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Für mehr positive Energie: Sabine Bode versucht unsere Angst vor der Diagnose einer Demenzerkrankung im Alter zu bannen.
Von Joachim Müller-Jung
Die Welt ist schöner, wenn man das Elend ausblendet, keine Frage. Aber ist das die Lösung, wenn wir an die vielfältigen Irrwege denken, auf denen wir unterwegs sind, wenn es um die Bekämpfung von Krankheit, Siechtum und Pflegenotstand geht? Mit anderen Worten: Ist Optimismus die richtige Haltung gegenüber der sich gnadenlos ausbreitenden Demenzerkrankung Alzheimer und dem demographischen Wandel? Wenn man das Buch der Kölner Journalistin Sabine Bode liest und sich auf ihre Perspektive einlässt, lautet die Antwort ganz klar: Ja.
Die Autorin, die sich bisher vor allem mit Geschichtsthemen und Kriegsgeschichten befasste, hat ein spannendes Experiment gewagt. Sie hat sich auf die Suche nach den Menschen und Orten im Land gemacht, in denen nicht die Missstände das Bild beherrschen, die regelmäßig in den Medien angeprangert werden, sondern das Aufbäumen dagegen. "Es gibt das Umfeld, es gibt die Einrichtungen, es gibt die Familien, wo Alte in Ruhe verrückt werden dürfen und glückliche Phasen im Lebensabend genießen." Man kann solchen Sätzen etwas abgewinnen und spürt dabei doch, dass es eben lediglich so sein kann - aber in vielen Fällen nicht so ist. Und dass es vielleicht sogar nur eine Minderheit von Privilegierten ist, die in den Genuss kommt, den geistigen Verfall im Alter so erleben zu dürfen. Warum also sollte es für mich gelten? Bodes Buch ist die Aufforderung, diese Möglichkeit nicht nur in Betracht zu ziehen, sondern auch alles selbst dafür zu tun.
Wer ihr da folgen will und diese positive Energie mitbringt, der kann aus der Lektüre viele Beispiele für ein würdevolles Leben in geistiger Umnachtung mitnehmen. Für die anderen ist das Buch ein typisches Beispiel von Rosinenpickerei. Der Gestus der Autorin ist immer der einer Mutmacherin. Die beeindruckende "Demenzclownin", eine einfühlsame Unterhalterin mit eigenem Pflege-Zertifikat, steht paradigmatisch dafür. Das muss psychologisch nicht schlecht sein. So auch, wenn die Lehren des prominenten Hirnforschers Gerald Hüther bemüht werden, der in der Begeisterungsfähigkeit den "Dünger fürs Hirn" sieht und deshalb den Schluss zieht: Menschen, die sich einer Sache hingeben können, die für eine Idee brennen, die bis ins hohe Alter nicht aufhören, sich für Neues zu begeistern, "werden nur selten von einer Demenz heimgesucht".
Aber das ist eine trügerische Empirie. Denn natürlich ist man sich unter Demenzforschern inzwischen einig, dass man dem massenhaften Niedergang von Hirnzellen im Alter durch verschiedene präventive Maßnahmen begegnen kann - dass man Alzheimer eher verhindern kann, wenn man gesund lebt, sich bewegt, nicht raucht, nicht trinkt und nicht nachlässt, sein Gehirn immer wieder zu benutzen und herauszufordern. Aber keine Forschung hat gezeigt, dass in sich gekehrte Menschen mit der Neigung zum Grübeln, solche, die negative Erfahrungen im Leben angehäuft und damit die Lust verloren haben, damit die Ausbildung einer Demenz begünstigen. Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass die hochbetagten lebensfrohen, neugierigen Menschen mit dem "Dünger im Gehirn" uns einfach deshalb auffallen, weil sie genau mit diesen Eigenschaften aus der großen Masse herausstechen? Jemand, der mit neunzig mit dem Gedächtnis und der Energie eines Sechzigjährigen ausgestattet ist, kann von Glück reden - aber so wenig, wie sich sagen lässt, dass er so lange lebt, weil er demenzfrei geblieben ist, lässt sich sicher behaupten, er ist demenzfrei geblieben wegen seines positiven Wesens.
Auf der Suche nach ihren Glücksmomenten mit Demenzpatienten ist die Autorin jedenfalls viel herumgekommen und hat einiges entdeckt, was Mut macht. Und sie hat daraus psychologisch gesehen sinnvolle Schlüsse gezogen: Wir sollten aus Dingen, die nicht zu ändern sind, das Beste machen. Wir dürfen die Begegnung mit dementen Alten, mit immer mehr von ihnen, nicht gleich als Katastrophe begreifen - weder als finanzielle noch als menschliche Tragödie. Die Gefahr liegt allerdings unbestritten darin, dass man mit dieser Haltung allzu leicht die Augen verschließt, welches Elend gesundheitspolitisch und menschlich tatsächlich oft herrscht. Bodes Buch sollte man deshalb lesen, wenn man bereit ist, gerne daran zu glauben, was der Bremer Bürgermeister Henning Scherf zu seinem Umgang mit dem Thema sagte: "Wer nach vorne schaut, bleibt länger jung."
Sabine Bode: "Frieden schließen mit Demenz".
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2014. 304 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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