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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
In der Hauptstadt der Operette: Peter Kamber beschreibt das Leben und den Tod der erfolgreichen Berliner Theaterunternehmer Fritz und Alfred Rotter.
Sie wurden erst belächelt, dann beneidet und schließlich verhöhnt und bekämpft. Man hat sie verfolgt, denunziert, mit Prozessen überzogen und in den Tod getrieben, nicht im übertragenen Sinne, sondern buchstäblich. Alfred und Fritz Rotter wurden von ihren Feinden zu Tode gehetzt. Drei Dinge mussten sich die Brüder Rotter zeitlebens vorwerfen lassen: Sie wollten Theater machen und Geld damit verdienen. Sie hatten Erfolg. Sie waren Juden.
Die Zeit war eine völlig andere, aber die Frage stellt sich auch heute wieder: Woher nur kommt all der Hass? Als der Dramatiker Arnolt Bronnen, der 1930 zusammen mit Ernst und Friedrich Georg Jünger und SA-Leuten Thomas Manns später berühmt gewordene "Deutsche Ansprache" im Berliner Beethoven-Saal verhindern wollte, mehr als zwei Jahrzehnte später auf jene Zeit zurückblickte, gab er sich ratlos: "Ich hatte einen Zorn, ich weiß nicht gegen was, mag sein, gegen alles." Die Weltwirtschaftskrise wütete, die "Goldenen Zwanzigerjahre" waren gerade zu Ende gegangen. Die Schauspielerin Trude Hesterberg hat später bekannt, dass ihr diese Bezeichnung geradezu Abscheu einflößte: "Es lagen viele Leichen im Landwehrkanal, fast jeden Tag eine. Junge und alte Menschen, Menschen, die keinen Ausweg mehr aus der Not fanden, suchten in den schmutzigen kalten Wassern, die sich durch Berlin zogen, nach Erlösung."
Erlösung suchten die Menschen auch im Theater, vor allem in Berlin. Die "New York Times" konstatierte im Dezember 1929, dass Berlin Wien als Hauptstadt der Operette abgelöst hatte. Worauf beruhte der Siegeszug der Berliner Operette? Die Zeitung zitierte Alfred Rotter, den älteren der beiden Rotter-Brüder: Das Publikum gehe in eine Operette, um herzhaft zu weinen. Man weinte mit Franz Lehár und Richard Tauber, Käthe Dorsch und anderen Stars. Viele von ihnen standen bei Fritz und Alfred Rotter unter Vertrag. Berlin, so der berühmte Schauspieler Alexander Granach in seiner Autobiographie "Da geht ein Mensch", war die "heißeste, kochendste Theaterstadt Europas". Die Rotters haben dazu viel beigetragen.
Peter Kamber, in Berlin lebender Publizist aus Zürich, hat in seiner geradezu unmäßig materialreichen Studie "Fritz und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil" ausgewertet, was die Archive hergaben: Akten, Verträge, Protokolle, Briefwechsel, Memoranden, Memoiren. Vor allem aber zitiert Kamber aus den zeitgenössischen Theaterkritiken und Zeitungsartikeln. Herbert Jhering, Kurt Tucholsky, Siegfried Jacobsohn, Alfred Kerr, alle haben sie über die Rotters und ihre Produktionen geschrieben und sich an den oft überwältigenden Publikumserfolgen der Brüder abgearbeitet. Längst nicht immer machen die großen Kritiker von gestern dabei eine gute Figur. Das liegt nicht zuletzt daran, dass wir den hohen Säuregrad ihrer Polemiken nicht gewohnt sind. Die Kritik fühlte sich berufen und legitimiert, das Populäre mit nahezu allen denkbaren Mitteln zu bekämpfen. So scharfsinnig die Analysen, so brillant die Formulierungen auch sein mögen, es irritiert der oft anmaßend-erbarmungslose Zungenschlag des Kunstrichters, der nicht nur verreißt, sondern ausgemerzt sehen möchte, was ihm missfällt.
Als die Rotter-Brüder 1924 ihre Theaterkonzession vom Residenz- auf das Lessingtheater übertragen lassen wollen, beginnt eine Hetzjagd. Die einen geifern über eine "frivole Kunstauffassung" oder reden von "Barbarei", der sozialdemokratische "Vorwärts" fordert die Enteignung der Rotters, die Bühnengenossenschaft startet eine Kritikerumfrage. Alfred Kerr äußert sich mit gewohnter Schärfe und in der Überzeugung, dass Alfred und Fritz Rotter "die übelsten Schädlinge sind, welche die deutsche Theaterkunst seit Jahrzehnten aufzuweisen hat. Ihr Wirken ist Spekulation auf tiefstehende Regungen einer gewissen Schicht. In dieser Tendenz treiben sie ,Kunst' als Handelsgeschäft." Wenig später stand Hitler auf den Stufen des Reichstags, aber das Abendland ging unter, weil die Brüder Rotter die Theater füllten.
Geboren wurden sie als Alfred und Fritz Schaie in Berlin, wo der Vater Heymann Schaie seit 1880 ein "Herren-Garderobe-Geschäft en gros" betrieb. Er kam aus dem stark jüdisch geprägten Leslau, dem späteren Hohensalza, das heute Inowraclaw heißt. Schon vor seinem Tod, bei dem er den Söhnen und deren beiden Schwestern ein ansehnliches Vermögen hinterließ, hatte er die Theaterleidenschaft der Brüder finanziell unterstützt. Bereits als Schüler organisierten sie Aufführungen, und während des Studiums stellte ihnen Otto Brahm sein Lessingtheater für gelegentliche Sonderaufführungen zur Verfügung. Später wird das Haus eine von insgesamt neun Bühnen sein, die Fritz und Alfred Rotter bespielen, als Eigentümer oder Pächter, zum Teil aufgrund windiger juristischer Konstruktionen. Dass ihr Imperium verschachtelt war, es umfasste sechs GmbHs und zwei Aktiengesellschaften, wurde ihnen immer wieder mit Vehemenz zum Vorwurf gemacht. Mit antikapitalistischer, auch antiamerikanischer Inbrunst sprach man vom "Rotter-Trust", wie überhaupt der Name zum Schimpfwort gestempelt wurde: Von der "Rotterei" war die Rede, von "Verlotterung und Verrotterung" des Theaters und seit 1924 immer öfter auch offen von der "fast allgemeinen Verjudung der Berliner Theater", in deren Direktionen "uns völlig Stammes- und darum auch Wesensfremde ihren Einzug gehalten" hätten.
Was hatten die Brüder auf dem Kerbholz? Während des Ersten Weltkriegs hatten sie versucht, sich dem Militärdienst zu entziehen. Ihre Transaktionen waren nicht immer leicht zu durchschauen, ihre Buchführung ließ an preußischer Gewissenhaftigkeit zu wünschen übrig. Ihr Gespür für die Befindlichkeiten und Bedürfnisse des Publikums war nahezu untrüglich. Sie beschäftigten zeitweise bis zu 1300 Menschen, entdeckten Stars wie Hans Albers, verdienten Millionen, steckten sie in ihre Theater oder verpulverten sie bei Fehlspekulationen an der Börse. Alfred Rotter und seine Frau Gertrud wurden 1933 in Liechtenstein von Nationalsozialisten aufgespürt, sollten wohl entführt werden und kamen unter nie geklärten Umständen ums Leben. Fritz gelang zunächst die Flucht. Er starb 1939 in einem Gefängnis in Colmar, wie erst Peter Kambers langjährige und verdienstvolle Recherchen ergaben.
HUBERT SPIEGEL
Peter Kamber: "Fritz und Alfred Rotter". Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil.
Henschel Verlag, Leipzig 2020. 504 S., Abb., geb., 26,- [Euro].
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