griechischen Medien, die ihm als vermeintlichem "Widerstandskämpfer" und "friedliebendem Wissenschaftler" viel Platz zur Selbstdarstellung gewährten. So behauptete Karadzic in Griechenland unwidersprochen, orthodoxe Völker seien aufgrund ihres ausgeprägten Gerechtigkeitssinns unfähig, die ihnen vom Westen zur Last gelegten Verbrechen zu begehen - ein Argument, das übrigens fast wortgleich der türkische Präsident Erdogan verwendet, um die muslimische Verantwortung für islamistische Attentate zu bestreiten.
Tiefpunkt der von Fotiadis exzellent beschriebenen "Freundschaftsbande" war die Teilnahme griechischer Kämpfer am Massaker von Srebrenica. "Mit der griechischen Fahne sind sie in Srebrenica eingezogen", hieß es dazu anerkennend in einem reich bebilderten Bericht der Athener Zeitung Ethnos, in dem auch die Dankbarkeit der serbischen Soldaten für die Hilfe aus Griechenland hervorgehoben wird. Die "griechische Freiwilligen-Garde" sei auf Wunsch des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladic als regulärer Truppenteil in das Drina-Korps der Armee der bosnischen Serbenrepublik eingegliedert worden, heißt es in dem Buch. Die nur 100 Mann umfassende Einheit war zwar militärisch unmaßgeblich, politisch aber bedeutend. Ob griechische Kämpfer direkt am Massaker beteiligt waren, weiß man auch deshalb nicht, weil sie sich in Griechenland nie vor Gericht verantworten mussten, obschon ihre Namen den Behörden bekannt waren und sind.
MICHAEL MARTENS
Ruza Fotiadis: "Freundschaftsbande. Griechisch-serbische Geschichts- und Gegenwartsdeutungen vor dem Hintergrund der Jugoslawienkriege 1991-1999".
Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 317 S., 34,- [Euro].
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